10. Aphorismen

[282] Zur Zeit der Frühlingsregen sproßt Gras und Kraut gewaltig empor. Da mögen Sicheln und Hacken ihre Reihen lichten, das Gras und Kraut wächst zum größten Teil doch wieder nach, und kein Mensch weiß, wie es geschieht. Ruhe hilft zur Genesung von Krankheit; durch allerlei Mittel läßt sich das Alter hintanhalten; aber das sind alles nur Hilfsmittel, mit denen sich die abgeben, die unter jenen Plagen zu leiden haben. Die frei sind und erhaben von diesen Mitteln, fragen nichts darnach. Der Mensch des Geistes fragt nichts darnach, auf welche Weise die Heiligen die Welt in Staunen setzen. Der Heilige fragt nichts darnach, mit welchen Mitteln die Weisen ihr Geschlecht in Staunen setzen. Der Weise fragt nichts darnach, auf welche Art die Edeln ihr Land in Staunen setzen. Der Edle fragt nichts darnach, auf welche Art die Gemeinen mit den Verhältnissen fertig zu werden suchen.

Ein Torwart der Hauptstadt von Sung verstand es so gut, beim Tod seines Vaters abzumagern, daß er den Rang eines Lehrers der Beamten erhielt. Leute seiner Art suchten daraufhin ebenfalls (beim Tod ihrer Eltern) abzumagern, aber die Hälfte davon ging daran zugrunde ...

Fischreusen sind da um der Fische willen; hat man die Fische, so vergißt man die Reusen. Hasennetze sind da um der Hasen willen; hat man die Hasen, so vergißt man die Netze. Worte sind da um der Gedanken willen; hat man den Gedanken, so vergißt man die Worte. Wo finde ich einen Menschen, der die Worte vergißt, auf daß ich mit ihm reden kann?

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 282-283.
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