9. Geräumigkeit

[282] Ist das Auge frei, so sieht es klar; ist das Ohr frei, so hört es scharf; ist die Nase frei, so riecht sie fein; ist der Mund frei, so schmeckt er deutlich; ist die Seele frei, so erlangt sie Erkenntnis; ist die Erkenntnis frei, so erreicht sie das Leben. Alle diese Zugänge darf man nicht verstopfen. Werden sie verstopft, so erleiden sie Unterbrechung; wird die Unterbrechung dauernd, so werden sie zerstört; sind sie zerstört, so entstehen alle Übel. Das Bewußtsein der Geschöpfe ist durch das Atemholen bedingt. Ist der Atem nicht reichlich, so ist das nicht die Schuld des Himmels; denn der Himmel entsendet ihn Tag und Nacht ohne Aufhören, und nur der Mensch selber ist es, der darauf bedacht ist, seine Zugänge zu verstopfen. Der Mensch hat in seinem Leibe genügenden Raum (um Atem zu holen). Seine Seele hat ein natürliches Vermögen sich zu ergehen. Ist das Haus nicht geräumig, so kommen Frau und Schwiegermutter hintereinander. Vermag die Seele sich nicht auszudehnen, so kommen die Sinneswahrnehmungen untereinander in Streit. Der heilsame Einfluß, den Wälder und Berge auf die Menschen ausüben, kommt größtenteils davon, daß sie für den Geist unerschöpflich sind. Die Kräfte des inneren Lebens zerrinnen, wenn man sich einen Namen machen will. Der Name zerrinnt in Gewalttätigkeiten; sorgendes Denken entsteht aus der Ungeduld; die Klugheit entsteht aus dem Streit. Absonderung (von der allgemeinen Lebensquelle) entsteht aus dem Eigenwillen.

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 282.
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