Einleitung

Über Dschuang Dsï's Lebensgeschichte berichtet Sï Ma Tsiën folgendes: »Dschuang Dsï stammte aus Mong (im heutigen Südwestschantung). Sein Rufname war Dschou. Er hatte eine Zeit lang ein Amt in der Stadt Tsi Yüan, die zu Mong gehörte. Er war Zeitgenosse der Könige Hui von Liang (370 bis 335 v. Chr.) und Süan von Tsi (342-324 v. Chr.) Er besaß überaus umfassende Kenntnisse, doch hielt er sich hauptsächlich an die Worte des Lau Dan. So schrieb er ein Werk, das über hunderttausend Worte enthält, die zum großen Teil aus Zitaten und Gleichnissen bestehen. Er schrieb das Buch vom alten Fischer, vom Räuber Dschï, vom ›Kisten aufbrechen‹, um die Schüler des Kung Dsï zu verhöhnen und die Lehren des Lau Dan zu erklären. Namen wie We Le Hü und Gong Sang Dsï sind lauter freie Erfindungen, denen nichts Wirkliches zugrunde liegt; doch er war Meister des Stils. Durch Andeutungen und Schilderungen verstand er es, die Anhänger des Kung Dsï und Mo Di zu verhöhnen, daß auch die tüchtigsten Gelehrten seiner Zeit sich seiner nicht erwehren konnten. So ergötzte er sich an seinem prickelnden, fließenden Stil in stolzer Selbstgenügsamkeit. Darum konnten auch Fürsten und Könige und hohe Beamte sich seiner nicht bedienen.«

Die Bemerkungen des großen Geschichtsschreibers zeugen nicht von einer gründlichen Beschäftigung mit Dschuang Dsï's Schriften. Die Einzelbeispiele, die er aus ihnen zitiert, sind anfechtbar; doch haben wir keine anderen sicheren Nachrichten und müssen uns daher mit dem Wenigen begnügen. Dschuang Dsï ist ohnehin eine Persönlichkeit, die uns aus ihrem eigenen Werk so lebendig entgegentritt, daß darüber äußere biographische Einzelheiten ganz von selber unwichtig erscheinen. Sein Leben war vorzugsweise innerlich, doch war er weit entfernt, als Eremit oder Sonderling die Welt zu fliehen. Er war verheiratet, und über das[7] Verhältnis zu seiner Frau sind mancherlei Sagen im Umlauf. Bei ihrem Tode benimmt er sich etwas exzentrisch (vgl. XVIII, 2). Da er keinen Wert darauf legte, als Fürstenknecht sein Brot zu verdienen (vgl. XVII, 10 und XVII, 19), herrschten offenbar in seiner Familie häufig recht dürftige Verhältnisse (vgl. XXVII, 13; XXVI, 2; XX, 6); doch war diese Misere des Lebens nicht imstande, seine Gelassenheit zu beeinträchtigen. Sein lebhafter Geist wußte den Verkehr mit ebenbürtigen Gegnern zu schätzen. So hat er sich mit dem bedeutendsten Sophisten seiner Zeit, Hui Dsï, häufig unterhalten, wobei es an scharfen Reden und Gegenreden nicht fehlte. Bezeichnend für die Art der beiden ist die Erzählung ihres ersten Zusammentreffens, die in den heute erhaltenen Schriften Dschuang Dsï's nicht steht, aber anderweitig überliefert ist. Hui Dsï habe zu Dschuang Dsï gesagt: »Ich habe mir eingebildet, ich werde heute einen Phönix sehen, statt dessen treffe ich nur eine kleine Schwalbe.« Darauf hätten sie sich gesetzt und beide gelacht. Nicht minder bezeichnend die andere Geschichte in Buch XXIV, 6, wie Dschuang Dsï am Grabe des alten Kampfgenossen vorbeikommt und es bedauert, daß er nun niemand mehr habe, um seinen Scharfsinn zu üben. Erwägung verdient auch die Überlieferung, daß Dschuang Dsï der konfuzianischen Schule wenigstens indirekt angehörte. Ein Jünger des Konfuzius, Dsï Hia, der den Meister um viele Jahre überlebte, hat sich lange Zeit in Dschuang Dsï's Heimat aufgehalten und soll den Tiën Dsï Fang zum Schüler gehabt haben, der in Buch XXI, 1 erwähnt wird. Von diesem Tiän Dsï Fang nun soll Dschuang Dsï Unterricht gehabt haben. Diese Annahme hat etwas Plausibles an sich, da gerade die Frühling- und Herbstannalen, mit denen sich die Schule Dsï Hia's besonders abgegeben hat, bei Dschuang Dsï gelegentlich mit Achtung erwähnt werden. Dieser Zusammenhang mit Konfuzius geht aber nicht hinaus über eine objektive Kenntnisnahme der Traditionen, wie sie für einen umfassend gebildeten Mann der damaligen Zeit unumgänglich nötig war. Innerlich steht Dschuang Dsï dem Konfuzianismus vollkommen souverän gegenüber, und gerade der Umstand, daß er seine Lehren beherrschte und sie vergleichen[8] konnte mit den zuweilen etwas dürftigen Resultaten, die sie in den Männern der Schule hervorbrachten, gibt seiner Kritik den schärfsten Stachel. Seine Selbständigkeit dem Konfuzianismus gegenüber erweist sich nicht nur darin, daß er die gerühmten Kulturträger der alten Zeit, die von Konfuzius als unerreichbare Vorbilder proklamiert worden sind, einen Yau, Schun und Yü, als Verfallserscheinungen auffaßt gegenüber dem paradiesischen Urzustande, der sein Ideal ist, sondern auch daran, daß er den Konfuzius selbst in der allerunbefangensten Weise kritisiert. Diese Kritik an Konfuzius kleidet er mit Vorliebe ein in die Form von Unterhaltungen des Meisters mit Laotse, in denen der Alte nicht sparsam ist an recht derben Belehrungen, die Konfuzius mit devoter Ehrerbietung aufzunehmen pflegt. Ob Dschuang Dsï für diese Geschichten irgendeinen Anhaltspunkt in der Überlieferung hatte, oder ob sie einfach zu seinen berühmten »Gleichnissen« gehören, läßt sich von unserm heutigen Standpunkte aus nicht mehr entscheiden. Die Geschichte vom Narren von Tschu in Buch IV, 8, die in den Gesprächen des Konfuzius Buch XVIII, 5 ihre Parallele hat, sowie manche anderen derartigen Erzählungen lassen darauf schließen, daß er in dem Traditionsstoff über Konfuzius bewandert war. Dagegen scheint es, daß die von Sï Ma Tsiën erwähnte Begegnung des Konfuzius mit Laotse einfach eine Zusammenfassung der in Dschuang Dsï enthaltenen Stellen ist und nur insofern in Betracht kommt, als Sï Ma Tsiën mit der Möglichkeit rechnet, daß Dschuang Dsï eine tatsächliche Überlieferung derart zu Gebote stand. Vom orthodox konfuzianischen Lager aus hat man Dschuang Dsï vielfach den Vorwurf gemacht, daß er den Konfuzius verhöhne. Dieser Vorwurf erscheint ungerecht, wie Su Dung Po zum erstenmal richtig betont hat. Nicht Konfuzius selber ist es, den Dschuang Dsï verhöhnt, sondern die Auswüchse, die seine Lehren in den Händen minderwertiger Schüler gezeitigt haben: leerer äußerlicher Formenkram, Vernachlässigung der tatsächlichen Fragen der Wirklichkeit und der wirklichen Bedürfnisse der Menschen, verbunden mit Arroganz und fortwährender Berufung auf die Autorität des Altertums, Schulgezänk und Streitereien unter Hintansetzung[9] der Forderungen des Gewissens, kurz alle jene Dinge, die unter Tsin Schï Huang Di zu der großen Katastrophe, der sogenannten Bücherverbrennung, geführt haben. Dem Meister selbst steht er vorurteilsfrei, aber mit aufrichtiger Achtung gegenüber. Er legt ihm Worte in den Mund, die reifste Erkenntnisse des Menschenlebens enthalten, und in Buch XXVII, 2 spricht er es Hui Dsï gegenüber aus, wie sehr er Konfuzius schätzt wegen seines unerreichten Einflusses auf die Gestaltung des Gesellschaftslebens. Aber auch sonst zeigt Dschuang Dsï seinen weiten Blick. Nichts von allem, was jene überaus reiche Zeit geistigen Lebens in China hervorgebracht hat, ist ihm entgangen, und unbefangen macht er von allem Gebrauch, was für seinen Zweck paßt, ohne sich deshalb jedoch irgendeiner Richtung schlechthin zu verschreiben. Auch an Männern seiner eignen Richtung wie Liä Dsï oder Sung Yung Dsï sieht er die schwachen Seiten, und selbst Laotse, mit dem er in allen wesentlichen Stücken vollkommen übereinstimmt, bleibt nicht ganz frei von Kritik (Buch III, 4). Leider sind wir heute noch nicht in der Lage, die geistige Richtung des ältesten China, die unter dem Namen Taoismus zusammengefaßt zu werden pflegt, und in der Laotse eine einzelne, wenn auch äußerst markante Etappe darstellt, in ihre Anfänge zurückzuverfolgen. Namentlich ist unsicher, ob nicht manches, was als urälteste Tradition erscheint, in Wirklichkeit auf außerchinesische Quellen zurückzuführen ist. Der Buddhismus, auf den man hinzuweisen pflegt, dürfte hiebei weit weniger in Betracht kommen als jene Lehren, die vorbuddhistisch sind und vielleicht ein gemeinsames Traditionsgut im ältesten Ostasien darstellen.


Für die eigentlichen theoretischen Lehren Dschuang Dsï's können wir auf die Einleitungen zu Laotse und Liä Dsï verweisen. Was Dschuang Dsï seine Besonderheit verleiht, sind sowohl seine Anschauungen, als auch die Lebhaftigkeit seines Geistes, die Schärfe seines Denkens, der Umfang seines Wissens. Was bei Laotse in orakelhaften Sprüchen eines alten Sehers vor uns tritt, nimmt bei Dschuang Dsï wissenschaftliche Formen an, und die Beschäftigung mit den vielen philosophischen[10] Zeitrichtungen hat ihn in seinem Einheitsstreben zu erkenntniskritischen Ergebnissen geführt, die dauernden Wert beanspruchen, gerade dadurch, daß sie die Grenzen möglicher Erkenntnis reinlich umschreiben und so das Erlebnis in seiner unfaßbaren Wirklichkeit umso klarer heraustreten lassen. Das schwierige zweite Buch ist in diesem Sinne ein klassisches Werk der Erkenntnistheorie.

Aber ähnlich wie Plato war Dschuang Dsï nicht bloß ein wissenschaftlicher Geist, sondern auch ein Dichter. Wie Plato seine Dialoge schrieb, um in Rede und Gegenrede die Bewegung des Denkens zu unmittelbarer Anschauung zu bringen, so schreibt auch Dschuang Dsï seine Dialoge. Die großen Dialoge in Buch XVII (Herbstfluten) und in Buch XXV, 10 (Gesellschaftsanschauung und SINN) sind Beispiele unter vielen. Ebenso finden sich auch dichterisch geschaute Gleichnisse und Allegorien, und von dem unübertrefflichen Hilfsmittel, bewegtes Denken plastisch darzustellen, dem Paradox, ist reichlicher Gebrauch gemacht. Kein Wunder, daß Dichter, wie Li Tai Bo, in späteren Jahrhunderten zu ihm zurückkehrten als zu ihrem Seelenverwandten. Auch Shakespeare und Michelangelo würden manches bei ihm gefunden haben, das sie verwandtschaftlich berührte, und selbst Nietzsche kann sich auf manche Vorgänge im Dschuang Dsï berufen. In China wurde Dschuang Dsï wegen seines Stils von jeher geschätzt, selbst von solchen, die ihn wegen seiner Anschauungen aufs strengste verdammten. Dieser Stil Dschuang Dsï's hat etwas Impressionistisches in seiner Art. Er ist konzis bis zum Äußersten, so daß er oft nur verständlich wird, wenn man die Anschauung, über die er redet, intuitiv erkannt hat. Kein Wunder daher, daß er dem Übersetzer manche Schwierigkeit bereitet. Das aphoristisch andeutungsweise Gegebene hat aber seine eignen Reize, und die Art, wie er den Gedanken zuweilen sozusagen in verschiedenen Ebenen übereinander darstellt, wo dann die Reflexe spielen wie von einem Licht, das von entgegengesetzten Spiegeln hin-und hergeworfen wird, steht einzig da in der chinesischen Literatur. Auch in seinen Gleichnissen zeigt er oft diese Bewegung des Gedankens (vgl. z.B. Buch XIX, 6: der Opferpriester und die Schweine, wo die[11] Reflexion fortwährend wechselt). All diese Hilfsmittel sind jedoch nicht Selbstzweck; sie dienen nur dazu, anzuregen und weiterzuführen. Dschuang Dsï ist kein Meister, auf dessen Worte sich schwören läßt. Er ist Ursprung einer Bewegung, und nur der hat ihn verstanden, der vom Wortlaut loskommt und die Bewegung in sich zu erzeugen vermag, die von seinen Worten ausgeht. Meisterhaft charakterisiert er selbst seine Methode in dem Nachwort Buch XXVII, 1.

Dschuang Dsï läßt sich wohl äußerlich einreihen unter die Denker des objektiven Idealismus. Er ist ein Glied in der großen Kette, die im westlichen Denken durch die Namen Heraklit, Bruno, Spinoza, Goethe, Schelling, Schopenhauer, Schleiermacher bezeichnet wird. Aber seine eigentliche Bedeutung beruht nicht allein darauf, daß er eine Weltanschauung vermittelt – im Gegenteil, er will gerade die Weltanschauungen zur Ruhe bringen (Buch II) – sondern darin, daß er zu dem zentralen Erlebnis führen will, das jenseits des Denkens liegt und von der Wissenschaft nur unvollkommen erfaßt wird. Das ist die Ruhe im SINN, von der er redet. Dieses Erlebnis kann nur andeutungsweise umgrenzt werden; jeder begriffliche Ausdruck zerbricht notwendig bei der Anwendung selbst. Auch der SINN oder das Tao ist nur eine derartige Notbrücke – Ausdruck für Unausdrückbares –, denn dieses Erlebnis ist eben reine Innerlichkeit. Wiederholt werden in Dschuang Dsï die Verzückungszustände geschildert, die dieses mystische Erleben begleiten. Mit Vorliebe gebraucht er dann den Ausdruck: der Leib ist starr wie dürres Holz, die Seele ist wie tote Asche (vgl. Buch II, 1; XXII, 2; XXI, 4). Dieses Zurücktreten des Leiblichen und Seelischen ist die äußere Form, wenn der Geist entbunden ist zu jenseitigem Schauen. Die ganze Kraft Dschuang Dsï's beruht auf diesen mystischen Erlebnissen. Hier mündet die Bewegung, mag sie ausgehen, wo sie will. Das ist das Eine, auf das er nicht müde wird in hundert verschiedenen Formen hinzuweisen. Innerhalb der mystischen Richtung lassen sich zwei Typen unterscheiden. Der eine Typus ist das passive Sichhingeben an das große Eine. Dieser Typus ist in der christlichen Mystik der vorherrschende. Der andere Typus ist der des Magiers, der[12] aus eigner Kraft sich emporschwingt ins Jenseits und die Gottheit sich aneignet. Am eindrucksvollsten wird dieser Typus dargestellt von Heraklit. Es ist kein Zweifel, daß Dschuang Dsï dieser letzteren, aktiven Art des Mystizismus zuzurechnen ist. Manche seiner Gestalten, wie der Umfassend-Vollendete, Buch XI, 3, weisen direkt in diese Richtung. Es ist die Mystik des Aufschwungs, nicht des Versinkens, die wir bei Dschuang Dsï finden, und so kann es nicht Wunder nehmen, daß an der Spitze des ganzen Werkes jenes Gleichnis vom Vogel Rokh steht, dessen Weltenflug die Energie dieses Aufschwungs symbolisiert.

Die ersten sieben Bücher enthalten die Grundgedanken des ganzen Werkes. Sie zeigen die praktischen Folgen dieser souveränen Freiheit, die jenseits der Welt im Einen wurzelt. Diese Freiheit, die jedes Zweckes genesen ist, verleiht die unabhängig stolze Muße des Menschen, der unberührt ist von allem kleinen Wollen und Streben. Von hier aus umfaßt der Blick die Welt mit allen ihren Einzelheiten gleichmäßig. Jedes kommt zu seinem Recht, nichts wird einseitig bevorzugt. Hier ist man eins mit dem großen Herzschlag des Weltgeschehens, und wer im Besitz dieses Lebens ist, dem müssen alle Dinge zum Besten dienen. Hier ist aber auch die Quelle der Kraft, die für den Verkehr mit den Menschen nötig ist. Der Mensch, der selber frei ist, weiß auch andere gelten zu lassen. Er drängt sich nicht auf, er kann warten auf seine Zeit, und selbst wenn er diese Zeit nicht trifft, so ist er nicht unglücklich darüber. Besonders klar leuchtet diese Innerlichkeit hervor, wo sie zusammentrifft mit den Unzulänglichkeiten und Nöten des Lebens, an denen die Menschen zugrunde zu gehen pflegen. Ja, es ist geradezu von symbolischer Bedeutung, daß dieses Siegel des Geistes sich in gebrechlichem Leibe zeigt, daß dieser Schatz getragen wird in irdischen Gefäßen. Dieses Erlebnis ist aber notwendig verbunden mit dem Bewußtsein der Ewigkeit. Mit dem Abstreifen der Schranken des Ichs ist die Sterblichkeit ausgeschaltet. Darum werden von hier aus auch Leben und Tod nur zu Erscheinungen inmitten des großen Urgeschehens, und der Tod hat seine Bitternis verloren. Am Schluß des Werkes nimmt Dschuang Dsï sterbend von[13] seinen Schülern Abschied. Er kehrt zurück ins große All, aus dem er hervorgegangen, und sein Leben wird eins mit dem von Himmel und Erde.


Da Dschuang Dsï durchweg im Zusammenhang mit der philosophischen Arbeit seiner Zeit steht, auch vielfach Zitate und Anspielungen enthält, die den Werken zeitgenössischer Philosophen entnommen sind, so ist zu seinem vollen Verständnis ein kurzer Abriß der Hauptrichtungen der chinesischen Philosophie im 4. und 3. vorchristlichen Jahrhundert unentbehrlich. Glücklicherweise ist uns ein solcher Abriß erhalten, der zwar lange nicht vollständig ist, aber doch recht wertvolle Fingerzeige enthält. Er ist den Werken des Dschuang Dsï als 33. Buch angehängt und wird sogar von manchen einheimischen Kommentatoren für Dschuang Dsï's eigne Arbeit gehalten. Die Art jedoch, wie Dschuang Dsï mit höchstem Lob erwähnt und beurteilt wird, während er auf der andern Seite doch wieder nur als eine Richtung neben andern genannt wird, ist ein deutliches Zeichen dafür, daß dieses Buch einer späteren Feder entstammt. Wir können uns daher darauf beschränken, seinen wesentlichsten Inhalt wiederzugeben. Nach einigen einleitenden Definitionen ist zunächst ein Überblick gegeben über die Art der Entstehung der verschiedenen philosophischen Richtungen. Dieser Überblick geht davon aus, daß die Alten den SINN in seinem vollen Umfang besessen und mit seiner Hilfe die Welt in Ordnung gehalten haben. Von hier aus wird eine doppelte Richtung der Weiterentwicklung angenommen: während von der einen Richtung die Dokumente des Altertums gesammelt wurden und dadurch jene Lehren des Altertums, soweit sie in diesen schriftlichen Urkunden einen Ausdruck gefunden, der Nachwelt erhalten blieben, ging auf der andern Seite eine mündliche Tradition der Lehre weiter.

Um die schriftliche Tradition haben sich besondere Verdienste erworben die »Leute von Lu und Dsou« (d.h. Konfuzius und Mong Dsï), denen die Erhaltung der Bücher der Lieder, der Urkunden, der Riten, der Musik und der Frühling- und Herbstannalen zu verdanken ist. Diese Auffassung der konfuzianischen[14] Schule als Abzweigung von der ursprünglichen Taolehre ist sehr interessant und entspricht sicher der Wirklichkeit ebenso wie die Charakterisierung dieser Richtung als einer vorwiegend historisch-literari schen. Weit ausführlicher werden nun die andern Richtungen behandelt, in die sich die mündliche Tradition der Lehre gespalten hat. Daß eine solche Spaltung überhaupt eintrat, wird darauf zurückgeführt, daß im Verlauf des Zerfalls der öffentlichen Zustände der SINN, dessen inneren Besitz den Heiligen ausmacht und dessen äußere Betätigung den Herrscher und König kennzeichnet, verdunkelt wurde. Neigungen und individuelle Ansichten kamen auf. Jeder entnahm der Überlieferung, was ihm zusagte. Es bildeten sich Richtungen aus, von denen jede einen Teil der Wahrheit besaß, während keine einzelne mehr die ganze Wahrheit ihr eigen nannte. Die Aufzählung ist weit entfernt von Vollständigkeit. So werden die Staatsphilosophen (Guan Dschung und seine Nachfolger, Dsï Tschan, Dong Si usw., vgl. Liä Dsï IV, 11) nicht erwähnt, ebensowenig die Richtung, die sich mit der Ordnung der Verhältnisse von Ding und Bezeichnung beschäftigte, die Strafrechtslehrer, ferner der pessimistische Egoismus des Yang Dschu, ganz zu schweigen von den mancherlei Schulrichtungen, die sich im Konfuzianismus herausgebildet hatten. Erwähnt sind nur die Gesellschaftstheorie des Mo Di und seiner Schule, der Altruismus des Pong Mong, Tiën Piën und Schen Dau, der Idealismus des Laotse und Guan Yin Hi, dann Dschuang Dsï selbst und endlich anhangsweise der Sophist Hui Dsï.

Von Mo Di und seinem Schüler Kin Gu Li heißt es, daß sie die alte Einfachheit übertrieben haben, daß sie aus Sparsamkeitsrücksichten die Musik abgeschafft haben, daß es nach ihnen im Leben keinen Gesang und im Tode keine Trauerkleidung gab. »Mo Di's Lehre war die Brüderlichkeit, der allgemeine Nutzen, die Verurteilung des Streits und Zorns, Liebe zum Lernen, umfassende Bildung und Gleichheit. Er wich ab von den Königen der alten Zeit und schaffte die Riten und Musik des Altertums ab ... Mo Di wollte den Gesang aus dem Leben und die Trauerkleidung bei Todesfällen verbannt wissen. Statt der mehrfachen Särge des[15] Altertums duldete er nur einen drei Zoll starken Sarg aus weichem Holz ohne Sarkophag als allgemeine Regel. Indem er die Menschen diese Dinge lehrte, zeigte er einen Mangel an Menschenliebe; indem er selbst darnach sich richtete, zeigte er zum mindesten einen Mangel an Selbstliebe. Zwar ist daran die Lehre des Mo Di noch nicht zugrunde gegangen, aber immerhin muß man sich fragen, ob es der menschlichen Natur entspricht, alle Regungen der natürlichen Gefühle zu unterdrücken. Im Leben Mühsal, im Tode Kärglichkeit, in der Lehre die äußerste Einfachheit: das macht die Menschen traurig und elend, und es ist schwer danach zu leben. Das ist wohl nicht die Lehre des berufenen Heiligen; denn es widerspricht allzusehr den Gefühlen der Welt, und die Welt ist nicht imstande, das auszuhalten. Mo Di selbst mag wohl imstande gewesen sein, nach seinen Lehren zu leben, aber was soll die Welt damit anfangen? Eine Lehre, die sich allzusehr von den tatsächlichen Zuständen der Welt entfernt, ist weit davon, mit den Herrschern des Altertums in Einklang zu sein.

Mo Di berief sich für seine Lehre auf das Vorbild des großen Yü, der sein Leben in harter Arbeit für das Wohl der Gesamtheit aufgeopfert habe. Er habe sich nicht gescheut, selbst mit Korb und Spaten zu arbeiten, um die Wasserläufe der Welt in Ordnung zu bringen. An den Beinen habe er sich die Haare abgescheuert. Er habe gebadet und sich gekämmt in wehendem Sturm und strömendem Regen, um die Grenzen aller Staaten festzulegen. Yü war ein großer Heiliger, und daß er also sich abmühte um die Welt, das nahmen sich die Anhänger des Mo Di zum Vorbild, indem sie härene und grobe Kleider trugen und hölzerne und stroherne Sandeln. Tag und Nacht gönnten sie sich keine Ruhe. So legten sie sich die äußersten Entbehrungen auf, indem sie sprachen: ›Wer das nicht vermag, der wandelt nicht in den Wegen des großen Yü und ist nicht wert ein Schüler des Mo Di zu heißen.‹« Im folgenden wird dann noch ein Zweig der Schule des Mo Di behandelt, der hauptsächlich im Süden zu Hause war und in den Männern Ku Hu, Gi Tschï, Dong Ling Dsï seine Schulhäupter anerkannte. Dieser Zweig war von der praktischen[16] Betätigung zu logischen und erkenntnistheoretischen Untersuchungen übergegangen. Es werden zwar nur spärliche Andeutungen gegeben von der Art dieser Arbeit, die wir aus andern Zusammenhängen ergänzen müssen. So wird erwähnt, daß sie miteinander disputiert über »Unterschied und Übereinstimmung von Hart und Weiß« und darüber, daß »Gerade und Ungerade einander nicht entgegengesetzt sei«.

Wir wissen, daß bei dem ersten dieser Themata (das anderweitig auch bezeichnet wird als »Auseinanderfallen der Begriffe Härte und Stein, der Begriffe Weiß und Pferd«) es sich offenbar darum handelte, den logischen Unterschied von Substanz und Qualitäten herauszustellen. Das Gebiet genuiner philosophischer Untersuchung war damit betreten. Allerdings äußerten sich ähnlich wie bei den Sophisten Griechenlands diese logischen Beschäftigungen vielfach in spielerischen Paradoxen. Man war sich der souveränen Macht des Denkens sehr bewußt; so konstruierte man absichtlich schwierige Rätselfragen, die scheinbar unlösbar waren, um durch eine plötzliche Gedankenwendung ein Licht auf das Dunkel der Frage zu werfen. Wie es in der griechischen Sophistik schließlich zu einer Übertreibung dieser Denkübungen kam, so daß alles zur Spiegelfechterei ausartete, so scheint auch diese Richtung in China in ähnliche Bahnen eingemündet zu sein. So kamen die Versuche, durch Projizierung der Begriffe in die Welt der Wirklichkeit die Unterschiede der geraden und ungeraden Zahlen zu verwischen, wie es im »Ausgleich der Weltanschauungen« Buch II gegeißelt wird.

Mit dieser Richtung nehmen wir am besten die Denker zusammen, die in dem Überblick bei Dschuang Dsï erst am Schlusse stehen: Hui Dsï und Gung Sun Lung. Es heißt im Text über sie: »Hui Schï hatte viele Methoden. Seine Schriften füllten fünf Wagen. Seine Lehren waren widerspruchsvoll, seine Worte trafen nicht das Rechte. Über alle Dinge machte er sich der Reihe nach Gedanken. Er äußerte unter anderem: ›Das Größte, das nichts mehr außer sich hat, ist das Große Eine; das Kleinste, das nichts mehr innerhalb hat, ist das Kleine Eine (Atom). Diese (Atome) haben keine[17] Ausdehnung und lassen sich daher nicht aneinanderreihen, und doch erfüllen sie tausend Meilen. Der Himmel ist so niedrig wie die Erde (nicht räumlich von ihr getrennt). Ein Berg ist eben wie ein Sumpf (wenn man die entsprechenden Maßstäbe anlegt). Die Sonne steht sowohl im Mittag als im Abend (je nach dem Standpunkt des Beobachters). Ein Ding ist sowohl lebendig als tot (je nach dem Zeitpunkt der Betrachtung). Die Südgegend hat keine Grenzen und hat doch Grenzen. Wenn ich heute einen Punkt erreiche, so war ich schon vorher angekommen (in Gedanken). Verschlungene Ringe lassen sich lösen (begrifflich). Ich kenne die Mitte der Welt: sie ist nördlich vom Nordland Yen und südlich vom Südland Yüo (Jeder Punkt kann als Mitte der Welt betrachtet werden). Für den, der alle Dinge mit seiner Liebe umschließt, ist Himmel und Erde einerlei.‹ Auf diese Weise machte sich Hui Schï der ganzen Welt bekannt, und alle Sophisten kamen, um mit ihm zu disputieren und miteinander sich zu ergötzen.

›Im Ei sind Federn. Das Huhn hat drei Beine (2 Beine und Gehvermögen). Ying (die Hauptstadt von Tschu) besitzt die Welt (weil der König von Tschu Herr der Welt genannt wurde). Einen Hund könnte man ebensogut Schaf nennen (weil alle Namen willkürlich sind). Ein Pferd hat Eier (aus denen die Jungen sich entwickeln). Der Frosch hat einen Schwanz (als Kaulquappe). Feuer ist nicht heiß (an sich). Der Berg hat einen Mund (Echo). Das Rad drückt nicht auf die Erde (sondern berührt sie nur in einem Punkt). Das Auge sieht nicht (sondern der Mensch). Der Finger berührt nicht, das Berühren hört nicht auf. Die Schildkröte ist länger als die Schlange (an Lebenszeit). Das Richtmaß ist nicht viereckig. Der Zirkel kann nicht für rund gelten. Die Axtöse umschließt nicht den Stiel. Der Schatten eines fliegenden Vogels bewegt sich nicht. Der schnellste Pfeil hat in seinem Fluge eine Zeit, da er weder fliegt noch ruht. Eine Dogge ist kein Hund (sondern ein Hund + besondere Merkmale). Ein gelbes Pferd und ein brauner Ochs sind drei (weil das Pferd sowohl durch seine Gestalt als durch seine Farbe vom Ochsen verschieden ist). Ein weißer Hund ist schwarz (in den[18] Augen). Ein verwaistes Kalb hat nie eine Mutter gehabt (solange es eine Mutter hatte, war es nicht verwaist). Wenn man von einem Stab, der einen Fuß lang ist, jeden Tag die Hälfte wegnimmt, kommt man niemals zu Ende.‹

Die Sophisten debattierten über solche Dinge mit Hui Schï. Huan Tuan und Gung Sun Lung waren solche disputierenden Gesellen. Sie beschönigten die Gefühle der Menschen und änderten ihre Gedanken. Sie besiegten zwar den Mund der andern, aber gewannen nicht die innere Zustimmung der andern.«

Es ist ein merkwürdiges Schauspiel, wie die Entwicklung des menschlichen Geistes an den verschiedensten Stellen auf einem bestimmten Punkte so parallele Erscheinungen erzeugt hat wie die Sophistik in Griechenland und China. Aber ebenso, wie es in Griechenland ernste Geister gab, die von den mutwilligen Ausschweifungen der Gedanken zurück ins Zentrum menschlichen Erlebens sich sammelten, so auch in China.

Doch kehren wir zurück zu den taoistischen Schulen, deren eine in Mo Di und den Seinen sich so abseits entwickelt hatte.

Zwei andere sind noch genannt. Die eine ist die Richtung zur Einfachheit und zum Altruismus, die durch Sung Giën und Yin Wen (ca. 330 v. Chr.) vertreten ist. Die Leute dieser Richtung zeichneten sich durch eine besondere Kopfbedeckung aus. Diese Richtung hat merkwürdige Ähnlichkeit mit Tolstoi. Ihre Grundlehre war das »Nichtwiderstreben«. Es heißt von ihnen, daß sie die Tätigkeit der Seele eben in der Fähigkeit zum Dulden gesehen haben. »Sie suchten durch eine brennende Liebe die Menschen der Welt brüderlich zu vereinen. Die Bekämpfung der Lüste und Begierden war ihr Grundsatz. Wenn sie beschimpft wurden, hielten sie es nicht für Schande, nur darauf bedacht, die Menschen vom Streit zu erlösen. Sie verboten den Angriff und wollten Niederlegung der Waffen, um die Menschen vom Krieg zu erlösen. Mit diesen Lehren durchzogen sie die ganze Welt. Sie ermahnten die Fürsten und belehrten die Untertanen. Wenn auch die Welt ihre Lehren nicht annehmen wollte, so blieben sie umso fester dabei und ließen sie nicht fahren. Es hieß von[19] ihnen, daß Hoch und Niedrig es vermied, mit ihnen zusammenzukommen, daß sie aber mit Gewalt sich Zutritt verschafften.«

Das Urteil, das über diese Richtung gefällt wird, lautet dahin, daß sie sich zuviel um andere kümmerten und zuwenig um sich. Sie hätten lieber Hunger und Not erduldet, als die Erlösung der Welt aus den Augen verloren. Tag und Nacht hätten sie sich keine Ruhe gegönnt, ja selbst das Leben hätten sie in die Schanze geschlagen, um an der Erlösung der Welt zu arbeiten.

Die andere Richtung, die von Pong Mong, Tiën Piën, Schen Dau vertreten ist, scheint noch einen Schritt weiter gegangen zu sein. Es heißt von ihnen, daß ihr Hauptbestreben war, das Gleichgewicht der Dinge herzustellen. Sie sagten: »Der Himmel kann schirmen, aber nicht tragen; die Erde kann tragen, aber nicht schirmen. Der große SINN vermag zu umfassen, aber nicht zu beweisen. Alle Dinge haben ihre Möglichkeit und ihre Unmöglichkeit. Darum ist jede Wahl einseitig, jede Belehrung unzureichend, während der SINN nichts dahinten läßt.« Darum habe Schen Dau das Wissen verworfen und das Ich abgetan und sei nur der unabweisbaren Notwendigkeit gefolgt. Kühle Unabhängigkeit von der Außenwelt sei für ihn das Höchste gewesen. Er habe gesagt: »Ich weiß, daß ich nichts weiß.« Damit habe er das Wissen herabgesetzt und sei danach von andern verfolgt worden. Aber ohne Ehrgeiz und unabhängig, habe er sich von jeder amtlichen Tätigkeit ferngehalten und habe sich darüber lustig gemacht, wie die Welt die Weisen hochhalte. Frei und erhaben über alles Handeln, habe er die größten Heiligen der Welt verurteilt. Fest und unbeirrt im Innern, habe er sich von der Außenwelt umhertreiben lassen. Durch Enthaltung von aller Billigung und Mißbilligung habe er alle Verwicklung zu vermeiden gesucht. Er habe nicht die Weisen und Klugen zu Meistern genommen. Er habe nicht Zukunft und Vergangenheit erkennen wollen, sondern sei auf einsamer Höhe verharrt. Gestoßen nur sei er gewandelt, gezogen nur sei er gegangen, gleichsam als werde er von einem Wirbelwind getrieben, wie eine Feder, die umhergeweht wird, wie ein Mühlstein,[20] der sich dreht. Er war so vollkommen in seiner Art, ohne der Mißbilligung ausgesetzt zu sein; in Ruhe und Bewegung machte er nichts falsch oder verfehlt. Warum? Ein Wesen ohne Erkenntnis ist frei von dem Leid, das mit der Selbstbehauptung verbunden ist, und von den Verwicklungen, die mit dem Gebrauch des Wissens verbunden sind. In Ruhe und Bewegung richtet ein solcher sich nach den Naturgesetzen, darum bleibt er sein Leben lang frei von Lob. Darum sagte er: »Es bedarf nichts weiter als den Zustand des bewußtlosen Dings zu erreichen. Es bedarf nicht der Weisen und Heiligen.« Aber ein Erdklumpen verliert auch nie seinen Weg. Darum haben sich auch tatkräftige Menschen über ihn lustig gemacht und gesagt: »Die Lehren des Schen Dau sind nichts für die Lebenden, sondern geben seltsamerweise nur Gesetze für Tote ab.«

Piën Tiën (der angeblich aus dem Staate Tsi stammt) ging ebenfalls bei Pong Mong in die Lehre und erlangte die Unterweisung ohne Worte. Der Lehrer Pong Mongs hatte gesagt: »Die Lehrer des SINNS im Altertum waren auf dem Standpunkt angelangt, nichts zu billigen und nichts zu verwerfen.« Diese Ausführungen enthalten manches, was an Liä Dsï erinnert. Die Worte vom Himmel und der Erde, die nicht zu allem tauglich seien, sind in Liä Dsï I, 3 als Worte Liä Dsï's angeführt. Auch das ›Vom Winde sich treiben lassen‹ hat in Liä Dsï seine Parallele. Bei den spärlichen Nachrichten, die wir über alle hier erwähnten Personen haben (es existieren zum Teil Werke von ihnen, deren Authentizität jedoch nicht über jeden Zweifel erhaben ist) läßt sich sehr wenig darüber ausmachen, wie dieser Quietismus sich zu Liä Dsï verhält. Liä Dsï wird in Dschuang Dsï ja häufig verwendet. Zu denken gibt es, daß so gut wie alle Parallelstellen, die Dschuang Dsï mit Liä Dsï gemein hat, dem zweiten Buch von Liä Dsï entnommen sind. Nur Buch I kommt noch vor und sonst einige Stellen, die aus einer beiden gemeinsamen dritten Quelle stammen können.

Außer diesen Richtungen des Taoismus werden in einem Abschnitte Laotse und Guan Yin Hi, der Grenzwart vom Schan-Gu-Paß, dem Laotse den Taoteking hinterlassen haben soll,[21] ohne Vorbehalt rühmend erwähnt. Von Guan Yin Hi werden einige Worte angeführt: »Wer nicht verharrt in seinem Ich, dem stellt sich das Wesen der Dinge an sich dar. Seine Bewegungen sind wie die des Wassers, in seiner Ruhe ist er wie ein Spiegel, in seinem Verhalten mit der Außenwelt ist er wie das Echo. Er ist unsichtbar, wie verschwindend, und durchsichtig, wie klares Wasser. Mit allen Wesen lebt er in Eintracht, das Trachten nach Gewinn hat er verloren; er sucht nie andere zu überholen, sondern bleibt stets hinter den andern zurück.« Von Laotse finden sich eine Reihe mehr oder weniger freie Zitate aus Taoteking 28, 22 usw. angeführt.

Einen Abschnitt für sich bildet dann schließlich die Schilderung des Dschuang Dsï, die unzweifelhaft aus der Hand eines begeisterten Jüngers stammt und ihn als den Höhepunkt der Entwicklung des Taoismus feiert.

Es wurde schon erwähnt, daß die konfuzianischen Schulrichtungen in diesem Überblick nur zu Anfang gestreift werden. Der Hauptvertreter des Konfuzianismus unter Dschuang Dsï's Zeitgenossen, Mong Dsï (Mencius), wird in Dschuang Dsï's Schriften kein einziges Mal genannt, ebenso wie wir in Mong Dsï's Schriften vergeblich nach einer Nennung von Dschuang Dsï's Namen suchen. Diese Tatsache fällt um so mehr auf, als die Werke der beiden unzweifelhaft derselben Zeit angehören. Der ganze Vorrat an historischen Zitaten und Zeitanschauungen ist derselbe, und bei aller Verschiedenheit zwischen dem kristallen klaren Fluß der Rede bei Mong Dsï und dem schäumend blitzenden Stil des Dschuang Dsï zeigen sich doch manche Berührungspunkte. Und sie haben ja zeitweise sogar in derselben Stadt gelebt. Dschuang Dsï war aus dem Staate We im Westen des damaligen China und scheint auch zuweilen in dessen Hauptstadt Liang gelebt zu haben, und Mong Dsï's Werke beginnen mit einer Erzählung seines Aufenthaltes in dieser Stadt. Was beiden Denkern gemein ist, das ist die zentrale Stellung ihrer Arbeit. Wie alle ganz Großen haben auch sie den Stoff des Daseins sozusagen vom Zentrum aus angefaßt: sich fernhaltend von allen Verschrobenheiten und Extremen. Bei Dschuang Dsï ist es die objektive Überschau über das ganze Dasein vom Standpunkt der Ewigkeit[22] aus, der objektive Idealismus, der auch einem Goethe die Augen geöffnet. Bei Mong Dsï umgekehrt ist die Wurzel des Idealismus im Subjekt, das sich entsprechend den ihm innewohnenden autonomen Gesetzen eine Welt der gesellschaftlichen Ordnung in das Chaos der Ungewißheit hineinbaut, ein Standpunkt, wie wir ihn, wenn wir Zeit- und Personenunterschiede beiseite lassen, bei Kant und Schiller finden.

Die deutsche klassische Geisteskultur ist eine Frucht des Zusammentreffens dieser beiden Richtungen in Goethe und Schiller. Nicht leicht ist es, daß diese beiden Seiten des großen Gegensatzes sich finden. Um ein Haar wären Goethe und Schiller in dem kleinen Weimar auch unbekannt aneinander vorbeigegangen. Was wäre dann wohl aus unserer klassischen Kultur geworden? In China ist der Fall eingetreten. Dschuang Dsï und Mong Dsï, der objektive und der subjektive Idealismus, blieben sich dauernd fremd. Die Folge war, daß der Taoismus, der stählenden Kraft starker Imperative entbehrend, sich immer mehr verflüchtigte in Wunderlichkeiten und Aberglauben, und der Konfuzianismus, ohne die belebende Fülle der weiten Gegensätze, erstarrte in einem System strenger Formen, aus denen immer mehr das Leben wich.


Wenn wir von der Autorschaft eines alten chinesischen Buches reden, so müssen wir andere Maßstäbe anlegen als in unserer Zeit. Man muß mehr an die mittelalterlichen Epen oder die Malerwerkstätten älterer Zeit denken, um ein Analogon zu finden. Gewiß ist, daß wir im Dschuang Dsï einer Persönlichkeit von stilistischer Kühnheit und unnachahmlicher Eigenart begegnen. Das Buch unterscheidet sich darin wesentlich von Liä Dsï, in dem wir weit mehr den Überlieferungsstoff einer ganzen Zeit als einen überragenden Meister vor uns haben. Aber dennoch wäre es verkehrt, wenn wir die unter Dschuang Dsï's Namen überlieferten Schriften unbesehen als seine direkte Arbeit annehmen wollten. Gewisse Bedenken, die bei chinesischen Kommentatoren gegen einzelne Stücke geäußert wurden, sind jeweils in den Vorbemerkungen zu den einzelnen Büchern erwähnt. Auch ist bei der Auswahl[23] des Gegebenen auf den Gesichtspunkt der Authentie Rücksicht genommen. Dennoch ist absichtlich auch manches, was sicher nicht in der vorliegenden Gestalt auf Dschuang Dsï zurückgeht, aufgenommen worden, um ein Bild zu geben, wie es um Dschuang Dsï aussah, wie seine Wirkungen in verschiedene Richtungen sich ausbreiten, von denen sie im chinesischen Geistesleben der Nachzeit immer weitere Kreise ziehen.

Wäre Dschuang Dsï ein Werk der konfuzianischen Schule, so hätten wir uns wahrscheinlich auch bei ihm mit einem Bericht über den Schaden, den die große Bücherverbrennung des Tsin Schï Huang Di ihm angetan, auseinanderzusetzen. Denn es ist klar, daß das Werk in seinem heutigen Zustand dieselben Schicksale durchlebt hat, die frommer Eifer bei konfuzianischen Werken dem schuldigen Haupt des großen Empörers auf dem Thron zuzuschreiben gewohnt ist. Da dies nun nicht der Fall ist, so zeigt unser Buch um so deutlicher das Schicksal der Werke, die den Wandel der Schriftzeichen, der im dritten vorchristlichen Jahrhundert vor sich gegangen ist, überstanden haben. Das Buch, wie es heute vorliegt, weicht von dem zur Zeit der Han-Dynastie vorhandenen, nunmehr verlorenen Exemplar wesentlich ab. Die Kataloge jener Zeit sprechen von einem Werk von 52 Kapiteln; heute sind uns nur 33 erhalten. Wohl sind da und dort noch Zitate aufbewahrt, die den Stempel des Stils von Dschuang Dsï an sich tragen. Es ließe sich aus diesen Resten noch fast ein Buch mittleren Umfangs zusammenstellen. Anderes ist vielleicht noch da, aber unkenntlich, das nach chinesischen Berichten Ähnlichkeit mit Traumbüchern, mit Märchen und Sagen, wie wir sie im »Kanon der Berge und Meere« und sonst finden, gehabt haben soll. Man ist fast versucht, an manche Abschnitte, die sich heute im Liä Dsï finden, zu denken. Wie dem auch sei: aus dem heute Vorhandenen läßt sich ein zureichendes Bild der Eigenart Dschuang Dsï's gewinnen.

Die heutigen Ausgaben gehen zurück auf eine Arbeit eines Herausgebers aus dem dritten oder vierten nachchristlichen Jahrhundert, Huang Siu, der unter der Dsin-Dynastie lebte.[24] Sein Werk geriet unvollendet in die Hände Go Siang's (ca. 312 n. Chr), der es nach eigenem Gutdünken vollendete und unter seinem Namen erscheinen ließ. Sein Kommentar besteht aus Ausführungen taoistischen Inhalts, zu denen er durch Dschuang Dsï's Text angeregt wurde. Spötter pflegen von ihm zu sagen, daß Go Siang den Dschuang Dsï kommentiert habe, aber ebenso Dschuang Dsï als Kommentar zu Go Siang betrachtet werden könne. Zur Zeit der Tang-Dynastie blühte der Taoismus, und Dschuang Dsï wurde modern. Selbst Kinder auf der Straße sollen zu jenen Zeiten Dschuang Dsï zitiert haben! Sein Geburtsort Mong trug um jene Zeit den Namen Nan Hua (südliches Blütenland). Deshalb bekam er im Jahre 742 auf kaiserliche Anordnung den Titel: »Der wahre Mensch vom südlichen Blütenland« und sein Buch wurde als »Das wahre Buch vom südlichen Blütenland« bezeichnet. Unter der Sung-Dynastie im Jahre 1078 wurde in seinem Heimatort Mong ein Ahnentempel für ihn errichtet, dessen Stiftungsurkunde von dem bekannten Schriftsteller Su Dung Po herrührt. In dieser Stiftungsurkunde ist es, wo Su Dung Po (unseres Erachtens mit Recht) die Authentie der Bücher XXVIII-XXXI, die sich schon durch ihre Überschriften von ihrer Umgebung unterscheiden, in Zweifel zog.

Das »wahre Buch vom südlichen Blütenland« zerfällt heutzutage in drei Teile: Buch I-VII, der »innere« Abschnitt, der nach chinesischer Tradition aus Dschuang Dsï's Hand stammt und dessen Überschriften die Inhaltsangaben enthalten, die von ihm selbst gesetzt seien; Buch VIII-XXII, der »äußere« Abschnitt, Ausführungen zu den sieben ersten Büchern enthaltend; und – sachlich wenig davon verschieden – Buch XXIII-XXXIII (XXVII), der »vermischte« Abschnitt.


Für die vorliegende Übersetzung wurden folgende chinesische Werke benützt:

1. Dschuang Dsï Go Siang Dschu. Go Siangs Kommentar zu Dschuang Dsï. Ausgabe aus der Ming-Dynastie.

2. Nan Hua Dschen Ging Pang Dschu Ping Lin. Kommentar von Fang Hü Ming. Ausgabe von 1594.[25]

3. Dschuang Dsï Yo Gië. Kommentar von Liu Hung Diën (verwendet die besten älteren Kommentare). Ausgabe von 1865.

4. Dschuang Dsï Gië. Kommentar von Wu Schï Schang. Ausgabe von 1726.

5. Dschuang Dsï Gië. Kommentar von Wang Fu Dschï. Ausgabe von 1866.

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 7-26.
Lizenz:

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