c) Neues Reich.

[72] Keine Einführung von eigentlich prinzipiell neuen Institutionen, wohl aber eine einseitig gerichtete Fortentwicklung der alten finden wir, als nach der langen Dunkelheit der Beduinenherrschaft Aegypten wieder in den Vordergrund der Geschichte tritt. Es ist jetzt ein konsequent organisierter einheitlicher Fronstaat geworden, in dem neben dem Pharao fast nur die Tempel als Grundherren fortbestehen, und der sich, wahrscheinlich ganz allmählich, in den bureaukratischen Leiturgiestaat der Ptolemäerzeit umbildet.

Das mit dem Kampf der 18. Dynastie gegen die Fremdherrschaft der »Hirtenkönige« um die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. einsetzende »neue Reich« stand, solange es ein nationaler Staat war, d.h. bis zur Zeit nach den Ramessiden, zu dem »mittleren« in einem ähnlichen Verhältnis, wie das Rußland der moskowitischen Großfürsten nach der Befreiung von der Tatarenherrschaft zu dem vormongolischen ständisch gegliederten Staatswesen mit dem Mittelpunkt Kiew: die feudalen Gebilde, der Lehnsadel und alle oder doch die meisten seiner Grundherrschaften sind verschwunden. Der größere Teil des Bodens ist in der Hand des Königs. Ein anderer, stets aber doch nur eine Minderheit des Gesamtgebietes umfassender, Bruchteil hat sich durch Schenkungen in den Händen der Tempelpriesterschaften angesammelt. Andrerseits tritt mit der großen militärischen Expansion massenhafter Kriegsgefangenenimport ein, von denen »des Krieges Magazine voll sind«. Auch jetzt belehnt der König verdiente Beamte mit Land – von meist mäßigem Umfang – und mit einigen Sklaven. Ein Teil des königlichen Landes wird als fiskalische Domäne betrachtet und für den königlichen Haushalt bewirtschaftet. Auch das gesamte übrige (nicht den Tempelnappropriierte) Land soll, so wurde früher im Anschluß an den Genesisbericht und an die griechische Tradition geglaubt, als vom König an die Bauern gegen Ertragsanteil überlassen gelten. Heute ist bekannt, daß die ägyptische Grundsteuer nicht nach dem Quotensystem, sondern als Fixum erhoben wurde: nur Kolonenzahlen Teilpachten. – Spätestens unter den Ramessiden trat dann die berühmte Zuteilung von Land an das, vermutlich nach dem Vorbild der asiatischen königlichen Dienstlehen, in Form einer am Boden haftenden Leiturgie organisierte Herr ein.

Die Grundbesitzungen der Tempel und der Krieger sind solche zu dauerndem eigenen, nur an die Funktion gebundenen, dafür von den allgemeinen Lasten der sonstigen Bevölkerung befreiten, Recht. Die Herrscher des alten Reichs nahmen sich heraus, in Tempelbezirken Lehen an verdiente Beamte anzuweisen, – ein[72] Vorgang, der nunmehr wohl sicherlich zunehmend unmöglich wurde (mir ist das Material darüber allerdings nicht genauer bekannt), jedenfalls haben später (s.u.) Säkularisationsversuche offenbar zu schweren Konflikten geführt). Die verliehenen Landparzellen der μάχιμοι sind von mäßigem Umfang – etwa 31/2 ha zu Herodots Zeit –, die leichte Bewaffnung stellte an die Equipierung keine Anforderungen, die Mitglieder dieser »Kriegerkaste« beteiligten sich ebenso wie die hellenistische Lehensarmee der Kleruchen am bürgerlichen Erwerb, durften ihr Land verpachten und waren in sehr verschiedener Lage. – Nebeneinander stehen jetzt: 1. königliche Garden und geworbene Söldner, 2. sodann die angesiedelten »ma« (μάχιμοι), 3. eventuell ad hoc einberufene und bewaffnete Kolonen des Pharao, die angesiedelten Krieger nach Jahrgängen in seniores und juniores geschieden, sodann 4. Tempelmilizen, gebildet aus den Tempelkolonen, endlich 5. die Gaumiliz (der Landsturm). Das Heer ist also wesentlich ein Hörigenheer. Den königlichen Matrosen war, da sie Fremde waren, ein Mal eingebrannt, wie (vielleicht, s.o.) den assyrischen angesiedelten Soldaten. – Die ganze Verwaltung, die königliche sowohl wie die der Tempel, wird bureaukratisch durch, meist leibeigene, Schreiber geführt, nicht mehr durch den früheren erblichen Nomarchenadel. Die Priesterschaft steigt an Zahl, Bedeutung und Geschlossenheit. Im alten Reich war sie als ein selbständiger Beruf nur in Ansätzen vorhanden; im mittleren Reich ist sie schon vorwiegend erblich rekrutiert; im neuen Reich ist sie in Phylen gegliedert, der Stand als Kleriker (nicht: das konkrete Amt) geht auf die Söhne, wenn sie tauglich sind, über. Wenn auch die Phylen anscheinend niemals geschlossen waren, sondern sich auch durch Aufnahme von außen rekrutierten (auch Connubium mit anderen Schichten bestand: also fehlt jedes Merkmal der »Kaste«), so hat sich das Priestertum doch nunmehr zu einem eigenen, die Erziehung des Nachwuchses der Beamtenschaft leitenden, mit ihr oft verwandtschaftlich und durch Funktionskumulation eng verbundenen Stand von immensem Einfluß entwickelt, der jeden Versuch der Pharaonen, sich von seiner Macht zu emanzipieren, zu vereiteln weiß, weil das Gegengewicht selbständiger weltlicher Feudalgeschlechter jetzt so gut wie ganz fehlt. Großartige Massen von Menschen, und entsprechendes Land und Vieh (die Zahlen gehen in die Hunderttausende) umfassende Tempelbesitzungen finden sich unter Ramses III. Regierung, daneben Abgaben (von Webereiprodukten usw.). Das »weiße Haus« des Tempels ist dessen Zentralverwaltungsstelle, er hat seine Kontrolleure für die Beaufsichtigung der Feldarbeit seiner Kolonen. Der »erste Prophet« eines großen Tempels rühmt sich seiner »Fürsorge für die Nachkommenschaft der Leibeigenen«. Schon im Altertum galt der Reichtum namentlich des Ammonstempels in Theben als unerhört in der ganzen Welt, sicher mit Recht, wennschon, wie Erman nachgewiesen hat, der Umfang speziell des Landbesitzes von den Hellenen überschätzt worden ist. Oft ging 3/4-4/5 der Kriegsbeute an die[73] Götter. Das Tempelland ist (zweifellos nur ebenso wie das königliche und wie alles übrige Land) vermessen: nach Marsch- oder Geestland, Pflug-, Garten- und Hackland gesondert. Sie haben nach dem König die meisten Handwerker – als schol lenfeste Hintersassen – in ihrem Besitz und treiben Außenhandel auf eigenen Schiffen. (Die inschriftlich erwähnten nur zeitweise im Dienst des Tempels befindlichen Leute sind wohl Volontärs, keine gemieteten Arbeitskräfte. Allerdings scheinen in Naturalien entgoltene freie Lohnarbeiter, auch im Dienste des Pharaos, vorzukommen, – wennschon von den beiden Gurob Papyri, die Griffith kommentiert, der Sinn zweifelhaft, bei dem einen die Uebersetzung sicher falsch ist: ein Ochse neben anderen Objekten als Entgelt für zusammen 24 Tage Hausmädchendienst ist doch unmöglich.) – Ob schon im alten Aegypten die im Ptolemäerreich üblichen großen jährlichen Synoden der zum eigentlichen Klerus gehörigen Oberpriesterschaft bestanden, ist urkundlich anscheinend nicht nachweislich. Vielleicht ist ihre Entwicklung (wie die des jüdischen Sanhedrin) einerseits Produkt der Fremdherrschaft, die sich auf Theokratie zu stützen suchte, andererseits gegebenenfalls auch Organ der Reaktion gegen jene. In pharaonischer Zeit ist formal der Pharao Lehensherr der Priester, und auch später hat er (so in ptolemäischer Zeit) das Exequatur zu geben.

Der königliche Oikos mit seinen zahlreichen Beamten deckt seinen (d.h. den Hofhalts- und Staats-) Bedarf im Prinzip naturalwirtschaftlich. Jede der Domänen-, Tempel-, Magazin- und Bauverwaltungen hat ihren Stab von militärisch organisierten Fronarbeitern, denen die Rationen aus den königlichen Vorräten zugewiesen, – oder auch, wie die Arbeitseinstellungen wegen Hunger und nicht gelieferter Ration zeigen, unterschlagen werden. Die von Spiegelberg edierten Rechnungen der Magazine des Hofes in Memphis registrieren die Ausgabe des Mehls an die Bäcker, – offenbar in unfreie Heimarbeit, denn sie stellen dann die entsprechenden Ablieferungen der Bäcker (erheblich über 100000 Kommißbrote in 3 Monaten, von einer Sorte pro Tag 480 Stück) unter Berücksichtigung des Backverlustes fest. Ebenso wird gebucht die Ausgabe von Schiffsbauholz, von Leder (an die Söldnerführer), von Kleidern an Negersklaven, von Negersklaven an die »Großen« zur Bedienung. Der Pharao läßt in eigenen Scheunen dreschen, was er aus den Naturalzehnten gewinnt oder von den in Robot bestellten Feldern erntet; die Arbeiter werden mit Brot aus den Magazinen genährt: hier also Eigenbetrieb. Im Fall von Mißernten erhalten aber ebenso wie die Arbeiter auch die Bauern – wie heute in Rußland und wie in Mesopotamien – aus den Magazinen Korn geliefert, ebenso Saatgut. Und ob die bei Bauten verwendeten Arbeiter des Pharao als Sklaven galten, oder ob sie oder ein Teil von ihnen kraft allgemeiner staatlicher Fronpflicht herangezogen wurden, wäre kaum immer feststellbar. Weiber und Kinder haben die »Arbeiter«, eine ziemlich breite Bevölkerungsschicht wie andere, sind[74] auch der Schrift nicht selten kundig. Sie dürften sich wohl von den Bauern nur durch das Fehlen dauernd zugewiesenen abgabepflichtigen Landes oder durch geringeren Umfang desselben unterschieden haben. Sicherlich sind die königlichen »Werkstätten« in erster Linie Lagerhäuser, an welche im Hausfleiß oder in »unfreier Heimarbeit« hergestellte Produkte der den Bauern auferlegten gewerblichen (durch die früher erwähnte Eigenart der ägyptischen Landwirtschaft erleichterten) Nebenarbeit abgeliefert wurden. Wie es dagegen in der Zeit der nationalen Dynastien mit der Rechtslage der Handwerker und Bauern aussah, ist begreiflicherweise durchaus nicht sicher festzustellen. Die späteren Zustände unter den letzten Dynastien vor der Perserzeit können hier nichts entscheiden, da inzwischen die assyrische Herrschaft über das Land hingegangen war und schon vorher die Kämpfe zwischen dem Ketzer Amenophis IV. und der Ammonspriesterschaft schwere Erschütterungen der Tradition gebracht haben mögen. – Der Bedarf der königlichen Haushaltung (im weiteren Sinne des Wortes) wird durch Robot und durch Abgaben der Gesamtbevölkerung beschafft. Wenn wir gelegentlich von angeblichen Neuordnungen des Landbesitzes hören, so handelt es sich zweifellos um Neuordnung des Lastenwesens. Wiederholt ordnet der König an, daß ein Beamter für eine Fronleistung die Arbeitsteilung »je nach dem Handwerk eines jeden« vornehmen solle oder daß er die »Ordnung« der ganzen Bevölkerung eines Distriktes und ihre »Einteilung in die Volksklassen« zu übernehmen habe, d.h. aber: die Fortschreibung des Lastenkatasters. Für große Bauten und Steinbruchsarbeiten werden wie in alter Zeit mächtige Robotexpeditionen gebildet: 9268 Köpfe einmal unter Ramses IV., davon 5000 Krieger, 2000 Kolonen des Pharao. Dabei wird »altes« und »junges Volk« geschieden: – wie beim militärischen, so auch beim Robotaufgebot. Und ebenso wie das Heer mit Fremden durchsetzt wird, so auch die Kolonenschaft: der König läßt – schon Amenhotep – ganz ebenso wie die Assyrerkönige, Gefangene »unter seine Untertanen einreihen«. Die Einreihung unter die Teilnehmer an den Goldgräberexpeditionen nach dem oberen Nil, mit ihrem kolossalen Menschenverschleiß, galt als Strafe. –

Die Durchführung der Katastrierung hatte es ermöglicht, an Stelle der Inanspruchnahme der Dorfgemeinden die direkte der Einzelfamilien für die mit dem Bodenbesitz verknüpften Abgaben und Leiturgien durchzuführen: die Stellung des »hir's«, wenn er wirklich, wie Revillout will, ein Familien »ältester« (ältester Sohn, Bruder usw. und nicht etwa ein Grundherr) sein sollte, im Erbrecht der damaligen Zeit – er hat bei Teilungen maßgebend mitzuwirken – würde sich dann neben der Einwirkung der Aemtererblichkeit (s. oben) auch aus den mitspielenden fiskalischen Interessen erklären lassen (doch ist dies noch sehr dunkel). Wie es mit der Veräußerlichkeit des Bodens (außerhalb der Familie) im Beginn des neuen Reichs, nach Verschwinden der alten Grundherrn,[75] stand, scheint zweifelhaft. Zwar kommen in einer (vor dem neuen Reich entstandenen) oft zitierten »Bauernerzählung« Bauern vor, die ihre Häuser verkaufen wollen. Aber bäuerlicher Ackerbesitz und der Betrieb eines gelernten Handwerks gelten jedenfalls grundsätzlich auch hier als Korrelat der Leiturgie bzw. der Abgaben. Die »Erblichkeit« des Landes war dementsprechend, dem Pharao gegenüber, eine bedingte. Das entspricht der Stellung, in welcher sich die gesamte, nicht entweder als Priester, Krieger, Lehensträger, Beamte, Schreiber privilegierte oder, als landlose Leibeigene, direkt im Dienst des Pharao oder der privilegierten Klassen verwendete Bevölkerung befand. Man hat lange an »Kasten« in Aegypten geglaubt (dank namentlich Herodot). Die »Erblichkeit« der Berufe ist aber nur die erwähnte faktische Vererbung der Leiturgien und Abgabepflichten der, im russischen Sinne des Wortes, »bäuerlichen« Bevölkerung, soweit jene Pflichten an den Boden oder das Gewerbe geknüpft sind. Sie bedeutet, soweit nicht religiöse »Unreinheit« mit einem Beruf verknüpft ist, keine Kastenbildung, weder im Sinn des Ausschlusses des Connubium, noch im Sinn der zünftigen Abgeschlossenheit der Berufe. Auch die Krieger»kaste« besteht dergestalt aus Bauern, welchen die Leiturgie aufliegt, für das Aufgebot bereit zu stehen, und die zweifellos, wie die Kosaken, regelmäßig üben müssen. Und durchweg scheint der Berufszutritt im Prinzip frei geblieben zu sein. Was dagegen von Erwerbsrechten in Aegypten erblich geworden ist, ist durchweg nicht etwa ein zünftiges »Recht auf Arbeit«, sondern sind bestimmte Arten von Rentenbezügen: Landrenten, Pfründenrenten, Kasualien- und Gebührenrenten. Die Erblichkeit der politischen Aemter ist im neuen Reich dem rein bureaukratischen »Avancement« gegenüber gänzlich zurückgetreten, ebenso gehen unter den Ramessiden (s.o.) die Priesterschaften zur Schreiberverwaltung über. Trotzdem betrachtete innerhalb dieser bureaukratischen Mechanismen der Einzelne seinen »Posten«, z.B. den eines »Großen« einer der oben erwähnten Arbeitergruppen (Archetyp des ἡγεμὼν τοῦ ἐργαστηρίον) natürlich als »Versorgung«, wie heute jeder Beamte: die Statthalter rühmen sich zuweilen u.a. auch: »Niemandem seine Arbeitergruppe genommen zu haben.« Aber rechtlich galt natürlich im Prinzip freie Absetzbarkeit. Dagegen blieben andere, z.B. manche mit dem religiös wichtigen Begräbnisdienst verknüpfte Funktionen (so der »Leichenbegießer«beruf), weil an die Verfügung über die Begräbnisplätze gebunden, wirklich voll appropriiert und wurden von jeher auch rechtlich als Erbobjekte und Gegenstand von Dispositionen inter heredes behandelt, deren jede jedoch des Konsenses des an den Leistungen der betreffenden Stelle interessierten Grundherrn (Staat oder, meist, Tempel) bedarf. Bei dem gewaltigen Umfang des königlichen und des Tempelbesitzes betreffen die Urkunden nun regelmäßig Besitz von Leuten, die auf dem Land des Pharao oder auf Tempelland (nefer hotep) als Belehnte oder Kolonen sitzen. Daher erfolgen in[76] ihnen die Dispositionen, speziell Erbdispositionen, aber auch Vergebungen von Land an einzelne, z.B. an Priester, mit Konsens eines dieser beiden großen Grundherrn, ganz im Gegensatz zu den Landübereignungskontrakten der ältesten (thinitischen) Epoche (dagegen in Uebereinstimmung mit der Lehensmutung der politischen Beamten, speziell der Nomarchen, im alten Reich). Ob dagegen auch andere Bodenübereignungsakte besonderer Konzession bedurften, ist positiv nicht sicher erweislich, aber allerdings – namentlich für die Teit der Theokratie (Ende der Ramessidenzeit) und für Veräußerung außerhalb der Familie – möglich. Auch über den Vieh- (und wohl auch den etwaigen Sklaven-) Besitz der Kolonen scheint nur mit Konsens des Grundherrn haben verfügt werden dürfen. Die Kolonen selbst sind natürlich schollenpflichtig, werden aber, wie es scheint, von den Staatsgerichten abgeurteilt. Daß das Recht am Lande in Wahrheit überwiegend Pflicht (zu den mit Landbesitz verknüpften Leistungen) war, erklärt am ungezwungensten auch die viel später noch wahrnehmbaren Reste der Familienverfassung: die schon erwähnte (angebliche) Stellung des (oder der) Aeltesten als Repräsentant der Familie dem Staat (oder Tempel oder Grundherrn) gegenüber. Ebenso die damit zusammenhängende Auffassung des Besitzes als Familienbesitz, die gelegentliche, aber (nach den Haushaltslisten) nicht vorherrschende Kommunionwirtschaft und die damit zusammenhängenden Erbeinspruchs- und Retraktrechte, welche man dann teils – bei den privilegierten Ständen, die das Recht haben, den Gott zu repräsentieren und deshalb zu fluchen: – durch Fluchformeln, teils: durch Einholung der göttlichen Bestätigung bei Erbteilungen in ihrer Wirkung aufzuheben trachtete, teils endlich durch Zuziehung der Kinder bei den Kontrakten berücksichtigte. Ebenso wohl auch die, offenbar auf der Anlehnung an jene Familiengemeinschaften beruhende, Erscheinung, daß als Bodenpächter (auch bei Kleinpachtungen) so oft Genossenschaften (ein Repräsentant und seine Gesellschafter) auftreten. Endlich vielleicht auch die Vermeidung der Erwähnung der Preishöhe bei Grundstücksübertragung noch in spätester Zeit: Revillout kann recht wohl insoweit recht haben, daß auch darin die prinzipielle Ansicht sich auswirkt, daß das Recht am Boden, weil an der Pflicht klebend, kein Tauschgut sei, sondern nur im Wege des intrafamilialen Ausgleichs den jeweiligen Nutznießer wechseln könne. Es scheint aber, daß auch sakrale Gründe der Anerkennung der Sonderstellung des Geldes als Tauschmittel entgegengestanden haben: die Zeit des alten Reiches hatte das Geld nicht gekannt, und die Stereotypisierung der religiös zulässigen Kontraktschemata mag, indem sie nur Tausch von Land gegen Land oder einfache Uebertragung (»Schenkung«) zuließ, daran angeknüpft haben. Festen Boden erhalten wir erst unter die Füße in der Zeit des Amasis, also als der nationale Charakter des mittleren Reiches schon durch Fremdherrschaft alteriert war.

[77] Nach der Ramessidenzeit bewegte sich die Entwicklung, wie es scheint, in Gegensätzen, die durch die jeweilige Herrschaft von abwechselnd asiatischen und äthiopischen Einflüssen bedingt waren. Der fremdländische Einfluß beruht auf der mit der Schaffung des ständigen Soldheeres endgültig besiegelten Beseitigung der nationalen, ohnehin von jeher unentwickelten Wehrhaftigkeit, und auf der steigenden Bedeutung der überwiegend stammfremden Berufskrie gerschaft, welche die Herrschaft des Pharao stützte. Der Import der asiatischen Kriegstechnik – des Pferdes und Kriegswagens – in der Hyksoszeit und dann die Eroberungskriege hatten zur Entstehung des Berufskriegertums geführt. Die abwechselnde Fremdherrschaft führte dann dazu, daß je länger je mehr, wenigstens der Sache nach, stammfremde Söldner und die oft ebenfalls stammfremden Leibeigenen des Königs sich mit der Priesterschaft in die Beherrschung des seit der assyrischen Eroberung nie wieder dauernd zur Freiheit gelangten Landes teilten. Usurpation der Herrschaft durch den Ammonspriester, dann assyrische und äthiopische Dynastien, dazwischen die Usurpation des Bokchoris, dann griechische Einflüsse unter Amasis, weiterhin, nach der persischen Eroberung, Kämpfe äthiopischer, persischer und von den Griechen gestützter einheimischer Dynastien, die oft zu langdauernder Trennung von Ober-und Unterägypten führten, haben stabile politische Zustände erst in der Zeit der Lagiden wieder aufkommen lassen. Derjenige Typus, den das Land unter ihrem Regime darstellt, ist in bezug auf das Maß der Verkehrsfreiheit sicher erst allmählich erreicht worden. Die griechische Tradition schreibt namentlich dem Bokchoris grundlegende Neuerungen nach Art der hellenischen »Aisymneten« zu: die Zulassung des Reinigungseides, die Beseitigung der Schuldsklaverei, und vor allem: die freie Veräußerlichkeit des Bodens. Mag die Art, wie Revillout dies zu verifizieren sucht, teilweise reichlich phantastisch sein, so scheint doch sicher, daß das Umsichgreifen der Verkehrswirtschaft zunächst das Werk asiatischer Einflüsse und weiterhin der antitheokratischen unterägyptischen Tyrannis war, denen die Theokratie des Ammonspriestertums, gestützt auf die den Thron usurpierenden Aethiopier und die teilweise nach Aethiopien emigrierte Kriegerkaste widerstrebte. Mit der Zeit des Bokchoris ungefähr beginnen die demotischen Kontrakte überhaupt und die Bodenüberweisungskontrakte im speziellen. Es scheint also in der Tat eine Veränderung des Verkehrs-, speziell des Bodenrechtes, wohl auch eine Säkularisierung, stattgefunden zu haben, – wozu ja die Verbrennung des Bokchoris als Sakrilegen durch die siegreichen Parteigänger des Ammonspriesters (der das göttliche Boden-Obereigentum repräsentiert) stimmt. –

Wie dem sei, die privaten Verkehrserscheinungen steigern sich nun durchweg. –

Das bis zu den Ramessiden sich stetig steigernde Ueberragen der Oikenwirtschaft des Pharao schränkte im altnationalen Aegypten den Raum der auf verkehrswirtschaftlicher Arbeitsteilung beruhenden[78] ökonomischen Erscheinungen naturgemäß stark ein. Nicht daß sie je gefehlt hätten, – sie haben relativ im ältesten Reich sogar vielleicht für die Bedarfsdeckung mehr bedeutet als in den Zeiten der vollen Theokratie und Bureaukratie. Aber der Handel nach außen, sowohl nach dem »Gottesland« und »Punt« – Arabien und der Somaliküste – wie nach Syrien lag rechtlich und mindestens dem Schwerpunkt nach auch faktisch in der Hand des Pharao selbst, später aber namentlich der Tempel, welche im Besitze eigener Flotten waren. Er hat lange die Form des Geschenkaustausches zwischen den Staatshäuptern bewahrt, wie die Korrespondenz mit dem König von Babylon in den Funden von Tell-el-Amarna anschaulich macht. Einheimische Kaufleute kennen die ägyptischen Quellen der ältesten Zeiten anscheinend nicht. Alsdann tauchen sie als Tempelhörige auf (ihre Bezeichnung ist von »entleeren« – scil.: des Schiffes – abgeleitet). Im neuen Reich sind sie meist Ausländer (Semiten). Immerhin muß, während Kupfer und Gold im Lande selbst gewonnen wurden, nicht nur das anfangs sehr seltene und daher bis zur Einbeziehung Aegyptens in den internationalen Verkehr (neues Reich) höher als Gold bewertete Silber, sondern auch Zinn und Eisen – letzteres tritt vor dem »N.R.« hinter Bronze ganz zurück – von Anfang an importiert worden sein. Die Zeit des neuen Reiches weist Import von Schiffen, Wagen, Waffen, Gefäßen, Weihrauch, Vieh, Fischen usw. aus Syrien und Babylon auf, welchen als Exportartikel namentlich Gold, aber bald auch Linnen, gegenübergestanden haben werden. Unter den Ramessiden scheinen private Reedereibetriebe vorzukommen. – Ebenso hat sich, neben den anfänglich der Zahl und der Bedeutung der Leistung nach stark vorwiegenden Arbeitern des Pharao wohl auch die Zahl der (schwerlich je ganz verschwundenen) »freien« Handwerker wieder zunehmend ausgebreitet. Im alten Reich werden Kundenhandwerker literarisch erwähnt, und zwar neben »Lohnwerkern« im Sinne der Bücherschen Terminologie anscheinend auch »Preiswerker«. Inwieweit die Träger des so hochentwickelten altägyptischen Kunsthandwerkes leibeigene Arbeiter des Königs und der Tempel und inwieweit sie in »unfreier Hausindustrie« arbeitende Kolonen oder »freie« Handwerker mit Leiturgiepflichten waren, wird sich nicht leicht ausmachen lassen. Die einzelnen Handwerker eines Bezirks hatten, wie die Dörfer ihren dem Fiskus verantwortlichen Schulzen, so ihrerseits ihren (wie es scheint, gewählten) Obermeister. Er war offenbar ursprünglich für die Gestellung zu den Roboten des Pharao bzw. Nomarchen verantwortlich. Später ist die Lage der Handwerker offenbar eine unter sich keineswegs gleiche. Die »Lohnwerker« zog man nach Bedarf zur Robot heran und lieferte ihnen das Rohmaterial (s.o.). Aber daneben scheinen Handwerker vorzukommen, welche ihre Rohstoffe sich selbst beschafften, und dafür Abgaben in Form von Produkten ihres Handwerks leisteten, die in den mannigfachsten Varietäten sich aufgezählt finden. Soweit das Rohmaterial Importgut oder das[79] Produkt Exportgut war, ist immerhin direkte Leitung der Produktion durch Pharao, Adel, Tempel das an sich Wahrscheinliche. Jedenfalls ist und bleibt die Behandlung der Handwerker in den Monumenten eine verächtliche. Die Weberei, namentlich die Leinweberei, eines der hervorragendsten Gewerbe, gilt anscheinend als typisch unfreier Beruf und ist wohl direkt in die Hände der Sklaven im Oikos zuerst des Pharao und des Nomarchenadels, dann namentlich der Tempel, gelangt: – es handelte sich eben, da die Masse der Bevölkerung, ursprünglich auch der König, nur den Lederschurz als Kleidung trug, um ein teils dem Luxusbedarf des Hofes und der Beamtenschaft, teils dem wahrscheinlich monopolisierten Export dienendes Produkt. Die Entwicklung und Differenzierung der Bedürfnisse, insbesondere der Kleidungsbedürfnisse, ist ganz offenbar Folge der im »neuen Reich« immer enger werdenden Beziehungen zu Vorderasien, speziell Babylon.

Der private Binnen-Tauschverkehr ist dem Schwerpunkte nach Nahrungsmittel- und Krammarktverkehr: Fische, Gemüse, Sandalen, einfache Schmucksachen sind bildlich beglaubigte regelmäßige Marktartikel. Der Verkehr ist Natural-Tauschverkehr. Erst im neuen Reiche fungieren gebogene Kupferdrähte bestimmten Gewichts (uten, deben) als Wertmesser, in dem die gegeneinander ausgetauschten Waren abgeschätzt und gelegentlich der etwa überschießende Wertbetrag der einen Ware über die dagegen eingetauschte abgeleistet wird. Die Marken in den Händen von Arbeitern des alten Reiches sind natürlich »tesserae«, Anweisungen auf herrschaftliche Speicher. Im Außenhandel fungierten Edelmetallringe, wie dies in Babylon auch vorkommt. Das »deben« ist also in erster Linie Wertmaß, und fungiert regelmäßig als ideelles (nicht effektives) Tauschmittel (ähnlich wie ursprünglich der Silber-Shekel in Babylon). Im übrigen scheint die Stellung des Gewichtsuten zu der Werteinheit »uten« noch keineswegs geklärt (vgl. z. B, Bibl. égypt. X S. 164). Dem Naturaltausch von Waren korrespondierte seit alter Zeit (als primitiver Vorfahr der Fondsbörse) der Naturalrentenverkehr: sowohl zu Stiftungszwecken werden Grundstücke an Tempel, z.B. gegen jährliche Lieferung von Dochten für Toten-Gedenkfeiern usw. gegeben, als sich die Umwechslung der Naturaldeputate von Beamten und anderen Berechtigten in andere Naturalrenten findet: eine bestimmte Anzahl Tagesrationen, die aus einem Magazin zu empfangen sind – 1/360 des Jahresdeputats – wird z.B. gegen jährliche Lieferung von bestimmten Brot- und Bierquanten u. dgl. vertauscht. Wir lernten ganz Aehnliches in Babylon kennen.

Die Zeit nach dem Untergang der nationalen Dynastien brachte nun offensichtlich, während zu gleicher Zeit die gesamte geistige und künstlerische Kultur theokratisch und traditionalistisch gebunden und stereotypisiert wurde, das stets weitere Vordringen der »Geldwirtschaft«. Obwohl noch für die Hebräer der nachexilischen Zeit Aegypten das große »Diensthaus« ist, müssen doch allmählich die[80] Roboten zugunsten der Steuern mindestens faktisch immer mehr zurückgetreten sein, – womit wahrscheinlich alles weitere zusammenhängt. Die Zahl der reinen Sklaven in den Händen der Tempel und der Beamten und ihre Verwendung zur Feldarbeit scheint zuzunehmen. Ebenso scheinen die privaten Gutswirtschaften mit Benutzung der Arbeit mit Land beliehener Kolonen zur Bestellung je eines bestimmten Teils des Gutsackers, häufiger zu werden: also die in der Kaiserzeit vorkommende Kombination mit dem System der »partes agrariae« (s. darüber den Art. »Kolonat«). Aus der revolutionär bewegten Zeit des Bokchoris (s. oben) scheint zuerst wieder ein rein privater – d.h. der Bestätigung durch göttliches Orakel oder durch den König entbehrender – Landübereignungskontrakt vorzuliegen: es handelt sich jedoch um ein intrafamiliares Rechtsgeschäft. Unter Psammetich scheint dann durch die Priesterschaft die Uebereignung von (ehemaligem?) Tempelland auch außerhalb der Familie gegen eine Handänderungsgebühr von 1/10 generell zugelassen gewesen zu sein. Diese Inhaber von Tempelland haben sich also wohl in eine Art von Erbpächtern verwandelt. Die zeitweise wieder auftauchende spezielle Zustimmung des Gottes zur Uebereignung schwindet seit Amasis, der ebenfalls als »Gesetzgeber« galt, definitiv. Die alte Besitzerhierarchie des Tempellandes: Gott – Tempelvasall oder Lehnpriester – Kolon hatte sich also in die andere: Gott – Erbpächter – Kolon verwandelt. Unter Amasis findet sich der erste schriftliche Pachtkontrakt: er ist ein Afterpachtkontrakt; es treten dann auch – wenn die Urkunden richtig gelesen sind – private Dritteilspachten und angeblich auch antichretische Pachten auf. Der Kolon tritt als einseitig verpflichtet (Prekarist) auf. Uebereignung von Immobilien gegen Geld findet sich nun ebenfalls. Jedoch wird nicht in die Urkunde über die Abtretung des Grundstückes die Preishöhe aufgenommen, über diese vielmehr eine besondere Urkunde aufgesetzt. Barkauf herrscht. Was speziell die Pacht anlangt, so fällt – immer die Richtigkeit der Lesungen (Revillout!) vorausgesetzt – die Häufigkeit der Kollektivpacht (2-15 Personen) in die Augen. In manchen Fällen scheint diese nicht ein Pacht-»Artjel« zu einer »Bedarfspacht« im russischen Sinne, sondern Pacht spekulativen Charakters, also Großpacht, gewesen zu sein. Aber dann wurde das Land natürlich in Parzellen weiterverpachtet, und die Masse der Pächter sind immer Kleinpächter geblieben. Da keine Fruchtwechselperiode berücksichtigt werden mußte, war der Kontrakt, wenn nicht immer, so jedenfalls häufig Jahreskontrakt. Der Pächter zahlte alle Abgaben und ließ das Saatgut zurück. Der Ernteanteil, den die Tempelpächter zu zahlen hatten, scheint oft ein Dritteil betragen zu haben.

Diese Verhältnisse sind jedoch offenbar mit Sicherheit vorläufig – bei der unzulänglichen Zahl zuverlässig gelesener Urkunden – für diesen Zeitraum nicht feststellbar, ebenso nicht die Bedeutung und Verteilung des privaten Grundbesitzes neben den de facto längst appropriierten Lehen und Schenkungen in den Händen der[81] Großen. Die Dritteilung des ganzen Landes unter König, Priester, Krieger, wie sie die griechischen Schriftsteller behaupten, ist günstigenfalls eine Uebertreibung der Zustände (Ed. Meyer scheint sie für real zu halten). Daß fast die Hälfte des Landes den Kriegern (μάχιμοι) gehört habe, wie nach Herodots Angaben rechnerisch angenommen werden müßte, ist ganz unglaubwürdig; der Besitz der Tempel hatte selbst unter Ramses III. nicht mehr als 1/8 höchstens 1/5, des Landes betragen und war starkem Wechsel, gelegentlich auch Säkularisationen (Amasis), unter worfen und in späterer Zeit erweislich nicht mehr so bedeutend wie unter den Ramessiden. Die bedeutende Ausdehnung des an die »Großen« verlehnten Landes ist auch für die Spätzeit nicht zu bezweifeln. Der König blieb aber der größte Grundherr. Die faktische Lage der Bauern, welche die Masse der Bevölkerung bildeten, war – soweit sie nicht »Krieger« oder sonst privilegiert waren – schwerlich besser als die Lage der Fellachen in späteren Zeiten. Den antiken Schriftstellern ist der ägyptische Bauer stets ein Proletarier, der dem bureaukratischen Staat als einer ihm fremden Macht, ganz ebenso wie der russische Bauer seiner Bureaukratie, gegenübersteht, gegen geringe Pacht Land zur notdürftigen Lebensfristung übernimmt und auf die erhaltenen Peitschenhiebe wegen Steuerdefraudation stolz ist. Das raffinierte, allumfassende Robot-und Steuersystem, welches den Griechen als »Kastenordnung« erschien, kann ihm in der Tat nicht wohl eine andere Beziehung zum Staatsmechanismus ermöglicht haben, gleichviel ob er als »Pächter« oder als »Eigentümer« galt. Denn wie eine ägyptische »Steuererhebung« sich gestaltete, wissen wir: die Beamten landen unverhofft, es beginnt, unter Jammern der Weiber, eine allgemeine Flucht und Jagd; die erhaschten Steuerpflichtigen werden durch Bastonnade und andere Torturmittel zu einer »professio« genötigt, welche den Beamten (die ja für ihr katastermäßiges Abgabenquantum einstehen müssen) genügt. So tritt der »Staat« dem Orientalen (ähnlich dem russischen Bauern) gegenüber. Der tiefe Antipolitismus der orientalischen Völker, dem gegenüber das paulinische Christentum schon eine starke Akkommodation bedeutet, hat hier seine Wurzel.

Ob der ptolemäische Doppelsprachgebrauch: »eigenes« (ἰδιωτική) und »selbsterworbenes« (ἰδιόρτητος) Land auf eine Beschränkung der – während der ganzen Zeit bis zu den Ptolemäern fortbestehenden – Retraktrechte auf Erbgut zurückgehen, ist wohl nicht auszumachen. Jedenfalls setzen schon die Erlasse der ersten Ptolemäer privates Kaufland voraus, und es ist nicht der geringste Grund, zu glauben, daß dies etwas Neues gewesen sei. Für das Vorkommen des – bei der alten Teilbarkeit der königlichen Schenkungen schon an sich nicht auszuschließenden – Kleineigentums in spätpharaonischer Zeit sprechen die Erbinventarien, welche so oft »Gärten« als Erbbestandteile aufzählen. – Die Familiengebundenheit des Bodens und der Fortbestand der Polygamie machte es natürlich höchst wichtig für die Ehefrau, ihre eigene Stellung und die ihrer[82] Kinder kontraktlich zu fixieren, zumal da auf sexuellem Gebiet, nach Ausweis der Urkunden, in dieser Spätzeit volle Vertragsfreiheit und Scheidungsfreiheit bestand. Gütergemeinschaftskontrakte, Wittumskontrakte, Festsetzung bestimmter Renten, insbesondere, wie später im Islam, festen Wirtschaftsgeldes für die Frau finden sich neben der besonders wirksamen kontraktlichen Uebertragung des ganzen Vermögens des Mannes auf die Kinder, speziell auf den ältesten Sohn der Frau, die etwa wie das englische entail-System wirken mußte. Das Bestehen des »Probejahres« in der Ehe in Aegypten ist Fabel. Der »agraphos gamos« der Ptolemäerzeit ist offenbar ursprünglich ein Geschlechtsverhältnis ohne »Ehekontrakt« d.h. ohne Erwerb der Manus über die Frau durch den Mann durch Zahlung des Preises, bei der aber der Mann – wie bei der römischen »freien Ehe« – die Gewalt über die Kinder erhält. – Im übrigen finden sich fast alle wichtigen Kontrakte des babylonischen Rechts, z.B. auch der Selbstverkauf in die Adoption. – Sklaven finden sich neben Vieh, Häusern, Gärten in den Erbschaften, sie sind, außer beim König, Priestern und Beamten auch im späten Aegypten nie zahlreich gewesen. Ein deutliches Gesamtbild der spätpharaonischen Agrarverfassung haben wir vorerst trotz aller Einzelheiten nicht. –

Aegypten hat zwei Institutionen zuerst und in nachher nicht wieder erreichter Vollkommenheit verwirklicht: 1. das Leiturgieprinzip: Bindung des Besitzes an die staatliche Funktion, des Besitzers an Funktion und Besitz, – und 2. die bureaukratische Verwaltung. Beide Prinzipien haben, in der Spätzeit der Antike, von hier aus die Welt erobert, und mit ihnen, als ihr unverlierbarer Schatten, der »Apolitismus« der beherrschten Völker, der durchaus nicht nur in der Vernichtung der Nationalitäten seine Wurzel hat. Ferner aber scheint es möglich, daß wichtige betriebstechnische Institutionen der antiken Arbeitsorganisation, nämlich: 1. die Wirtschaft mit disziplinierten und kasernierten, unfreien Arbeitern (ἐργαστήριον), 2. die unfreie Heimarbeit, 3. der Kolonen-Fronhof und ihre verschiedenen Kombinationen miteinander von Aegypten aus ihren Ausgang genommen haben, während andererseits die privaten Unternehmungs- und Kapitalverwertungsformen wesentlich in Babylon ihre Heimat zu haben scheinen.


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988, S. 72-83.
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»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

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