Max Weber

Die ländliche Arbeitsverfassung1

.... Meine Herren, es gibt im Süden und Westen ziemlich ausgedehnte Distrikte, welche insofern scheinbar eine beneidenswerte Stellung einnehmen, als eine »ländliche Arbeiterfrage« dort gar nicht existiert. Nicht als ob die Schwierigkeit, sich Arbeitskräfte zu beschaffen, für die Landwirte eine geringe oder die Lage der Landarbeiter eine glänzende wäre; im Gegenteil. Aber in dem Sinne existiert dort keine ländliche Arbeiterfrage, als ein sozial geschiedener, sich aus sich selbst erzeugender ländlicher Arbeiterstand, dort so gut wie nicht besteht. Es ist die Gegend mit stark parzelliertem, im Erbgange regelmäßig weiter geteiltem Besitz: der Boden geht dort von einer Hand zur anderen, – der kleine Stellenbesitzer scharrt sein Leben lang Land zusammen bis zur bäuerlichen Selbständigkeit; stirbt er, so bricht das Kartenhaus häufig wieder zusammen, die Erben teilen, der Prozeß beginnt von neuem. Es besteht keine soziale Scheidewand zwischen dem kleinen Stellenbesitzer, welcher Arbeit sucht und dem größeren bäuerlichen Besitzer, welcher Arbeit bedarf. Dieser leistet dem kleineren Spannhilfe, der kleine Stellenbesitzer dem größeren Handhilfe. In unorganischer und individualistischer Weise wird so das gemeinwirtschaftliche Moment der alten organisierten Feldgemeinschaft der Dorfgemeinde ersetzt.

Eine Kritik dieses Zustandes vom wirtschaftlichen Standpunkt aus ist nicht schwer. Sie richtet sich aber nicht speziell gegen die Arbeitsverfassung innerhalb der Betriebe, sondern würde sich zu richten haben gegen die gesamte Grundbesitzverteilung und gegen die erbrechtlichen Grundsätze in diesen Gegenden überhaupt. Ich verzichte deshalb darauf, hierauf näher einzugehen; ich hebe nur ein psychologisches Moment hervor, das ist die[444] eigentümliche Rolle, welche die Arbeit im Leben dieser Kleinstellenbesitzer, welche Tagelöhner nebenher sind, spielt. Die Konsequenz des Umstandes, daß eine soziale Scheidung des Kleinstellenbesitzers von dem Bauern hier nicht besteht, ist, daß der Arbeiter verlangt, als gleichberechtigte Partei unter Abstreifung aller Kennzeichen eines Herrschaftsverhältnisses behandelt zu werden. Er verlangt, daß die Arbeit, welche er leistet, überhaupt möglichst angesehen wird nicht als übernommene Pflicht, sondern als erwiesene »Gefälligkeit«. In den hessischen, württembergischen und rheinischen Dörfern, wo diese Zustände herrschen, betrachtet man das Tagelöhnern mit Vorliebe als gewissermaßen nachbarlich-freundschaftliche Aushilfe, welche entsprechend freundnachbarlich entgolten wird. Es scheidet sich in dem Gedankenleben dieser Menschen der Begriff der Arbeit vollständig von dem Begriff der Pflicht; der Mann würde glauben, sich zu verkaufen, wenn er die Arbeit als dauernde Kontraktpflicht übernähme. Es ist der Individualismus innerhalb der Arbeitsverfassung auf die Spitze getrieben und in die letzte psychologische Konsequenz durchgeführt: der Mann arbeitet in seinem eigenen Interesse; arbeitet er nicht, nun – so verdient er eben nichts und hungert unter Umständen oder schränkt sich ein, aber einen Verstoß gegen eine auf ihm lastende und als solche empfundene Pflicht begeht er damit nicht, er arbeitet eben – tatsächlich vielleicht, weil er muß, seiner Vorstellung nach, weil es ihm so beliebt. Er kennt nicht diejenige Art der Arbeit, welche wir im Osten kennen, diese straffe, pflichtgemäße, das ganze Leben umfassende Anspannung der Arbeitskräfte. Der charakteristisch-preußische Begriff der »verdammten Pflicht und Schuldigkeit« fehlt diesen Leuten. Dies oft übersehene psychologische Moment ist von erheblicher Bedeutung für die Frage: Ist eine solche Gestaltung der Arbeitsverfassung, die mit der radikalen Zerschlagung alles Großbesitzes identisch wäre, politisch als Ziel erwünscht? – Ich glaube: nein. Es ist kein Zufall, daß den Gegenden Deutschlands, wo diese Verfassung vorherrscht, nicht vergönnt gewesen ist, zu derjenigen politischen Organisation und zu der Ausgestaltung des politischen Sinnes zu gelangen, welche die Einheit des Reichs geschaffen haben.

Meine Herren, einen Moment verweile ich auch bei der nordwestlichen Arbeitsverfassung, welche Herr Professor Knapp bereits besprochen hat. Ich muß auch hier wie schon in dem,[445] was ich bisher gesagt habe, zu dem Mittel einer starken Uebertreibung gewisser typischer Momente greifen; es ist das berechtigt, wenn man eben wirklich entscheidende Momente übertreibt. Ich greife als einen solchen Typus heraus das große Bauerngut, von welchem Herr Professor Knapp gesprochen hat, im deutschen Nordwesten. Diese Güter gehen im Erbgang geschlossen über, ein starker Bodenumsatz findet nicht statt; jede Generation stößt einen Teil ihrer Angehörigen aus dem väterlichen Erbe aus. Diese Leute – »Enterbte« im wahren Sinne des Worts – gehen teils aus dem Lande, teils gehen sie über in die Industrie, teils aber – und das interessiert uns hier – in den ländlichen, Arbeiterstand. Die soziale Organisation des Landes ist entgegengesetzt der eben besprochenen. Wenn dort die Erben in Gemeinschaft auf dem Gute bleiben, stehen sie nebeneinander zu gleichen Rechten. Hier dagegen ist die erbliche Gemeinschaft grundsätzlich monarchisch organisiert; unter der alleinigen Verfügungsgewalt des Anerben wird die Wirtschaft weiter geführt; die anderen scheiden aus, sie sind oder werden besitzlose Landarbeiter. Aber: – es wird auch bei diesem Verhältnis nicht vergessen, daß es eine Umgestaltung, eine Abgliederung aus dem Familienhaushalt darstellt, daß diese Landarbeiter, diese Heuerlinge, von denen Herr Professor Knapp gesprochen hat, hervorgegangen sind aus dem Bauernstande, sie sind Zweige am Stamm der sozialen Organisation, welche nicht zur Vollentwicklung – zur selbständigen Unternehmerstellung – gelangen und auch niemals gelangen können. Die furchtbarsten Leidenschaften werden innerhalb dieser Familien wachgerufen, aber dennoch bleibt das Moment bestehen, daß häufig Blutsverwandtschaft, immer eine feste Wirtschafts- und Interessengemeinschaft, dieser Arbeitsverfassung, wie sie Herr Professor Knapp schilderte, zugrunde liegt.

Ich vermag nun aber Herrn Professor Knapp nicht vollständig zuzustimmen, wenn er sagte, daß nur der isolierte westfälische Bauernhof der Boden sei, auf dem die Heuerlinge und auf dem eine solche Kombination von Arbeitspflicht und Kleinpacht erwachsen könne und daß deshalb an eine Uebertragung auf östliche Verhältnisse nicht zu denken sei. Erstens kommen gleichartige Gestaltungen auch auf den großen Gütern des Nordwestens vor, zweitens: in Schleswig-Holstein, wo sie in dieser Art nicht vorhanden sind, kommt etwas ihnen analoges vor. Wenn man[446] sich die Gestaltung der Verfassung an sieht, welche uns Herr Graf Holstein in einem ausgezeichneten Bericht über sein Gut in Schleswig-Holstein geschildert hat, und wie sie dort überhaupt häufig besteht, so finden wir dort einen Arbeiterpächterstand, welcher gestaltet ist als ein kontraktliches Verhältnis gegenseitiger Aushilfe mit Hand-und Spanndiensten zwischen den großen Besitzern und den Arbeitern, ganz analog, wie das bei den Heuerlingen der Fall ist, und augenscheinlich gehören auch diese Zustände in Holstein zu den denkbar günstigsten, die es überhaupt in ganz Deutschland auf dem Lande gibt.

Aber wir finden allerdings in diesen Gegenden als Konsequenz des geschlossenen Bauerngutes auch etwas anderes, das ist die typische Auswanderung gerade derjenigen ländlichen Arbeiter, welchen es am besten geht und welche sozial am höchsten stehen, so in Westfalen die Heuerlinge. Es ist nicht wahr, daß aus Westfalen und Norddeutschland – und das gilt übrigens auch für den Osten – die Leute auswandern, welchen es schlecht geht und deshalb, weil es ihnen schlecht geht; im Gegenteil, die höchste Schicht der ländlichen Arbeiter verschwindet. Der niedersächsische Stamm hat vor den festen und scheinbar unwandelbaren Schranken des Rechts gerade auch infolge der festgefügten Organisation seiner bäuerlichen Verfassung eine außerordentlich hohe Achtung, aber es ist dadurch eine undurchdringliche obere Schranke für das Hinaufsteigen geschaffen. Der Mann kann sie nicht durchbrechen, nicht wie der Kleinbesitzer im Süden hoffen, allmählich sich in der Heimat zum selbständigen Wirt emporzuarbeiten; im Osten kann er nicht hinauskommen über den Instmann und Deputanten; und deshalb verzichten die besten und, wie übereinstimmend berichtet wird, wohlhabendsten Familien, oft schweren Herzens, auf die Existenz in der Heimat. Ist der Entschluß gefaßt, dann entflieht der Mann dem Heimatsgedanken am leichtesten, indem er hinübergeht über das große Wasser und sich da ankauft, wo ihm die alten Beziehungen am vollständigsten abgeschnitten sind. Dies Moment erweist sich stark in dem nordwestlichen Deutschland und ist charakteristisch für die Gründe der Auswanderung der Landarbeiter aus dem Osten. In die Städte entflieht junges, oft liederliches Volk, das nichts sucht als die Zerstreuungen und die Ungebundenheit der Großstadt, ins Ausland gehen altgediente, arbeitslustige Familien, – dieser Unterschied ist auch praktisch für die Frage nicht[447] gleichgültig, was geschehen kann, um beiden Momenten zu steuern. –

Ich erörtere hier nicht näher den Einfluß, welchen intensives Auftreten der Industrie auf die Arbeitsverfassung des Landes hat. Der Einfluß ist ein lediglich destruktiver. Wir sehen im rheinischwestfälischen Industriebezirk das Verschwinden jeglichen Stammes von einheimischen Landarbeitern. Es gibt so gut wie keinen dauernd als Landarbeiter tätigen vollkräftigen Menschen. Der Prozeß vollzieht sich in der Weise, daß fortgesetzt aus dem Osten Arbeitskräfte herangezogen und dann nach einiger Zeit wieder an die Industrie abgegeben werden und ein weiterer Nachschub aus dem Osten stattfindet.

Ich vernachlässige ebenso den Einfluß der Sachsengängerei in der Provinz Sachsen, der in anderer Art, aber auch destruktiv, auf die bisherige Arbeitsverfassung gewirkt hat. Wenn hier die Wirkungen dieser Zersetzung sich so gestaltet haben, daß die Zustände, – auch die Verhältnisse der Wanderarbeiter, – relativ erträglich und für das Kulturniveau weniger gefährliche sind, so hat das seinen Grund einmal darin, daß in dieser Provinz mit ihrer Landwirtschaft intensivster Art, ihrem ausgezeichneten Boden, noch immer ein starkes Aufsteigen der Kultur stattfindet und auch unter ungünstigen Konkurrenzverhältnissen stattfinden kann; ferner darin, daß ein einheimischer, recht kräftiger Bauernstand vorhanden ist, welcher verhindert, daß ein so starkes Vakuum an einheimischen Arbeitskräften eintritt, wie das im Osten geschehen würde, vielmehr einheimische sächsische Arbeiter zur Ergänzung des auswärtigen Zuzugs liefert; und endlich und vor allem darin, daß eine Assimilierung der sächsischen Arbeiter mit den russischen und polnischen, welche aus dem Osten kommen, ausgeschlossen ist, hier ebenso, wie in Mecklenburg; die einheimischen Arbeiter schließen sich sorgfältig ab gegen deren Einflüsse; sie sehen mit Verachtung herab auf die niedrige Lebenshaltung der Sachsengänger, – erst, wo dieses Moment aufhört, weiter im Osten, wo die Gefahr der Assimilation vorliegt, beginnt die wirklich schwere Gefahr des Wanderarbeitertums. –

Ich überschreite damit die Elbe und begebe mich auf den klassischen Boden der ländlichen Arbeiterfrage. Meine Herren, das ostelbische Deutschland verdient ja aus dem Grunde diese Bezeichnung, weil es einen typischen, sich aus sich selbst ergänzenden und sehr zahlreichen ländlichen Arbeiterstand nirgends[448] so wie hier gibt, und dies deshalb, weil der Großbetrieb, welcher ausschließlich auf fremde Arbeitskräfte angewiesen ist, nur hier die typische, wirtschaftlich und sozial wichtigste Form des Bodenbesitzes darstellt. Ich beschränke mich deshalb auch auf den Großgrundbesitz, welcher ja im wesentlichen identisch ist mit dem Großbetrieb, und seine Arbeitsverfassung. Nur diese Arbeitsverfassung stellt uns wirklich schwere und teilweise unlösbare Probleme.

Die historisch überkommene ländliche Arbeitsverfassung des Großgrundbesitzes im Osten hat Herr Professor Knapp gleichfalls geschildert; er hat aber auch hervorgehoben, was das wichtigste Ergebnis der Enquete ist: daß die rettungslose Zersetzung dieser Arbeitsverfassung teils schon eingetreten, teilweis im Gange und ausschließlich eine Frage der Zeit ist. In materieller Beziehung führen zwei große Desorganisatoren diese Zersetzung in der augenfälligsten Weise herbei, der eine – unwichtigere – ist die Dreschmaschine, der andere die Zuckerrübe, die ich hier a potiori nenne als Repräsentantin der intensiven Bodenkultur überhaupt. Das vom Standpunkt der Wirtschaftsführung des Arbeitgebers entscheidende Moment ist dabei in letzter Linie: die Differenz des Arbeiterbedarfs im Winter und des Arbeiterbedarfs im Sommer, sie wächst derart, daß das Halten der im Sommer erforderlichen ländlichen Arbeitskräfte das ganze Jahr hindurch unzweckmäßig wird. Das hat das Zurücktreten der ständigen, seßhaften, mit den Gütern dauernd verbundenen Arbeiter zugunsten der Saisonarbeiter und ganz im allgemeinen die kapitalistische Umgestaltung des alten Arbeitsverhältnisses in einen reinen Lohnarbeitsvertrag zur Folge. –

Nun, meine Herren, diese Destruktion der Arbeitsverfassung des Ostens, die sich vor allen Dingen ausdrückt einerseits in der Einschränkung und Beseitigung der eigenen Wirtschaft des Instmannes, in der Abschaffung oder Herabdrückung des Dreschanteils, das heißt in der Abnahme des Anteils der Arbeit an dem Produkte der Arbeit, in der Beseitigung ferner der Viehweide, der Viehhaltung des Arbeiters – des Mittelpunktes seiner Wirtschaft –, andererseits in der Erhöhung des Geldlohnes und damit dem Entstehen eines Interessengegensatzes zwischen Grundbesitz und Arbeiterschaft – diese Destruktion dieser Arbeitsverfassung hat da, wo sie bereits weit fortgeschritten ist, in ihrem Gefolge eine außerordentliche Herabdrückung der sozialen Position und[449] eine Gefährdung des Nahrungsstandes der Arbeiter herbeigeführt. Es läßt sich an der Hand des Enquetematerials verfolgen, daß da, wo die patriarchalische Verfassung in alter Weise noch besteht, in Mecklenburg und Pommern, – um einen Hauptpunkt zu nennen – derjenige typische Konsum von Zerealien, welcher angenommen wird für eine normale Arbeiterfamilie, einschließlich des von ihr gehaltenen Viehes, bis auf etwa 40 Zentner hinaufsteigt, daß er nach Osten zu herabsinkt bis auf etwa 28 Zentner, daß er überall, wo in der Flußniederung zwischen Weichsel und Oder intensivere Kultur eingetreten ist, heruntergedrückt wird auf ein weit niedrigeres Niveau, und daß er in dem eigentlichen Gebiet der kapitalisierten desorganisierten Arbeitsverfassung, in den Provinzen Posen und Schlesien, am tiefsten herabsinkt. In Schlesien ist der Nahrungsstand der Landarbeiter zweifellos am schlechtesten. Es ist zwar vor einigen Tagen von einem schlesischen Magnaten im Reichstag angedeutet worden, das möchte wohl ein durch meinen »Nationalliberalismus« herbeigeführter Rechenfehler sein; er hat dann gesagt, er sei durchaus nicht in der Kultur in der Weise zurück, wie ich das von ihm voraussetzte. Meine Herren, natürlich er nicht, wohl aber seine Arbeiter, für die er verantwortlich ist. Sie sind durch die Umgestaltung der Arbeitsverfassung in ihrem Nahrungsstande wesentlich gefährdet, es ist ein kartoffelessendes Proletariat entstanden aus einer Bevölkerung, welche sich nährte von Zerealien und Milch. Es ist von mir mit nichten behauptet worden, daß diese Desorganisation der Arbeitsverfassung des Großgrundbesitzes eine »Schuld« der einzelnen Großgrundbesitzer sei. Im Gegenteil, auch die Arbeiter wollen die Fortführung dieser Verfassung nicht. Es wird von zahlreichen Seiten in der Enquete berichtet – und ich glaube es – daß, wie bei den Heuerlingen, gerade die bestgestellten unter den Instleuten vorziehen, nicht nur in die Industrie, nein, auch zu den landlosen, ungebundenen, aber auch rein proletarischen Schichten der Landarbeiterschaft, zu den sog. »freien« Arbeitern, überzugehen, trotzdem das die Aufgabe einer außerordentlich sicheren materiellen Lager zugunsten einer gänzlich unsicheren Existenz bedeutet. Nichts spricht ein vernichtenderes Urteil über die Zukunft des Instverhältnisses als eben dieses Moment. Die patriarchalische Disposition des Herrn über das Schicksal des Arbeiters, wie sie die alte Instverfassung mit sich bringt, eben die wollen die Leute nicht länger dulden. Es[450] sind psychologische Momente von übermächtiger Gewalt, welche sowohl den Zug in die Städte, wie die Desorganisation dieser Arbeitsverfassung herbeiführen. –

Meine Herren, also: die Arbeiter lösen sich aus dieser Verfassung heraus, sie verschwinden teils völlig, und teils bleiben sie doch nicht so wie früher in der Hand des Großgrundbesitzes. Und wie reagiert der Großgrundbesitz? Er greift zu den Wanderarbeitern, er ruft fremde Arbeiter heran aus dem Osten, teils aus den übervölkerten Distrikten mit zahlreichem Kleinstellenbesitz, teils und zunehmend aus dem Ausland.

Auch hier ist es keineswegs einseitig der Großgrundbesitzer, der dieses Verhältnis einer Fluktuation der Bevölkerung schafft. Die Arbeiter kommen ihm dabei aus eigener Initiative in entschiedener Weise entgegen. Es ist in vielen Fällen zu beobachten, wenn man das Lohnniveau des Zuwanderungs gebietes mit demjenigen des Abwanderungsgebietes vergleicht, daß es nicht nur nicht zuungunsten des Abwanderungsgebietes differiert, sondern gleichsteht, daß häufig sogar das umgekehrte der Fall ist. Nicht die unterschiede in der Lohnhöhe allein oder auch nur vornehmlich sind es, die zur Wanderarbeit führen, sondern etwas ganz anderes; es ist die Abneigung, sich gerade in der Heimat zu dauernder Arbeit zu binden, gerade die wohlbekannte Arbeitsglocke des benachbarten heimatlichen Großgrundbesitzers hat einen besonders üblen Klang. Die Leute gehen den Sommer über fort, sie kommen im Herbst wieder zurück und bringen soviel bares Geld mit, daß sie einige Monate »Ferien« machen können, und sie haben dann die Illusion – es ist lediglich eine Illusion – daß sie »mehr« verdient hätten, besser gestellt gewesen seien in der Fremde als zu Hause. Sie bedenken nicht, daß sie das Mehr an baren Mitteln erspart haben allein auf Kosten ihrer Lebenshaltung, indem sie sich in der Fremde herdenweise in einem Kasernement und bei einer Ernährungsweise unterbringen ließen, wie sie sie sich in ihrer eigenen Familie und zu Hause niemals bieten lassen würden.

Erschwerend tritt nun aber hinzu unsere nationale Situation im Osten, in erster Linie, daß diese Wanderarbeiter herangezogen werden aus dem Ausland. Es ist – soviel kann man aus den Berichten der Enquete ersehen – lediglich eine Frage der Zeit, bis wann die ländlichen Großgrundbesitzungen der Grenzgebiete, wenn sie lediglich ihren wirtschaftlichen Lohninteressen folgen,[451] sich ihrer einheimischen Arbeiter in der Hauptsache entledigt haben werden, und statt dessen eine Verwendung von Wanderarbeitern aus Polen und Rußland stattfindet. Durchaus nicht immer deshalb, weil diese Wanderarbeiter einen niedrigeren Lohn bekämen, sondern in erster Linie, weil man keine verwaltungsrechtlichen Pflichten, keine Armenlasten usw. für sie übernimmt, – man schiebt sie eben nach Ausnutzung ihrer Arbeitskräfte wieder ab. Und ferner: der Russe muß sich auch etwas anderes bieten lassen als der einheimische Arbeiter; er ist prekärer gestellt und ein Wink an den benachbarten Amtsvorsteher genügt, um ihn schleunigst über die Grenze zurückzuspedieren, falls er sich den Wünschen des Großgrundbesitzers nicht überall fügt. Deshalb müssen – das ergeben die Berichte der Enquete – die selbstbewußten Arbeiter Westpreußens, die alten deutschen Instleute der Weichselniederungen, weichen zugunsten der polnischen Wanderarbeiter.

Auf die Dauer ist die Polonisierung des Ostens, wenn es so weitergeht, absolut nicht auszuschließen, wir mögen noch so viel Grundbesitz in deutsche Hände überführen. Die Entscheidung der Frage der Nationalität des platten Landes hängt auf die Dauer nicht von der Abkunft der besitzenden Schichten, sondern von der Frage ab, welcher Nationalität das Landproletariat angehört. Wir werden im Osten denationalisiert, und das ist keineswegs eine bloße Nationalitätensorge, sondern das bedeutet: es wird unser Kulturniveau, der Nahrungsstand der Landbevölkerung und ihre Bedürfnisse herabgedrückt auf das Niveau einer tieferen, östlicheren Kulturstufe. –

Gibt man sich Rechenschaft, welchen Umfang das bereits genommen hat, so sind dafür einige Anhaltspunkte vorhanden: der Wendepunkt in der Polenfrage ist das Jahr 1861; bis dahin nehmen die Polen prozentual langsam ab, von da ab langsam zu. Es begann die Heranziehung polnischer Wanderarbeiter. Noch im Jahre 1873 überwog die Wanderung deutscher Arbeiter bis tief nach Galizien und Rußland hinein. Erst seitdem ist die Entwicklung weiter fortgeschritten im Zusammenhang mit dem Niedergang der Landwirtschaft, derart, daß die entgegengesetzte Wanderbewegung alleinherrschend geworden ist. Dieser Zustand bestand ungehindert bis 1886. Innerhalb der Jahre 1861 bis 1886 hat nun – ich entnehme dies Beispiel dem eben erschienenen von der Goltzschen Werke – in Westpreußen in dem Komplex[452] der Kreise Deutsch-Krone, Schlochau, Flatow, wo der Großgrundbesitz – das heißt hier der Besitz von 500 Taler Reinertrag – nur 35% der Fläche innehat, die prozentuale Abnahme des Deutschen nur 0,7, also etwas über 2/3% betragen; in den Danziger Niederungsgebieten, wo der Großgrundbesitz 50, und auf dem östlichen Höhenstreifen, wo er 64% der Flächen umfaßt, hat dagegen die Abnahme des Deutschtums 51/2% betragen. Eine derartige Differenz lediglich auf Grund des Umstandes, daß der Großgrundbesitz in dem betreffenden Falle vorwiegt, gibt den deutlichen Beweis dafür, daß, wie gesagt, der landwirtschaftliche Großbetrieb des Ostens der gefährlichste Feind unserer Nationalität, daß er unser größter Polonisator ist. Im Jahre 1886 wurde nun die Zuwanderung polnischer Arbeiter verboten, die vorhandenen polnischen Arbeiter wurden des Landes verwiesen. Diese Verfügung wurde dann etwas gemildert und schließlich am 26. November 1890 in der Hauptsache aufgehoben. Es wurde dem Oberpräsidenten gestattet, im Falle des Nachweises des Bedürfnisses russische Arbeiter zuzulassen unter dem Vorbehalt, daß es sich nicht um Familien, sondern wesentlich um ledige Arbeiter handeln würde, und daß sie bis zum 1. November über die Grenze zurückgeschafft werden sollten.

Im Jahre 1891, dem ersten Jahre, nachdem diese Verfügung bestand, ist, wie ich mir aus den Zahlen des Herrn von Mayr, die uns hier vorliegen, zusammengerechnet habe, eine Zahl von rund 33000 russisch-polnischen Arbeitern allein in die vier Grenzprovinzen importiert worden. Im Jahre 1892 trat wegen der Cholera eine erhebliche Erschwerung ein, schließlich wurde die Zufuhr am 1. September verboten; es waren aber bereits über 21000 polnische Arbeiter hereingekommen, davon bereits 13000 innerhalb der ersten beiden Quartale, also Arbeiter, welche nicht nur als Erntearbeiter hereinkommen, sondern welche an eine Arbeitsstelle treten, für die sonst ständige deutsche Arbeiter hätten verwandt werden müssen.

Die Zahl von 33000 für 1891 ist übrigens noch nicht einmal vollständig, es fehlt für einen Teil des Gebiets ein volles Quartal. Diese Zahlen beziehen sich wie gesagt nur auf die Provinzen Ost- und Westpreußen, Posen und Schlesien. Die russischen Arbeiter gehen aber bis nach Hessen-Nassau, sie finden in Mecklenburg und im ganzen Osten erhebliche und zunehmende Verwendung.

[453] Die Zahl der sämtlichen ländlichen Tagelöhner einschließlich der Tagelöhner in Nebenbetrieben, einschließlich der auch nur einen einzigen Tag in der Landwirtschaft beschäftigt gewesenen Tagelöhner betrug nun nach der letzten Berufsstatistik in den gedachten 4 Provinzen rund 800000; davon beträgt diese Zahl 33000 etwa 1/24. Sie müssen aber in Betracht ziehen, daß diese Zuwanderung von polnischen Arbeitern sich zu einem großen Bruchteil auf ein weit enger umgrenztes Gebiet, eben gerade auf den national umstrittenen Distrikt von vier Provinzen und auf die großen Güter beschränkt und hier mit voller Intensivität wirkt, und wenn Sie den entsprechenden Multiplikator anwenden, so sehen Sie schon aus diesen Zahlen, daß bereits jetzt eine derartig gewaltige Zuwanderung stattfindet, daß schon in kurzem die denationalisierenden Folgen absolut nicht ausbleiben können. – Und ferner: der einzelne polnische Arbeiter verdrängt in der Ernährung auf dem heimischen Boden nicht etwa nur einen einzelnen deutschen Arbeiter, sondern eine Arbeiterfamilie; er seinerseits nimmt ja die Lohnüberschüsse nach Rußland zurück und ernährt davon seine dortige Familie, und ebenso würde ein deutscher Arbeiter von seinen Lohnüberschüssen gleichfalls wenigstens einen erheblichen Bruchteil der Unterhaltskosten für seine einheimische Familie verwendet haben. Die Verdrängung umfaßt also auch rein ziffernmäßig ein Vielfaches der angegebenen Zahlen. Und endlich ist vom Interessenstandpunkt der Arbeiter aus zu sagen: die Heranziehung der Polen bedeutet eine Lähmung der deutschen Arbeiterschaft im Lohnkampf mit den Großgrundbesitzern, wie sie schwerer nicht gedacht werden kann. Alles in allem also, meine Herren: der Großgrundbesitz ist dasjenige Element, welches im Osten zurzeit am stärksten polonisiert. Es ist eine Frage der Zeit, wann der Moment gekommen sein wird, wo er in seinem Auftreten gemeinschaftliche Sache mit den Polen wird machen müssen. Es ist auf die Dauer für ihn nicht möglich, die nationale Sache zu vertreten, wenn seine Arbeiter Polen sind. Er wird dem Schicksal nicht entgehen, dem österreichische Magnaten mit alten deutschen Namen verfallen sind: er verliert zunächst die Gemeinschaft der nationalen Interessen mit seinen Hintersassen, und dann wird er derjenige sein, welcher nachgeben wird. – Die ersten Symptome dafür sind denn auch vorhanden. Wenn im Reichstag oder Abgeordnetenhaus ein schlesischer Besitzer sagen kann: es versteht sich von selbst[454] daß wir Großgrundbesitzer unsere Arbeiter nehmen können, woher wir wollen und sie billig bekommen können, und deshalb die Aufhebung derjenigen Schranken verlangt, welche jetzt noch dem Zuzug der fremden Arbeiter entgegenstehen – nun, so ist das ein Manchesterstandpunkt, der im schroffsten Widerspruch dazu steht, daß derselbe Herr der Nation untersagen will, ihr Brot dorther zu nehmen, woher sie will und es billig erhalten kann. Und wenn in Westpreußen die Vertreter des Großgrundbesitzes jetzt schon gemeinschaftliche Sache mit den nationalen Gegnern machen, so sind das eben die ersten Anfänge, die uns zeigen, wohin es kommen kann, wenn die Sache so weiter geht. Ich habe absichtlich dieses nationale Moment in den Vordergrund gestellt, weil es das in erster Linie praktische ist, – es ist eben keineswegs ein rein ideales, sondern involviert im Osten eine »Messer- und Gabelfrage« in des Wortes vollster Bedeutung. –

Meine Herren, wenn ich jetzt zunächst resumieren soll, was ich ausgeführt habe, so erlaube ich mir die allgemeine Bemerkung: ich betrachte die »ländliche Arbeiterfrage« hier ganz ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Staatsraison; sie ist für mich keine Frage der Landarbeiter, also nicht die Frage: geht es ihnen schlecht oder gut, wie ist ihnen zu helfen? Diese Fragen können wir auf Grund der Enquete nur sehr bedingt beantworten, und jedenfalls ist es nicht derjenige Gesichtspunkt, unter dem ich die Sache betrachtet habe; aber freilich: noch viel weniger ist sie die Frage: wie sind den östlichen Großgrundbesitzern Arbeitskräfte zu verschaffen? Das Interesse des Staates und einer Nation kann differieren von dem Interesse jedes einzelnen Standes, nicht nur von dem des Großgrundbesitzes, was gelegentlich vergessen wird, sondern auch von dem des Proletariats, was neuerdings mindestens ebenso oft vergessen wird. Das Interesse des Staates an der ländlichen Arbeiterfrage im Osten ist lediglich begriffen in der Frage, wie es um die Fundamente der sozialen Organisation bestellt ist, ob der Staat sich darauf stützen kann, auf die Dauer, zum Zweck der Lösung derjenigen politischen Aufgaben, welche ihm im Osten demnächst bevorstehen. Diese Frage ist meines Erachtens zu verneinen.

Meine Herren, ich anerkenne in dem Schlußwort zu meinem Enquetebericht, daß der Großgrundbesitz und seine Arbeitsverfassung für die Vergangenheit erhebliche Verdienste um die Nation hat. Mißdeutungen in der Presse beider Richtungen veranlassen[455] mich, das hier zu interpretieren. Es ist mir nicht eingefallen, zu behaupten, daß wir eine besondere »Dankesschuld« gegenüber dem Großgrundbesitz als solchen abzutragen hätten. Ich bin der Ansicht, daß die Großgrundbesitzer der Vergangenheit dem Staate dienten, indem sie ihren eigenen Interessen dienten, daß sie vor allen Dingen nicht mehr getan haben, indem sie für den Staat und an seiner militärischen und politischen Größe mitarbeiteten, als ihre »verdammte Pflicht und Schuldigkeit« so gut wie irgendein anderer Stand im Staate, und nur weil dies nicht bei jeder Aristokratie selbstverständlich gewesen ist, erkennen wir es an. Ich glaube vor allem nicht, daß diese Anerkennung, so weit sie begründet ist, den Personen gebührt, sondern der sozialen Organisation, deren Produkte diese Personen gewesen sind. In diesem Sinne ist diese Anerkennung einfaches Gebot der Gerechtigkeit. Aber, meine Herren, eben diese Organisation zerfällt; sie zerfällt vielleicht nicht plötzlich, vielleicht nicht vollständig z.B. bis zum Ende dieses Jahrhunderts. Je länger aber der Verfall sich fortsetzt, um so mehr nimmt er den Charakter eines chronischen Fäulnisprozesses des Ostens an. Eine solche zerbröckelnde Organisation ist nicht fähig, die wichtigsten politischen Aufgaben des Staates lösen zu helfen: in erster Linie die Wahrung der deutschen Kultur im Osten, die Verteidigung unserer Ostgrenze, der deutschen Nationalität, auch im Frieden. Der Großgrundbesitz kann diese Aufgabe nicht lösen. Man muß die Vorstellung aufgeben, als ob er allein es wäre, auf welchen man sich auf die Dauer im Osten stützen könne und dürfe. Er wird entwurzelt und für den Staat wertlos – nicht durch seine Schuld, wie ich wiederhole, sondern durch übermächtige nationale Wandlungen materieller und psychologischer Art. –

Ich will nicht weiter ausgreifen, um nicht noch länger zu sprechen. Ich komme vielmehr unmittelbar zu denjenigen praktischen Forderungen, welche meines Erachtens sich aus dieser Situation ergeben. Die wichtigste Forderung, die überhaupt auf diesem Gebiete im gegenwärtigen Moment zu stellen ist, ist die des absoluten Ausschlusses der russisch-polnischen Arbeiter aus dem deutschen Osten. Als Uebergangsstadium und sofort ins Werk zu setzen wäre der Ausschluß aller derjenigen Arbeiter, welche vor der Zeit der Getreideernte nach Deutschland hereinkommen. Aber es muß der Entschluß gefaßt werden,[456] diesen Ausschluß der Fremdlinge zu einem absoluten zu machen. Ich freue mich, in diesem wichtigen Punkt die Zustimmung des Herrn Professor von der Goltz in seinem mir soeben zugegangenen neuen Werke zu finden. Meine Herren, wer glauben sollte, daß wir im Osten nationale Politik aus »Chauvinismus« treiben – nun, der kann oder will nicht verstehen, um was es sich handelt. Es ist nicht möglich, zwei Nationalitäten mit verschiedenen Körperkonstitutionen, – verschieden konstruierten Mägen, um mich ganz konkret auszudrücken, auf einem und demselben Gebiete als Arbeiter gänzlich frei konkurrieren zu lassen. Es ist nicht möglich für unsere Arbeiter, mit den polnischen Arbeitern zu konkurrieren. Die deutschen Arbeiter müßten in ihren Bedürfnissen eine Kulturstufe heruntersteigen, ganz analog wie unser Landwirtschaftsbetrieb deshalb konkurrenzunfähig ist, weil er eine Kulturstufe heruntersteigen müßte, um mit den Landwirtschaftsbetrieben in Rußland, Argentinien und Amerika zu konkurrieren. Es gibt eine gewisse Situation kapitalistisch desorganisierter Volkswirtschaften, unter welchen die höhere Kultur nicht überlegen, sondern schwächer ist im Kampf ums Dasein gegenüber der niedriger stehenden Kultur. In einer solchen Situation befinden wir uns zur Zeit. Mit unseren polnischen Volksgenossen wollen wir schon fertig werden, wir hoffen, das polnische Proletariat des Inlandes auf das Niveau der deutschen Kultur zu heben, – unmöglich wird das aber, wenn der fortgesetzte Einbruch östlicher Nomadenschwärme diese Kulturarbeit regelmäßig wieder vernichtet und in ihr Gegenteil umkehrt. Gegen die angeblich projektierte Kulieinfuhr erhob sich seinerzeit große Entrüstung, die Einfuhr der Polen ist aber vom Kulturstandpunkt weit gefährlicher, denn mit den Kulis assimilieren sich unsere deutschen Arbeiter nicht, wohl aber ist dies mit den halbgermanisierten Slaven unseres Ostens, gegenüber den Polen der Fall. –

Meine Herren, die dermalige Verfügung des Ministeriums des Innern, auf welcher die Zulassung der polnischen Arbeiter beruht, geht aus von dem Gedanken: es schade nichts, wenn die polnischen Arbeiter hereinkommen, sofern sie nur wieder herausgelangen. – Erstens gelangen sie nicht alle wieder heraus. Es ist gar nicht zu verhindern, wenn man die Leute nicht schlechterdings festbindet und über die Grenze schafft, daß nicht ein erheblicher Bruchteil dieser Arbeiter im Inlande verbleibt. Es ist aber auch nicht richtig, daß eben diese zeitweise Zulassung[457] sozial-und nationalpolitisch nichts schadet, das – möchte ich glauben – geht aus dem, was ich auszuführen versuchte, mit Sicherheit hervor. Gerade diese zeitweise Zulassung, welche die Grundbesitzer jeder dauernden Verantwortlichkeit für die verwendeten Arbeitskräfte enthebt, ist die denkbar gefährlichste Form, sie ist dasjenige Moment, welches zur Abschiebung der deutschen Arbeiter aus dem Osten führt und die Mobilisierung der Landbevölkerung am schärfsten fördert. Meine ganze Argumentation ist sehr einfach: Es hat die Enquete meines Erachtens zweifellos ergeben, daß der Nahrungsstand, daß die Lohnhöhe, daß die gesunde soziale Stellung der Arbeiter im Osten abhängt in erster Linie von der Intensität des Deutschtums. Die Enquete hat ferner ergeben, daß eine Verdrängung der deutschen Arbeiter durch die polnischen Wanderarbeiter in gefährlicher Weise erfolgt. Es ergibt sich schon daraus die aufgestellte Forderung meines Erachtens von selbst.

Man könnte nun, meine Herren, als zweites Moment in Frage ziehen, ob nicht dem Ausschluß der ausländischen Arbeiter ein Festhalten der inländischen Arbeiter an der Scholle entsprechen sollte. Ich habe nicht die geringste Neigung, hier eine Debatte über die Freizügigkeit zu entfesseln; es würde aber mißdeutet werden, wenn dazu bei dieser Gelegenheit gar nicht Stellung genommen würde. Es ist diese Forderung – indirekte Einschränkung des Fortzuges durch Erhebung von Einzugsgeldern seitens der Städte, nicht nur von Enqueteberichterstattern gestellt, sondern auch von der neuen agrarischen Bewegung, obwohl man nicht gewagt hat, sie bei der bekannten Audienz an das Ohr Seiner Majestät des Königs zu bringen, wahrscheinlich, weil ein stillschweigendes Anhören dieses Vorschlages gegenüber der öffentlichen Meinung bedenklich erschienen wäre. Nun ist durchaus nicht zu verkennen, daß das Fortziehen zumal der jungen Arbeitskräfte vom Lande in die Stadt ein oft geradezu unglaublich planloses ist, ohne Zweck und ohne eine Ahnung der Konsequenzen geschieht, und mit einer wirklich besseren Lage, in die sich diese Leute dadurch zu bringen glauben, schlechterdings nichts zu schaffen hat. Gäbe es technisch durchführbare Mittel, dem wirksam vorzubeugen, so würde ich an einem Eingriff in das vermeintliche allgemeine Menschenrecht der freien Disposition über sich selbst gewiß am letzten Anstoß nehmen. Aber das vorgeschlagene[458] Mittel ist unpraktikabel. Einmal sehe ich nicht ein, wie eine Kommune wie Berlin z.B. wirkliche Garantien für die Zurückschaffung derjenigen, welche sich der Zahlung entziehen, schaffen sollte. – Dann aber, und das ist der prinzipielle Punkt gegenüber jeder Form der Beschränkung der Freizügigkeit: Glauben Sie denn, daß wir uns in der Lage fühlen könnten, der Landwirtschaft Leute zurückzuschicken, von denen wir nicht wissen, ob und in welchem Umfange sie lohnende Arbeit finden auf dem Lande? Mag auch Arbeitermangel auf dem Lande die Regel sein, unzutreffend ist, daß selbstverständlich überall auf dem Lande im Osten Arbeit zu finden sei, und vor allen Dingen, daß sie zu angemessenen Löhnen und dauernd zu finden sei. Es müßte also der einzelne Fall untersucht werden, es müßte auch die Möglichkeit vorhanden sein, wenn wir die Leute zurückschicken oder auf dem Lande festhalten, dem betreffenden Großgrundbesitzer vorzuschreiben, welchen Lohn er dem Manne zu zahlen hat. Wir würden dann ein Eingreifen in die Arbeitsverfassung des Ostens, eine staatliche Revision der Arbeitsverhältnisse auf dem Lande mit Lohntaxen irgendwelcher Art haben. Das wäre ja nun durchaus nichts unerhörtes. In Mecklenburg hat nach der achtundvierziger Bewegung der Landarbeiter eine ähnliche geordnete staatliche Regelung stattgefunden; es sind unter Zuziehung von staatlichen Kommissaren Regulative festgesetzt worden für einzelne Güter – und sie haben keineswegs bloß auf dem Papier gestanden –, durch welche die Gebührnisse der Landarbeiter festgestellt wurden. Ich glaube aber, vor die Wahl gestellt, sich einen derartigen Eingriff gefallen zu lassen oder den gegenwärtigen Freizügigkeitszustand aufrecht zu erhalten, würde der überwiegende Teil der Landwirte doch das letztere wählen.

Im Zusammenhang mit der Frage der Freizügigkeit möchte ich ein Wort über die Gesindeordnung mit bezug auf die praktisch richtige Zwangsrückführung im Falle des Kontraktbruches sagen. Sie ist sowohl von seiten der Berichterstatter als von seiten politischer Parteien im Lande zum Gegenstand von Erörterungen und Angriffen gemacht worden. Der zunächst in die Augen fallende Uebelstand an der Gesindeordnung ist, daß schlechterdings keine Gleichmäßigkeit der Zustände in den einzelnen Gegenden besteht. In jeder Provinz, in jedem Regierungsbezirk sind die Verhältnisse und die Praxis in der Subsumtion[459] der einzelnen Kategorien unter die Gesindeordnung verschieden. Die Instleute, welche in Ost- und Westpreußen unter die Gesindeordnung fallen, stehen in Pommern und Brandenburg nicht darunter. In Schlesien sucht man die Kontraktarbeiter künstlich durch Hingabe des Mietstalers darunter zu bringen, ebenso auch die sozial viel tiefer stehenden Komorniks in Posen. Ein scharfe Grenze ist auf dem Boden des geltenden Rechtes absolut nicht zu ziehen; es muß Gleichmäßigkeit hergestellt werden. Diese aber kann nur bestehen in der Beseitigung der Anwendbarkeit der Gesindeordnung auf alle diejenigen Personen, welche nicht wirklich zum häuslichen Gesinde gehören. Niemand hat bisher zu behaupten versucht, daß die bestehenden Zwangszurückführungsvorschriften genügten oder zweckmäßig seien, um Kontraktbruch zu verhindern. Im Gegenteil, aus der Enquete geht das fruchtlose und verbitternde der Maßregel hervor, welche in der Zwangszurückführung, zumal, wenn es sich um Familien handelt, liegt. Das einzige angemessene Zwangsmittel gegen Kontraktbruch bei Familien ist das Pfandrecht an demjenigen Mobiliar, welches der Arbeiter in das Gewahrsam des Gutsherrn gebracht hat.

Nun könnte sich ja fragen, ob an Stelle dieser bunten Mannigfaltigkeit des Rechts, dem die Landarbeiter unterstehen, nicht etwas einheitliches gesetzt werden könnte, in Verbindung etwa mit einem staatlichen Eingriff in die Land- und Weideverhältnisse der einzelnen Güter, nach Analogie der schon berührten mecklenburgischen Regulative. Historisch wäre ein solcher Eingriff sehr wohl berechtigt auf Grund des Umstandes, daß diese jetzt depossedierten Arbeiter ehemals nicht bloß Lohnarbeiter, sondern in ihrer Art so gut wie die Bauern auch anteilsberechtigt waren an dem Boden, welchen sie bebauten. Es wäre eine moderne Analogie zum Bauernschutz, eine Modifikation des bisherigen Grundsatzes der preußischen Sozialpolitik, welche allein eine Bauernpolitik war – bei der Regulierung sowohl als bei der Gemeinheitsteilung hat sich das gezeigt – zugunsten auch der bisher regelmäßig vergessenen Landarbeiter. Allein dieses Eingreifen des Staates ist heute nicht mehr möglich, weil die Zersetzung dieser älteren sozialen Organisation schon zu weit vorgeschritten ist. In Frage könnte nur kommen – und das ist in Vorschlag gebracht worden – ob man etwa Schiedsgerichte speziell zum Zwecke der Regelung von Streitigkeiten zwischen[460] Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf dem Lande organisieren soll. Es käme nur darauf an, wie diese Schiedsgerichte zusammengesetzt wären, namentlich daß sie nicht ausschließlich beständen aus den Interessenvertretern eines Standes, daß nicht z.B. etwa die Amtsvorsteher, welche aus den Gutsbesitzern hervorgehen, diejenigen wären, welche in diesen Schiedsgerichten die ausschlaggebende Stellung einnähmen. Im übrigen: versprechen würde ich mir von der Einführung eines solchen Instituts nicht viel, weil jede Organisation der Landarbeiter fehlt und bisher gesetzlich fehlen muß, namentlich aber, weil eine solche Organisation, auch wenn sie jetzt gesetzlich zulässig wäre, gar nicht möglich ist. Man braucht nur die konkreten Zustände sich vorzustellen. Ein Instmann, ein Arbeiterpächter, ein Häusler, ein Büdner, ein besitzloser Tagelöhner und ein Wanderarbeiter – alle diese Kategorien können auf einem Gut vorkommen –, diese Leute können keine drei Schritte zusammengehen, ohne daß ihre Interessen auseinanderlaufen, und es ist nicht möglich, derartige verschiedene Interessengruppen nach Analogie etwa der Gewerkvereine zu organisieren. –

Meine Herren, ich habe nun noch kurz zu erörternden Interessenstandpunkt der Landarbeiter gegenüber der brennenden Frage, die morgen zur Erörterung steht, gegenüber der inneren Kolonisation. Es kommt hier für uns in Betracht einmal die Frage der Seßhaftmachung der Arbeiter als Arbeiter und dann die praktische Bedeutung der etwa zu schaffenden Möglichkeit, daß Landarbeiter aufsteigen in den Bauernstand. Die Bedeutung beider Maßregeln ist eine grundverschiedene: die erste enthält nur eine Umgestaltung der Lage der Arbeiter innerhalb der gleichen sozialen Schicht, in der sie verbleiben, die zweite dagegen würde, wenn sie gelänge, die obere Schranke des Aufsteigens hinwegräumen, welche die soziale Organisation im Osten den Landarbeitern gegenüber aufgerichtet hat. –

Was zunächst die Errichtung von Arbeiterstellen anlangt, also von Stellen, welche begründet werden für Personen, die weiter dauernd auf Lohnarbeit gehen sollen, so steht es nicht, wie oft behauptet worden ist, im Einklang, sondern im Widerspruch mit dem Begriff des Grundeigentums, daß ein Mann, welchem sein Grund und Boden, den er bewirtschaftet, nicht die volle Möglichkeit der Existenz gewährt, sondern ihm nur mehr nebenher einen kleinen Beitrag, gewissermaßen wie ein[461] Taschengeld zur Ergänzung seines Budgets liefert – daß ein solcher Mann mit dem Boden in eine rechtliche Beziehung gesetzt wird, welche derjenigen des Eigentums auch nur analog ist. Es sind auch die Ergebnisse der Enquete gerade über diesen Punkt geeignet, das allerernsteste Mißtrauen gegen eine derartige Maßregel, wenn man sie als regelmäßige Form der Gestaltung unserer Arbeitsverfassung denken wollte, zu erregen. Ueberall, wo eine große Zahl derartig mit Grund und Boden versehener Arbeiter sich findet, sind die Löhne und zwar teilweise in einem unerhörten Maße gedrückt. Diese Leute sind eben schollenfest, sie können nicht fort. Und, meine Herren, wer glaubt, daß ein Mann, der deshalb nicht fort kann, und seine Arbeitskräfte ausnutzen, wo er will, weil einige Morgen deutschen Bodens an seinen Fersen kleben, daß dieser Mann eine angenehme Beziehung zum vaterländischen Boden gewinnen und ein brauchbares Glied innerhalb der sozialen Gliederung auf dem Lande werden wird, der befindet sich in einem bedenklichen Irrtum. Der schrecklichste der Schrecken ist ein grundbesitzendes Proletariat, dem die ererbte Heimstätte zum Fluche wird. –

Es ist im übrigen ja die Lage der grundbesitzenden Arbeiter eine verschiedene, je nachdem sie in der Nachbarschaft von Bauern in Dorfgemeinden oder in der Nachbarschaft allein von großen Gütern sitzen. Dem Bauern gegenüber hebt der Grundbesitz den Mann, dem Großgrundbesitzer gegenüber nicht. Der Bauer beutet den Einlieger auch als Mieter aus, weniger als Arbeitskraft. Dem Großgrundbesitzer liegt dagegen an dem bißchen Miete nichts, er will nur die feste, dauernde, an die Scholle gefesselte Arbeitskraft und deshalb ist im Interessenkampf mit dem Großgrundbesitzer der grundbesitzende Arbeiter gegenüber dem besitzlosen benachteiligt. – Ich will damit nicht behauptet haben, daß eine Gründung von Häuslerstellen immer und überall auszüschließen wäre, aber sie darf nur der Schlußpunkt großer Kolonisation sein. Erst wo große Bauerndörfer entstanden sind, wo Arbeitsgelegenheit in nächster Nähe immer zu finden ist, wenn durch Reservate im allgemeinen vorgesorgt ist, daß der kleine Besitzer eine genügende Viehhaltung haben kann, erst dann kann die Begründung von Häuslern befürwortet werden. – Wie die Enquete ergibt, ist die Gefahr der Schaffung Kartoffeln konsumierender Kleinstellenbesitzer eine dringende. Diese Gefahr ist nun aber am allerdringendsten bei denjenigen Stellen,[462] welche ein Uebergangsstadium bilden von den kleinsten Stellen zu Bauernstellen. Diese Leute, also die sogenannten Büdner, sind in der Tat schollenfest. Der kleine Häusler mit wenigen Morgen Land kann Sachsengänger werden, wenn er in der Nachbarschaft keine Arbeit findet. Der Büdner ist gebunden. Er hat einige Arbeitstage im Jahr übrig, die er verwerten müßte. Diese könnte er aber gerade nur in der Erntezeit verwerten und gerade dann ist er unabkömmlich. Dieser Büdnerstand ist einer der gefährlichsten auf dem Lande. Ueberall, wo er in starkem Maße besteht, hat man beobachtet, daß solche Büdner unter allen Umständen vermeiden, auf Arbeit zu gehen, daß sie lieber auf das kümmerlichste leben, auf ihrem Grund und Boden sich durchschlagen, als in der Heimat sich Arbeit suchen. Dieses Moment muß in allererster Linie davor warnen, derartige Stellen zu schaffen, und das um so mehr, als die Tendenz der Parzellierungsbewegung im Osten gewisse ganz gleichartige Gefahren in sich birgt, welche auch für die Praxis der inneren Kolonisation von eminenter Bedeutung sind:

Die unzweifelhaft vorhandene Tendenz der Güterzerschlagung und damit auch die Zukunft der inneren Kolonisation kann man unter zwei Gesichtspunkten betrachten: unter einem mehr optimistischen und unter einem mehr pessimistischen. Unter dem optimistischen betrachtet sie in erster Linie mein verehrter älterer und erfahrenerer Freund, Herr Professor Sering. Er erwartet von dem Fortschreiten der Technik eine Entwicklung kleinerer intensiv bewirtschafteter Stellen. Umgekehrt erwartet er von diesen kleineren Stellen, daß sie Fortschritte der Technik herbeiführen und eine Aufbesserung des landwirtschaftlichen Betriebes im Osten sich daran anschließen werde. Ich will das nicht bestreiten für erhebliche, von der Natur hervorragend begünstigste Teile des Ostens; aber für ein weitaus größeres Areal im Osten, welches der Ueberführung in den intensiven Betrieb mit Garten-oder Rübenkultur, intensiver Viehzucht oder ähnlichem zweifellos dauernd verschlossen ist, und für welches die Produktionsbedingungen dauernd auf eine Kombination von Getreidebau und Viehzucht in mittlerer Intensität zugeschnitten sein müssen, sofern man nicht den Uebergang zur ewigen Weide unter Ersparung von Kapital und Arbeit herbeiführen will. Für dieses Areal kommt nun die gegenwärtige Lage der Landwirtschaft in besonders verhängnisvoller Art zur Geltung.[463] Die Landwirtschaft im Osten ist vom geschäftlichen, industrialistischen Standpunkt aus ein niedergehendes, konkurrenzunfähig werdendes Gewerbe, und gerade dieser Niedergang der Konkurrenzfähigkeit führt meines Erachtens dazu, daß die Kleinbetriebe heute existenzfähiger sind als die für den Markt produzierenden großen Besitzungen. Derjenige Besitzer, welcher seine Produkte in erster Linie an denjenigen Ort bringt, wo die Preisgestaltung auf dem Weltmarkt am gleichgültigsten ist, nämlich in seinen eigenen Magen, der ist zur Zeit am existenzfähigsten im Osten, immer unter der Beschränkung auf dieses spezifische, aber sehr große und sozialpolitisch für uns wichtige Areal des charakteristischen mittleren Sandbodens und außerhalb der Nähe großer Städte und Verkehrswege. Daraus folgt aber eine schwere Kulturgefahr. Es könnte nämlich dahin kommen, daß auch hier die Differenz zwischen – um wiederum das frühere Bild zu gebrauchen – dem deutschen und polnischen Magen zur Geltung gebracht würde. Auch als Kleinbauer kann der Pole, der sich mit dem Anbau von Kartoffeln begnügt, mit einem viel kleineren Areal auskommen als der Deutsche, der Zerealien konsumieren will, und es entsteht die Gefahr, daß die innere Kolonisation zu einer Schaffung polnischer Zwergbetriebe und zur Denationalisierung des Ostens unter Herabdrückung der Kulturbedürfnisse der Landbevölkerung führt. Diese Gefahr muß davor warnen, Stellen irgend welcher Art zu schaffen, welche unter demjenigen Stande der Größe ihrem Umfange nach sich befinden, der ausreicht, um eine deutsche Bauernfamilie zu ernähren.

Vergleichen wir damit die Praxis der Generalkommissionen, so ist der Minimalumfang einer Stelle von ihnen teils auf 1 ha, teils auf 2, 21/9, 3 ha festgesetzt. Meines Erachtens ließe es sich hören, wenn umgekehrt ein maximaler Umfang kleinerer Stellen auf etwa 2 ha und daneben ein Minimalsatz für Bauernstellen auf etwa 5 ha festgesetzt würde. Gerade diese Stellen von 2 bis 5 ha sind Büdnerstellen, welche die Familie nicht voll ernähren. Der Zustand eines solchen Mannes ist erträglich im Süden und Westen, wo jederzeit Gelegenheit zum Ankauf von Grund und Boden sich findet und der Mann dadurch nicht Sklave seiner Scholle wird. Im Osten ist eine solche Beweglichkeit nicht vorhanden, und die Gefahr der Schaffung eines Proletariats allerschlimmster Art außerordentlich groß. –

[464] In bezug auf die Schaffung von Arbeiterstellen sind also vom Arbeiterstandpunkt aus nur negative Forderungen: – was nicht geschehen soll – zu formulieren. Entscheidend ist, ob die Bedingungen für den Erwerb bäuerlicher Stellen so gestellt werden können, daß den Arbeitern der Erwerb von solchen ermöglicht wird, und das ist nicht heute, sondern morgen zu besprechen. –

Nun aber, meine Herren, wir mögen der inneren Kolonisation noch so weite Ziele stecken und sie uns soweit durchgeführt denken, wie wir wollen, sicher ist: wir können weder dem Großgrundbesitz im Osten den Garaus machen, noch wollen wir es. Es existiert kein Interesse daran, ihn zu vernichten, es existiert sogar ein Interesse daran, diese wirtschaftlichen und vor allen Dingen gesellschaftlichen Intelligenzzentren auf dem Lande zu erhalten, damit nicht auch dieses geistige Kapital von den Städten monopolisiert werde und ausschließlich in den Besitz des städtischen Bürgertums gelange, und damit nicht die politische Intelligenz künftig vom Lande ebenso auswandert wie zur Zeit die Arbeitskräfte.

Es fragt sich also, wenn der Großgrundbesitz im Osten weiter bestehen soll – und er wird es –: woraus rekrutieren sich seine Arbeitskräfte? Wie wird seine Arbeitsverfassung beschaffen sein? In erster Linie wird man ja die Arbeitskräfte aus den Bauerndörfern zu erhalten suchen, welche die innere Kolonisation schafft. Es ist schon jetzt aus dem Enquetebericht nachweisbar, daß beispielsweise in Mecklenburg auf den Domanialgütern und denjenigen Rittergütern, welche in der Nachbarschaft von Bauerndörfern liegen, von einem Arbeitermangel kaum gesprochen wird, daß also diese Nachbarschaft den Gütern hinlänglich Arbeitskräfte verschafft. Das steht ja in Uebereinstimmung mit der Tendenz der Entwicklung im Osten, welche in Dörfern wohnende freie Arbeiter an Stelle der kontraktlich gebundenen Arbeiter zu setzen im Begriff ist. Jedoch mit diesen Arbeitskräften allein, – das möchte ich etwas schärfer als Herr Professor Knapp und auch als das neue Werk von von der Goltz betonen, wird ein großes Gut nicht entfernt wirtschaften können. Nicht einmal die süddeutschen großen Höfe können es. –

Eine zweite und meines Erachtens praktisch wichtigere Form nun, in welcher der Großgrundbesitz der Zukunft sich Arbeiter wird verschaffen können, ist, wie ich glaube, und schon hervorgehoben[465] habe, ein pachtartiges Verhältnis in Kombination mit einem Arbeitsvertrag, unter Spannhilfe des Herrn für das fest abzugrenzende Land des Arbeiters. Alle die Momente, welche das Instverhältnis heute der Auflösung verfallen lassen, die Unmöglichkeit, Scharwerker zu stellen und zahlreiche andere Umstände fallen weg, wenn ein Pachtverhältnis geschaffen wird. Es zeigt sich auf denjenigen Gütern, welche zu einer derartigen Kombination von Parzellenpacht mit Auflegung der Arbeitsverpflichtung übergegangen sind, daß ihre Arbeitsverhältnisse relativ erträglich, zum Teil, wie in denjenigen ostholsteinischen Verhältnissen, welche der Graf Holstein schildert, geradezu ausgezeichnete sind. Es läßt sich ja gewiß auch dieses Verhältnis ausbeuten zuungunsten der Arbeiter, und das ist teilweise geschehen. Ich glaube aber, daß das kein dauerndes Moment sein wird, denn ich glaube, daß einer Verbesserung der Stellung solcher Pächter entgegenkommen wird das Bedürfnis der Großgrundbesitzer nach Abstoßung des Areals, welches nicht abnehmen, sondern zunehmen wird. Was die Stellung solcher Arbeiter anlangt, so fehlt hier die Gebundenheit an die Scholle, es bestehen die Vorteile der eigenen Wirtschaft, es besteht die Interessengemeinschaft mit dem Gutsherrn – in andrer Weise wie bei den Instleuten –, und es kommt angemessen zum Ausdruck, daß für die höchststehenden Elemente der Arbeiterschaft das Arbeitsverhältnis nur ein Durchgangsstadium sein soll. Daraus, daß ich also voraussetze, daß eine derartige Entwicklung und Gestaltung des Arbeitsverhältnisses im Osten möglich und wahrscheinlich ist, daraus folgt eine letzte Forderung, oder vielmehr eine Bitte, welche sich richtet an die Domänenverwaltung.

Es ist nicht nur möglich, sondern auch wünschenswert, daß der Staat als größter Grundbesitzer mit gutem Beispiel auf diesem Gebiete vorangeht. Wir sind nicht in der Lage, die Gestaltung der Arbeitsverfassung auf den großen Gütern irgendwie auf dem Wege des Zwanges unmittelbar zu fördern; wir sind aber in der Lage, die Entwicklung indirekt zu fördern, indem wir die Praktikabilität einer Umgestaltung in unsrem Sinne zeigen. Dem Vernehmen nach soll der gegenwärtige Herr Minister für Landwirtschaft aus eigener Initiative bereits die Absicht haben, in den Bedingungen der Pachtkontrakte der Domänenpächter eine Aenderung herbeizuführen. Die preußischen Domänenpachtkontrakte enthalten in den allgemeinen Bedingungen[466] § 27 das Verlangen der Vorlegung einer großen Anzahl Listen: Ernte-, Erdruschlisten usw. Die Lohnlisten finden sich zur Zeit darunter nicht und es wäre wohl wünschenswert, daß diese Lohnlisten sich künftig darunter befänden. Dies wäre die einzige Möglichkeit, einmal ganz präzises und vergleichbares typisches Material aus den verschiedenen Provinzen des Landes zu gewinnen. Im Gegensatz zu den mecklenburgischen Domanialpachtkontrakten enthalten ferner die preußischen Domanialpachtkontrakte irgendwelche Vorschriften, welche den Domänenpächter anweisen, in welcher Weise er seine Arbeiter zu stellen hat, nicht. Es ist aber möglich, derartige Vorschriften aufzunehmen und es ist meines Erachtens auch sozialpolitisch richtig. Ich will mich auf die Einzelheiten nicht einlassen; ich glaube, daß es möglich wäre, sowohl in bezug auf die Wohnung in allererster Linie – einen Gedanken, den auch Professor von der Goltz vertritt – als auch in bezug auf die Gewährung von Land an die Arbeiter gegen Pacht bis zu einer gewissen Größe, etwa zu dem Durchschnittspreise der Domänenpachtrente, als endlich auf die Viehhaltung der Arbeiter Vorschriften zu treffen, und ich hoffe, daß ein Modus gefunden werden wird, in welchem diesem Wunsche nachgekommen werden kann.

Meine Herren, ich bin am Ende dieser unter dem Zwang der Umstände nicht eben sehr systematisch gestalteten Ausführungen. Sie werden vielleicht den Eindruck nicht ganz verloren haben, daß ich unter dem Druck einer gewissen Resignation gesprochen habe, und daß diejenigen Forderungen, soweit sie überhaupt positiver Art sind, welche ich versucht habe, hier aufzustellen, gleichfalls das Produkt einer solchen Resignation sind, – und das ist in der Tat der Fall. Indessen, – ich habe ja hier die Ehre, zu überwiegend älteren und erfahreneren Herren zu sprechen, als ich es bin – es ist das begründet in der Differenz der Situation der älteren Generation zu den seinerzeit Ihnen, meine Herren, gestellten Aufgaben gegenüber derjenigen Situation, in welcher wir Jüngeren uns heute befinden. Ich weiß nicht, ob alle meine Altersgenossen es in gleich starkem Maße empfinden, wie ich in diesem Augenblick: es ist der schwere Fluch des Epigonentums, der auf der Nation lastet, von ihren breiten Schichten herauf bis in ihre höchsten Spitzen: Wir können die naive enthusiastische Tatkraft nicht wieder aufleben lassen, welche die Generation vor uns beseelte, weil wir vor Aufgaben andrer Art[467] gestellt sind, als unsere Väter es seinerzeit gewesen sind. Sie haben um uns ein festes Haus gebaut, und wir sind eingeladen, darin Platz zu nehmen und es uns darin wohl sein zu lassen. Die Aufgaben, die uns gestellt, sind anderer Art. Wir können dabei nicht an große, der gesamten Nation gemeinschaftliche Empfindungen appellieren, wie es der Fall war, als es sich handelte um die Schaffung der Einheit der Nation und einer freien Verfassung. Wir stehen aber diesen Aufgaben auch als Menschen anderer Art gegenüber. Wir sind frei von zahllosen Illusionen, welche erforderlich sind, damit ein solcher Enthusiasmus sich auf ihnen aufbaut. Damit das Deutsche Reich geschaffen wurde, sind Illusionen ungeheurer Art nötig gewesen, die jetzt mit den Flitterwochen der Reichseinheit verflogen sind und die wir uns nicht künstlich und nicht auf dem Wege der Reflexion zu reproduzieren vermögen.

Wenn jetzt ein Feind an der Ostgrenze erschiene und uns mit Kriegsmacht bedrohte, so bestände kein Zweifel, daß die Nation sich hinter den Fahnen sammeln würde, um die Landesgrenzen zu verteidigen. Wenn wir aber die friedliche Verteidigung der östlichen Grenze des Deutschtums unternehmen wollen, stoßen wir auf verschiedene sich widerstreitende Interessen. Schauen wir uns um nach Bundesgenossen, so muß, zum Teil wenigstens, diese Verteidigung unternommen werden gegen das Interesse des Großgrundbesitzes, sie muß unternommen werden gegen die Instinkte weiter manchesterlich-freihändlerisch gesinnter Teile der Bevölkerung, welche Ausnahmemaßregeln darin finden und fürchten, daß diese sich auch auf andere Gebiete erstrecken könnten. Und wenden wir uns endlich an das Proletariat – ja, die Zeit ist noch fern, wo wir in der Lösung sozialer Aufgaben dem Proletariat der Städte die Hand werden reichen können. Ich hoffe, daß das kommen wird; zur Zeit ist meines Erachtens noch nicht die Rede davon. Es läge ja die Versuchung nahe, hier gegen den Sozialismus in der üblichen Art in contumaciam zu verhandeln. Ich weiß nicht, ob seine Vertreter, die vielleicht hier anwesend sind, das Wort ergreifen werden, und deshalb vermeide ich vorerst eine Auseinandersetzung. Ich bin der Ansicht, daß wir durch die Wahrung unsrer Nationalität im Osten auch dem Sozialismus vielleicht wider seinen Willen einen Gefallen tun, denn wenn auch nur einige seiner Postulate in Erfüllung gehen sollten, so bedarf er einer kulturell sehr hochstehenden[468] Arbeiterbevölkerung, und ich glaube, wenn wir eine solche hochstehende Arbeiterbevölkerung zu erhalten bestrebt sind – und ihre Erhaltung ist in unserm konkreten Falle nur möglich auf dem Boden der Nationalität – so vertreten wir dadurch Interessen, deren Förderung ihm nicht gerade als Handlung der Feindseligkeit gegen seine Ziele erscheinen dürfte.

Eins aber, meine Herren, ist es in dieser Frage, was uns bei aller Skepsis allerdings leidenschaftlich zu bewegen geeignet ist. Es ist im sozialen Leben die Regel, daß das Eingreifen des Staats in wirtschaftliche Verhältnisse kommt, wie die Reue, als hinkender Bote, – zu spät. Hier zum erstenmal tritt seit langer Zeit eine Aufgabe an den Staat heran, deren Inangriffnahme nicht zu spät ist, für die jetzt der richtige Moment ist, für welche es aber zu spät werden kann. Und das eben ist die eigenartige Größe der Situation. – Wenn wir der Lösbarkeit dieser Aufgabe auch noch so skeptisch gegenüberstehen – denn es ist aus hundert Gründen möglich, daß die innere Kolonisation mißlingt, und wenn wir keinen Erfolg haben, nun, dann werden wir doch dereinst das beruhigende Bewußtsein in uns tragen, ebensogut wie irgendein Heer, welches das Land verteidigt, an der Ostgrenze des Deutschtums auf der Warte gestanden zu haben. Aber freilich, meine Herren, wir stellen höhere Ansprüche an die Zukunft, wir glauben, daß sie die Wechsel, welche wir auf sie ziehen, einlösen wird, wir hoffen, daß uns dereinst am Abend unserer Tage vergönnt sein wird, was uns die Jugend versagte: mit ruhigem Blick in die Zukunft der Nation auf Grundlage einer gefestigten sozialen Organisation des Staates und des Volkes an die Lösung der Kulturaufgaben, welche uns alsdann gestellt werden, gehen zu können. Wir hoffen, dereinst rückblickend sagen zu können: an diesem Punkt hat der preußische Staat seinen sozialen Beruf rechtzeitig erkannt; er hat eingegriffen in die Speichen des Rades der sozialen Entwicklung aus eigener Initiative und mit Erfolg, und er hat diesen Eingriff gewagt zum erstenmal zur rechten Zeit![469]


Fußnoten

1 Referat auf der Tagung des Vereins für Sozialpolitik im Jahre 1893.


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988.
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