Grönländer

[223] Grönländer (Rel. der). Die Völker dieser grossen, noch wenig durchforschten Insel glauben an eine Beseelung aller Gegenstände, welche sie umgeben. Die Geister überhaupt heissen Innuet, d.h. Beherrscher, und grösstentheils haben die der einzelnen wahrnehmbaren Gegenstände noch ihren eigenen Namen. Malina und Aniunga sind die Beherrscher von Sonne und Mond; sie waren vorher Menschen, wurden durch besondere Schicksale an den Himmel versetzt und führen dort jetzt in Gesellschaft der Sterne ein sehr angenehmes Leben. Ihre Nahrung bedingt ihre Farbe, so dass sie bald röther, bald gelber aussehen. Die Planeten sind Frauen, welche einander besuchen, daher man öfter welche bei einander sieht. Die Beherrscher der Luft heissen Innerterirsok und Erloersortok; die Meergeister Konguesetokit und der Eisbeherrscher Sillagigsartok. Die Geister des Feuers heissen Ingersoit. In den Bergen hausen grosse Geister und kleine Gnomen, Tannersoit und Innuarolit. Die Kriegsgötter Erkiglit, die Nahrungsgeister Nerrim Innuet etc. sind überall verbreitet, und diese, wie alle vorigen, lassen[223] sich durch Hülfe der Zauberer und durch geheime, nur diesen bekannte Mittel dahin bringen, den Menschen Schutzgeister zu werden. Ein solcher Schutzgeist heisst dann Torngak, der grosse Geist aber, der Beherrscher aller Innuets und Torngaks, heisst Torngaseak, ihn fragen die Zauberer in Allem um Rath. Die Frau oder Mutter dieses grossen Geistes ist ein sehr gefürchtetes Wesen; sie ist die Tochter des Zauberers, welcher das Land Disko (Grönland) vom festen Lande abgerissen und hundert Meilen nach Norden geschoben hat; sie wohnt unter dem Meere und ist den Menschen dadurch sehr schädlich, dass sie die Seethiere an ihre Wohnung gefesselt hält. Dauert der Mangel zu lange Zeit, so muss ein Zauberer in ihren Palast und die Loslassung der Seethiere bewirken. Der unsichtbare Beherrscher des Weltalls - Silla oder Pirksoma - ist der unbegreifliche, allwissende, eigentliche Gott, doch ist ihm so wenig als einem andern Götzen eine Art Cultus geweiht. Die G. haben keine Religion, wenn man unter diesem Namen Gottesdienst, allgemeine, öffentliche, mit gewissen feierlichen Ceremonien verbundene Verehrung oder Anbetung eines höchsten Wesens versteht. Nur wenn ein junger Bursche den ersten Seehund gefangen, oder ein Rennthier geschossen hat, legen sie ein Stück Speck oder Fleisch, in einen Fetzen der Haut eingewickelt, unter einen Stein, als Opfer gewissermassen, um eine gute Jagd zu haben. Zur Zeit der Winter-Sonnenwende begehen sie ein lustiges Tanzfest, weil nun die Sonne bald wieder erscheint, und die Zeit der Jagd und des Fischfanges eintritt. Von den Traditionen sind einige merkwürdig, weil sie die Sitten des Volkes bezeichnen. Sonne und Mond sind Geschwister. Letzterer liebte seine Schwester, die überaus schön war, durfte aber diese verbotene Flamme nicht gestehen, daher kam er auf den Einfall, allemal im Winter bei ihren Spielen die Lampen zu verlöschen und seine Schwester zu liebkosen. Diese wollte wissen, wer ihr Liebhaber sei, machte sich daher die Hände russig, und bestrich ihm Gesicht und Kleider damit; nun kam sie mit Licht herein, erkannte ihren Bruder und entfloh; der Bruder zündete ein Büschel Moos an, um seinen Weg zu beleuchten und ihr zu folgen; das Moos aber erlosch, während sie mit ihrem Licht entkam und an den Himmel versetzt wurde. Der Mond verfolgt sie nun noch immer gleichfalls an dem Himmel, und die Flecken, welche er hat, sind die Russstreifen von ihrer Hand. Von seiner Jagd müde und hungrig, wird er immer magerer, bis er auf die Erde herabkommt (während des Neumonds) und sich so voll mit Speise pfropft, dass er so dick und fett wird, wie er zur Vollmondszeit ist. Sein Schein ist den Weibern, welchen er sehr nachstellt, höchst gefährlich, und nicht selten erscheinen bei jungen Mädchen sichtbare Zeichen seiner Neigung. Zur Zeit einer Mondsfinsterniss kommt er auf die Erde herab, um sich Hausgeräthe einzusammeln; dann verbirgt man Alles vor ihm, und die Männer tragen Kästen, Trommeln, Blechgefässe auf die Dächer und machen damit grossen Lärm, um ihn zu verscheuchen. Bei Sonnenfinsternissen gehen die Männer niemals aus, auch die Weiber nicht bei Mondsfinsternissen, weil dann das Nahen des Mondes am gefährlichsten ist. Die Sonnenfinsterniss bedeutet den Weltuntergang, daher die Frauen zur Zeit einer solchen die Hunde schlagen und in die Ohren kneifen, um zu hören, ob sie schreien; wenn das nicht der Fall ist, so waren sie aus Vorgefühl des Unterganges traurig, und achteten der kleinen Schmerzen nicht; schreien sie, so ist es eine gute Vorbedeutung: die Welt bleibt noch stehen, aber auf schwachen Füssen, denn die Stützen, welche sie tragen, sind sehr alt und schlecht, die Weisen, die Zauberer müssen immerfort daran flicken; sie bringen oft faules Holz von diesen Balken, auf denen die Erde ruht, mit an die Oberfläche derselben als Beweis für ihre Behauptung. Der Himmel ruht auf der Spitze eines Berges am Nordpol, um welchen er sich täglich dreht. Von der Sternkunde haben sie gar keinen Begriff, was um so auffallender ist, als die Gestirne während der langen, fast halbjährigen Nacht das einzige Mittel zur Zeitbestimmung bieten; vom Donner und Blitz sind sie dagegen sehr gut unterrichtet: diese entstehen nämlich daher, dass zwei alte Weiber, welche eine Holzhütte im Himmel bewohnen, sich um eine trockene, ausgespannte Robbenhaut zanken; so oft sie bei diesem Zank mit der Faust auf das Fell schlagen, gibt es einen Donnerschlag; wenn nun von dem Streit das Haus zusammenstürzt und die brennenden Scheiter niederfallen, so entsteht der Blitz. Auch der Regen findet seine genügende Erklärung: die Seelen wohnen im Himmel, am Rande eines mit Dämmen umgebenen See's. Wenn dieser See schwillt, dass sein Wasser über die Dämme tritt, so bildet das überlaufende den Regen. Auch in ihren Traditionen finden wir einen Adam, einen Noah und eine Sündfluth. Kollak hiess der erste Mensch, aus dessen Daumen die Frau entstand, von welcher alle Menschen abstammen. Als nach langen Jahren die Erde in's Meer sank, blieb nur ein Mann übrig, welcher die neue Generation schuf. Einen Begriff von Seele haben sie auch, allein sie glauben an zwei, die jeder Mensch besitzt: diese sind der Schatten und der Athem; beide sind vielen Beschädigungen ausgesetzt, können jedoch durch die Zauberer ausgebessert werden. Die Seelen wandern zum Theil in andere Körper, zum Theil werden sie in den Himmel versetzt, wo sie eines ewigen Wohllebens geniessen; doch ist dahin eine gefährliche Reise zu bestehen: fünf Tage lange müssen sie über einen steilen Felsen hinabrutschen, welcher davon ganz blutig ist; um diese Fahrt nicht zu beunruhigen, müssen die Hinterbliebenen sich während derselben jeder geräuschvollen Arbeit enthalten. - Die Eskimo's haben dieselben Religions-Vorstellungen, wie die G.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 223-224.
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