Krischna

Fig. 192: Krischna
Fig. 192: Krischna

[301] Krischna, (Ind. M.), Wischnu in seiner berühmtesten, erhabensten Verkörperung, in seiner eigentlichen Menschwerdung. Er ward als Sohn des Wasadewa und der Dewagni (jener war aus dem Stamme des Yadawen, diese aus dem Stamme des Königs Ugra von Mathra) geboren. Von ihm war dem König Kamsa geweissagt worden, dass er (der König) durch jenen besiegt und des Lebens beraubt werden würde, daher ward schon vor seiner Geburt das unglückliche Kind verfolgt; Kamsa sperrte Schwester und Schwager ein, und jedes neue Wesen, das dem Schoosse der Dewagni entspross, ward durch den König ermordet, bis das siebente, Bala Rama, und das achte, K., durch göttliche Hülfe gerettet wurde. Bhawani selbst, Schiwa's erhabene Gattin, trug den Bala Rama in den Schooss der Rodni, der ersten Gattin des Vaters des K., und liess es durch dieselbe geboren werden. Diess geschah auch mit K., welcher der Ysodha, der Gattin des Schäfers Nanda, übergeben wurde. Schon als Dewagni mit K. in Hoffnung war, erschienen wunderbare himmlische Zeichen, welche den Kamsa immer besorgter machten und ihn immer grausamere Massregeln zu seiner Sicherheit ergreifen liessen; als aber K. geboren wurde, befahl die Stimme eines unsichtbaren, das Bett der Wöchnerin umschwebenden Wesens, das Kind zur Ysodha zu tragen, dagegen das eben zur Welt gekommene jener Frau zurückzubringen. - Obschon nun Kamsa die unglückliche Mutter des K. auf's Sorgfältigste mit Wachen umgeben hatte, so geschah diess Alles doch, ohne dass man es bemerkte, und K. war schon geborgen, als Kamsa, dem man die Geburt eines Mädchens verkündete, herbeikam und auch dieses Kindes Tod befahl; doch der Wuth des Tyrannen entschwand das Mädchen, welches eine Verkörperung der Bhawani war, und noch aus der Luft herab drohete sie dem ohnmächtig ihr Nachstarrenden die baldige Erfüllung des Schicksalsspruches durch den schon geborenen und in Sicherheit gebrachten K. Obgleich nun Kamsa in Verbindung mit allen bösen Dämonen dem Schützling der Götter immerfort nach dem Leben trachtete, so war doch K. den Nachstellungen glücklich entzogen; er wuchs unter den blühenden Milchmädchen, auf den Ländereien seines Pflegevaters, empor, spielte ihnen tausend lose Streiche, von denen die Gemälde, die Sculpturen in den Tempeln und die indischen Gedichte wimmeln. - Als Jüngling bezauberte er durch sein wunderbares Flötenspiel Menschen und Thiere, - als Flötenspieler stellt ihn unser Bild dar - und bekundete dann durch seltene grosse Thaten und Wunder seine erhabene Sendung. Er tödtete die Schlange Kalinak, ein Ungeheuer, welches ihn tausendfach umwand, dem er aber doch den Kopf zertrat; seine Milde indessen gestattete nicht, dass er das Unthier tödte, er liess es entschlüpfen, ja er verlieh ihm, weil es mit einem Gotte gekämpft, doppelte Stärke. - Durch diese That und hundert andere war Kamsa überzeugt worden, dass der gefürchtete K. in keinem anderen, als in dem so wunderbar erhaltenen Jüngling zu finden sei; desshalb lud er ihn selbst in seine Residenz ein, um ihn dort zu verderben, allein jede Gefahr ward von dem kühnen Gottjüngling überwunden, und endlich von seiner Hand der schreckliche Kamsa getödtet, Vater und Mutter aus dem Gefängniss, in welchem sie noch immer schmachteten, befreit, und der Bruder aufgesucht. - K. vermählte sich nun mit acht Prinzessinnen, besiegte einen falschen K., der sich für eine Verkörperung des Wischnu ausgegeben, stand den Pandu's gegen die Kuru's bei, besiegte dann den Riesenkönig Bhumasser und erlöste aus dessen Gefangenschaft 16,000 Prinzessinnen, welche er für sich zu Gemahlinnen nahm, mit jeder so liebevoll und zärtlich lebend, dass jede glaubte, er gehöre ihr ganz allein! - Jetzt setzte K. sich zur Ruhe, liess von Wiswakarma, dem himmlischen Baumeister, sich eine Insel im Meere und auf dieser die Stadt Dwarka bauen, in welcher jede seiner 16,008 Gemahlinnen einen abgesonderten, überaus prächtigen Palast hatte, welcher von Gold und edlen Steinen strahlte. Alles diess war zwischen Abend und Morgen geschehen, so dass[301] er, nachdem der Befehl zur Erbauung von ihm ausgegangen, schon am nächsten Tage die Stadt der Wunder mit seinem zahlreichen Serail beziehen konnte. 160,080 Söhne waren die Früchte dieser Verbindungen, indem jede Gemahlin ihm zehn Söhne gebar. Leider ahmten sie die Tugenden ihres Vaters nicht nach, und er war zuletzt genöthigt, zu gestatten, dass der heilige Durkassa sie verfluchte. Darauf bereitete er sich vor, die Welt zu verlassen, weil der Zweck seiner Menschwerdung, die Beglückung Indiens unter der Regierung der Pandu's und die Besiegung der bösen Herrscher und Dämonen, erfüllt war. Zuerst ging sein Bruder Bala Rama, eine Verkörperung der Weltschlange Adisseschen, zu den Göttern; dann im 125sten Jahre seines Lebens übergab auch K. sich seinem Geschicke: mit unbeschuheten Füssen legte er sich unter einen Baum schlafen; der Glanz des göttlichen Zeichens unter seinen Sohlen lockte entweder eine Schlange oder den Jäger Jura herbei, welcher eine Gazelle zu treffen wähnte, und den Gott tödtlich verwundete, wie diess geschehen musste, da Wischnu in einer frühern Verkörperung den Vater des Jura getödtet. - Was K. in Hinsicht auf seine Sohne geweissagt, ging in Erfüllung: ihr böses Leben und der Fluch des weisen Durkassa zog ihren Untergang nach sich; sieben Tage nach K.s Tode war die Stadt Dwarka mit Allem, was sie enthielt, vom Meere verschlungen; 36 Jahre später aber hörte das Weltalter auf, in welchem der Gott gelebt, und es begann ein neues, das jetzige. - Des Gottes früheste Gemahlin, noch in seinem Schäferstande gewählt, war Radha, eine Verkörperung der Göttin der Schönheit, Lakschmi; sie geniesst fast gleicher Verehrung mit ihm, und die Indier, welche K. als höchsten Gott verehren, theilen sich in drei Secten: in solche, die ihn allein, in solche, die K. und Radha, und in solche, die Radha allein anbeten; als Krischnaiten unterscheiden sich alle drei von den übrigen indischen Religionen dadurch, dass sie zwei weisse Striche, über die Stirn senkrecht von den Augbrauen aufwärts gezogen, haben, zwischen denen ein rother Fleck befindlich ist (weil K. selbst eine Sonne an der Stirne trug).

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 301-302.
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