Temalakatl

[426] Temalakatl (Mex. Rel.), der Fechter-Opferstein zu Tenochtitlan, oder jeder andern mexikanischen Stadt von einiger Grösse. Ein solcher befand sich jedesmal im Mittelpunkt einer Terrasse auf einem freien, viele Zuschauer fassenden Platze in der Nähe der Haupttempel. Der zu Mexiko, welchen wir besonders genau kennen, da er nach mehrhundertjähriger Verborgenheit unter dem Erdboden wieder gefunden und sorgfältig beschrieben wurde, hatte 11/10 Metre (etwas mehr als 3 Fuss) in der Höhe, war vollkommen cylindrisch gestaltet, hatte einen Durchmesser von 3 Metre oder 91/4 Fuss und war ringsumher mit zwanzig Paaren Figuren in erhabener Arbeit geziert, welche einen mexikanischen Krieger darstellten, wie er einem andern, wahrscheinlich überwundenen, feindlichen Krieger die Hand auf das Haupt legt, und dieser ihm zum Zeichen der Unterwürfigkeit Blumen überreicht. Auf der obern geraden Fläche des Steines befand sich ein Ring, in welchen der zu Opfernde mit einem Fuss gefesselt wurde. War in einem Kriege ein Feldherr, ein König, ein überaus tapferer Befehlshaber gefangen worden, so ward er bestimmt, auf diesem Steine sich die Freiheit oder den Tod zu erkämpfen. Mit einem hölzernen Helm, Schilde und Schwert versehen, das jedoch an seiner Schärfe mit lauter dünnen Chalcedonblättchen ausgelegt war und so zu einer furchtbaren schneidenden Waffe wurde, ward er mit dem rechten Fusse an dem Ringe befestigt, doch so, dass er denselben etwas vor- und zurückbewegen konnte. Ein, gleich ihm bewaffneter, mexikanischer Krieger erhob sich nun auf den Fechterstein und begann mit jenem einen Kampf auf Leben und Tod, in welchem nicht selten der Gefesselte als Sieger über mehrere seiner Feinde hervorging; wenn ihn aber das Glück über sechs Gegner triumphiren liess, erhielt er seine Freiheit und ward, mit Ruhm und reichen Geschenken überhäuft, in sein Vaterland entlassen. Der grosse Stein, welcher in Mexiko nahe der Domkirche gefunden ward, scheint zu dem ehemals dort befindlichen grossen Tempel gehört zu haben, und wahrscheinlich verblutete auf ihm der berühmte Tlahnicol, der Heerführer der Tlaskalaner; er ward von den Azteken gefangen: der zweite, Montezuma, wollte ihm aus Achtung und Freundschaft die Freiheit schenken, Tlahuicol sagte jedoch, dass er die Schande, Gefangener gewesen zu sein, nicht tragen wollte, und bat daher, auf dem Opferstein als Fechter sterben zu dürfen. Nach wiederholten Versuchen, ihn von diesem Entschluss abzubringen, gab der König nach; prächtige Feste wurden nun veranstaltet, und als diese acht Tage gedauert, er auf dem T. befestigt; hier verwundete er zwanzig und tödtete acht der mächtigsten Krieger und Feldherren der Azteken, bis er von dem Neunundzwanzigsten durch einen mächtigen Schlag auf den Kopf niedergeschmettert wurde. Es wird erzählt, dass er diesen Opfertod für sein Volk gestorben sei, und, bevor man ihm die Brust aufriss, um, wie üblich, sein Herz dem Kriegsgotte darzubieten, gerufen habe: »jetzt solle Tlaskala sich erheben, denn die Azteken hätten keine Feldherren mehr.« Es geschah, und sein Volk erfocht den vollständigsten Sieg. Die Sache an sich ist keineswegs unmöglich, allein bei dem gänzlichen Mangel an genauen Nachrichten aus der frühern Geschichte von Mexiko doch immer zweifelhaft; dass Tlahuicol aber auf die angegebene Weise gestorben, scheint so gewiss, als dass in Mexiko überhaupt jährlich wenigstens zwanzigtausend feindliche Krieger geschlachtet wurden, und dass man in der Regel nur Kriege führte, um Gefangene zu machen, die man opfern konnte.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 426.
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