Tüchlein

* Du bist ein liederliches (schlechtes) Tüchlein.

Der Oesterreichische Schulbote (Wien, 1874, S. 579) bemerkt dabei: »Wir Schulmeister sagen oft zu einem leichtsinnigen, nachlässigen und faulen Schüler: Du bist ein liederliches Tuch oder ein schlechtes Tüchlein und denken gar nicht daran, dass dieser Ausdruck mit dem uralten Gebrauch der Kleidervertheilung zusammenhängt.« In Oberdeutschland ist an manchen Orten noch der Brauch, dass sich Dienstboten zu ihrem Jahreslohn ein Leinenhemd und ein Paar Schuhe einbedingen dürfen. Auch an Schüler wurde ehemals als Belohnung ein Stück Tuch verabreicht, und in Basel soll es jetzt noch üblich sein. In der Zeitschrift für deutsche Philologie (S. 464) schreibt Rochholz über die sprichwörtliche Redensart: »ein schlechtes Tuch sein«, Folgendes: »In der Stadt Basel sind Stiftungen zur Bekleidung der Armen schon vor dem grossen Erdbeben nachweisbar, das hier 1356 am Lukastage den 18. Oct. losbrach und kaum hundert Häuser unbeschädigt liess. Der Rath verordnete sodann eine alljährlich auf diesen Tag abzuhaltende Procession an, wobei alle angesehenen Bürger in grauen Röcken zu erscheinen hatten, die man darauf an die Armen schenkte. Sie hiessen Lukasröcke oder das Luxentuch. Hieraus entwickelte sich eine besondere Stiftung, aus welcher bisjetzt gegen 280 Stadtarme alljährlich am Lukastage neugekleidet werden. Zur Zeit der Kirchenreform gestattete man sich, einen Theil der Stiftung zu Gunsten der Schulen zu verwenden, und so wird mit dem 17. Jahrhundert die Vertheilung des Luxentuchs an arme Schüler üblich. Hierfür besteht nun ein eigener Fond, fiscus vestiendorum, der auf 12000 Francs alter Währung angewachsen ist. Aus den Zinsen und dem Almosen, welches noch immer am Gedächtnisstage eingesammelt wird, kleidet man die Dürftigen des Gymnasiums, der Realschule und der vier Elementarschulen. Die Zahl der jährlich hierdurch Gekleideten soll sich auf tausend belaufen.« Der basler Schulkatalog vom Jahre 1846 (S. 33) berichtet: »Leider konnte das Tuch nicht allen Schülern, welche sich gemeldet, verabfolgt und manchen musste es auf Besserung zurückgelegt werden. Wegen allzu grossen Unfleisses und schlechten Betragens konnte es 21 Schülern gar nicht gegeben werden. Hier sind also die misrathenen Schüler, die eigentlichen liederlichen Tüchlein, in unmittelbaren Zusammenhang mit dem grauen Prämientuch gebraucht.«

Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 1. Leipzig 1867, Sp. 1356.
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