Das milchweiße Mäuschen.

[83] Ein milchweiß Mäuschen war einmal

Von einer großen Mäusezahl

Die einz'ge ihrer Art;

Ihr Fellchen war dem Atlas gleich,

So glatt, so glänzend und so weich,

Sie selbst war klein und zart.


»Kind!« sprach die Mutter einst zu ihr,

»Noch kennst du nicht das böse Tier,

Die Katze, unsern Feind,

Sie lauert auf in finstrer Nacht;

Dein Fell ist weiß nimm dich in acht!

Mein Rat ist gut gemeint.
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Auch vor der Eule hüte dich;

Dir fehlt Erfahrung wie man sich

Gefahren, klug entzieht.« –

Das Mäuschen dünkt sich klug und spricht:

»O Mutter, sorgt für mich nur nicht,

Ich weiß schon, wie man flieht!«


Nun ging es einstens auf den Schmaus

Des Abends ohne Mutter aus,

Und tanzte frisch und keck;

Doch da es wieder heimwärts ging,

Da kam die Eule schnell und fing

Mein weißes Mäuschen weg.


»Ach!« rief's, »wie war ich doch bethört,

Hätt' ich der Mutter Rat gehört,

So litt' ich nicht den Tod!«

Allein das weiße Mäuschen schrie

Umsonst, die Eule speiste sie

Zu ihrem Abendbrot.

Bertuch.

Quelle:
Adelfels, Marie von: Des Kindes Anstandsbuch. Stuttgart [1894], S. 83-84.
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