Eidschwurformalität.

[33] Das Kloster Dönebrok in Ostfriesland zankte sich im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts [33] mehrere Jahre lang mit verschiedenen Eingesessenen in der angränzenden Kommune Bellingvolde im Gröningerlande, über den Besitz einiger Ländereien. Endlich traten im Jahre 1521 der Graf Edzard von Ostfriesland und der Bischof Erich von Münster ins Mittel, um den Streit zu schlichten. Jener sandte seinen Geheimen Rath Ulrich von Dornum, und dieser seinen Drosten von Neuenhaus, Hans Scherpenborg, zu den streitenden Parteien. Die Vermittler ließen durch besondre Schiedsrichter die Parteien verhören, und die bestrittene Gegend in Augenschein nehmen. Sie wünschten, daß der Commendator des Klosters zur Vermeidung größerer Kosten und Mühe, den Bellingvoldern nur einen kleinen Strich Landes in der Güte zukommen lassen möchte, womit diese sich begnügen wollten. Aber der Commendator weigerte sich des, mit der Bemerkung, daß er die Güter des guten St. Johannis (dem das Kloster gewidmet war,) nicht weggeben dürfe.

Hierauf wurde dem Kloster der Erfüllungseid auferlegt, so daß der Commendator desselben, [34] nebst zwei Konventualen, den seit undenklichen Jahren gehabten Besitz der streitigen Ländereien für das Kloster beschwören sollten. Der Commendator übernahm den Eid, und die Bellingvolder beruhigten sich ebenfalls bei demselben, nur verlangten sie zugleich, daß der Commendator das Land, welches er dem Kloster zuschwören wollte, vorher mit seinen Füßen betreten, und von Einem Ende zum andern darüber gehen sollte: eine Forderung, die sich in damaligen Zeiten, und nach den verschiedenen Solennitäten, die bei einem Eidschwure beobachtet wurden, nicht verwerfen ließ. Indeß war sie für die Klosterherren nicht ohne Schwierigkeit, und von den Gegnern mit List gewählt, – denn das streitige Land war sehr niedrig, und stand an einigen Stellen tief unter Wasser.


So wenig nun die Geistlichen die verlangte Promenade für ihren feisten Körper interessant finden konnten, so mußten sie sich doch, weil sie den heil. Johannes mit hereingezogen hatten, und ihre Ehre dabei auf dem Spiele zu stehen schien, [35] dazu entschließen, und sonach hatten die Bellingvolder, so wie die gegenwärtige Commission, das seltene Vergnügen, – den wohlbeleibten Commendator des Klosters mit zwei nicht minder begabten Konventualen, in Begleitung eines Notarius, über das streitige Land wandern, und die überschwemmten Stellen, so gut sie konnten, durchwaten zu sehen. Zum Frohlocken der Bellingvolder mußten sie zwar auf einigen Stellen ausweichen, die ihnen gar zu tief vorkamen, dagegen sie jedoch auf den meisten selbst ihren Bauch an das Wasser wagten. Nach der vollbrachten beschwerlichen Wanderschaft leisteten sie den verlangten Eidschwur, und der Streit war beendigt.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 33-36.
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