Wie man sich in Gesellschaften zu verhalten hat.

[59] Es ist leicht, sich in Gesellschaften so zu benehmen, daß man nicht mißfalle oder sich lächerlich mache, wenn man sich so verhält wie folgt:

Kömmt man in eine Gesellschaft, wo Männer versammelt sind, denen man Achtung schuldig ist, so darf man sich nicht vorwitzig in ihre Gespräche mischen und noch weniger ein Urtheil über Sachen aussprechen, die man nicht versteht; weit besser ist es, wenn man sich ganz ruhig verhält und nur selten einige gründliche Worte sagt; denn sobald man nicht vorwitzig seine Urtheile sagt, wird es in der Gesellschaft[60] gewiß heißen: es ist ein artiger stiller Mensch Kömmt man mit Bekannten zusammen, so ist es natürlich nicht nöthig, sie allein erzählen zu lassen, sondern man kann sein Urtheil frei sagen. Werden jedoch unerlaubte Scherze getrieben, so ist es besser man schweigt dazu, weil man selbst hierdurch in der Achtung der Bekannten steigt. Nicht genug ist jedoch Jedermann Verschwiegenheit zu empfehlen, denn tägliche Beispiele zeigen uns, wie gefährlich es ist, Geheimnisse Andern mitzutheilen. Nie verleugne man sein Geschäft, oder Eltern die geringer sind als wir. Vor Gott sind wir alle gleich und steigen auch hierdurch in der Achtung vernünftiger Men schen. Man prahle auch nicht, weil dieß leicht Neid erweckt, und aus Neid entsteht gar leicht Haß.

Kömmt man in eine Gesellschaft, wo Herren und Damen sind, so muß man erst den Damen und dann erst den Herren eine Verbeugung machen. Wenn ein Fremder in einer [61] Gesellschaft erscheint, so muß ein Freund oder der Wirth diesen den Gästen vorstellen, wobei man auch noch etwas Verbindliches sagen kann, als: Meine Herren und Damen, ich habe die Ehre, Ihnen hier den Herrn Kaufmann N.N. aus M. vorzustellen, der neulich sein Leben wagte, um ein Kind aus den Fluthen der Saale zu erretten, oder: der sein Geschäft klein angefangen hat und groß aufhören wird. Stellt man zwei Personen, die einander nicht kennen vor, so muß der Name und der Stand des Geringern zuerst genannt werden. Wirth und Gäste müssen freundlich und voll guter Laune sein, und besonders die größte Aufmerksamkeit gegen Damen haben. Wenn man mit ihnen spricht, so sei man freundlich und auf jede nur mögliche Art gefällig. Wer die Gabe besitzt, angenehm zu erzählen oder erlaubte Scherze zu machen, der thue dieß. Aber nicht allein den jungen Dann widme man seine ganze Aufmerksamkeit, sondern auch den älteren, denn diese werden uns dann doppelt dafür loben.

[62] Ein Urtheil über Schönheit oder Häßlichkeit anderer Damen öffentlich zu sagen, will ich keinem Herrn rathen, denn auch in diesem Punkte darf er sich keine Blöße geben. Der böse Leumund bringt ohnehin manche Unwahrheit in das Publikum.

Gegen Geringere sei man stets höflich, denn man vergibt dadurch nichts von seiner Würde, sondern erwirbt sich dadurch die allgemeine Liebe.

Wird ein Herr von einem Freunde zu einem Geburtstage gebeten, so erkundige er sich, wessen Geburtstag sei, und kaufe, wenn auch kein kostbares, doch ein geschmackvolles Geschenk. Man thut am besten, wenn man so etwas dem Geschmacke einer Freundin überläßt, weil diese in der Regel besser handeln kann und mehr Geschmack als wir besitzt. Tritt man in das Zimmer, wo die Gesellschaft versammelt ist, so manche man eine Verbeugung gegen den Herrn und die Frau des Hauses, dann gegen die übrigen Mitglieder und zuletzt gegen die übrigen Gäste. Nun wende man sich [63] gegen diejenige oder denjenigen, dessen Geburtstag ist, und überreiche das Geschenk, mit den Worten: »Nehmen Sie, verehrteste Freundin, (verehrtester Freund) heute zu Ihrem 20sten Geburtstage meinen aufrichtigen Glückwunsch und erleben Sie diesen Tag noch wenigstens funfzig Mal. Auch ich bin so frei, Ihnen zur Erinnerung an diesen Tag hier ein kleines Andenken zu überreichen.« – Sollten einige von der Gesellschaft ein Gedicht haben drucken lassen, so darf dieses nicht eher überreicht werden, als am Abend bei der Tafel. Wenn die Gläser auf das Wohl dessen sollen geleert werden, dessen Geburtstag ist, so tritt ein Herr vor und überreicht ihm das Gedicht, aus Velin-Papier gedruckt, gratulirt nochmals im Namen der ganzen Gesellschaft und umschlingt ihn mit dem Gedicht, welches auf vier bis sechs Zoll breites rothes Band gedruckt sein muß, und zwar von der rechten Schulter nach der linken Hüfte. Hierauf erhält jeder der Gesellschaft ein Gedicht, welches im Stehen laut und feierlich abgesungen [64] wird. Nun erfolgt ein Lebehoch, worauf jeder Gast sein Glas so ausleeren muß, daß er damit die Nagelprobe bestehen kann. Sollte man an der allgemeinen Fröhlichkeit nicht solange als die übrigen Gäste Theil nehmen können, so störe man nicht, um sich zu empfehlen, sondern entferne sich unbemerkt. Wo die Sitte herrschend ist, den Damen die Hand zu küssen, so beuge man sich tief zur Hand herab und ziehe sie nur etwas in die Höhe. Der Kuß darf durchhaus nicht tönend oder hörbar sein, sondern nur eine Berührung der Lippen auf der Hand.

Quelle:
[Anonym]: Der galante Stutzer. Nordhausen 21829, S. 59-65.
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