Mein Lebenslauf.
(Nr. 8. K.Z.1)

Es möge mir gestattet sein, in Kürze hier meinen verfehlten Lebensweg zu Papier zu bringen.

Ich Kilian Z., geboren am 10. Dezember 1877 zu W., als Sohn der Hausmeisterseheleute Kilian Z. und Rosina, geb. R., katl., lediger Kaufmann, nicht im Militärverbande, besuchte bis zu meinem 9. Lebensjahre die Volksschule in W. und trat dann in die kgl. Kreisrealschule meiner Vaterstadt über. Nach einem 5jährigen Aufenthalte dortselbst verließ ich diese Anstalt und wurde hierauf für das Bureau des kgl. Gerichtsvollziehers H. engagiert. Mit Antritt dieser meiner ersten Stelle war auch der erste Schritt auf der Bahn des Schlechten und des Verbrechens getan. Unsere Kanzlei war nicht ein Ort der Lehre des Guten und Nützlichen, was sie für mich hätte sein sollen, sondern eine Brutstätte des Lasters, der Entsittlichung und des Verbrechens, sie war ein Tummel- und Geschäftsplatz der sogenannten Freudenmädchen. Ich mußte die Stelle eines Postillon d'amour versehen, und leider war ich mit dem 16. Jahre meines Lebens im schändlichen Fache der Prostitution so gut bekannt, wie es ein Mann mit seinen gereiften 40 Jahren nicht besser sein kann. Aber wo dem Laster der Leidenschaft gefrönt wird, ist Geld erste Bedingung. Der Sohn meines Prinzipals, »Jakob«, unterrichtete mich, resp. verwickelte mich anfangs auf die schlaueste Art und Weise in sein gewerbsmäßiges Vergehen des Betrugs zum Nachteile seines Vaters und unserer Klienten; unter seiner und unseres ersten Gehilfen Leitung ward ich zum Verbrecher am Eigentum meines Nächsten. Aber auch hier ging der Krug solange zum Brunnen, bis er brach.

Eines Tages wurde ein Vergehen im Amte, welches wir uns zum Nachteile unseres Prinzipals gemeinschaftlich hatten zu Schulden kommen lassen, bekannt, nun sollte ich für alle herhalten, wogegen ich mich entschieden verwahrte. Nach kurzem Hin- und Herstreiten wurde mein Dienstverhältnis durch meine Kündigung gelöst.

Ich hatte Dank der liebenden Fürsorge meiner Eltern die Handelsschule in W. besucht und mich mit den kaufmännischen Kenntnissen soweit vertraut gemacht, daß ich nun eine Buchhalterstelle bei [172] Herrn Rechtsanwalt F. versehen konnte. Ungefähr 3/4 Jahre arbeitete ich zur Zufriedenheit meines Chefs, aber nun trat die Versuchung in Form der Genußsucht an mich heran. Als Folge meiner Lebensweise in meinen 3 letzten Jahren fehlte mir die gute moralische Grundlage; mein Gehalt reichte nicht hin, um meinen eingewurzelten Leidenschaften zu huldigen – ich griff in die Kasse meines Prinzipals, – mein erstes Verbrechen auf eigenem Fuße war begangen. Hierfür zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt, verbüßte ich diese Strafe in N. Aber nach Entlassung aus dem Gefängnisse sah ich erst, wie tief ich mir ins Fleisch geschnitten. Meinem Versprechen wurde kein Glauben geschenkt, dem entlassenen Verbrecher traute niemand mehr, eine Stelle zu erhalten war mir unmöglich. Ich reichte ein Gesuch an den Fonds des Gefängnis-Vereins für Unterfranken und Aschaffenburg betr. Hilfeleistung zur Erhaltung einer Stelle ein – nicht um Gewährung einer pekuniären Unterstützung bat ich, aber mein Petitum wurde ohne jede Begründung abschlägig beschieden. Meinen Eltern wollte ich nicht zur Last fallen, darum entfernte ich mich von zu Hause; aber auch in der Fremde verfolgte mich das Unglück – oder die Sühne für meine Verbrechen wider das 6. Gebot. Meine Strafliste gewann immer mehr an Einträgen, und ich ward, was ich heute bin, ein Verbrecher, ein Schuft an der Ehre unseres Familiennamens.

Den Glauben an einen gerechten Gott im Himmel habe ich verloren, denn würde ein solches Wesen existieren – gewiß wäre ich nicht so tief gesunken. (!)

Nur einen Wunsch habe ich noch auf dem Herzen, nämlich den, meine übrigen 5 Geschwister mögen durch einen guten Lebenswandel meine Eltern, die tief betrübt sind, hinreichend entschädigen für das, was ich ihnen bereitet. Für meine Verführer habe ich als Lohn für ihr Werk nur den gräßlichsten Fluch, der je über eines Menschen Lippe gekommen. Vertrauen auf mich selbst habe ich keines mehr.

Dies in Kürze mein verfehlter Lebensweg.[173]

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1. E.G. von M., ehelich geboren 1847, lediger Schleifer und Taglöhner. Vorstrafen: 9mal Haft wegen Bettels und Landstreicherei; 7mal Gefängnis wegen Diebstahls und Betrugs, 3mal Zuchthaus wegen Diebstahls, 2mal Arbeitshaus (6 und 9 Monate). Schlechte Erziehung. Qualvolle Jugend. Ein bedauernswerter Mann, der sich sehr gut führte und äußerst fleißig war. Hat keine Heimat mehr und findet nirgends dauernde Arbeit und Unterkunft sowie die rechte Hilfe und Fürsorge.

Quelle:
Jaeger, Johannes: Hinter Kerkermauern. Berlin 1906, S. 11-12,172-174.
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