Die erste Session des neuen Reichstags 1874

[248] Diese wurde im Februar 1874 eröffnet. Seitens unserer Vertreter wurde den Vertretern des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins der Vorschlag gemacht, eine Fraktion zu bilden. Das lehnten diese ab. Dagegen kam man überein, sich gegenseitig bei Stellung von Anträgen zu unterstützen, auch wolle man dahin wirken, daß in der Presse und in den Versammlungen die gegenseitigen Angriffe unterblieben. Das war nicht viel, aber das andere mußte folgen. Eine große Anzahl Parteigenossen auf beiden Seiten hatte allmählich die gegenseitige Bekämpfung, die nur den Gegnern zustatten kam, satt und wünschte, wenn eine Vereinigung noch nicht möglich sein sollte, eine Verständigung zu gemeinsamem Vorgehen.

In unserer Partei war man mit der Haltung der gewählten Vertreter unzufrieden. Man fand, daß sie zu selten das Wort ergriffen und dann nicht scharf genug geredet hatten. Der Unmut darüber kam auch mehrfach in der Parteipresse zum Ausdruck. Liebknecht wohnte keiner Sitzung mehr bei, da die Session kurz nach seiner Freilassung geschlossen wurde. Ich erhielt von den verschiedensten Seiten Zuschriften, worin die Verfasser sich über die Haltung der Parlamentsgenossen beklagten. So schrieb mir nach Schluß der Session Robert Schweichel, der seit seiner Übersiedlung nach Berlin die Redaktion der »Romanzeitung« übernommen hatte und daher öffentlich politisch nicht tätig sein konnte, die Haltung der sozialdemokratischen Abgeordneten habe allgemein enttäuscht. Nach dem glänzenden Ausfall der Wahlen habe man eine andere Haltung erwartet. Diese fördere die Partei nicht. Rübner, der Expedient der »Chemnitzer Freien Presse«, schrieb mir: »Die Vertreter des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins[248] haben unseren Genossen im Reichstag geschickt den Rang abgelaufen. Darüber sind unsere Leute wütend.« Die Abgeordneten selbst beschwerten sich lebhaft darüber, daß der Präsident bei Wortmeldungen die Vertreter des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins bevorzugt habe. An dieser Behauptung war etwas Wahres. An Simsons Stelle war Forckenbeck getreten, der, wie ich schon einmal erwähnte, der parteiischste Präsident war, den der Reichstag je gehabt hat. Erleichtert wurde ihm diese Parteilichkeit durch die Abschaffung der Rednerliste, die erfolgt war, um die sozialdemokratischen Abgeordneten möglichst am Redenhalten hindern zu können. Die Abgeordneten mußten von jetzt ab durch ein Zeichen dem Präsidenten bekunden, daß sie das Wort zu haben wünschten, ungefähr so wie die Kinder in der Schule, wenn sie dem Lehrer bemerklich machen wollen, daß sie eine Antwort auf eine Frage geben können. Damit lag es in der Willkür des Präsidenten, ob er eine solche Wortmeldung sehen und ob und wann er sie berücksichtigen wollte. Und Forckenbeck machte von seiner Vollmacht rücksichtslos Gebrauch. Das veranlaßte später Windthorst und seine Freunde, den Antrag zu stellen, die Rednerliste wieder einzuführen. Der Antrag, zu dem von unserer Seite Vahlteich sprach, wurde abgelehnt. Darauf sah sich Most veranlaßt, noch kurz vor Schluß der Session die Parteilichkeit des Präsidenten öffentlich im Reichstag zu denunzieren. Er habe trotz zahlreicher Meldungen das Wort nur einmal erhalten. Ihm gegenüber lag allem Anschein nach ein Racheakt vor. Most hatte sich verleiten lassen, bei Beginn der Session, bevor er nach Berlin reiste, in der »Chemnitzer Freien Presse«, deren Redakteur er war, eine Art Kriegserklärung an den Reichstag zu veröffentlichen, in der er demselben den Kampf bis aufs Messer ansagte. Dafür mußte er offenbar jetzt büßen. Die einzige Rede, die er halten konnte, betraf den Entwurf zum Impfgesetz, und diese mißglückte ihm. Er schloß die kurze Rede mit den Worten: »Vorläufig verlangen wir die öffentlichen Badeanstalten, und wenn wir diese haben, werden wir auch mit dem Normalarbeitstag kommen.« Kein Wunder, daß dieser Schluß in Mosts Munde die Heiterkeit der Gegner hervorrief.

Aber es machte sich von dieser Session, ab noch ein anderer Unfug mit Forckenbecks Unterstützung breit, der später immer schlimmer wurde. Es fand sich in einem Mitglied der nationalliberalen Partei, dem Abgeordneten für Hildburghausen, Valentin, der seines Zeichens Rechtsanwalt gewesen war, ein stets bereiter Schlußantragsteller. Sobald Forckenbeck den Schluß der Debatte wünschte, gab er Valentin das verabredete Zeichen,[249] worauf dieser gehorsam den Schlußantrag stellte, dem alsdann wie auf Kommando die Mehrheit – Nationalliberale und Konservative – Folge leistete. Für diese Methode der Wortabschneidung bildete sich im Reichstag die Bezeichnung, der redenwollende Abgeordnete sei valentiniert, das heißt geistig guillotiniert worden. Dieser Unfug ging schließlich so weit, daß auf dem Büro Valentinsche Schlußanträge auf Vorrat lagen, deren sich der Präsident nach Belieben bediente. Valentin wurde für seine Tätigkeit von seiner Fraktion dadurch geehrt, daß diese ihm, wie im Reichstag erzählt wurde, zu seinem Geburtstag ein Kistchen mit gedruckten Schlußanträgen schenkte.

Bezeichnend für die damalige Situation im Reichstag war auch, daß der Abgeordnete Bamberger es wagen konnte, die sozialistischen Abgeordneten als geduldete Gäste zu bezeichnen, denen man das Hausrecht verweigern könne. Kleinlich war auch, daß man Liebknecht und mich während unserer Haft bei namentlichen Abstimmungen stets als »unentschuldigt« in den Listen geführt, ein Unfug, der erst auf eine energische Beschwerde Vahlteichs in öffentlicher Sitzung ein Ende nahm.

Unter den Vorlagen, die den Reichstag beschäftigten, befanden sich mehrere von besonderer Wichtigkeit. So eine neue Militärvorlage, die eine erhebliche Erhöhung der Präsenzziffer, auf über 401000 Mann, ausschließlich der Einjährig-Freiwilligen, forderte, und zwar für die Dauer von sieben Jahren. Damals hatten die Liberalen einschließlich der Nationalliberalen noch konstitutionelle Bedenken gegen eine derartige Festlegung auf viele Jahre. Es kam zu scharfen Debatten, aber schließlich fügten sich die Nationalliberalen und nahmen an, nachdem Bismarck mit Niederlegung seines Amtes drohte. In der ersten Lesung nahm Hasenclever, in der Generaldebatte der dritten Lesung Motteler das Wort. Beide forderten die Miliz. In diesen Debatten äußerte Moltke zur Verteidigung der Vorlage die später oft zitierten Worte:


»Was wir in einem halben Jahre mit den Waffen in der Hand errungen haben, das mögen wir ein halbes Jahrhundert mit den Waffen schützen, damit es uns nicht wieder entrissen wird. Darüber, meine Herren, dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben: Wir haben seit unseren glücklichen Kriegen an Achtung überall, an Liebe nirgends gewonnen.«


Damit wurde bestätigt, was wir wiederholt in den Jahren 1870/71 vorausgesagt hatten. Nicht der Krieg an sich, aber seine Folgen, die Annexion von Elsaß-Lothringen, hatte in Europa eine Situation geschaffen, die die Lage immer gespannter machte, Rußland eine dominierende Stellung[250] verschaffte und immer neue Rüstungen hervorrief. Zu unseren Milizvorschlägen äußerte Moltke: »Meine Herren! Die Gewehre sind bald ausgeteilt, aber schwer wieder zurückzubekommen!« (Heiterkeit.)

Der Abgeordnete Malinckrodt hatte den Antrag auf zweijährige Dienstzeit gestellt, dafür stimmte Vahlteich, dagegen Geib, der Abstimmung enthielten sich Most und Motteler. Hasenclever, Hasselmann und Reimer hatten den Antrag gestellt, 540000 Mann für zwei Monate und 18000 Mann für die weiteren zehn Monate zu bewilligen, ferner sollte die militärische Jugenderziehung vom 14. bis 20. Jahre eingeführt werden. Für diesen Antrag stimmten nur die Antragsteller. Diese Abstimmungen gaben kein erhebendes Bild von der Tätigkeit der sozialdemokratischen Abgeordneten.

Eine zweite für die Arbeiterklasse wichtige Vorlage war eine Novelle zur Gewerbeordnung, die in etwas abgeänderter Form die Vorlage aus der vorigen Session wiederbrachte. Man begnügte sich diesmal, den § 153 dahin zu verschärfen, daß Verletzung desselben statt wie bisher mit höchstens drei Monaten künftig mit bis zu sechs Monaten Gefängnis bestraft werden sollte. Dagegen hatte man in einem neuen § 153 a die Bestrafung des Kontraktbruchs vorgeschlagen, dieser sollte mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Haft geahndet werden. Die Streiks, die in den Gründerjahren häufig unter Kontraktbruch vorkamen und nach ausgebrochener Krise wegen Lohnherabsetzungen und Arbeitszeitverlängerungen Abwehrstreiks unter Nichtbeachtung der Kündigungsfristen hervorriefen, hatten das Unternehmertum in die höchste Aufregung versetzt. Es inszenierte einen Petitionssturm an die verbündeten Regierungen und den Reichstag, um die kriminelle Bestrafung des Kontraktbruchs zu erlangen. Diesem Verlangen waren die verbündeten Regierungen durch den Vorschlag des § 153 a nachgekommen. Im weiteren wurden die früher schon vorgeschlagenen Bestimmungen betreffend die gewerblichen Schiedsgerichte wieder in Vorschlag gebracht mit der kleinen Abänderung, daß die höhere Verwaltungsbehörde bestimmen könne, ob eine Wahl der Beisitzer durch die beteiligten Arbeiter und Arbeitgeber erfolgen solle. Zu dem Gesetzentwurf hielt Hasselmann eine gute Rede. In die Kommission wurde von unserer Seite Motteler gesandt, der sich aber an den Verhandlungen nicht beteiligte, sondern stummer Zuhörer blieb, was ihm von verschiedenen Seiten verdacht wurde. Die Kommission strich den Kontraktbruchparagraphen, ebenso wurde die Verschärfung des § 153 abgelehnt; sie beschloß ferner, daß die Wahl der Beisitzer in den Gewerbegerichten nur durch allgemeine[251] Wahlen der Interessenten zu erfolgen habe. Der Entwurf wurde indes im Plenum nicht zu Ende beraten. Man war vorläufig seitens der Mehrheit des Reichstags zu Ausnahmebestimmungen oder Verschärfung der bestehenden Gesetze noch nicht geneigt.

Die dritte wichtige Vorlage war der Entwurf eines Preßgesetzes. In diesem hatte der vorjährige § 20 folgenden Wortlaut erhalten:


»Wer mittels der Presse den Ungehorsam gegen die Gesetze oder die Verletzung von Gesetzen als etwas Erlaubtes oder Verdienstliches darstellt, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft. Wer die im § 166 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich vorgesehenen Handlungen mittels der Presse verübt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten und bis zu vier Jahren bestraft.«


Auch zu diesem Gesetzentwurf hielt Hasselmann eine gute Rede, außer ihm sprach Geib. Der § 20 fiel in der Kommission und im Plenum. Im übrigen beseitigte das Gesetz die Kautionen und verbot die Zeitungsstempel und die Inseratenabgaben, wo solche noch bestanden. Wirkliche Verbesserungen gegen den bisherigen Zustand brachte das Gesetz nur Preußen, Braunschweig und den beiden Mecklenburg, für Sachsen, die mitteldeutschen und süddeutschen Staaten schuf es hingegen verschiedene zum Teil erhebliche Verschlechterungen, so daß seine Annahme anfangs zweifelhaft war. Es ging hier wie bei allen wichtigen Gesetzen des Reichs, den Verbesserungen standen stets Verschlechterungen gegenüber; zu einem politischen Gesetz, das für alle eine wesentliche Besserung bedeutete, konnte sich der Reichstag nicht erheben, stets gab er dem Druck der Regierungen, das heißt Preußen nach, dem Stimmführer für alles Rückschrittliche.

Erwähnt sei, daß bei Beginn der Session auch wieder der Antrag auf meine Freilassung für die Dauer der Session gestellt worden war, jedoch mit demselben negativen Erfolg wie früher. Redner für den Antrag waren Vahlteich und Hasenclever. Die Fortschrittspartei verweigerte die Unterstützung des Antrags, weil es zwecklos sei, ihn zu stellen.


*


Die Tatsache, daß die Vertreter der beiden sozialdemokratischen Fraktionen im Reichstag genötigt wurden, öfter gemeinsame Sache bei den Beratungen zu machen, war für alle jene, die eine Vereinigung wünschten, ein neuer Anstoß zum Handeln. Der erste Schritt hierzu wurde auf der Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins unternommen, die vom 26. Mai bis 5. Juni 1874 in Hannover tagte. F.W.[252] Fritzsche, Hartmann-Hamburg, Meister-Hannover und andere stellten den Antrag, zu erklären: »Die Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins hält die Vereinigung aller sozialdemokratischen Arbeiter Deutschlands für erforderlich, um die Endziele der Sozialdemokratie zu erreichen, und empfiehlt, um eine solche Vereinigung anzubahnen, daß dieselben in allen öffentlichen Versammlungen sowie in der Parteipresse sich nicht mehr bekämpfen und anfeinden. Bestimmte Vorschläge zur Vereinigung können nicht eher gemacht und diskutiert werden, bevor der Kongreß der Eisenacher konstatiert, daß auch er eine Einigung aufrichtig anstrebt.«

Der Antrag wurde zwar nach längerer Debatte mit 50 gegen 19 Stimmen abgelehnt, aber die Debatte wurde in einem merklich anderen Tone als bei früheren ähnlichen Gelegenheiten geführt.

Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei hielt ihren Kongreß im folgenden Monat, vom 18. bis 21. Juli, in Koburg ab, auf dem seit 1871 zum erstenmal Liebknecht wieder auf einem Parteikongreß erschien. Die Vereinigungsfrage kam hier ebenfalls zur Verhandlung, zu der verschiedene Anträge gestellt worden waren. In dem Bericht, den Geib im Namen des Ausschusses erstattete, hatte dieser bereits ausgeführt: »Wenn wir schließlich noch unsere Stellung zum Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein erwähnen, so geschieht es nur, um zu konstatieren, daß seit der Reichstagswahl der alte Hader im Wanken begriffen ist. Viel trägt dazu die Tatsache bei, daß der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein jetzt von oben herab mit gleichem Maße gemessen wird wie unsere Partei. Daß die Stellung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins tatsächlich doch noch eine zurückhaltende ist, geht aus der Abstimmung über den auf der Generalversammlung dieses Vereins gestellten Einigungsantrag, für welchen unter 69 Delegierten nur 19 stimmten, deutlich hervor. Wir haben uns demgemäß zu reservieren und vor allem auf die prinzipielle Haltung der Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins zu achten, da hierin ein wesentliches, wenn nicht das wesentlichste Moment zur Richtschnur unserer Einigungstaktik zu suchen ist.« In der später folgenden Debatte über die Einigungsanträge nahm auch Auer das Wort, der noch immer der Frage kühl gegenüberstand und pessimistisch äußerte: »Im großen und ganzen sind wir alle mit der Einigung einverstanden, aber solange auf beiden Seiten die prinzipiellen Unterschiede ins Gewicht fallen, kann an eine wirkliche Einigung nicht gedacht werden. Die Aussichten, die uns in dieser Hinsicht der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein eröffnet, sind gering, dies zeigt schon sein neuester Entschluß, sich sektenmäßig Lassalleaner[253] zu nennen. Unser Versöhnungsdusel hat bis jetzt wenig geholfen. Das einzige Mittel zur Einigung heißt: Die Lassalleaner unsere Macht fühlen lassen und uns stärken. Stellen wir uns auf den Standpunkt der Einigungsvorschläge, die vor zwei Jahren im ›Volksstaat‹ veröffentlicht wurden. (Siehe Seite 240/241.) Mag ein allgemeiner Kongreß zur Beratung der Einigungsfrage berufen werden.« Bernstein stand der Frage optimistischer gegenüber als Auer. Im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein seien bereits viele Mitglieder für eine Vereinigung. Der Verlauf der Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins bestätige seine Auffassung. Er erklärte sich ebenfalls für einen Kongreß behufs Verständigung. Liebknecht sprach sich in längerer Rede dafür aus, daß, wenn zunächst die Vereinigung nicht möglich sei, die Einigung erstrebt werden müsse, die Vereinigung werde nachher von selbst kommen, dafür sorge Herr Tessendorf und die Logik der Tatsachen, wenn nicht mit, dann den Führern zum Trotz. Motteler berichtete über Besprechungen, die in Berlin zwischen Hasenclever und Hasselmann auf der einen und unseren Vertretern auf der anderen Seite stattgefunden hatten. Hasenclever und Hasselmann hätten erklärt, an eine Vereinigung sei nicht zu denken, da der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein unbedingt die bessere Organisation habe. Ein friedliches Nebeneinandergehen in Presse und Versammlungen sei ja vereinbart. Zum Schlusse wurde mit großer Mehrheit ein Antrag Geibs angenommen, lautend:


»Der Kongreß erklärt, der Einigung der beiden deutschen Arbeiterfraktionen geneigt zu sein. Über den Modus einer solchen Einigung werden zum nächsten Kongreß seitens des Ausschusses und den der Partei angehörigen Reichstagsmitgliedern Vorschläge erwartet. Im übrigen geht der Kongreß zur Tagesordnung über.«


*


Auf dem Koburger Kongreß kam es auch zu lebhaften Debatten über den oft unzeitigen Eifer der Parteigenossen, in den größeren Orten Lokalblätter zu gründen, die ungenügend finanziell fundiert, alsdann der Partei große Verlegenheiten bereiteten, weil sie nunmehr um jeden Preis am Leben erhalten werden sollten. Klagen, die sich bekanntlich bis in die Neuzeit wiederholten. Nicht wenige dieser Blätter führten eine prekäre Existenz und machten der Parteileitung schwere Sorge. Es war fast für das eine und das andere eine Wohltat, unter dem Sozialistengesetz totgeschlagen zu werden; sie starben wenigstens auf dem Felde der Ehre, im Kampfe mit einem übermächtigen Gegner.[254]

Auch die Frage der Programmänderung beschäftigte den Koburger Kongreß. Es lagen für dieselbe, unter anderen auch von Bracke, eine Anzahl Anträge vor. Nach längerer Debatte fand alsdann ein Antrag Kokosky-Grillenberger und Genossen Annahme, wonach der Kongreß die Reformbedürftigkeit des Programms anerkannte, jedoch in der Erwägung, daß die Frage im Augenblick noch nicht spruchreif sei, die Änderung des Programms bis zum nächsten Kongreß vertage. Die Programmänderung solle in der Presse zur Diskussion gestellt werden.

Des weiteren wurden öffentliche Vorträge veranstaltet, wobei Liebknecht und Motteler über die politische Stellung der Sozialdemokratie, York und Grillenberger über die industrielle und ländliche Arbeiterfrage sprachen. Grillenberger, der über das letztere Thema sprach, hielt zu dieser Frage eine gute instruktive Rede.

Quelle:
Bebel, August: Aus meinem Leben. Band 2. Berlin 1946, S. 248-255.
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