Schlußwort des Herausgebers.

[235] Es ist Franz Bergg nicht gegönnt worden, die erneuerten Kräfte für die Verwirklichung seiner Hoffnungen voll einzusetzen.

Einige Monate nach seiner Ausweisung aus Luxemburg warf ihn eine tückische Krankheit nieder.

Er stand wirklich auf der Leiter des Erfolgs: Seine Vorträge über die wirtschaftlichen Ziele der französischen Sozialdemokratie, seine Vorlesungen aus »Faust« und aus den Werken neuerer Dichter hatten in Köln, Elberfeld, Düsseldorf und andern Städten des Westens Aufsehen erregt.

Er fühlte sich frei und froh. Einem Bekannten schrieb er in launiger Stunde, es sei wohl das erstemal, daß ein heimatflüchtiger Preuße in Luxemburg seinem Lande auch innerlich zurückgegeben worden sei; gewöhnlich gefielen sich die Landsleute Bismarcks und Treitschkes im luxemburgischen Gefängnis so wohl, daß sie die Wege der Heimat nur mit gemischten Gefühlen wieder beträten.

Mehrere seiner neuesten Gedichte fanden Eingang bei bekannten Tagesblättern und wurden gerne gelesen.

Sie lassen erkennen, daß Franz Bergg auf dem besten Wege war, ein sozialer deutscher Dichter zu werden.


Osterlied.

Fröhliche Geister weben und schaffen

In der Erde freudloser Nacht;

Friedliche Geister schmieden die Waffen

Für die Stürme der Osterschlacht;

Heimlich springen die schwellenden Särge

In der brüchigen Schollengruft;

Durch die Täler, über die Berge

Zittert's wie dämmernder Morgenduft.
[236]

Sieh, von den Feldern kommt es gezogen,

Sieh, aus den Wiesen strebt es empor!

Schimmernde Wellen, blühende Wogen

Schlagen zum Herde des Lichtes empor.

Gegen die Hügel, die niederen Warten,

Steigt es zum Sturm, ein blitzender Hauf,

Und bald pflanzt es die grünen Standarten

Keck auf den Zinnen der Berge auf.


Wie sich Frost und Dunkel auch wehren,

Jung wird doch alles und alles erhellt,

Denn die Sonne auf flammenden Speeren

Trägt den Sieg durch die staunende Welt.

Hütten der Armen, Schlösser der Reichen

Liegen umlagert vom buschigen Wall;

Selbst der Kirchen geheiligte Zeichen

Müssen versinken im Blütenschwall.


Wie sich Gewalt und Dunkel auch wehren,

Jung wird doch alles und alles erhellt,

Denn die Liebe auf flammenden Speeren

Trägt den Sieg durch die staunende Welt.

Arme und Ärmste werden beschieden,

Fröhlich im Purpur der Freude zu gehn,

Und es feiern in Freiheit und Frieden

Alle die Völker ein Auferstehn.


Neujahr.

Wieder einmal, dudeldum!

Wieder ist ein Jahr herum.


Schweren Tag und lange Nacht

Hat's die Fülle uns gebracht.


Seine heisre Stundenuhr

Schnarrte diese Weise nur:


Ticktack, ticktack! Spät und früh,

Ticktack, ticktack! Not und Müh!


Ticktack, ticktack! Müh und Not,

Ticktack, ticktack! Leid und Tod!


Ticktack, ticktack! Immerzu,

Ticktack, ticktack! Dulde du!


Ticktack, ticktack! – Sapperment,

Kommt die Leier nicht zu End'? –
[237]

Tritt heran, du neues Jahr,

Stell' auf zwölf das Zeigerpaar!


So! Nun stoß den Pendel an;

Lauschend steht der arme Mann.


Lauschend blickt er, stumm und bang,

Auf des Pendels Schicksalsgang:


Ticktack, ticktack! Spät und früh,

Ticktack, ticktack! Not und Müh!


Ticktack, ticktack! Müh und Not –

Kreuzmillionen Sapperlot!


Wieder schnarrt das Einerlei

Dieser Jammerlitanei!


Armer Mann, weh Spiel und Spott!

Hilf dir selbst, dir hilft kein Gott!


Gericht.

Am Strand der Newa liegt hoch der Schnee;

Am Strand der Newa ist groß das Weh.


Das Volk drängt sich zum Väterchen vor;

Der Herrscher schließt ihm Herz und Tor.


Die Armen betteln, von Hunger gequält;

Der Mächtige höhnt: »Ich weiß, was euch fehlt.


Gen Trotz und Hunger die beste Arznei

Bleibt Knut' und Säbel, bleibt Pulver und Blei.«


Der Schnee an der Newa färbt sich rot;

Drauf stürzen Hunderte wund und tot.


Es knirschen die Herren: »Nun halten sie Ruh!«

Der Pope murmelt den Segen dazu.


Und siehe! Wo blutig der Schnee noch raucht,

Naht schwarz ein Unbekannter und taucht


Ins Blut den Daumen und schreitet ins Schloß

Und zeichnet den Herrscher und zeichnet den Troß


Und zeichnet die Großen in Kirche und Saal

Mit einem blutigen Flammenmal


Und schickt der Stimme donnernden Braus

Viermal in die vier Winde hinaus,
[238]

Und schwindet. Da geht das Grauen um.

Die Mörder blicken bleich und stumm.


Der Dunst des Bluts schwebt überm Land

Wie eine finstre Riesenhand.


Drin blinkt, umsprüht von rotem Blitz,

Das Rächerbeil der Volksjustiz.


Der Dichter sollte sich von seinem Siechtum nicht mehr erholen. Die – Knochentuberkulose verzeiht nicht.

Lange Monate zog sich seine Auflösung im Düsseldorfer Bürgerspitale hin.

Hände und Füße fielen ihm bei lebendigem Leibe fort. Aber die Hoffnung blieb und der Geist wahrte die Spannkraft bis zuletzt.

Als sich der Kranke endlich der furchtbaren Gewißheit nicht mehr verschließen konnte, kehrte er sein abgezehrtes Dulderantlitz zur Wand und weinte bitterlich.

Den Freunden in Luxemburg, vor allem dem herablassenden Direktor und dem freundlichen Unterdirektor der Strafanstalten, die ihn auch nach seiner Entlassung mit Briefen und Büchern bedacht hatten, schickte er Grüße des Dankes und der Erinnerung.

Sterbend klagte er, daß er die Geschichte seines Daseins den Menschen nicht bekannt geben könne als die Rechtfertigung seines Lebens und seines Strebens, als die nachgelassene Kraftprobe seines Talents.

Seinen Glauben nahm er mit sich ins Grab.

Dem letzten Wunsche des armen Ruhelosen wird mit der Veröffentlichung dieser Blätter Erfüllung zuteil.

»In Sehnsucht und Schiffbruch«. So lautet der Titel, den Franz Bergg seinen gesammelten Dichtungen hatte vorsetzen wollen.

In diesem Zeichen verlief wirklich sein Leben. Sei dem müden Kämpfer dieses Bündel Erinnerungen wie eine blühende Schlehengarbe auf dem namenlosen Dichtergrab![239]

Quelle:
Bergg, Franz: Ein Proletarierleben. Zweite Auflage, Frankfurt a. M. 1913, S. 235-240.
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