Anno 1694
§ 26

[70] Mein Hospes [Kostgeber], der Fleischer, konnte mich nicht zu sich ins Haus nehmen, weil seine Wohnung zu enge. Es gab mir[70] aber der Rector Hancke auf dem Gymnasio eine Kammer ein, wie er denen zu tun gewohnt war, welche Hospitia [freie Kost] bei den Fleischern in ihren engen Fleisch-Bänken [Metzgereien] hatten. Da ich des Abends das erste mal, kurz vor dem Zuschlusse des Gymnasii, im Finstern nach Hause kam, lief ich in Secundum Ordinem [die Sekunda] hinein, in Meinung, einige Chorales [Chorsänger], und andere Inwohner darinnen anzutreffen, die sich daselbst des Abends, wenn es nicht Sommer ist, aufzuhalten pflegen. Nachdem ich aber daselbst niemanden angetroffen, wurde ich irre, und meinte gänzlich, ich wäre schon im andern Stock, oder bei dem Primo Ordine, und laufe springend, und voll gutes Mutes nach der Treppe, so zu den Kammern hinauf gehet, zu; weil ich aber bei Secundo Ordine noch war, so falle ich die ganze Treppe hinunter, die ich herauf gekommen, und zugleich in Ohnmacht, und schlafe drüber ein, und bleibe liegen, bis die Chorales nach Hause kommen, und auf mich mit Füßen treten. Ich konnte mich kaum besinnen, und erinnern dessen, was mir begegnet war; es lief mir auch das Blut zu dem einem Ohre heraus, weil ich auf dasselbe gefallen. Und was das Übelste war, so war es eben die Seite, und das Ohr, auf welches ich vor 4 Jahren schon einmal mit einer großen Bosel-Kugel [Kegelkugel] war getroffen, und so hart gestreifet worden, daß ich als tot zur Erden sank, und mir nicht anders war, als ob mir der Kopf weggeschossen würde. Es sollte einer nach einem Kegel stechen [zielen], hob aber weit über die Kegel weg: ich aber saß unter einem Baume gegen über, dem Spiele zusehend, und hatte Gedanken, die von Sterbens-Gedanken sehr weit entfernt waren, und die mich eher bei Gott würden verklaget, als entschuldiget haben, daferne ich durch diese Kugel ums Leben kommen wäre. Einige Zeit darnach habe noch dann und wann einige Incommodität [Schmerzen] in diesem Ohre davon verspüret; es hat aber doch hernach mit mähligem aufgehöret, ohne daß, wenn mir jetzt manchmal das begegnet, was oft andern Leuten zu begegnen pfleget, denen es zuweilen auf eine kurze Zeit in den Ohren klinget, oder vor die Ohren fällt, und sie einiges Sausen und Brausen darinnen empfunden, solches bei mir ordentlicher weise [normaler-] im rechten Ohr geschiehet.

So viel von meinen Sünden in der ersten Jugend. Nun es leben noch viel von denen, die zu solcher Zeit um mich, und mit mir bekannt gewesen, und die vielleicht noch mehr wissen werden, als ich hier schreibe. Kannst du nun von denselben etwas mehrers erfahren, und dir etwas daran gelegen ist, so kann ich solches[71] geschehen lassen. Unser Herr Gott giebt täglich Brot allen bösen Menschen, und noch mehr denen, die gerne wollen bös zu sein aufhören, und besser zu sein anfangen. Dies tat er auch bei mir. Noch in diesem 1694. Jahre bekam ich noch eine Information [Hauslehrerstelle] außerdem Hospitio [freie Kost], welches ich schon bei dem Fleischer hatte, nämlich bei einem Doctore Medicinæ, D. Kaltschmidt, der mir seinen Sohn auf eine Stunde des Tages zu informiren übergab, welcher auch nach 2 Jahren mich gar [ganz] zu sich ins Haus, und an Tisch nahm, und bei dem ich hernach so lange geblieben, bis ich auf die Universität zog.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 70-72.
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