§ 68

[167] Mit der Furcht, Angst und Traurigkeit hat es eben diese Bewandnis. Siehe, du weißt, wie dir erst im Gemüte, und hernach im Leibe wird, wenn dich etwas, oder ein Mensch von außen durch Drohung eines Übels, und durch böse Zeitungen [Nachrichten] in Furcht, Angst, und Traurigkeit setzet. Nun merke,[167] alsdann entstehen diese Affecten von außen, und haben ihre äußerliche und hernach innerliche Ursachen in einem gewissen Übel, und in dem Urteile des Verstandes, das du von der Größe des Übels fällest, und in dem Willen, womit du solches Übel verabscheuest. Es können aber eben diese Affecten, Furcht, Angst, Traurigkeit, Schrecken, Zittern und Beben bei dir in der Seele entstehen, wenn dein Leib durch kränkliche Zufälle just in eben den Stand, und in diese Beschaffenheit gesetzet wird, in welche er gesetzt ward, da äußerliche Übel, und die Urteile des Verstandes diese Affecten verursachten. Wenn dieses geschiehet, so bist du mit Furcht, Angst, und Schrecken eingenommen, und weißt nicht, warum. Du fühlest Zittern, Beben, ja du fühlest wohl gar in großem Grade das Maß der Furcht, welches einige Epileptici fühlen, deren Paroxysmus [Anfall] mit purer Furcht anfängt, ohne daß etwas Äußerliches vorhanden, was sie furchtsam macht. Die Medici können dir es besser, als ich, sagen, wie alsdenn das Geblüte, die Galle, die Milz, das Mesenterium und der Gekrös-Magen, und die kleinen Ädergen, und Fibrichen in Gefäßen beschaffen sein, wenn einer gezwungener Weise mit lauter Furcht, Traurigkeit, Angst und Schrecken eingenommen ist, und nicht weiß warum. Einige werden dir zu sagen wissen von der schwarzen und allzu hitzigen Galle, (wiewohl diese mehr den Zorn erreget,) von verbranntem und überflüssigem Geblüte, von Verstopfungen in der Vena portæ [Pfortader], von der Zurücketretung des Geblüts, wenn es unten nicht hinaus kann, in den Milz, und werden dessen Verstopfung, und andere Dinge, welche das Herze beklemmen und drücken, ja alle solche gezwungene Furcht, Traurigkeit und Angst, da man nicht weiß, warum man sich ängstet, oder fürchtet, daraus herleiten.

Wenn solche Leute, die dergleichen Zufällen [Anfällen] unterworfen, manchmal ein wenig auf sich und ihren Leib Achtung gäben, wie mich es an meinem Orte die Not öfters gelehret; so würden sie nicht nur wahrnehmen, daß derjenige Ort im Leibe, wo der Milz lieget, mehr aufgelaufen sei, als ihre rechte Seite, wo die Leber ihren Sitz hat; so daß also im Liene [Milz] einiger Tumor und Geschwulst muß zu finden sein; sondern würden auch, wenn auch schon keine Geschwulst vorhanden, an der linken Seite mer ken, daß im Leibe kleine Zusammenziehungen vorgehen; da eine auf die andere schier wie das Schlagen des Pulses folget, und die sich besser fühlen, als beschreiben lassen; so daß sie Kraft dieser Flatuum, und Spasmorum [Blähungen und Krämpfe], oder was es sein muß, in lauter kleinem Zittern und[168] Beben, und heimlicher Furcht und Schrecken wandeln, und auch vor allem Quark erschrecken, und zittern, alles vor lauter schwere große Dinge ansehen, was ihnen zu tun vorkommt. Zu solchen Zeiten sehen die Menschen durch ihren Leib alle Dinge an, als wie wenn man eine Sache durch ein rot, grün, oder gelb Glas ansiehet, welche uns rot, grün und gelbe muß vorkommen. Ich habe mehrmals aus Scherz das Paradoxon behauptet, und gesagt: unser Leib urteilet. Auf gewisse Weise könnte mans wohl noch verteidigen. Mein Milz, und die aus dessen Verstopfungen entstandene Furcht macht mich ein Übel antreffen, wo keines ist, und macht mich es auch größer antreffen, als es ist. Der kränkliche Leib macht, daß ein Posementirer [Bortennäher] vor dem Peters-Tore, wenn er mit Milz-und Herzens-Angst geplaget war, sich Objecta zu seinem gezwungenen Affecte suchte, und meinte, er werde noch erhungern müssen, und an Bettel-Stab geraten; dahingegen, wenn er dieses Übels los war, er sein gutes und zulängliches Vermögen mit einem wahren Urteil ansahe, und ohne Angst und Furcht den Armen von seinen Gütern reichlich mitteilen kunte.

Herr Scriver hat in seinem berühmten Seelen-Schatze ein besonder groß Kreuz und Anfechtung aus diesem Zustande gemacht; indem er in einer besondern Predigt von Furcht, Angst, und Schrecken gläubiger Kinder Gottes gehandelt. Und freilich hat der Mensch zu solcher Zeit mit seinem Leibe, und mit seinem Fleisch und Blut genug zu streiten und zu kämpfen, und kann solcher kränklicher Zustand zu vielem Guten, zur Übung des Gebets, zur Stärkung des Glaubens, Geduld, Demut, Hoffnung etc. Gelegenheit geben; weil es ein großes Stück der Weisheit Gottes, daß nebst der Predigt des göttlichen Worts, insonderheit des Gesetzes, auch der kränkliche Leib, wenn er von Gott auf einen Sünder verhänget wird, zur Buße, Erkenntnis der Sünden, und zur Bekehrung desselben das seine beitragen, und Gelegenheit dazu geben muß. Ich gebe zwar gerne zu, daß Gottes Wort auch den am Leibe gesündesten Sünder, wenn es mit Glauben angenommen, und die Sünde, die es bestraft [tadelt], recht erkannt wird, in Angst, Traurigkeit und Furcht setzen, und also zur Bekehrung zubereiten könne; so daß es ihm wie ein Stein auf sein Herze fället, und er mit Furcht umfangen, weder aus noch ein weiß, wie wir im Liede singen. Die Erfahrung aber lehret gleichwohl auch, daß höchst gesunde Leute, welche starke Nerven, und Fibren haben, bei denen das Geblüte gut circuliret, bei denen im Leibe nichts verstopft ist, welche gut ausdünsten, welche[169] eher zu kaltes, als zu hitziges Geblüte haben, schwer in Furcht, Angst, Schrecken, und Traurigkeit zu setzen sind, man sage, und drohe ihnen mit was vor Übeln man wolle. Allein laßt einen Menschen und Sünder nur in solchen kränklichen Zustand geraten, den wir bisher beschrieben: laßt ihn nur die Milz-Sucht in einem großem Maße, oder durch andere Zufälle [Krankheitsfälle] Herz-Klemmungen bekommen, so daß ihm angst und bange wird, und doch nicht weiß warum, und ihm die ganze Welt zu enge werden will; er soll sich leicht Objecta suchen zu diesem Affecte, und dafern er anders nur Gottes Wort gelesen, und gehöret hat, oder noch höret, gar leicht an seine Sünden gedenken, und dieselben nun mit ganz andern Augen ansehen, und ganz anders, als zuvor von denselben urteilen. Ich kannte ehemals einen Schlosser allhier, einen muntern, beherzten, aber zum Zorn geneigten Mann, wenn er aufgebracht wurde, und der ein großer Liebhaber des Tuchsteines war. So wenig er sich aus den Sünden machte, die er ehemals begangen, als deren er wohl manchmal sich noch rühmete, so traf ich ihn doch einst [einmal] in lauter Angst, Melancholie und Schrecken an, und wußte nicht genug über seine Sünde zu klagen. Er mußte mir selbst gestehen, daß er durch den vielen Tuchstein sich noch mehr feurig, und hitzig gesoffen, und sich seine Schwermut zugezogen, welche nun ihm zum besten dienen mußte, weil er jetzt so gar vor Sünde erkennte, was er zuvor vor keine Sünde, oder nur vor kleine Sünden gehalten hatte. Selbst das gemeine Volk und die alten Weiber scheinen diese Wahrheit, und das, wovon ich bisher geredet, einzusehen. Nur an einem dieser Tage gieng ich auf der Gasse vor zwei Weibern vorbei, die von einem gewissen dritten Weibe redeten. Ja, sprach die eine, sie macht ihr [sich] jetzund über alles ein Gewissen; denn sehet, sie ist so mit Milz-Angst geplaget.

Und ich bleibe dabei, was ich manchmal im Scherz gesaget: Der Milz ist der schärfste Moraliste auf Erden; der kann, wenn er kränklich und verstopft ist, und Furcht, Angst und Traurigkeit verursacht, den Menschen per accidens [nebenbei] die Augen auftun, daß sie von ihrer Taten Sittlichkeit, Beschaffenheit und Größe der Sünden weit besser, als in gesunden Tagen urteilen können. Timor emendator acerrimus [die Furcht ist der schärfste Sittenrichter] (Bartoli dell' ultimo fine dell' huomo). Laß es sein, daß manchmal Melancholici und Milz-süchtige Leute, wo etwan das Übel gar zu heftig, auf allzu strenge und scharfe Lehr- und Sitten-Sätze verfallen, welche sie hernachmals[170] widerrufen, und auch wohl gar in geringen kleinen Dingen ein Gewissen sich machen, und conscientiam scrupulosam [skrupulöses Gewissen] bekommen; so hat mich, und andere doch die Erfahrung gelehret, daß ein solcher kranker Leib, der angst und bange macht, der Seelen Gelegenheit giebt, daß sie alle Schlupf-Winkel und alle Tücke des menschlichen Herzens, ja die geringste Ungerechtigkeit gegen den Nächsten, gegen die Obrigkeit, und gegen uns selbst begangen, einsiehet. Die große Furcht vor Gottes Zorn bei dergleichen Angst siehet tausend Sünden, wo andere Menschen keine sehen wollen. Ich bin gewiß, wenn die Brüder Josephs zu der Zeit, da sie vor Spionen gehalten, und in Furcht des Gefängnisses, und des Todes gesetzet worden [1. Mos. 42], an statt dieser seltsamen Begebenheit zu Hause nur mit Melancholei, Schwermut, und Milzsucht am Leibe wären von Gott heimgesuchet worden, sie würden im Lande Kanaan so gut, als in Ägypten, die bekannte Klage angestimmet, und ausgerufen haben: Das haben wir an unserem Bruder verschuldet, etc. [1. Mos. 42,21] Toren sind alle Atheisten und Ungläubige, welche daraus ein Præjudicium [Vorurteil] wider die Religion ziehen, die Religion und die Gottseligkeit verspotten, und den Haufen wahrer Christen vor eine Gattung Milz-süchtiger Leute ausschreien und ausgeben wollen. Sie erkennen Gottes Weisheit nicht. Es kommt darauf nicht an, was die Religionisten, und wahre Christen vor Krankheiten und Zufälle haben; es kommt darauf an, wie ihre Urteile, und theoretische und practische Lehr-Sätze, welche sie hegen, beschaffen, und ob ein kranker Leib, und das Unglück auf Erden nicht eine Gelegenheit sei, das Wahre vom Falschen, und das Böse vom Guten besser zu unterscheiden, als ein gesunder Leib; und ob das Glück und gesunder Leib die Menschen nicht zu einem frechen, wilden, sichern, hochmütigen Sinn viel geneigter mache, und sie, wie taumelnde und trunkene Menschen, zu den törichtsten und verkehrtesten Urteilen, so sie von Sachen, so die Religion und Gott im Himmel angehen, fällen, verleite.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 167-171.
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