Anno 1706
§ 83

[218] In eben diesem Früh-Jahr 1706 ziehet ein Studiosus Theologiæ aus Breslau nach Wittenberg auf die Universität, mit Namen Koch, eines Rotgerbers Sohn. Dieser nimmt einen Gruß mit vom Inspector Neumann an Herrn D. Neumann in Wittenberg, den bekannten Professorem Theologiæ, der als ein anderer [zweiter] Calovius zu seiner Zeit angesehen wurde. Der Studiosus kommt, und stattet den Gruß ab. Der Herr Doctor fragt ihn, was der Herr Inspector Neumann in Breslau Gutes mache. Koch erzählet ihm eines und das andere, und endlich auch dieses, daß derselbe dieses Jahr seinen Sohn gleichfalls auf die Universität geschickt habe. Der Herr Professor Neumann fragt: Auf welche? Er antwortet: nach Jena, und soll er bei D. Buddeo an Tisch gehen, und seine Wohnung haben. Um Gottes Willen, fängt hierauf Herr D. Neumann an, was tut der Mann, und wo denkt er hin! Kennt er denn Buddeum nicht? Er ist wohl ehedessen bei uns in Wittenberg gewesen, und hat die Theologie rein und lauter gehöret; aber nachdem er von hier nach Halle gekommen, ist er in Grund verderbet worden, so daß er jetzt in[218] Jena nichts, als pures Gift lehret; und ich sorge, Jena wird noch einmal so ein verfänglicher Ort werden, als jetzt Halle ist. Dieser Studiosus Koch hatte einen alten Schul-Freund in Leipzig, Cretius genannt: diesem Cretio erzählet er in einem Briefe diese Avanturen [Begebenheiten], und was ihm bei der ersten Visite mit D. Neumann von wegen des Grußes vom Herr Inspector Neumann begegnet wäre. Cretius war auch mein guter Freund und Auditor [Hörer]; und weil er wohl wußte, daß ich ein Liebhaber von solchen Zeitungen [Nachrichten] wäre, so giebt er mir diesen Brief zu lesen, und lehnet mir solchen auch auf Bitte auf etliche Tage mit nach Hause, vergisset aber solchen wieder von mir abzufordern. Ich correspondirte noch mit Herr D. Kaltschmidten, meinem ehemaligen Hospite [Gastgeber] in Breslau; und weil dieser es gerne sahe, wenn ich ihm einige Novitäten communicirte [Neuigkeiten mitteilte], so schrieb und berichtete ich ihm alles, was ich in dieses Kochs Briefe gelesen, und was D. Neumann in Wittenberg von Buddeo, und von des Herrn Inspectors Unvorsichtigkeit geurteilet hätte, daß er seinen Sohn auf eine so gefährliche Universität, und zu so einem verdächtigen und verfänglichen Manne geschicket hätte. Ich satzte hinzu: Der Herr Inspector Neumann habe mich wollen zum Ketzer machen, und nun schickte er doch seinen Sohn selbst nach Jena zu Buddeo, der alle Hypotheses der Hallenser hege. D. Kaltschmidt war oft zu Gaste bei dem Præside des Rats-Collegii, dem Herrn Haunold, und allemal angenehm, wenn er was Neues mitbrachte. Er hatte also meinen Brief kaum erhalten, so nahm er ihn mit zum Herrn Præsidi. Dieser behielt den Brief bei sich, und zeigte solchen bei Gelegenheit dem Herrn Inspectori, sich mit ihm zu vexiren, und ihn damit aufzuziehen, weil er wunder gemeinet, wie er die beste Universität vor seinen Sohn choisiren [wählen] wollte, und nun doch übel genug gewählet hätte. Den Herrn Inspector mochte dieses nicht wenig gekränket haben, als der auf solche Weise durch diesen Brief gar sehr prostituiret [bloßgestellt] wurde, daß er nicht einmal die Lehrer auf Universitäten kenne, und ihn die Wittenberger erst eines Bessern belehren müssen. Doch suchte er sich damit zu schützen, daß er sagte: Es wäre alles erdichtet, was ich schriebe: ich hätte es nur getan ihn zu kränken, und zwischen ihm, und D. Neumannen Mißhelligkeit und Feindschaft zu stiften, auch D. Neumannen und Buddeum selbst an einander zu hetzen. Wie diese Sache eine wunderbare Gelegenheit gewesen, sowohl zu dem Tode des Herrn D. Neumanns in Wittenberg, als auch zu dem Tode des[219] Sohnes des Herrn Inspector Neumanns zu Breslau, kann ich nicht eher beschreiben, bis ich die Schwedische Troublen in Sachsen kurz erzählet, welche damit zusammen hangen, und genau verknüpft sind.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 218-220.
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