Anno 1707
§ 89

[232] Ich machte auch gleich dazu Anstalt, doch wollte ich gerne erst einmal in der Stadt predigen, um die übele Nach-Rede zu widerlegen, als ob mir die Kanzel wäre verboten worden. Aber siehe, Herr Inspector Neumann war noch unversöhnt; und ob er gleich durch den Brief war von meiner Unschuld überführet worden, und daß das keinen Grund hätte, wessen er mich bezichtiget; so verfiel er doch auf eine neue Invention [Einfall], wo nicht meine Predigt in Breslau, doch einst meine Promotion zum Predigt-Amte zu hindern, und schwer zu machen. Er wußte wohl, was das in unserer Kirche bei einem Candidato Ministerii [Predigtsamtskandidaten] zu sagen hat, wenn er wegen der Lehre schon einmal verdächtig gewesen, und deshalben vor Gerichte stehen müssen. Darum klaubte er etliche Dinge wider mich zusammen, so ich sollte vor dem Jahre geprediget haben, welche ihm die andern Candidaten zugetragen, oder die er selbst, als ich in der Elisabeth-Kirche geprediget, wollte gehöret haben. Er brachte es dahin, daß ich vor das Consistorium, oder lutherisches Kirchen-Amt, (denn die Papisten wollen den Lutheranern in Breslau kein Consistorium zugestehen) citiret wurde. Ich stellte mich, um zu hören, was man noch ferner wider mich hätte. Es waren aber eben diese Dinge, die er vor dem Jahre in seinem Hause mir vorgehalten, und worauf ich zur Genüge geantwortet, und mich purgiret [gereinigt] hatte; so daß, weil er dazumal in meiner Antwort acquiescirte [sich beruhigte], und damit zufrieden war, ich jetztund solches sein Verfahren wider mich nicht anders, als eine Politique [Intrige] ansehen kunte, die ihre heimliche Absichten hatte. Es betraf die Prüfung, so einem[232] Christen oblieget, zu untersuchen, ob er ein wahrer Christ sei, und zu Gott bekehret worden; und die Quæstion [Frage], ob einer auch das Jahr wissen könne, und die Zeit, wenn er Buße getan, und sich bekehret, und aus einem Kinde des Satans ein Kind Gottes worden. Ob ich nun gleich auf der Kanzel schon den Satz eingeschränket und solches nicht von allen gesaget hatte, er mir auch dazumal schon An. 1705 in seinem Hause zugestand, daß ich, wie er sinnreich redete, da ich den Spieß zu weit geworfen, hernach denselben wieder zurücke holen wollen: (eine artliche [sonderbare] Art der Schmähungen, wenn man einem seine nötige Restriction einer Propositionis universalis affirmativæ [allgemeinen Behauptung] nicht gelten lassen, sondern sie ihm dennoch zur Last legen will;) so wollte er mir doch nun beimessen, ich hätte die Sache auf der Kanzel universal gemacht, und gesagt: es könne und müsse ein jeder Christ die Zeit, und die Stunde (wie er boshaftiger weise dazu setzte) wissen, wenn er bekehret worden. Ich producirte zu meiner Verteidigung eine Passage aus Licentiat Werners Himmels-Weg, der viel universeller in dieser Sache geredet, und geschrieben, und man habe ihm doch keine Ketzerei daraus gemacht, vielweniger ihn deshalber vor Gerichte geladen. Aber ich fand kein Gehör. Nicht drei Worte konnte ich in Ruhe reden, daß nicht bald dieser Prediger, bald der andere Prediger aus den Assessoribus [Beisitzern] mir in die Rede fiel, so daß auch der Præses [Vorsitzender], der zu proponiren [reden] angefangen hatte, darüber sein Mißvergnügen bezeugete. Was müssen doch Politici [weltliche Beamte] bei solchen Fällen denken, wenn sie dergleichen Unart, und unförmliche [ungehörige] Weise, einen Menschen von seinen Irrtümern zu bekehren, oder wegen seinen Lehren zur Rede zu stellen, sehen und anhören müssen. Es waren die obersten 4 Prediger, so im Consistorio mit saßen; bald eiferte dieser, bald ein anderer, bald satzten zwei und drei auf einmal in mich hinein, ohne daß sie mich zu einer völligen Antwort kommen ließen, so daß es eine rechte Lust, oder vielmehr ein Jammer war, solches anzuhören. Ich dachte in meinem Sinne: Seid ihr Theologi, seid ihr Presbyteri [Gemeindevorsteher], sollt ihr Knechte Gottes sein, die Leute selig zu machen, und den Weg zum Himmel zu weisen? Heißt das die Ketzer bekehren, und den Irrenden zu rechte helfen, wenn ihr den Beklagten kein Wort laßt aufbringen? Und wenn die Jungen auf der Gassen des Richters spielen, so lassen die Beisitzer den Beklagten mehr, als ihr, reden. Ich kann nicht sagen, noch mit Worten genug beschreiben,[233] wie nahe ich dazumal dem Irreligionismo gewesen, und wie sehr mein Glaube, auch was unsere Kirche anbetrifft, geschwächet worden, als mir zu einer Zeit, da ich noch orthodox war, solche Dinge begegneten, die ich an unsern Lehrern vor unmöglich jederzeit gehalten hatte, und dergleichen man kaum bei päbstischen Inquisitionen anmerken sollte. Das Beste hierbei war, daß ich doch endlich dazu gelangte, worzu ich doch gerne gelangen wollte. Denn so bald die Verhörung ein Ende hatte, so wurde mir die Freiheit gegeben, in der Stadt zu predigen, wenn, und wo ich wollte, welches auch bald nach dem Neuen Jahr in dem reichen Hospital geschahe.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 232-234.
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