Anno 1707
§ 92

[237] Doch meine Maladie vergieng gegen Ende des Sommers durch Motion und Arznei, welche mir der selige Herr D. Pauli verschrieb, dessen Sohn ich ad studia Academica præparirte. Es hätte mich aber bald ein Gemüts-Übel nicht wenig beunruhiget, wenn nicht der gute Verdienst, den mir meine Collegia brachten, mich dabei aufgerichtet hätte: wie ich denn von einer Messe bis zur andern beinahe 100 Rtlr. einzunehmen hatte. Es war eine Stelle im Frauen-Collegio vacant, und ich hatte das nächste Recht dazu, auch alle Requisita essentialia [wesentlichen Voraussetzungen], so die Statuta Collegii erforderten. Gleichwohl, weil ich mich etwas zu späte bei dem Herrn D. Schmidt, dem Præfecto, sollte gemeldet haben, so fand ich bei ihm kein Gehör. Er war schon durch vornehme Intercession [Einsprache] vor einen andern eingenommen, und wer weiß, was sonsten noch vor Ursachen mochten dazu gekommen sein, daß er vor mich nicht disponiret war, so viel Gewogenheit er auch sonst vor mich hatte. D. Günther, der in dem Frauen-Collegio der andere war, und sonst mein großer Patron sein wollte, war auch nicht zu gewinnen. Er wußte mir vorzusagen, wie jetzt in Schlesien durch Vermittelung des Königes von Schweden viel Kirchen würden restituiret werden: er stehe in Schlesien in großem Ansehen, er werde nur recommendiren [empfehlen] dürfen, so würde ich die beste Pfarr erhalten, die ich nur wünschen könnte. Mein Mit-Competente [Bewerber] zur Collegiatur wäre M. Jacobi, der gerne in eine Schule wollte, und etwan ein Rectorat suchte; es wäre aber bekannt, wie sehr man bei Vocirung [Berufung] eines Schul-Manns darauf sähe, wenn einer schon auf der Universität Assessor, oder ein Collegiate wäre. Dieses aber sagte er alles aus List, und mit Verstellung. Denn es war alles schon vor den damaligen M. Baudisium, den jetzigen Professorem bei hiesiger Universität, eingerichtet, der auch in seinem Ansuchen reussirte, und die Collegiatur wegbekam. D. Günther hätte mir es nur kühn sagen mögen, daß man auf denselben Reflexion mache, ich würde mich gerne zufrieden gegeben haben. Denn ich war demselben wegen seiner ungemeinen Conduite und Erudition so zugetan, daß ich glaube, wenn ich selbst ein Recht zu votiren [wählen] bei dieser Vacanz [Stellenbesetzung] gehabt, ich würde das Votum nicht mir selbst, sondern ihm gegeben haben. Er hatte auch Merita [Verdienste] genug vor sich. Denn die Schlesische[238] Nation, welcher das Frauen-Collegium gehöret, war besonders von ihm obligiret worden. Denn da kurz zuvor, und bei einer andern Vancanz ein Extraneus, der kein geborner Schlesier, von Hofe Befehl brachte, daß man ihn in das Collegium aufnehmen sollte; so schickte unsere Nation nebst Herr M. Ortloben diesen Baudisium nach Dresden, welche durch ihre Geschicklichkeit die Sache zu hintertreiben wußten. Mir galte es zwar gleich viel, ob der damalige Extraneus obtiniret [die Stelle erhalten] hätte, oder nicht; denn ich hatte gleiche Hochachtung und Liebe gegen denselben wegen seiner schönen Oratorie [Redekunst], um welcher willen er bei der ganzen Academie [Universität] berühmt war, und wegen seiner sinnreichen Penseen [Gedanken] über Staats-Sachen, welche er damals als ein Journal im Druck heraus gab. Doch mußte ich mir den Schluß [Beschluß] unserer Nation damals gefallen lassen. Mich hintergehet einer in der Welt nicht leicht zweimal. Zufälliger weise war es gut, daß D. Günther mich dazumal täuschte, und mir allerhand Wind vormachte; denn dadurch geschahe es, daß 4 Jahre hernach, da ich Prediger in Leipzig werden sollte, seine Politique [Intrige] an mir vergebens war, wie ich solches besser unten erzählen werde.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 237-239.
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