Anno 1728
§ 143

[356] Die Zeit der Verhörung, welche in der Michaels-[29. 9.]Woche ihren Anfang nehmen sollte, rückte nun mit mähligem herbei, und da hätte ich mich freilich auf dieselbe, und auf die Punkte, worüber ich etwan konnte befraget werden, præpariren und zuschicken sollen; allein an statt, daß ich mich darauf zubereiten sollte, indem ich es auch nicht vor sonderlich nötig hielt, so præparirte ich mich vielmehr auf meinen bevorstehenden Tod, weil ich wegen erschöpfter Kräfte des Leibes, und Gemütes in der gänzlichen Meinung stand, daß mich diesmal Gott aus der Welt abholen werde, obgleich die Einbildung wegen eines Todes, so von der Hand der Obrigkeit zu befürchten, bei mir vergangen war. Wunder wäre es nicht gewesen, wenn dieselbe Einbildung mich noch länger eingenommen hätte. Denn als mir Mittwochs nach dem XIII. post Trinitatis die Suspension im Consistorio von dem Herrn Præsidenten vorgelesen wurde, so ließ sich derselbe dabei unter andern verlauten: Ich hätte von Ihro Majestät erhalten, warum ich Ansuchung getan: weil ich mich offeriret, daß ich mich wollte weisen und lehren lassen, so wären welche verordnet und bestimmet, die mich eines Bessern unterrichten sollten, und weil solches nicht so bald vor sich gehen dürfte, so würde ich Zeit genug haben, mich darauf, ja auf meinen Tod selbst, der gewiß nicht nicht mehr ferne sein könnte, zu præpariren. Ich wußte nicht, was ich diesen Worten vor eine Bedeutung geben sollte: ob ihn meine elende Gestalt, oder sonst eine andere Absicht solches zu reden veranlasset, habe mir auch nicht deshalben weitere Mühe gegeben.

Ich lase zu Hause nebst Gottes Wort allerhand gute geistliche Bücher, und unter andern Lütkemanns Epistel-Postille; welche in Wahrheit viel Gutes bei mir gewürket, und in den Episteln, in welchen unsere evangelische Glaubens-Punkte gar sonderlich ihren Grund und Beweis haben, dergleichen die Epistel auf den XIII. Trinitatis ist [Gal. 3,15–22], mir mehr Scrupel und Zweifel benommen, und auch zur Revocation [Widerrufung] geneigter gemacht, als immer mehr hernach die Disputationes, und Schriften wider mich ausgerichtet haben. Um dieselbe Zeit, da ich mich also auf den Tod bereitete, geschahe eben das, was ich oben gemeldet, daß ich mich auf die Gedanken bringen ließ, als wenn ich durch die Hand des Scharfrichters würde sterben müssen.[357] Es war ohnedem vorher schon durch Einbildung des Todes wegen großer Leibes-Schwachheit mein Gewissen wegen aller Sünden, so ich jemals begangen, wie bei Leuten, so da meinen, daß sie sterben werden, oft zu geschehen pfleget, dermaßen aufgewachet, so daß alle meine geringsten Fehler, und andere Missetaten in der höchsten Größe mir vorkamen, und es nicht anders war, als ob ich jetzt erst von neuem Buße täte. Ein recht merkwürdiger Umstand, den ich hier nicht kann vergessen mit anzuführen, war dieser: Hatte ich auf etliche Tage wegen Betrübnis meiner Sünde kaum schlafen können, so fieng ich endlich an, Gottes Gerichte vor höchst gerecht, und auch den Tod durch die Hand der Obrigkeit vor höchst billig zu erkennen. Ich unterwarf mich dermaßen Gottes Willen, und war so bereit, und willig solchen zu leiden, daß ich die eine Nacht vor Freuden davor nicht schlafen konnte. Ich hatte mir auch schon die Lieder in Gedanken bestimmet, die man mir beim Hinausführen singen sollte, v.g. Herzlich lieb hab ich dich o Herr etc. Mit Fried und Freud ich fahr dahin etc. Herr, nur laß in Frieden etc. Insonderheit war ich bekümmert, ob sie mir auch zu Gefallen eine Änderung treffen, und das Lied: Nun bitten wir den Heiligen Geist, welches man sonst nach der Execution singet, vor der Execution zu meinem Trost und Erquickung würden singen lassen.

Wie ich schon eines guten Teils meines Verstandes also wohl mochte beraubet sein: so kam dieses noch dazu, daß ich einen Traum, der mir oftmals geträumet, beinahe mit der Tat, die ich doch nur im Traume begangen, confundiret hätte. Ich bin zweimal in meinem Leben in Jena, An. 1708, und 1711 gewesen, und habe mit keinem Menschen ein böse Wort geredet, vielweniger mich mit demselben in Zank oder Duell eingelassen; und doch hat mich nach der Zeit um ein leichtes geträumet, als ob ich da einen Purschen im Duell erstochen, und als ob man mich aufsuche, so daß ich im Traume immer in Angst gewesen, entdecket, und erhaschet zu werden. Wenn ein Traum einem vielmal träumet, obschon zu weit unterschiedenen Zeiten, so kanns geschehen, daß man auf die letzte [zuletzt], insonderheit, wenn man in andere [neue] Not und Angst gerät, sich kaum mehr zu besinnen weiß, ob es wahrhaftig geschehen, oder ob es nur ein Traum gewesen.

Gegen Michael waren nun diese Dinge ziemlich alle aus meinem Gemüte vergangen; und da hätte ich wohl gerne, nachdem ich ein wenig zur Ruhe gekommen, wissen mögen, über was vor[358] Punkte man mich insonderheit vernehmen würde, um mich doch ein wenig auf dieselben præpariren zu können; allein da war niemand so gütig, und mitleidig gegen mich, der von freien Stücken drauf gefallen wäre, und darauf gedrungen hätte, daß man mir solche Punkte einhändigte. Denn gesetzt, daß es sonst nicht gebräuchlich, einem Inquisito seine Privilegia Juris zu entdecken, wenn er sich derselben selbst nicht zu bedienen weiß; so hätte man doch leicht bei einem armen einfältigen Manne, der keinen Beistand hatte, ein übriges tun können, und ihm solche von freien Stücken, ohne sein Begehren, communiciren. Denn ich wußte auch endlich wohl so viel, daß, wenn ich um Communication anhielte, und darauf bestünde, man mir solche nicht versagen könne; doch die Schwachheit des Leibes und des Hauptes, und die Furcht, neue Sorgen und Verdruß zu bekommen, hatten mich zu allem träg, und verdrossen gemacht, daß ich alles gehen ließ, wohin es seinen Hang hatte.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 356-359.
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