Anno 1736
§ 156

[383] Mein Leib war noch nicht gesund; und wenn ich auch in der Seele froh war, so fühlte ich doch die erschrecklichste Hitze im[383] Haupte bei allen geringen Gelegenheiten, welche einige Kräfte der Gedanken und der Lebens-Geister erforderten. Weil ich bei einem halben Jahre her in lauter Furcht gewandelt, so war mir das Fürchten, Zittern, und Beben, wie ganz natürlich worden. Ich hatte der Sünden Größe und Übel dermaßen gefühlet, daß ich zu allem schüchtern worden, in Meinung, daß es Sünde wäre. Um ein leichtes fielen mir allerhand Dinge ein, worinnen ich es vor diesem meinte versehen, und nicht recht gewandelt zu haben; oder worinnen ich jetzt nach meinem Erachten noch nicht recht wandele; und siehe, da überfiel mich allemal eine ungewöhnliche Hitze im Haupt und Herzen, daß mir brühe heiß wurde, und ich wie in lauter Feuer gieng. Die eine Woche kam mir dieses, die andere Woche, oder in etlichen Wochen etwas anders ein; bis endlich mit mählichem mein Leib und Gemüte in einen bessern Zustand gesetzet wurde. Es begegnet zwar manchmal auch andern Menschen, daß sie einen Gewissens-Skrupel bekommen, ob das und jenes recht gewesen, was sie getan; oder vor Gott zu entschuldigen sei, was sie noch tun; sie überlegen aber solches mit kaltem Geblüte, und wann sie befinden, daß es wider Gottes Befehl sei, so unterlassen sie, was sie vor unrecht halten, und suchen auch, wie sie das, was sie ehemals versehen, wiederum verbessern und ändern mögen, wenn es noch zu verbessern und zu ändern möglich, ohne daß große Unruhe deswegen in ihrem Gemüte entstehen sollte. Weil aber mein hitziger und schwacher Leib und Kopf nicht die geringste Sorge und Furcht ertragen konnte, so war bei jedwedem geringen Dinge lauter Not vorhanden, als wenn die ewige Seligkeit daran hienge. Ich hatte dieselbe Jubilate-Messe in der Zahl-Woche einige Dinge, so ich eingekaufet, veraccisiret [verzollt], und war willens, darauf in einen Garten zu gehen, mich zu erquicken. Unterwegens kommt mir ein, als ob ich in vorigen Jahren, und auch noch als ein Studente manches bei Fremden eingekaufet, wovon ich keinen Accis gegeben. Ob ich nun mich wohl auf keine gewisse Sache, so ich veraccisiren vergessen, besinnen kunte; dennoch weil ich meinte, daß es darinnen doch wohl von mir in einem und dem andern möchte sein zuweilen versehen worden, so geriet ich in ungemeine Angst und Hitze, so daß ich glaube, daß jüngsthin dem Tischler-Gesellen sein Weg auf der Grimmischen Straße zum Rabenstein hinaus kaum so schwer zu gehen angekommen, als der meinige mich in Garten zu gehen ankam. Doch mein Gemüte zu beruhigen, so habe ich nach etlichen Tagen drauf solche Veranstaltungen und Verordnungen getroffen,[384] daß mir das Gebot de restitutione retenti [Zurückgehaltenes herauszugeben] wie ich hoffe, weiter keine Plage und Unruhe machen wird.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 383-385.
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