Vorwort

[5] von

Helene von Krause geb. von Boddien.


»Vor Cousine Hedwig nehme ich den Hut ab!«

Dieser Ausspruch des Fürsten Bismarck über die Verfasserin der »Erinnerungen« möge als Geleitwort für die Herausgabe dieser schlichten Blätter dienen.


Ein äußerlich einfaches, ja unscheinbares Frauenleben stellt sich darin dar, dessen Trägerin fast ein Jahrhundert lang ihren Weg durch Freud und Leid des Erdenwandels suchte und fand.

Das alte Goethewort: »Greift nur hinein ins volle Menschenleben, und wo ihr's packt, da ist's interessant« hat noch überall seine Gültigkeit. So werden auch die Leser dieser Blätter bei aller Einfachheit und Anspruchslosigkeit, mit der die bald Hundertjährige hier erzählt, die Erinnerungen mit dem Gefühl lebhafter Teilnahme verfolgen und nicht ohne jene innere Befriedigung aus der Hand legen, die uns die Begegnung mit einem Menschen einflößt, der sich tapfer und bescheiden, pflichttreu und hilfsbereit, klug und liebevoll, mit hellem Blick für das Echte und Schöne im Leben und zugleich mit köstlich frischem Humor, an der Hand seines Gottes, kernhaft durch ein langes Leben kämpfte.[5]

Hedwig v. Bismarck sagte im Rückblick auf die Vergangenheit:

»Je älter man wird, je mehr lernt man Gottes Allmacht anzustaunen. Was der liebe Gott nicht alles kann, aus solchem Feuergeist wie ich, einen ruhigen, alten Menschen zu machen! Aber er hat auch seine Arbeit damit gehabt und arbeitet immer noch sachte weiter:


Man halte nur ein wenig stille

Und sei doch in sich selbst vergnügt,

Wie uns'res Gottes Gnadenwille

Und sein' Allwissenheit es fügt.«


Wohl dem, der am Abend seines Lebens so sprechen kann!

Wie treffenden Witz und frischen Humor sich die Greisin bewahrte, beweist folgendes Geschichtchen. Als sie das 80. Lebensjahr erreicht hatte, machte sie ihr Testament. Der den Richter vertretende junge Assessor richtete bei dieser Gelegenheit gewohnheitsmäßig die vorgeschriebenen Fragen nach ihrem Alter usw. an sie und fragte, im Zuge bleibend: »Leben Ihre Eltern noch?« Auf diese der 80 jährigen gegenüber etwas verblüffende Zumutung, erwiderte Tante Bechen ohne Zögern: »Nein, aber meine Großmutter, die macht heute gerade eine Landpartie in den Grunewald.«

»Tante Bechen«, so heißt sie bei allen, die ihr näher stehen, und wohl allen, die diesen Namen nennen, weckt er liebe Erinnerungen.[6]

Einen besonders lebhaften Ausdruck fanden diese bei Gelegenheit der Feier ihres 90. Geburtstages. Er wurde als ein Fest, an dem weite Kreise sich beteiligten, in Schönrade gefeiert, im Hause des Herrn v. Wedemeyer, des Sohnes ihrer verstorbenen Freundin Clara, von der in den »Erinnerungen« noch oft die Rede sein wird. Nahezu die ganze Familie v. Wedemeyer, Mitglieder der Geschlechter Bismarck und Bredow, sowie ungezählte andere Freunde und Bekannte aus alter und neuer Zeit hatten sich persönlich, schriftlich oder telegraphisch dazu eingefunden. Auch die Kaiserin sandte eine schöne, mit Blumen gefüllte Jardiniere aus Berliner Porzellan und ein huldvolles Telegramm. Eine Fülle von Blumen und zahlreiche Geschenke, neben allerlei Aufführungen scherzhafter und ernster Art, hauptsächlich von der Jugend veranstaltet, erfreuten die Greisin und erhoben das Fest zu einem jener seltenen Gipfel im Leben, von denen aus das Herz in dankbarer Anknüpfung an die Vergangenheit sich der Gegenwart erfreut und die Zukunft getrost und gläubig in Gottes Hand stellt.

So ist ihr Leben reich an der Liebe und Teilnahme, die sie einst selbst gesäet, und deren Goldkörner nun als volle Garben ihren Lebensabend verschönen.

Auf Tante Bechen paßt daher das Dichterwort:


»Wer Liebe sät, der geht auch im Entbehren

Im Alter durch die Welt,

Als ging er zwischen lauter reisen Ahren

Im eig'nen Ährenfeld.«
[7]

Wie dankbar sie selbst zurückschaut, mag zum Schluß dieser Zeilen eine Stelle aus einem ihrer Briefe zeigen. Sie schreibt:

»Viele Erinnerungen ziehen in bunten Bildern an mir vorüber. Du weißt, daß das Leben schwer, recht schwer war, aber es ist doch nahe am Abend und – es ist Licht! Es ist nicht allein, daß ich Gott für all das Gute, für den reichen Schatz Eurer Liebe danke, ich danke Ihm noch mehr, daß Er in unendlicher Geduld das Herz stille machte und all die Unruhe, den Eigenwillen und das Verzagen besiegte.«


So klingt ihr Leben aus in dem Wort des Psalmisten:

»Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern Deinem Namen die Ehre!«[8]

Quelle:
Bismarck, Hedwig von: Erinnerungen aus dem Leben einer 95jährigen. Halle 151913.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Erinnerungen aus dem Leben einer 95jährigen
Erinnerungen aus dem Leben einer 95-jährigen: Nachdruck Der Originalausgabe Von 1913 In Frakturschrift