II.
Ueber die ungünstigen Verhältnisse des Weibes zur menschlichen Gesellschaft.

[20] Das Erste und Nöthigste, was ich dir, wofern du selbst es nicht schon längst bemerkt haben solltest, hier zu melden habe, ist: daß das Geschlecht, zu dem du gehörst, nach unserer dermahligen Weltverfassung, in einem abhängigen und auf geistige sowol als körperliche Schwächung abzielenden Zustande lebt, und, so lange jene Weltverfassung die nämliche bleibt, nothwendig leben muß. Das ist freilich keine angenehme, aber eine nöthige Nachricht, die ich, wenn ich zu deinem großen Schaden dich nicht täuschen wollte, dir nicht verheelen durfte.

Aber laß dich dadurch nur nicht niederschlagen, mein Kind! Denn wisse, daß es nichts desto weniger, bei einiger Seelenstärke und Selbstverläugnung, ganz bei dir stehen wird, in manchem Betracht eine glückliche Ausnahme von dem Schicksale deiner Schwestern zu machen, und dir einen so würdigen, ehrenvollen und glücklichen Wirkungskreis zu eröffnen, als wir andern sogenannten Herrn der Schöpfung nur immer für uns abzustechen und uns zuzueignen vermögen. Vernimm nur erst, worin jene abhängige, für eure gesammte Ausbildung so ungünstige Lage besteht: dann wollen wir die Mittel ausfindig zu machen[21] suchen, wodurch du das Unangenehme und Schädliche derselben, wo nicht ganz entfernen, doch in hohem Grade vermindern und dir versüßen kannst.

Jede menschliche Gesellschaft, auch die kleinste, dis aus Mann und Weib und Kindern besteht, ist ein Körper; und zu jedem Körper gehören Haupt und Glieder. Gott selbst hat gewollt, und die ganze Verfassung der menschlichen Gesellschaften auf Erden, so weit wir sie kennen, ist danach zugeschnitten, daß nicht das Weib, sondern der Mann das Haupt sein sollte. Dazu gab der Schöpfer in der Regel dem Manne die stärkere Muskelkraft, die straffern Nerven, die unbiegsamern Fasern, das gröbere Knochengebäude; dazu den größern Muth, den kühnern Unternehmungsgeist, die auszeichnende Festigkeit und Kälte, und – in der Regel meine ich – auch die unverkennbaren Anlagen zu einem größern, weiterblickenden und mehr umfassenden Verstande. Dazu ward bei allen gebildeten Völkerschaften die ganze Erziehungs- und Lebensart der beiden Geschlechter dergestalt eingerichtet, daß das Weib schwach, klein, zart, empfindlich, furchtsam, kleingeistig – der Mann hingegen stark, fest, kühn, ausdauernd, groß, hehr und kraftvoll an Leib und Seele würde. Die ruhige Lebensart und das Stillsitzen, wozu ihr nun einmahl größtentheils verdammt seid von früher Jugend an; eure, jede freie und rasche Bewegung hindernde, unnatürliche Kleidung; eure Sitten, eure meisten Beschäftigungen, eure ganze[22] gewöhnliche Art zu leben und zu sein, zwecken alle auf jenes, unsere eigene freiere Lebensart hingegen, unsere jugendlichen Spiele, Uebungen und Geschäfte – in sofern sie von einem verständigen Erzieher angeordnet werden – auf dieses ab. Es ist also der übereinstimmende Wille der Natur und der menschlichen Gesellschaft, daß der Mann des Weibes Beschützer und Oberhaupt, das Weib hingegen die sich ihm anschmiegende, sich an ihm haltende und stützende treue, dankbare und folgsame Gefährtinn und Gehülfinn seines Lebens sein sollte – er die Eiche, sie der Efeu, der einen Theil seiner Lebenskraft aus den Lebenskräften der Eiche saugt, der mit ihr in die Lüfte wächst, mit ihr den Stürmen trotzt, mit ihr steht und mit ihr fällt – ohne sie ein niedriges Gesträuch, das von jedem Vorübergehenden zertreten wird.

Hierin nun ist an sich gar nichts Böses; nichts, was deinem Geschlechte auch nur im geringsten zur Unehre oder zum Nachtheile gereichen kann. Abhängig zu sein, ist ja im Grunde das Loos aller Menschen, so viel ihrer auf Erden leben, des Mannes so gut als des Weibes, des Fürsten so gut wie des niedrigsten seiner Unterthanen. Auch kann ein auf Vernunft und Gesetze gegründeter Grad von Abhängigkeit, mit menschlicher Zufriedenheit und Glückseligkeit nicht nur gar wohl bestehn, sondern die Natur des[23] Menschen und einer jeden menschlichen Gesellschaft machen es auch durchaus nothwendig, daß immer Einer dem Andern, und Alle dem Gesetze untergeordnet sein müssen. Eine Gesellschaft ohne alle Abhängigkeit, ist ein Unding, ein Traum, dem wachend seiner, der die Menschen kennt, nachzuhängen sich erlauben wird.

Nur Schade, daß die Gränzen des Rechts der Herrschaft, welche die eine Hälfte des menschlichen Geschlechts über die andere, die männliche über die weibliche, behauptet, bisher so unbestimmt und schwankend waren, daß Jeder, nach Beschaffenheit der Umstände und nach dem Maße seiner Kraft, sie willkührlich ausdehnen oder zusammenziehen konnte! Schade, daß weder die Gesetzgebung, noch die fortschreitende öffentliche Aufklärung es bis jetzt über sich genommen haben, diese Gränzen nach Recht und Billigkeit und mit Rücksicht auf das Wohl des Ganzen genau zu bestimmen! Die Folge davon ist, daß man in den dermahligen Verhältnissen zwischen Mann und Weib alle Grade der Herrschaft und der Unterthänigkeit, von der höchsten Zwangsherrschaft auf der einen und der niedrigsten Sklaverei auf der andern Seite an, bis zur völligen Gleichheit, ja bis zur umgekehrten Herrschaft des Weibes über den Mann erblickt. Bei dieser Unbestimmtheit hängt es denn größtentheils von dem, was wir Zufall nennen, am[24] meisten aber von den persönlichen Eigenschaften und Gemüthsarten auf beiden Seiten ab, was für ein Loos die schwächere Hälfte treffen soll; und das Mädchen, welches heute seine Hand einem geliebten und liebevollen Manne gibt, kann, wofern es ihn vorher nicht ganz genau kennen lernte, nur erst nach Verlauf einer gewissen Zeit mit Zuverlässigkeit erfahren, ob es einen Freund oder einen Gebieter oder gar einen Tirannen an ihm haben werde.

Du, mein Kind, befolge hier, wie in ähnlichen Fällen, die Klugheitsregel, zwar nicht gerade das Schlimmste, aber auch nicht gerade das Beste zu erwarten, und dich auf dasjenige gefaßt zu halten, was zwischen beiden in der Mitte liegt. Siehe es also immer, wo nicht für die natürliche Bestimmung, doch wenigstens für ein, schwerlich ganz zu vermeidendes Loos deines Geschlechts an, in einer, zwar durch äußerliche Zeichen der Hochachtung verlarvten, aber nichts desto weniger sehr wahren, vielleicht gar etwas drückenden Abhängigkeit zu leben. Halte es immer, wo nicht für überwiegend wahrscheinlich, doch für sehr möglich, daß du einem Manne zu Theil werden wirst, der – auch wenn er übrigens edel, brav und bieder ist – doch seine Rechte der Oberherrschaft über dich gelten zu machen, deinen Willen und besonders deine Gelüste, wofern du deren hättest, kräftig einzuschränken, und bei jedem Versuche,[25] ihm das kleine Staatsruder aus den Händen zu winden, dir das Uebergewicht seiner männlichen Kraft stark zu empfinden zu geben, wissen wird. Nimm es immer – wenigstens um mehrerer Sicherheit willen – zur Regel an, daß der Mann, selbst der bessere, wenn er wirklich Mann ist, und nicht bloß den äußern Umriß der Mannheit an sich trägt, ein mehr oder weniger, aber doch immer in einigem Grade stolzes, gebietrisches, herrschsüchtiges, oft auch aufbrausendes und in der Hitze der Leidenschaft oft bis zur Ungerechtigkeit hartes und fühlloses Geschöpf ist. Sei endlich, diesem allen zufolge, fest überzeugt, daß Geduld, Sanftmuth, Nachgiebigkeit und Selbstverläugnung die allerunentbehrlichsten Tugenden deines Geschlechts sind, ohne welche ein weibliches Geschöpf, das seine natürliche Bestimmung erreichen, d.i. Gattinn und Mutter werden will, unmöglich glücklich und zufrieden leben kann.

Um dich völlig hievon zu überzeugen, muß ich den Vorhang, der deiner jugendlichen Unerfahrenheit die gewöhnliche Lage des Weibes, die, weil sie die gewöhnliche ist, auch die deinige werden kann, verbirgt, noch etwas weiter in die Höhe ziehn. Die Abhängigkeit des Weibes vom Manne ist, so lange sie in den von Vernunft und Billigkeit gesetzten Schranken bleibt, nur ein Schein-übel, kein wirkliches; weil in den meisten Fällen das Weib es ganz[26] in ihrer Gewalt hat, diese Abhängigkeit so zu mäßigen, zu mildern und zu versüßen, daß von dem Unangenehmen, welches jede Einschränkung der menschlichen Freiheit allerdings mit sich führt, hier kaum noch etwas merklich bleibt. Aber ein wirkliches und sehr drückendes Uebel für dein Geschlecht ist die weit schwerere Herrschaft, welche Vorurtheile, Moden, Sitten und bürgerliche Verfassungen darüber ausüben. Diese, besonders die drei ersten, sind die wahren Tirannen dieses armen, über seine eigenen Vortheile erblindeten Geschlechts, weil sie fast ohne Ausnahme darauf hinleiten, euch an Leib und Seele erbärmlich zu schwächen und zu unterdrücken; jede ursprüngliche Menschenkraft in euch zu verrenken und zu lähmen; eure Herzen mit unermeßlichen Ansprüchen anzufüllen, um sie nachher, zu eurer nicht geringen Marter – unbefriediget zu lassen; euch eine kleingeistige Denkungsart einzuflößen; euch an Leib und Seele weichlich und, was mit Weichlichkeit unzertrennlich verbunden ist, entnervt, furchtsam, ängstlich und unbehülflich zu machen. Darauf zweckt eure ganze, von Vorurtheilen angeordnete Erziehung, eure unnatürliche zwangvolle Kleidung, eure tändelnde Geschäftigkeit, eure ganze Art zu leben und zu sein ab. Dazu verdammen euch die oft widersinnigen Begriffe, welche Moden und Gebräuche über das, was sittlich und unsittlich heißen soll, eingeführt und herrschend gemacht haben. Tausend Aeußerungen einer[27] freien unabhängigen Selbständigkeit sind dem Manne – so will es die Weltsitte – vergönnt, oder werden ihm nachgesehn: euch nicht! Tausend an sich unschuldige und unschädliche Dinge, wobei Körper- und Geisteskräfte geübt und gestärkt werden können, sind dem Manne – so will es das tirannische Gesetz der Mode und des Vorurtheils – erlaubt: euch nicht! Um seinen guten Namen, um die Ehre seiner sittlichen Gemüthsart unverletzt zu erhalten, darf jener in den meisten Fällen nur alles das vermeiden, was an sich und wirklich schlecht, lasterhaft und schändlich ist: du, mein Kind, mußt – willst du anders die zarte Blume deiner jungfräulichen oder eheweiblichen Ehre und mit ihr deine Wohlfahrt unversehrt erhalten – bei jedem Schritte, den du thust, bei jeder, auch noch so kleinen und gleichgültig scheinenden Handlung, nicht bloß auf ihre innere Sittlichkeit, sondern auch auf das übereinkünftliche Gepräge derselben, auch auf das: was wird man davon sagen? sehen! Du fühlst vielleicht Kräfte des Geistes und einen Trieb zu gemeinnützlicher Wirksamkeit in dir, die dich fähig und begierig machen, einen größern Wirkungskreis auszufüllen, an den öffentlichen Geschäften des Staats Antheil zu nehmen, dich durch große ruhmwürdige Handlungen auszuzeichnen: aber die bürgerliche Verfassung hat dir jede Gelegenheit dazu abgeschnitten, hat jeden Stand-ort, auf dem sich etwas Großes und Rühmliches verrichten[28] läßt, fast ohne Ausnahme mit Männern besetzt, und ein demüthigendes Zurück! scheucht dich, sobald du es dennoch wagen wolltest, dich einem solchen Stand-orte zu nähern, fort und verweiset dich wieder in den kleinen Kreis deiner, zwar an sich sehr wichtigen, aber von allen Seiten beschränkten und wenig bemerkbaren häuslichen Wirksamkeit. Du fühlst und siehst aus der täglichen Erfahrung mit unbezweifelter Gewißheit ein, daß Abhärtung an Leib und Seele durch häufige und starke Körperbewegung, durch tägliche Gewöhnung an jegliche Witterung, und durch eine ungehinderte freie Uebung und Anstrengung aller deiner menschlichen Kräfte, eine unumgänglich nothwendige Bedingung zum Wohlbefinden, zum Wachsthum und zur Stärkung an Leib und Seele sei: und die allgewaltige Mode zwingt dich unbarmherziger Weise, in vielen Stücken gerade das Gegentheil davon zu thun; und der tirannische Wohlstand schreckt dich mit seinem eisernen Zepter von tausend heilsamen Uebungen des Leibes und der Seele ab, und gebeut dir, zart, empfindlich, schwächlich und nervenkrank zu werden! Man nährt, wo du unter Jünglingen und Männern dich nur blicken lässest, überall deine weibliche Eitelkeit durch Schmeicheleien und scheinbare Ehrerbietigkeit; aber wärest du thöricht genug, diese nichtssagenden Dinge für etwas Bedeutendes zu nehmen und deine Ansprüche auf wirkliche Vorrechte vor den Männern oder nur auf gleiche oder ähnliche Rechte[29] danach abzumessen: so würdest du dich jämmerlich betrogen finden! Selbst der Mann, welcher einst um deine Hand sich zu bewerben für gut finden wird – denn gleich einer Waare, die nicht ausgeboten werden darf, mußt du warten, bis sich jemand findet, dem du anstehen wirst – selbst dieser Mann wird vielleicht alle Künste der Schmeichelei und der Liebkosungen anwenden, dir den Kopf zu verdrehen, um ihn nachher – dir wieder zurecht zu setzen! Er wird Reize und Vortrefflichkeiten an dir finden und bewundern, die du nicht hast; und in kurzen vielleicht diejenigen, die du wirklich haben magst, verkennen! Er wird dein demüthiger Sklav sein, um dein Herr zu werden; er wird von deinem Winke abhängen, um dich bald nachher von dem seinigen abhängig zu machen; er wird dich vergöttern, um dir hinterher vielleicht die Rechte der Menschheit zu schmälern – nicht weil er ein falscher, arglistiger, böser Mann ist; o nein! Er meint es wirklich, zur Zeit des Rausches seiner ersten Liebe zu dir, im Ernste so, wie er sagt und wie er sich bezeiget: aber diese überspannten Gefühle sind ihrer Natur nach vorübergehend; müssen um so eher und um so mehr erschlaffen, je überspannter sie waren; der feurige Liebhaber muß, er mag wollen oder nicht, sich wieder abgekühlt fühlen; das Verhältniß, worin du als Gattinn zu ihm stehst, zeigt dich ihm jetzt in einem ganz andern Lichte, als dasjenige war, worin du ihm, dem Liebhaber, vorher[30] erschienest. Was er damahls in dir anbetete, das ist ihm jetzt gleichgültig, wo nicht gar zuwider. Was er in deinem Vertragen damahls nicht zu finden wünschte, das macht er dir jetzt zum Gesetze; und was ihm damahls so sehr darin gefiel, das rechnet er dir jetzt wol gar zum Fehler an – abermahls nicht, weil er vorher falsch und arglistig war; sondern weil seine Gemüthstimmung nicht mehr die nämliche ist, weil er jetzt aus dem vorübergehenden Zustande des Liebhabers wieder in den bleibenden Zustand des Mannes zurückgetreten ist, weil der Weltstrom der Geschäfte, der Zerstreuunge, der Sorgen und der Verdrießlichkeiten ihn gewaltsam dahin reißt, ihn kalt, übellaunig, knurrig und mürrisch macht. – Siehe da, meine Tochter, einen nur flüchtig hingeworfenen Umriß von der ungünstigen Lage deines Geschlechts in Bezug auf die menschliche Gesellschaft überhaupt und auf das männliche Geschlecht insonderheit! Die Möglichkeit, daß eine junge Person deines Geschlechts sich auch in der großen Wahl, die über das Glück ihres ganzen Lebens entscheidet, in der Wahl ihres Gatten, betriegen, und, ohne es zu ahnen, sich einem Nichtswürdigen in die Arme werfen könne, diese Möglichkeit habe ich in jenem traurigen Umrisse absichtlich unberührt gelassen, weil ich zu deinem Verstande, zu deinem Herzen und zu deinem Pflichtgefühle das volle Vertrauen habe, daß du bei diesem großen entscheidenden Schritte, wenn er einst auch[31] von dir gethan werden muß, den auf größere Menschenkenntniß und auf Liebe zu dir gegründeten Willen deiner Eltern ehren, oder, wofern diese nicht mehr bei dir wären, dem Rathe treuer, einsichtsvoller und erfahrner Freunde folgen wirst.

Aber wozu eröffne ich dir diese, eben nicht sehr reizende Aussicht in das größre menschliche Leben, dem du nunmehr mit starken Schritten entgegen gehst? War etwa meine Absicht dabei, dich dadurch kleinmüthig und verzagt zu machen? Das wäre sehr unzweckmäßig und widersinnig von mir gehandelt. Man braucht ja Muth zum menschlichen Leben, auch zum weiblichen; zu diesem vielleicht noch mehr als zum männlichen; und ich möchte den deinigen lieber erheben, als ihn niederschlagen. Oder will ich dir etwa, eben so unverständiger Weise, eine Abneigung gegen den Ehestand einflößen; gegen einen Stand, wozu wir alle, wenn wir die völlige Reife des Alters erreicht haben und gesund an Leib und Seele sind, von der Natur selbst berufen und verpflichtet werden! Aber auch das sei fern von mir! Wie könnte ich es wagen, den weisen und mütterlichen Absichten der Natur, welche keine Abweichung von ihren Gesetzen ungeahndet läßt, an meinem einzigen Kinde entgegen zu arbeiten? Und was würde es dir auch helfen, der ehelichen Abhängigkeit entfliehen zu wollen, da du eben dadurch der weit größern,[32] härteren und drückenderen Abhängigkeit, theils von andern Menschen, theils von den Vorurtheilen, Sitten und bürgerlichen Verfassungen, nur noch mehr würdest unterworfen werden? Die Ehe ist ja das einzige, euch noch übrig gelassene Mittel, einen bestimmten Stand-ort, Wirkungskreis, Schutz, Ansehn und einen höhern Grad von Freiheit und Selbständigkeit zu erhalten. – Also wozu jene traurige Schilderung?

Dazu, meine Tochter, um dich nunmehr durch die angenehme Nachricht zu erfreuen, daß es gleichwol, bei etwas Muth und Entschlossenheit zum Widerstande gegen den allgewaltigen Strom des allgemeinen Beispiels, noch immer sichere und untrügliche Mittel gibt, durch deren Anwendung du den Nachen deiner Glückseligkeit vom Scheitern retten, die unvermeidlichen Unannehmlichkeiten, denen das Geschlecht, wozu du gehörst, ausgesetzt zu sein pflegt, für dich selbst mildern und versüßen, und deine ehrenvolle weibliche Bestimmung, trotz allen den Schwierigkeiten, welche Weltverfassung, Vorurtheile und Sitten dir dabei in den Weg gelegt haben, dennoch, sobald du es nur recht ernstlich wollen wirst, glücklich erreichen kannst; – also dazu, damit du auf meinen Rath, wie du bis anzufangen habest, desto aufmerksamer achten und dich von der Nothwendigkeit, ihn zu befolgen, desto inniger überzeugen mögest. Vernimm[33] nun jene Mittel und traue es meiner Erfahrung, meiner Menschenkenntniß und meinem väterlichen Herzen zu, daß ich die besten und wirksamsten unter allen für dich werde auserkohren haben. Ich erwähne aber hier nur solcher, die du, um sie künftig zu besitzen und anwenden zu können, schon jetzt durch unaufhörliche Uebungen dir zu eigen machen mußt. Die übrigen sollen einst, so Gott will, an einem andern Orte folgen.

Quelle:
Campe, Joachim Heinrich: Vaeterlicher Rath für meine Tochter. Braunschweig 1796 [Nachdruck Paderborn 1988], S. 20-34.
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