1. Abhärtung.

[34] Wir haben gesehn, daß dein Geschlecht, vermöge seiner ganzen Lage in der menschlichen Gesellschaft, mancherlei ihm eigenthümlichen Unannehmlichkeiten ausgesetzt ist, welche ertragen werden müssen: es bedarf also Stärke und, um diese zu gewinnen, Abhärtung, Abhärtung an Leib und Seele. Wir haben bemerkt, daß zufolge unserer Sitten, Moden, Vorurtheile und Lebensart, fast alles, was euer Geschlecht[34] insbesondere betrifft, darauf abzielt, euch schwach, kleinlich, furchtsam, ängstlich und unbehülflich zu machen; es ist also auch in dieser Hinsicht Abhärtung in jedem Sinne des Worts nöthig, um die schwächenden Einwirkungen jener Dinge, so viel möglich, abzuhalten, oder, da dis nicht immer thunlich ist, ihnen wenigstens eine größere Körper- und Geisteskraft entgegen setzen zu können und sie dadurch unschädlicher zu machen. Du wirst also einsehen, daß ich Recht habe, wenn ich unter den nöthigen Mitteln zur Erreichung deiner weiblichen Bestimmung und zur Ueberwindung der dabei zu bekämpfenden Schwierigkeiten, dieses, als das erste und vorzüglichste, an die Spitze stelle: suche, so viel die Tirannei des Wohlstandes dir nur immer erlauben will, dich durch Abhärtung gesund und stark an Leib und Seele zu machen.

Du bedarfst dieser Gesundheit und Stärke, wie jeder andere Mensch, um froh und glücklich zu leben: denn was ist ein Dasein, das, wie das Leben der meisten verfeinerten Weiber, unter steten Schwächlichkeiten und Kränklichkeit verseufzt wird! Du bedarfst ihrer als Vorsteherinn deines künftigen Hauswesens, um überall selbst zugegen sein, überall mit eingreifen und mitwirken zu können. Du bedarfst ihrer als Gattinn, um dem Manne, dem die Vorsehung dich beigesellen wird, die Mühseligkeiten des[35] Lebens zu erleichtern, sie ihm tragen zu helfen, nicht aber durch eigene Kränklichkeiten zu vermehren. Du bedarfst ihrer einst im vollen Maße, als Mutter, um dem Willen und der Ordnung der Natur gemäß, ohne eigene Lebensgefahr, gesunde Kinder zur Welt gebähren und aus eigenem Busen sie nähren zu können. Du bedarfst ihrer endlich schon jetzt, um einen hinlänglichen Vorrath von Naturkräften auf die Zeit zu sammeln, da das, was die Menschen Wohlstand nennen, dich noch tirannischer beherrschen, dich in allen deinen Bewegungen und Kraft-äußerungen noch unbarmherziger einschränken, also auch Gesundheit und Körperkraft dir immer mehr und mehr verkümmern wird.

Aber nie nie, mein liebes Kind, wirst du diesen, zu deinem künftigen Wohlsein, wie zur Erreichung deiner Bestimmung dir gleich unentbehrlichen Schatz von Kraft, Stärke und ausdauernder Gesundheit dir erwerben können, wenn du nicht das Herz hast, dich, so weit es ohne auffallendes Auszeichnen geschehen kann, von den Sitten und der ganzen gewöhnlichen Lebensart deiner feinen und niedlichen Zeitgenossinnen merklich zu entfernen, und eine Lebensweise anzunehmen, die von jener in manchem Betracht gerade das Gegentheil sein muß. Jene gewöhnliche Lebensart zweckt nämlich in den meisten Stücken ganz eigentlich darauf ab, diejenigen, die sich ihr überlassen,[36] schwach, empfindlich und kränklich an Geist, Herz und Körper zu machen. Alle eure gepriesenen weiblichen Künste von der seinen Art, wozu man euch nicht früh genug anführen und worin man euch nicht weit genug bringen zu können glaubt, führen dahin; eure ganze Art zu sein – euer Stillsitzen, eure zwangvolle Kleidung, eure tändelnde Geschäftigkeit, eure Körper- und Geistesnahrung – zielen dahin ab! Dis werde ich in dem nächstfolgenden Abschnitte, wo ich umständlicher davon reden muß, dir bis zum Anschauen deutlich und begreiflich zu machen suchen: hier sei es mir genug, dir das Gegentheil jener gewöhnlichen Art des weiblichen Daseins, der weiblichen Ausbildung, Geschäftigkeit und Lebensart, als das erste unentbehrlichste Mittel zur Gesundheit an Leib und Seele und zur Erreichung des oben erkannten Zwecks deines Daseins, auf das angelegentlichste zu empfehlen.

Und worin besteht dis Gegentheil? Darin, meine Tochter, daß du durch eine, so viel möglich einfache, mäßige, schlichte, natürliche und arbeitsame Lebensart deinen Körper fest und ausdaurend, deine Seele bedürfnißfrei und frei von allen den kleinen verderblichen Leidenschaften der Eitelkeit, der Begierde zu schimmern und der weiblichen Eroberungssucht zu erhalten suchest: darin, daß du dem Vorurtheile und der Mode in jedem Falle, wo sie dir etwas wirklich schädliches[37] vorschreiben wollen, herzhaft Trotz bietest, und durch kein Lächeln, Spötteln oder Seufzen dich in dieser vernünftigen und tugendhaften Widersetzlichkeit jemahls wankend machen lassest; darin, daß du in jedem Falle und so oft dir die Wahl gelassen wird, ein Geschäft, welches mit Körperbewegung und Körper-anstrengung verbunden ist, demjenigen vorziehest, welches im Stillsitzen und bei gänzlicher Körperruhe verrichtet werden muß; darin, daß du deine Ehre, deinen Stolz und deine Freude darin suchest und findest, jede nützliche und nöthige weibliche Arbeit, welche zur Haushaltung gehört, nicht nur verrichten zu können, sondern auch, so viel es ohne Vernachlässigung anderer Berufspflichten nur immer geschehen kann, tagtäglich wirklich selbst zu verrichten; darin also, daß du die Seele des ganzen Hauswesens zu werden suchest, welche überall in Küche, Keller, Vorrathskammer, Hof und Garten, so viel immer möglich, zugegen sei, und nicht bloß anordne und befehle, sondern selbst mit eingreife, mitwirke und mitarbeite, um den Fleiß des Gesindes zu beleben und dahin zu sehen, daß alles so gemacht werde, wie es gemacht werden muß; darin endlich, daß du, statt deine Einbildungskraft durch unverhältnißmäßige Uebungen in schönen Künsten und durch zweckloses Lesen unverhältnißmäßig auszubilden und zu stärken, deinen gesunden Menschenverstand und deine schlichte Vernunft durch Aufmerksamkeit auf alles um dich her, durch Nachdenken über alles,[38] was recht eigentlich deines Berufs ist, und durch ein thätiges, fruchtbringendes Leben zu üben, durch Uebung zu entwickeln und durch Entwickelung zu verstärken suchest.

Dis – o glaube mir, mein gutes Kind! denn ich rede wahrlich aus der innigsten und festesten Ueberzeugung – dis ist der einzige sichere Weg für dich, dem Sittenverderben und dem damit verbundenen Glückseligkeitsmangel unserer Zeit zu entrinnen; dich heiter und vergnügt in jeder Lage und unter allen Umständen des Lebens zu erhalten; dich des Vertrauens, der Achtung, der bleibenden Liebe und Freundschaft deines künftigen Gatten zu versichern, und fürwahr! auch dir bei allem Nase-rümpfen und Scheel-blicken solcher thörichten Zeitgenessinnen, welche für wahren Menschenwerth und ächtes Menschenglück keinen Sinn mehr haben, die reinste und ungeheuchelteste Hochachtung und Ehrfurcht aller vernünftigen und guten Menschen zu erwerben.

Aber ich verlange nicht einmahl, daß du dis alles auf mein bloßes väterliches Wort hin glauben sollst. Nein, mein Kind! du sollst es vielmehr, wenn du mir ferner mit etwas angestrengter Aufmerksamkeit folgen willst, mit den Augen deines eigenen Verstandes so deutlich und überzeugend erkennen, daß es keines Glaubens weiter bedarf. Begleite mich in dieser[39] Absicht zu der Betrachtung eines zweiten Mittels, welches ich dir zur Erleichterung deiner weiblichen Abhängigkeit und zur Verbesserung deines ganzen künftigen Zustandes, gleichfalls aus voller Ueberzeugung empfehlen muß, und bei dessen Auseinandersetzung ich Gelegenheit haben werde, auf das jetzt Gesagte ein noch etwas helleres Licht fallen zu lassen. Es ist folgendes:

Quelle:
Campe, Joachim Heinrich: Vaeterlicher Rath für meine Tochter. Braunschweig 1796 [Nachdruck Paderborn 1988], S. 34-40.
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