VI.
München. – Chézy's Tod. – Neuer Aufenthalt in Paris.

[359] München machte bei meiner ersten Ankunft keinen angenehmen Eindruck auf mich; es hat sich seitdem sehr verschönert. Ich traf dort die Brüder Boisserée, wie überall und immer rühmlich beschäftigt. Melchior leitete die unübertrefflichen Arbeiten der Glasgemälde, in welchen ein Theil seiner Galerie zum zweiten mal in voller Herrlichkeit erblühte. Sulpiz gab seinen Dom von Köln heraus. Beide waren in ihrer Thätigkeit noch so jung, so lebenskräftig wie ich sie als Jünglinge gekannt; beide übten noch die vorige Gastlichkeit gegen die Fremden, welche ihre Kunstwerke zu sehen kamen, und ihr Haus war noch immer der Sammelplatz aller berühmten Gelehrten, Künstler und Literatoren.

Die Königin Therese ließ mich kurz nach ihrer Ankunft zu sich rufen. Ich fand sie höchst liebenswürdig und ganz so, wie sie mir die Kaiserin und die Erzherzogin Sophie geschildert hatten. War sie doch eine Schwestertochter der Königin Luise von Preußen. Sie hatte Aehnlichkeit mit ihr, und nicht blos äußerliche. Als die Rede von meinen Söhnen war, und sie erfuhr,[360] daß Max bei der Nationalgarde sei, fragte sie mich: »Aber was thut denn Ihr Sohn bei der Nationalgarde?« Ich antwortete rasch: »Das ist der Zwang der neuen Freiheit, Ew. Majestät!« Dies Wort gefiel ihr außerordentlich, es klang, wie das Meiste was ich sprach, beinahe unbewußt aus meiner lyrischen Natur heraus. Wäre ich besonnen, wäre ich nicht Helmina! Die Königin selbst war so expansiv, daß sie einen durch den Zauber ihrer Gemütlichkeit verlockte, ihr gegenüber laut zu denken. König Ludwig's Bezeigen war ganz verschieden von dem seiner Gemahlin. Sie vergab sich kein Haar breit von ihrem Rang, so huldreich sie sich oft benahm; König Ludwig dagegen ging im Schloßgarten mit dem Literaten Saphir spazieren. Ich traf ihn selten bei der Königin, fand ihn immer sehr gedankenvoll und zerstreut. Es lag ihm am Herzen, München so reich als möglich auszuschmücken; er sann unablässig darauf, wenig andere Gegenstände hatten Interesse für ihn. Sein Hauptzweck dabei war ein sehr menschenfreundlicher, er wollte es nie an Arbeit in München fehlen lassen. Doch ich bemerke, daß ich von ihm rede wie von einem Todten, und wie von einem Unthätigen, wogegen ich glaube, daß er noch immer für das Ganze lebt und thätig wirkt, und jetzt auch glückliche Tage feiert. München war damals schon eine unerschöpfliche Fundgrube, und ist es gewiß jetzt noch mehr.

Einer der ersten angenehmen Eindrücke, die mein neuer Aufenthalt mir gewährte, war das Wiederfinden eines theuern jungen Freundes, mit welchem in einem Augenblick das süße Bild des entzückenden Thales im Rheingau 1811 vor mir stand. Der Kreis, der mich damals liebend umringte, die unaussprechlich herrliche Gegend, und die ganze Stimmung jener Tage erwachte wieder in meiner[361] Brust. Lebhaft wie ich bin, wollte ich Karl von Gemmingen sogleich in mein Haus einführen. Er konnte nicht mit hinaufkommen, ich mußte mein wiedergefundenes Glück allein in mir selbst verarbeiten. Karl von Gemmingen, damals bairischer Offizier, war ein Mann von seltenen Geistesgaben und geläuterten Kunstgeschmack, den ich im Rheingau hatte kennen lernen. Er lebte mit seiner edeln Mutter in München, wo er ein reichhaltiges Museum gesammelt und noch täglich vermehrte. Er lud uns an demselben Abend zu sich, um es mir zu zeigen. Er nahm es späterhin mit nach Nürnberg, wo er der glückliche Gatte einer ihm gleichgesinnten jungen Patricierin wurde. An jenem Abend fand ich bei ihm eine sehr interessante Familie, die des geistvollen Architekten Vorherr, desselben, dem wir die erste Anleitung zum »Sonnenbau« verdanken; einen der segensreichsten Fortschritte für die ganze Menschheit, der vielleicht noch nicht genug berücksichtigt worden, weil alles Große und Gute einen schwierigen Anfang hat!

Vorherr theilte mir seine trefflichen Schriften über den Sonnenbau mit, sie sind mir weggekommen. Ich hoffe, daß sie gewirkt haben. Jene Zeit war zu verhängnißvoll für mich, als daß ich hätte nach der Selbstbefriedigung streben können, für das Gedeihen und die Ausbreitung dieser Idee mitzuwirken. In meinem Kreise habe ich späterhin, durchdrungen vom Gefühl des Segens ihrer Auffindung und Begründung, das wenige gethan, was in meinen Kräften stand. Für heute muß ich mich darauf beschränken meine Meinung auszusprechen, daß die Cholera nicht hätte wurzeln und sich ausbreiten können, wenn Vorherr's System allgemeine Beherzigung gefunden hätte. Möge sich indeß der edle bescheidene Erfinder dessen erfreuen was ihm gelungen ist, und über[362] das trösten was unterblieb. Wir verlebten genußreiche Abende mit dieser werthen Familie und in deren Kreis. Frau Oberbaurath Vorherr und ihre liebliche Tochter Adeline mußten mir sehr theuer werden. Adeline verhieß alles, was ihre Mutter schon erfüllt hatte; beide waren edle Naturen von harmonischer Bildung. Vorherr bewies Gefühl und Sinn für alles, was einen Ehrenmann in dem Philosophen Krause erfreuen konnte. Letztern trat ich noch kurz vor seinem Lebensende bei seinem Freunde Vorherr. Er schien mir leidender als ehemals, und ich schied mit achtungsvoller Wehmuth von ihm. Ueber die Gestalt, welche Krause's Hinterbliebene den Verhältnissen gegeben, die zwischen uns obwalteten, mögen späterhin über meinem Grabe diejenigen, die genau darum wußten, Auskunft geben; die Acten liegen vor. Die Nachwelt möge dann ihr Urtheil darüber fällen, ich berühre sie blos an diesem Ort, um zu erklären, daß ich blos aus Schonung und Rücksicht für den Verstorbenen, der an allem unschuldig war, darüber schweige. Wer kann dafür, wenn die seinigen entarten! König Ludwig, Königin Therese, vor allem die hochgesinnte Witwe, Königin Karoline, gaben mir die rührendsten Beweise klarer Anerkennung und zarten Mitgefühls über das Misgeschick, das mich traf wie ein Donnerschlag aus heiterer Luft, ohne mich beugen zu können. Das Bubenstück war mit der größten Schlauheit entworfen; zwar blieben mir die Urheber lange verborgen, aber deren Werkzeuge hatten sich auf der Stelle kund und bloßgegeben, sie konnten es vermöge der Straflosigkeit, welche ihnen zugesichert war. Als ich die Grundfäden des Gewebes durchschauen konnte, erfaßte mich ein Ekel, meine Kraft dagegen zu kämpfen erlag, denn die Verfolgung gegen mich kam von einer Seite her, von wo man sie nicht erwarten, ja nicht einmal[363] ahnen konnte. Man wollte mich vernichten. Was davon gelang, konnte nur durch die schnödesten Mittel erreicht werden. Die Zeit mußte kommen, wo man diese durchschaute, und die Beweggründe zur That für unedel erkennen mußte; dann war mir der Sieg gewiß.

Noch bin ich nicht dahin gelangt, mit kaltem Blute von dieser Sache und deren Folgen zu sprechen; doch diese Zeit wird kommen. Der Sterbliche schält immer mehr von seiner Hülse ab, bis der Tod die letzte sprengt, die ihn noch gefangen hielt! Ich habe einen langen und schweren Kampf wegen dieser Sache bestanden. Auf gewaltsam empörende Weise wurde ich durch eine falsche Anklage angegriffen. Ich konnte mich auf der Stelle rechtfertigen, und that es. Nachdem ich den Beweis meiner Unschuld, durch den die Anklage sogleich vernichtet wurde, vollständig gegeben hatte, sagte die Gerichtsperson, welche mich aufgefordert hatte, mich über den Gegenstand zu erklären, mit tiefer Wehmuth folgende Worte: »Wir sind Ihnen Satisfaction schuldig, diese soll Ihnen zu Theil werden, unsere eigene Ehre erfordert es! Empfangen Sie jetzt den Ausdruck unserer vollkommensten Achtung und unsers Schmerzes über das Geschehene! Wir können es nicht wieder gutmachen; Sie müssen Trost und Erhebung in Ihrem Bewußtsein, und in unserer aufrichtigen Reue suchen!«

Ich blieb äußerlich gelassen, Gott hatte mich gestärkt. Ich hatte meine ganze Fassung in einem Augenblick bewahrt, wo vielleicht nicht eine Person von Gefühl und Ehre den Muth zu leben sich erhalten hätte. O, es war unverkennbar, es war unmittelbar göttlicher Beistand, der mich emporhielt! Ich stand ganz allein, meine Söhne waren fern, mein Mann in Paris. Meine hohen Beschützerinnen, die Königin Karoline und Therese, waren[364] nicht in der Nähe, doch die Königin Therese wurde jeden Augenblick erwartet. Ich gab Ihrer Majestät sogleich Nachricht von der Schändlichkeit, die an mir verübt worden. Sie schrieb mir durch Fräulein von Denelle Worte, die ihres Geistes und ihres Gemüths würdig waren. Dasselbe that später König Ludwig. Mein Max, der auf die erste Nachricht von dem empörenden Vorgang von Gastein nach München eilte, damit ich an seinem Herzen den süßesten Trost fände, den mir die Welt noch bieten konnte, bewies sich als ein treuer beherzter Vertreter der Ehre seiner Mutter. Ich ersehnte und erstrebte mit Recht volle Genugthuung, und würde sie erlangt haben, wenn ich gewußt hätte, wer mich verfolgte. Die wahren Urheber und Leiter des Angriffs waren und blieben verborgen, sie standen hinter ihren Werkzeugen, die durch eine höllische List einen höhern Schutz zu erlangen gewußt. Es ist nicht aus Mangel an Muth, daß ich schweige, es fehlt mir nicht an Kraft und Bewußtsein, um den Angriff zu führen; vielleicht auch war ich berufen, es zu thun; vielleicht ist es unrecht von mir, die göttliche Stimme, die mich dazu erkor, unbeachtet zu lassen, doch ich glaubte recht zu handeln.

Die Meinung einer meiner hohen Beschützerinnen billigte meine Handlungsweise, und war sogar mit dem wenigen was ich gethan, um mich vor der Welt zu rechtfertigen, nicht einverstanden. Sie meinte, ich hätte genug gethan, wenn ich mich begnügt hätte, meine Unschuld unwiderleglich zu beweisen, um mich dann, in das Gefühl meiner Würde gehüllt, schweigend zurückzuziehen. Sie wußte nicht, die hohe Frau, daß bei meiner Angelegenheit die unwürdigsten Triebfedern in Bewegung gesetzt worden, und daß es unmöglich war, das geheime Gewebe zu durchblicken. Oft stärkten[365] mich die einfachen herzigen Worte, die mir Vater Gleim bei Anlaß meiner Vertheidigung der Frau von Genlis 1799 geschrieben hatte:


Gott sieht was wir nicht sehn bei Sonnen und bei Kerzen,

Und sieht in ihrem Herzen

Er, was in ihm die Unschuld sieht,

Dann tilget der Verleumdung Schmerzen

Einst eines Engels Lied!


Noch immer sind dieselben Hände thätig, bittere Tropfen in die Neige meines Lebensbechers zu mischen; aber ich murre nicht, mich hält mein Bewußtsein aufrecht. Ja, ich weiß es, ohne mein Zuthun werden die Nebel fallen, die vielleicht noch jetzt mein Bild entstellen.

Von den wenigen Männern, die sich bei dieser Gelegenheit loyal benommen haben, erwähne ich den Ober-Medicinalrath Breßlauer, Baron von Klosen, Präsident Graf von Seinsheim, Tribunalrath Gramm, Referendarius Christoph, Hofrath Dr. Schlagintweit, Stadtphysikus Dr. Kopp, Dr. Sänger und Baron Karg. Es thut mir leid, wenn Unwissenheit mir einen der Namen derjenigen entzogen, die ich diesem Verzeichnis beifügen könnte, wenn ich sie wüßte. Die Erinnerung dieser Sache hat ihre Bitterkeit noch nicht verloren. Ich will mit den Namen derjenigen, die sich vor den Riß stellten, als die Kabale in Wirksamkeit kam, nicht diese Blätter beflecken, sie werden nicht ermangeln andere Gelegenheiten zu suchen, sich berühmt zu machen, mir bleibt nichts übrig als ihnen zu verzeihen.

Noch bleibt mir eine schmerzliche Angelegenheit zu berühren übrig, ich meine den traurigen Tod des Künstlers Grasmüller, eines der verdienstvollsten Männer[366] Baierns. Er war mit Prinz Max von Birkenfeld, Sohn des unvergeßlichen Herzogs Wilhelm, zugleich unterrichtet worden, und hatte sich um den Prinzen in dessen Freistunden wahrhaft verdient gemacht. Oft hatte ihm der Prinz gesagt: »Grasmüller, ich bin Ihr Schuldner! Ich danke Ihnen viele Aufmunterung zum Lernen, viel Licht für meine Studien, ich will es wett machen! Wenn ich majorenn werde, kommen Sie zu mir; Sie sollen sehen, daß Max von Birkenfeld ein treues dankbares Herz hat!« Der liebenswürdige Prinz sprach aus Herzensgrund, und nicht an ihm hat es gelegen, wenn er sein Wort nicht erfüllte. Grasmüller, der bescheiden sich selbst bewußte Künstler und Forscher, dachte nicht daran sich hervorzudrängen, ihn blendete der Begriff, den jeder Redliche von der Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit der Menschheit im allgemeinen in sich trägt, er meinte: Verdienst und zweckmäßige Mühe wären hinreichend, ihn emporzubringen. Er erwog nicht die Zahl der Concurrenten auf seiner Bahn, die es schwer machen, unter den Würdigen die würdigsten auszuwählen. Zudem fiel er in die Hände eines schlauen geschickten Speculanten, der mit seiner Arglosigkeit ein so keckes und ruchloses Spiel trieb, daß gegen alles Recht der sauer errungene Erwerb für preiswürdige Mühen und Ruhm der Unternehmung in seine räuberische Hand fiel. Grasmüller war verdienstvoll; er würde gegen den Ruchlosen aufgetreten sein, aber er war zu arm, um einen Rechtshandel gegen ihn zu unternehmen. Sein braves Weib und seine zwei Knaben bedurften Brot, letztere sogar Unterricht. Grasmüller ging dürftig gekleidet umher. Er hatte sich nie zum Prinzen von Birkenfeld gedrängt, der indeß Herzog geworden, und ihn jederzeit mit offenen Armen empfangen haben würde. Doch als sich endlich Grasmüller[367] entschlossen hatte, ihn um Hülfe zu bitten, wurde es ihm unmöglich gemacht, gemeldet zu werden, als er vor dem Thürsteher erschien, einem fettriefenden strotzenden Schweizer, der das Vertrauen seines edeln Fürsten misbrauchte, um den Bedrängten fühlen zu lassen, daß die Gnade und Huld des Fürsten ihm ohne seine Huld nichts nützen könnte. Der würdige Grasmüller, unter dem Druck des bittersten Elends, in dürftiger Tracht, mit bleichem Antlitz und gefurchten Wangen, wurde von dem Uebermüthigen so schnöde abgewiesen, daß er zitternd davonschlich und sich nicht wieder zum Palast hinwagte. Briefe, die er dem Prinzen schrieb, wurden wahrscheinlich unterschlagen, weil der Bösewicht Mittel gefunden, ihres Inhalts theilhaftig zu werden. Eigentliche Schulden hatte er nicht gemacht, doch bei bedrängten Umständen sind Kleinkrämer erbarmungslos und pressen den Unglücklichen um schleunige Zahlung der unentbehrlichsten Bedürfnisse. Der fleißige, wackere, ausgezeichnetste Mann wurde so hart und bitter gedrängt, daß sein zartes Gemüth das Uebermaß des Elends nicht ertragen konnte. Manche Nebenverdienste reichten nicht hin, seine Lage zu erleichtern, da ihm die Hauptsumme für sein Werk durch eine höllische List verkümmert worden. Der Betrüger nutzte sogar die vorwaltenden Umstände, um sich den Anschein zu geben, als habe er sich über Grasmüller zu beklagen. Nun brach sein Muth, nun erlag seine Kraft. Noch einmal war er vor der Thür des Herzogs erschienen. Schnöder und brutaler als je wies ihn der Schweizer ab. Noch einmal wankte er nach Hause, schloß die seinigen unter Thränen und Küssen an sein Herz, schrieb einige Zeilen an sie, die er auf den Tisch legte, und stürzte hinweg nach dem Rand der Isar, die Taschen voll Steine, in die reißende Flut. An Frau und Kinder[368] war die Hoffnung ausgedrückt, daß ihm Gott verzeihen werde, und daß sein bitterer Tod die Menschen rühren würde, damit seine Witwe und Kinder nicht dem Hungertode preisgegeben wären. Es war in der That kein Bissen Brot mehr, auch kein Geld im Hause. Die jammernde Witwe eilte zur Königin Therese. Die Pforten des Schlosses standen den Unglücklichen offen. Frau Grasmüller gelangte zur Königin Therese. Ich war an demselben Morgen zu ihr gerufen worden. Die Königin gab ihr 30 Fl., denn auch sie hatte nicht viel zu geben, eben weil sie zu viel gab. Ich fand Ihre Majestät an diesem Morgen ganz erschöpft von Kummer über die traurige Begebenheit.

Die Witwe Grasmüller empfing Hülfe, doch nur knapp reichte diese zu, so viel Ruf sich auch ihr Gatte erworben. Obschon er mit der größten technischen Vollendung in seinen Werken hohe umfassende wissenschaftliche Geistesbildung vereinigte, wurde durch die angewendeten Ränke sein Name doch überschleiert. Die Werke selbst konnten nicht herabgewürdigt werden, wol aber konnte ihm das Verdienst des Textes entrissen werden, und demjenigen zugute kommen, der es sich aneignete. Auch bei Erfüllung der Bedingungen war List thätig, und wußte Saumseligkeit anzuwenden, gegen die der edle redliche Mann keine Hülfe fand, und die ihn bei den gerechtesten Ansprüchen auf Bezahlung mittellos machte. Ich darf diese Werke nicht näher bezeichnen, um den Verleger nicht an den Pranger zu stellen. Schon steht er wahrscheinlich vor Gottes Gericht, wo ihm der schlau erworbene Reichthum nicht gedeihen kann.

Ein Theil seines lehrreichen Tagebuchs war mir anvertraut worden, ich wollte es zum besten der beiden jungen Grasmüller, die schon in zarter Jugend Geist, Gemüth[369] und Talent des Vaters verhießen, herausgeben; aber die Umstände haben diesen Plan nicht begünstigt. Diese Begebenheit führt mich zu einer andern, nicht minder schmerzlichen. Man könnte noch viel dergleichen zur Oeffentlichkeit bringen, wenn man alles Aehnliche erführe und aufzeichnete.

Ein alter schwedischer Künstler, dessen Namen mir nicht im Gedächtniß geblieben ist, kam gegen das Jahr 1839 nach München, begleitet von seiner schönen hochbefähigten Tochter, die sich in München ausbilden wollte. Er wollte sein Vermögen, das aus 12,000 Kronen bestand, aus Schweden übersiedeln. Ost gehen solche Geschäfte langsam; dies war auch hier der Fall. Reisekosten und Lebensbedürfnisse zehrten bald und unvermuthet die mitgebrachten Gelder des Malers auf. Er und seine Tochter waren tieffühlende leicht verletzbare Künstlerseelen, es würde ihnen unmöglich gewesen sein, ihren Nothstand zu offenbaren, oder Einwohner von München, die ihm fremd geblieben waren, um Beistand anzugehen. Sie waren in die Hände einer habgierigen Zimmervermietherin gefallen, welche sie nicht allein betrog und prellte, sondern auch auf die unmenschlichste Weise um ihr Guthaben drängte, und unter dem Vorwande Geld zu brauchen, die Entschuldigungen ihrer Miether nicht gelten ließ, sowie sie auch den Briefen von Schweden aus, welche den Abgang der 12,000 Kronen nach München bezeichneten, weil sie kein Schwedisch verstand, nicht glauben wollte. Wahrscheinlich hätten Vater und Tochter sich darüber ausweisen können; allein sie waren verschämt und schüchtern, in Dingen der Welt unbewandert und unbehülflich, hatten in München keinen Freund zur Seite. Man erfuhr später, daß sie nicht einmal auf das Bureau der Fahrpost gegangen waren, nachzuforschen,[370] ob dort etwas an sie angelangt sei. Muth und Spannkraft des Vaters und der Tochter waren dahin. Mit Schmach und Gefängniß hatte das harte Weib sie bedroht, keine Bitten rührten den Unhold. Nach einem entsetzlichen Auftritt waren sie beide aus dem Hause gegangen, hatten sich an einer einsamen Stelle der Isar mit Tüchern zusammengebunden und vereint in die Fluten gestürzt. Man fand am Abend ihre Leichen im Strom. An demselben Tage war das Geld von Schweden bei der Wirthin angekommen. Es war, so wurde mir versichert, schon seit zwölf Tagen in München auf der Post. Ich erfuhr den traurigen Vorgang durch eine Dame, die in demselben Hause wohnte, und der ich Glauben schenkte. Ich hatte sie bei der Königin Witwe kennen lernen; sie maß das Ausbleiben des Geldes nicht allein einer zufälligen Verzögerung des Absenders, sondern auch der Unbehülflichkeit des Postboten zu, der sich aus der Adresse, die vielleicht nicht ausführlich genug bezeichnet war, nicht zurechtfinden konnte.

Ich kam damals oft zu Ihrer Majestät der Königin Therese, die sich vom jungen Künstler Selb lithographiren ließ. Sie ließ mich zu jeder Sitzung rufen, um ihr vorzulesen. Der interessante Künstler machte ein sehr ähnliches und sorgfältig ausgeführtes Bildniß, welches bald in Verkauf kam, und wie die meisten Lithographien jener Zeit bei dem ausgezeichneten Piloti abgezogen wurde, der auch das Bildniß der Agnese Schebest, ein seelenvolles Werk meines Sohnes Max, hatte abziehen lassen. Diese Sitzungen bei der Königin waren sehr interessant, und ich freute mich jedes mal darauf wie ein Kind. Die Königin war höchst liebenswürdig, es lag kindliche Hingebung[371] in ihrem Wesen. Einen Zug ihrer thätigen Herzensgüte darf ich hier nicht übergehen.

Eines Morgens, als sie mich hatte zu sich rufen lassen, rief sie mir zu: »Ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzutheilen. Ludwig Philipp's Tochter, die junge Herzogin Marie von Würtemberg, wird hier in München erwartet. Ich will Sie durch ihre Tante, die Kurfürstin Witwe Karl Theodor's, anmelden lassen; es läßt sich vielleicht wegen Ihrer Pension etwas bei ihr ausrichten!« »Wegen meiner Pension?« rief ich aus, »das kann ich nicht, Ihre Majestät!« Die gute Königin stampfte mit dem Fuß, es stand ihr sehr zierlich. »Es ist wahr«, rief sie, »ich hatte vergessen, daß Sie von Ludwig Philipp keine Gnade erbitten wollen.« Ich beugte mich halbkniend auf ihre Hand. »Königin«, rief ich aus, »um eine Gerechtigkeit darf ich ihn bitten, ohne von meinen Grundsätzen abzuweichen. Es ist sogar meine Pflicht, kein Mittel unversucht zu lassen, um meines Mannes hinterlassene Schriften an das Licht zu ziehen. Wenn Ew. Majestät so gnädig sind, mir Gehör bei der Herzogin Marie zu ermitteln, so werde ich dieser eine Vorstellung an ihren königlichen Vater mitgeben, damit er verfüge, daß diese Handschriften in Druck kommen, und zum besten der Witwe verkauft werden; dieser Gunst genießen alle Hinterbliebenen großer Gelehrten. Die Werke liegen fertig zum Druck, sie sind nach dem Urtheil competenter Richter gediegen, und werden Frankreich Ehre und Nutzen bringen.« Ich erklärte nun der Königin mehrere der Gründe, die Chézy abgehalten, diese Arbeiten selbst herauszugeben, wer nun dazu bereit gewesen wäre, und wie der Minister Graf von Corbière ihn bereits die Typen zum Abdruck der indischen Grammatik[372] bewilligt habe, wie der grausame Tod durch die Cholera ihn überrascht und seine Unternehmungen ins Stocken gebracht. Ich erklärte ihr auch, wie eine niederträchtige Kabale aufgetaucht sei und des Ministers Guizot preiswürdigen Willen, diese Arbeiten an das Licht zu ziehen, gehemmt habe.

Die Königin hörte mich antheilvoll an, erbot sich noch an demselben Morgen die Sache bei der Kurfürstin einzuleiten, und ermahnte mich sofort, die Vorstellung an den König Philipp aufzusetzen. Ich gehorchte. Diese Vorstellung beschränkte sich auf eine etwas dürre Darlegung der Thatsachen, sowie auf einen Anruf an des Königs Gerechtigkeit, und war durchaus mit keiner Schmeichelei verbrämt. Ich wies sie meinem Freunde, Grafen von Méjan, der mich darauf aufmerksam machte, daß nichts Verbindliches darin stand. Ich entgegnete, daß es mir unmöglich sei, anders an Ludwig Philipp zu schreiben! Graf Méjan sagte: »Er ist einmal der Chef des Staats, und Sie die Witwe eines Franzosen! Die Ehrerbietung erfordert, daß Sie bittend vor ihn hintreten.« Ich gehorchte dem wackern Freunde, und setzte einige verbindliche Worte in die Vorstellung, muß aber vermuthen, daß sie dem Könige nicht gefiel, denn sie blieb unbeantwortet und erfolglos, obgleich die edle Prinzessin geglaubt hatte, mir den Erfolg verbürgen zu können.

Die Kurfürstin, Witwe Karl Theodor's, ließ mich zu sich rufen. Ich bewunderte im stillen die Reste ihrer Schönheit, und die unverwüstete Jugend ihrer Augen, die ein achtzehnjähriges Gesicht geschmückt haben würde; auch die hohe Intelligenz in den Fragen, die sie an mich stellte, die Klarheit ihrer Begriffe, die Bedeutsamkeit ihrer Worte erfreuten mich. Diese Audienz währte ziemlich lange,[373] mir aber dennoch zu kurz. Mehrere Tage darauf läßt mich die Herzogin Marie zu sich laden. Mit klopfendem Herzen durcheilte ich den hohen Blumengang, der zu ihren Zimmern führte. Niemand war im Vorzimmer befindlich. Die Herzogin kam mir entgegen. Eine weiblich zierliche Gestalt von graziöser Haltung, mit feinen ausdrucksvollen Gesichtszügen, und schönen Augen, in deren sanftem Blick unverkennbare Wehmuth lag. Sie redete mich Deutsch an, das sie gut und untadelhaft sprach. Zuerst unterhielt sie sich mit mir von meiner Angelegenheit, dann von Kunst und Poesie. Ihre sinnigen Worte waren verbindlich und huldreich. Sie entließ mich und verhieß, daß ihr Vater mir gewiß Gerechtigkeit schaffen würde. Nicht ohne einige Regungen von Stolz sog ich ihre Worte ein, als sie lobend von meinen Dichtungen sprach; wahrscheinlich kannte sie welche durch das Medium der Musik. Ich war so bevorzugt, sie noch zwei mal zu sehen, und zwar in der Scheidestunde, wo auch die Familie der Kurfürstin und deren Gemahl Graf Arco zugegen waren. Der ganze Kreis der Abschiednehmenden geleitete die hohe Frau an die Reisekutsche. Ihr sanfter Blick winkte mir, mich ihr zu nahen. Sie reichte mir ihre schöne kunstreiche Hand, rief mir noch lebhaft zu: »Leben Sie wohl, meine Liebe! Seien Sie überzeugt, daß mein Vater Ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen wird!« Ihr folgten feuchte Blicke und heiße Segenswünsche; für diesseits blieben sie unerfüllt. In der Blüte der Jugend, in der Fülle des Eheglücks und der Mutterfreuden schied sie aus dieser Welt, welche sie nur kurze Zeit geschmückt hatte. Sie ähnelte ihrer geistvollen höchst originellen Urgroßtante, der Schwägerin Ludwig's XIV., Herzogin von Orleans, der unschuldigen Ursache des blutigen Successionskrieges.[374]

Wenn die Königin Therese Geschenke machte, was sehr oft der Fall war, so wußte sie dieselben durch die Art des Gebens zu würzen und zu erheben. Sie hatte mir im Jahre 1832 eine ausgezeichnet schöne und kostbare Uhr verehrt, die von eigenthümlicher Form war; auf dunkelblauer Email war ein Sternenkranz um eine Gedenkblume her gemalt. Diese Uhr war mir in Paris gestohlen worden.

Eines Tages führte sie mich in ein Cabinet, wo sie ein Schreibfach öffnete, indem sie zu mir sagte: »Frau von Chézy, Ihnen ist die Uhr gestohlen worden, die sie von mir besaßen; nun denken Sie sich einmal, Ihre Uhr hat sich wiedergefunden!« Bei diesen Worten langte sie ein Etui heraus, in welchem eine schöne goldene Uhr mit geschmackvollem Haken lag.

Ich kann mich nicht enthalten die Art bekannt zu machen, mit der sie ein schlauer Dieb mir in Paris entwandte. Der Portier eines Wohnhauses überbrachte mir ein Päckchen, welches ein Buch und einen zierlichen Brief enthielt. Der Brief besagte: »der Unterzeichneter sei der Verfasser der Inlage, und würde dies Buch in acht Tagen bei mir abholen, denn es läge ihm an meinem Urtheil, und er wünschte mir seine Verehrung mündlich bezeigen zu können«. Dies Werkchen war Betitelt: »Prinz Rosa Stramin«; es war voll Geist und Laune, und muß von einem gewandten Schriftsteller sein; es stand kein Name davorgedruckt. In acht Tagen nach dem Empfang ließ sich der Verfasser des Werks bei mir anmelden. Es war ein noch junger Mann von feinem Aussehen, anständigen Manieren, geschmackvoll gekleidet. Da mich sein Gespräch interessirte, und es schon 4 Uhr war, lud ich ihn zu Tisch, und bat ihn, als er sich nach Tisch entfernte, wiederzukommen; ich[375] setzte hinzu, daß er mich in einiger Unordnung antreffen würde, da ich Anstalten zu meiner Reise nach Deutschland zu treffen habe. Etwa vierzehn Tage später, kurz vor meiner Abreise, war Madame Récamier noch einmal zu mir gekommen. Ich hatte meine kleinen Kostbarkeiten, im Begriff sie einzupacken, auf einer Seite des Zimmers vor mir liegen; die Uhr stand auf dem Kamin. Madame Récamier hatte mich vor meiner Abreise noch nothwendig zu sprechen; meine Thüren standen offen, weil ich Träger erwartete, die einige Kisten, welche noch bei mir standen, zum Spediteur Dreifuß bringen sollten. Unerwartet trat der geistreiche Verfasser des »Prinz Rosa Stramin« in das Zimmer, und nahm Platz. Madame Récamier bat mich, mit ihr in ein anderes Zimmer zu gehen, da sie mich allein sprechen müsse; ich that es, ohne alles Mistrauen in meinen Besuch. Kaum fünf Minuten später trat er in das Zimmer, wo ich mit Madame Récamier saß, und bat mich um Erlaubnis wiederkommen zu dürfen, weil er sich augenblicklich auf eine Stunde entfernen müsse. Er mußte sich allerdings entfernen, denn er hatte meine Uhr mitgenommen, und er kam natürlich nicht wieder. Freund Heine, dem ich meinen Unfall erzählte, erkannte den saubern Gast aus dem Schreiben, wiewol er unter einem andern Namen zu ihm gekommen war; er hatte ihm Geld abgeliehen. Ich mußte noch froh sein, daß er von den übrigen Kostbarkeiten, die ich damals besaß, nichts entwendet hatte.

Ich theile diese Begebenheit mit, weil sie nützlich sein kann. Zwar kann sie auch den Gaunern einen neuen Diebsgriff lehren, denn die meisten sind jetzt literarisch gebildet, und lesen gern. Ein Herr S., selbst Schriftsteller und Dichter, der bei der b ......schen Post angestellt war, und wegen unterschlagener 5000 Gulden fünf Jahre[376] im Zuchthause saß, ist ein Beweis dieser Wahrheit, und hat auch mich bestohlen; er nahm mir jedoch nur 7 Kronenthaler aus meinem Sack, den ich bei Freunden auf dem Sofa hatte liegen lassen, die sich zugleich mit mir aus dem Zimmer auf einige Minuten entfernt hatten. Wir alle hatten sein früheres Leben nicht gekannt, ich würde sonst meinen Sack mit aus dem Zimmer genommen haben. Zwei ähnliche Exemplare, die sich als literarische Männer auswiesen, bestahlen mich in Genf. Das Verzeichniß dieser ehrlosen Menschen ist mit den angeführten noch nicht vollständig, es gehört noch unter andern ein Pfälzer Flüchtling hinein; ich darf seinen Namen hersetzen, weil es nicht sein Name ist, er führte ihn nur vermöge eines falschen Passes. Eitelmann interessirte mich lebhaft, weil er mit Geist und Salbung von religiösen Gegenständen sprach, und vermöge seiner Reden für einen frommen jungen Mann gelten mußte. Dieser freche Dieb nahm mir Juwelen, Goldmünzen und ähnliche werthvolle Gegenstände beinahe vor meinen Augen weg. Ich hatte Mühe ihn wegzuschaffen, nachdem ich endlich auf die Spur der Wahrheit gekommen war, und mir ahnte ein Zusammenhang mit einer Rotte von Dieben, welche sich auch wirklich darthat. Er bestahl noch an denselben Tag, wo ich ihn verabschiedet, einen jungen Maler, und wie ich höre, hat man ihn elf Diebstähle beschuldigt und überwiesen. Er sitzt bei Zwangsarbeit auf funfzehn Jahre. Der berüchtigte Räuber und Dieb Wagner Loisell (Alois Wagner) machte eine Ausnahme von der Regel, er war ein witziger Patron, der Anwandelungen von Rechtschaffenheit hatte. Als es gelungen war, ihn zu fangen und zu überweisen, hatte er seine Untersuchungshaft in Linz im Strafhause zu bestehen. Er äußerte sich öfters über seine Lage: »Hier«, sagte[377] er, »könnte man wünschen zeitlebens ein ordentlicher Mann gewesen zu sein, denn unsereins hat auch seine Plage. Hier habe ich mein warmes Zimmer, mein ordentliches Lager, mein reichliches Essen, meine einträgliche Arbeit. Ei, wem es so geboten wird, der hat's leicht rechtschaffen zu sein.« So sagte Wagner Loisell, und pries sein günstiges Geschick; ging auch fleißig in die Kirche, und benahm sich gut darin. Nun aber war die Untersuchungshaft zu Ende, sein Urtheil wurde verlesen: lebenslängliche Festung. Er rief aus: »Ei meine Herren, dies ist gefehlt, lassen Sie mich hier, hier werde ich gut thun, hier gefällt es mir; aber auf der Festung breche ich aus und komme nicht wieder!« Der Gerichtshof lachte. »Nur gemach, meine Herren«, rief Wagner Loisell, »ich bin ein Mann von Wort! Ich hätte hier schon zehn mal entwischen können, ich habe es nicht gethan. Ich bitte Sie recht flehentlich, behalten Sie mich hier!« Dies alles half ihm nichts, er mußte auf die Festung und wurde sorgfältig bewacht; doch es gelang ihm durch Hülfe von außen, sich zu befreien, und, wie mir versichert wurde, nicht ohne Blutvergießen. Ich zweifle, daß er wieder eingebracht worden. Das Volk erzählt sich eine Menge Schwänke von ihm. Er ging einmal durch einen Wald; ihm begegnete ein hübsches Mädchen, mit der er sich in ein Gespräch einließ. »Ach bester Herr«, rief diese aus, »wenn Sie nur ein bischen langsamer gehen wollten, ich mochte gern heim, ich mache morgen Hochzeit, hier im Wald soll der Wagner Loisell, herumstreichen, ich fürchte mich vor ihm, wenn er uns zu zweien sieht, so wird er nichts gegen mich wagen!« Man schritt nun rüstig voran. Am Dorfe angekommen, reichte Loisell Wagner dem jungen Mädchen die Hand, drückte ihr einen Laubthaler hinein, und sagte: »Zu Hause sage[378] deinen Leuten, der Wagner Loisell läßt alle grüßen, und schickt einen Laubthaler zu einem Hochzeitskuchen. Adieu!« Noch denselben Abend flog das Geschichtchen von Mund zu Mund, und die Leute freuten sich darüber. Es kam auch wol, daß der Schalk eine ganze Streifbande weitumher tief in den Wald führte, um ihnen zu zeigen, wo sie den Wagner Loisell finden könnten, und wenn er weit genug voraus war, ihnen zurief: »wenn sie den Wagner Loisell finden sollten, müßten sie früher aufstehen«. Solche Possen verschafften ihm die Gunst des Volks, das ihm oft beigestanden haben mag, strenge Maßregeln gegen ihn zu vereiteln.

Ein schmerzlicher Vorfall nahm zu jener Zeit das Mitleid der Kaiserin in Anspruch. Ich war damals im Schlosse. Man kam, die Langenloiser anzumelden. Es war eine ganze Truppe Bauerfrauen, die ins Bitten gekommen waren, und deshalb zur Kaiserin gingen, die mit gnadenreichem Herzen und offenem Ohr alle Bittenden anhörte, und den Kaiser, ihren Gemahl, in Kenntniß ihres Anliegens setzte. Ihr Grundsatz war, immer das Gute thun, und immer im stillen! Die Langenloiserinnen wurden zu ihr eingelassen. Ich erfuhr nun, daß sie gekommen waren, wie sie schon oft gethan, um die Aufmerksamkeit des guten Kaisers auf das unverschuldete und entsetzlichste Misgeschick ihrer Gatten zu lenken, die schon seit Jahren in strenger Haft saßen. Der ganze Ort war des Mordes des Syndikus beschuldigt, welcher ein rauher strenger Mann war. Er war eines Morgens früh vor seiner Hausthür, ich erinnere mich nicht mehr, mit welchem Mordinstrument, getödtet gefunden worden; vom Thäter hatte man keine Spur entdeckt. Die Bewohner des Orts waren friedliche Männer vom besten Ruf, die gewöhnlich den ganzen Tag auf dem Felde[379] beschäftigt waren. Sie hatten vom Syndikus manche Unbilden und große Bedrückungen zu ertragen, wurden daher für die Mörder gehalten und eingekerkert. Ich habe nicht erfahren, ob es der Kaiserin gelungen ist, sie zu befreien. Die Wahrheit von der Sache ist, daß sie auf bloßen Verdacht hin festgesetzt wurden, denn es fehlte an allen Inzichten. Der Zustand war schauderhaft. Der einzige Verdacht wegen des Mordes fiel in der öffentlichen Meinung auf einen Hausirer, welchem der Syndikus kurze Zeit vor dem Morde einen Pack Spitzen als Contrebande confiscirt hatte, und welcher seitdem in der Gegend nicht mehr war gesehen worden. Der Vorfall würde mir unglaublich geschienen haben, wenn ich ihn nicht aus dem Munde Ihrer Majestät selbst und der verehrungswürdigen Gräfin Lazansky gehört hätte. Ich zweifle nicht, daß die Wahrheit an das Licht gekommen. Wer aber ersetzte nun den unschuldig angeklagten Familienvätern ihren zerrütteten Wohlstand, ihre Lebenskraft, die Leiden ihrer Angehörigen? Man kam immer darauf zurück, der Mörder müßte einer von den Langenloisern sein, und die Sache müsse an das Licht.

Ich kann hier einen Zug des Herrn Hofrath Dr. Schlagintweit nicht übergehen, der seinem Herzen und Talent die größte Ehre macht. Er hatte sich eine große Fertigkeit in den Augenoperationen erworben, und da er mit seiner Zeit haushälterisch umging, so blieb ihm welche für arme Augenkranke, die er unentgeltlich heilte und operirte. Der Eifer für diese Unglücklichen wurde immer brennender in seiner Seele, und gedieh bis zu einer muthigen Entschließung.

Ein anfangs kleines Local, dessen Unkosten er aus eigenen Mitteln bestritt, nahm eine Menge unglücklicher Erblindeten auf, die geheilt daraus hervorgingen. Nach[380] und nach wurde die edle That bekannt. Menschenfreunde brachten freiwillige Beiträge zu den Unkosten, und verpflichteten sich zu jährlicher Beisteuer. Die königlichen Personen und ihr Hof schlossen sich nicht von der Theilnahme aus, wie auch der edelgesinnte Theil des Publikums. Die Anstalt stand in vollem Flor, als ich München verließ. Was vermag nicht frommer Muth und fester Wille! Hofrath Schlagintweit hatte die Leidenden eingeladen sich bei ihm einzufinden, nahm sie in seine Anstalt auf, wo er sie zweckmäßig beköstigte, und durch Arzneien für die Operation vorbereitete, die er nie vergebens unternahm. Im Jahre 1839, wo die Aerzte meinem Max die Wassercur anriethen, ging ich mit ihm nach Brunnthal, wo ein einfacher Chirurg mit Kenntniß und seelenvollem Eifer die Curanstalt leitete. Ich wünschte, daß es nicht zur Schwitzcur, der ein kaltes Bad folgte, kommen möchte; ich glaubte, Max würde sie nicht aushalten. Bleiby unterstützte meine Bedenklichkeiten nicht, er hatte recht. Mein Sohn aber war seinem Anrathen geneigt, die Cur wurde ohne mein Vorwissen vorgenommen, und schlug vortrefflich an. Es waren viel Gäste in Brunnthal, meist aus dem Mittelstande. Die Lage war reizend, das Haus wohlgebaut, der Garten groß, die Bedienung aufmerksam, die Kost kräftig und gesund, der Preis der Pension nicht unbillig. Wir trafen dort einen Grafen von Cencimon mit Gemahlin und Söhnen, gemüthliche freundliche Menschen, und einen Hofrath Kaspar nebst Gattin. Kaspar war ein geistreicher Mann und vortrefflicher Jurist, der auch als Publicist rühmlich thätig war; wir wurden bald Freunde. Im Lauf des Sommers bewiesen die Anmerkungen welche die zahlreichen Gäste beim Abschied im Buche zurückließen, daß alle genesen waren; nur einer, der sterbend angelangt, war gestorben.[381]

Im Bade Brunnthal lernten wir den verdienstvollen Gouverneur der Söhne des Herzogs Max von Birkenfeld kennen, einen geist- und kenntnißvollen Mann, dessen Unterhaltung uns viel Belehrung und Genuß gewährte. Er lenkte gern das Gespräch auf drei indische Prinzen, Königssöhne, die in einem Kriege gefangen genommen worden, und die Herzog Max von Birkenfeld gekauft hatte und sorgfältig aufziehen ließ. Der Hofmeister hatte sich die Sprachen beider zu eigen gemacht, und beschäftigte sich sehr angelegentlich mit ihnen; sie waren sanft und fromm, und beteten in ihrer Sprache, die sie tu malu und tenkahu nannten – seelenvolle Gebete. Herzog Max wollte ihnen eine ganz ausgezeichnete Erziehung geben, und sie zu einem Amt ausbilden lassen. Ich weiß nicht, was ihn von diesem schönen Plan ableitete. Doch nicht selten wird den Großen ihr schönster Wille durch Einmischung anderer gelähmt. Die Indier kamen unter die Begleitung des Prinzen, und waren Darüber sehr betrübt. Anfangs, nachdem der Prinz sie aufgenommen, waren sie sehr scheu, und von düstern Zweifeln und Vorstellungen gepeinigt. Man überhäufte sie mit Gefälligkeiten, und reichte ihnen sehr gute Kost. Sie rührten nichts an, und weigerten sich überhaupt etwas anderes zu essen als trockenes Brot und Früchte. Mit Mühe erfuhr man, daß sie die Einbildung gefaßt hatten, man wolle sie sehr gut nähren, um sie zu schlachten und zu essen. Ihr Freund, der Hofmeister, wußte ihr Vertrauen zu gewinnen, und ihre Hirngespinste zu zerstreuen. Sie aßen nun nach Herzenslust. Gleichwol starb der jüngste unter ihnen am Heimweh. Sie hatten ein Morgengebet, das von der größten Schönheit war; es wurde mir freundlich mit getheilt, doch konnte ich keine Abschrift davon erlangen; es lag darin eine Frischheit[382] und Innigkeit, die sich dem Geist christlicher Gebete näherte. Ich habe einen hohen Begriff von einer Landessprache bekommen, in welcher etwas so Vollkommenes, Inniges und Wohlthätiges für die Seele erschienen war, mehr noch von einem Volke, das mit solcher Ehrfurcht und Liebe für Gott empfindet.

Mehr als einmal habe ich auf meine frühern Daten zurückkommen müssen, indem mich die Flügel der Erinnerung zu einem andern Gegenstand hintrugen. Es kommt mir bei diesem Werke minder auf chronologische Ordnung an, als auf innern geistigen Zusammenhang.

Mich suchte im Jahre 1837 im Spätherbst ein lutherischer Geistlicher auf, der von der katholischen Religion zur lutherischen übergetreten war, und einer Pfarre entgegensah. Er erwartete und erhielt auch von mir ein kleines Geschenk zu seiner Unterstützung. Dieser Candidat machte mich mit dem Geistlichen Langenmeier bekannt, von welchem ich im, »Münchener Landboten« einen gediegenen Aufsatz gelesen, und der mich kennen zu lernen wünschte. Langenmeier kam. Die Erscheinung dieses edeln Mannes flößte Ehrerbietung ein, und war gewinnend. Er lebte in München mit einer Verwandtin und deren Tochter, die ein gutes einfaches Mädchen war, in reifern Jahren sehr praktisch die Haushaltung des Oheims führte. Langenmeier gehörte zu den katholischen Priestern, deren Andenken noch späte Zeiten segnen werden. Er hielt mit Ruhe und Kraft den Moderantismus empor, und blieb der Partei fern, die in Baiern die »schwarze« hieß. Er machte einen schönen Auszug aus den Schriften der Kirchenväter, dies wurde von den schwarzen Söhnen der Kirche übel genommen, und Langenmeier mußte es büßen. Er war damals Landpfarrer. Seine Freunde und Correspondenten waren u.a. ein Pfarrer Königsberger, ein Rector Sallat, und andere erleuchtete[383] Priester. In München befanden sich Pfarrer Holzleutner, Mannhard, Schwartz, Centner. Diese alle waren Unglücksgefährten: sie hatten, wie Langenmeier, bei mächtigen Antagonisten unauslöschliches Misfallen erregt, verloren dadurch ihre Pfarrstellen, büßten nicht lange darauf auch das Recht zu predigen, Messen zu lesen, zuletzt sogar ihre Tischtitel ein, und wurden der Gegenstand gehässiger Verfolgung. Pfarrer Holzleutner war der bedauerungswürdigste unter diesen Geistlichen, indem man ihn in das Strafhaus der Pfarrer zu bringen gewußt hatte. Er hatte den Haß eines bedeutenden Mannes, eines Gutsherrn, dessen verbrecherische Umtriebe er höchsten Orts enthüllte, aus sich gezogen, und war trotz der vortrefflichsten Fähigkeiten zu seinem Amte, trotz seines musterhaften Betragens, in das Strafgefängniß geführt worden. Hier behauptete er, Gift bekommen zu haben. Er kränkelte seitdem, und verfiel in Wahnsinn. Pfarrer Schwarz und Centner wurden minder heftig verfolgt als Holzleutner, der eine Flugschrift hat drucken lassen, deren Titel heißt: »So geht es im constitutionellen Baiern zu«, und in welcher ein Theil seiner Lebensgeschichte verzeichnet stand. Die Schrift war musterhaft verfaßt, und erweckte ihm nun schwere Verfolgung. Er mußte noch einmal nach Dorfen, und kränkelte sehr. Er unterlag und verfiel, wie schon bemerkt, in Wahnsinn. Ein wenig verschiedenes Los hatte Königsberger, ein Geistlicher voll Tugend und Frömmigkeit. Auch Pfarrer Langenmeier mußte nach Dorfen; eine Jugendschwachheit war ihm zum Verbrechen gemacht worden. Der Lebenswandel der übrigen dieser Geistlichen war streng und tadellos, sie waren die Märtyrer der Sache des Lichts und der Mäßigung der katholischen Religion getreu, fern davon Proselyten zu machen. Ihr Augenmerk war allein darauf[384] gerichtet Beispiel und Lehre des Guten zu verbreiten. Seit meiner Abreise von München empfing ich keine Nachricht mehr von diesen würdigen Freunden, die ich oft gesehen, und nie ohne Erbauung und Rührung verlassen habe. Einer unter ihnen nährte sanguinische Hoffnungen auf den zufälligen Umstand, daß ich oft zur Königin gerufen wurde, dort den König zuweilen sprach, und der Königin Witwe genau bekannt war. Zum Unglück sprach er nicht davon mit mir, ich würde ihm bedeutet haben, daß ich mich nicht befähigt noch berufen fühle, gegen die »Schwarzen« Partei zu ergreifen. Im Jahre 1839 starb der verdienstvolle Mannhard, ihn hatte der Schlag im Lesecabinet gerührt. Aerzte wurde gerufen; ihm wurde der Kreuzschnitt über die Brust gemacht, aber es war umsonst, entseelt wurde er nach seiner Wohnung getragen. Ich traf ihn noch abends vor seinem Tode gesund und heiter. Er hatte mir einen Abend auf Samstag versprochen, er konnte nicht Wort halten. Ich verlor durch seinen Tod einen edeln erleuchteten Freund, der die Aufrichtigkeit und Treue erkannte, die meine Trostesworte in sich schlossen, denn ihm war nicht lange vor seinem Tode verboten worden zu predigen. Manche erheiternde Stunde und manche erquickende Labung dankte der edle Mann einem Freunde, dem Schriftsteller Dr. Ehrenbaum, und dessen Gattin, die sich damals in München aufhielten.

Zu jener Zeit zürnte das Volk dem Pfarrer Eberhard, und einem andern, dessen Name mir entfallen, dem ersten wegen seiner wüthenden Ausfälle gegen Protestanten auf der Kanzel, dem letztern wegen ähnlicher Worte bei der Kinderlehre Sonntags um 1 Uhr. Die Königin Witwe hörte davon und fand Gelegenheit sich bei ihrem Stiefsohn König Ludwig zu beklagen. Auch die kampfscheue langmüthige Königin[385] Therese wurde endlich entrüstet. Sie wohnte dem Religionsunterricht ihrer Kinder bei. Der Lehrer ließ sich durch seinen Eifer soweit hinreißen, daß er den Prinzen und Prinzessinnen zurief: »Verflucht sind die Protestanten!« Statt Entrüstung zu zeigen, sagte die sanftmüthige Frau mit schmerzlich bewegter Zunge: »O, wollen Sie uns denn alle verdammen?« Der Priester schwieg. Es steht jedoch zu vermuthen, daß er sich fortan ähnlicher Ausfälle enthielt. Eberhard erhielt endlich die Weisung, München zu verlassen. Es war im November, ein Theil seiner Anhänger hatte den Weg vom Pfarrhof an bis zum Thore mit Rosen und andern schönen Blumen bestreut. Man sah auch auf diesem Wege weinende Mädchen, Frauen und schöngeputzte Kinder, welche köstliche Bouquets in den Reisewagen warfen. So wurde dem Manne gehuldigt, dessen gifttriefende Worte unablässig Unfrieden zwischen den beiden Religionsparteien stifteten. Mannhard's Leichenzug dagegen wurde von wenigen still und tiefgerührten Freunden begleitet, doch sein Andenken bleibt unvergeßlich, warm und gesegnet, und die Frucht seiner Worte wird noch durch späte Zeiten fortwirken.

Im März 1831 kam mein Sohn Max aus Paris nach München herbei, erfleht von meiner Angst um ihn und seine Gesundheit. Die Königin Witwe ließ ihn sogleich zu sich einladen, doch sein unbefangenes Künstlergemüth entsprach nicht den Erwartungen der hohen Frau. Sie erfuhr nichts durch ihn von den pariser Zuständen. In München war ihm das Klima feindlich. Im Herbst bewog ihn sein Bruder mit nach Baden zu gehen. Ihr Vater war mit diesem Entschluß sehr unzufrieden, doch er erfuhr nicht früher darum als bis er schon ausgeführt war. Er entzog ihnen von nun an die Hälfte ihrer[386] Einnahme, und legte mir jährlich 24 Karolin zu. Diese Maßregel hatte traurige Folgen. Ich selbst gewann nichts dabei, denn ich erschöpfte mich in Bemühungen, den Verlust zu ersetzen. Auch verging kein Jahr, so wurde uns Chézy durch die Cholera entrissen. Von diesem Zeitpunkt an begann unser Unglück von außen her, von innen war es längst im Werke; doch ich schweige darüber. Die Schilderung der Martern meines zerrissenen Herzens gehört nicht vor den Richtstuhl der Menschen, nur der Allwissende kann sie durchschauen. Nicht blos Unvergeßliches aus meinem Leben gehört in dies Buch. Wer kann im ganzen Sinne des Worts sein Leben schreiben? Niemand! Zu viel und Wichtiges bleibt ihm selbst verborgen. Das Innere des Menschengemüths ist ein Bergwerk, nur Gott kennt seine Schachten! Die Beweggründe einer That bleiben dem Urheber derselben selbst verborgen.

Meine Söhne waren fern von mir in Baden-Baden, als der entsetzliche Schlag dieser Todesnachricht mich traf und auf das Krankenlager daniederstreckte. Meine Pension blieb aus; die Familie in Paris traf keine Verfügung, daß sie mir geschickt wurde. Wie unüberlegt trieben sie ein Spiel mit dem Herzen eines zärtlichen Vaters und zweier Söhne, deren ganze irdische Zukunft von der Wohlthat und Zärtlichkeit dieses Vaters abhing! Sie wußten, daß Chézy kein Vermögen hinterließ, denn die Kriegsjahre, die feindlichen Einfälle, die Opfer, welche die allgemeine Noth von ihm erheischte, hatten seine Mittel erschöpft. Es wäre Pflicht gewesen, ihn anzumahnen, nun an seine armen Kinder zu denken; aber dies that niemand. Einige Mitglieder der Familie, denen die einlaufenden Gelder anvertraut wurden, glaubten sie[387] aufheben zu müssen. Vergebens schrieben wir um Geld, man schickte keins.

Meinen Söhnen in Baden hatte Spindler gerathen abzuwarten was aus Frankreich kommen würde, und ihren, wie er es nannte, vortheilhaften Standpunkt an der Grenze zu behaupten. Görres war so freundschaftlich und einsichtsvoll, mir mit Rath beizustehen. Ich lag fast besinnungslos. Niemand nahm sich meiner so warm an als die Königin Witwe, die mich unmittelbar nach dem Tode Chézy's zu sich rufen ließ, um mich zu trösten und aufzurichten; mein unverkennbarer Schmerz ging ihr zu Herzen. »Liebe«, sagte sie mir, »ich mußte wol glauben, sie bewegt zu finden, aber schmerzzerrissen habe ich Sie mir nicht gedacht!« Ich antwortete ihr mit den Worten, die mir Schmerz und Liebe eingaben. »Bleiben Sie nun hier«, sagte die edle Königin, »ich werde Sie nie verlassen!«

Ich konnte diesen so gnädigen Rath nicht befolgen; ich wußte was Chézy hinterlassen hatte, es war ein kleines Kapital von nicht ganz 2000 Thlr. in seiner Kommode, eine werthvolle Uhr, ein Brillantring vom Kaiser Franz, und ein silbernes Tischservice, nebst einigen Möbeln und einer Büchersammlung. Was konnten zwei unversorgte Söhne und eine hülflose Witwe damit beginnen! Ich hatte nicht das Herz mit der Königin hierüber zu sprechen, und wahrscheinlich trat niemand auf und sprach für mich. Das Einzige was ich nach dieser Entrevue erfuhr, war, daß mir die höchste Frau zu meiner Erleichterung Trauerkleidung, Betten, einige Möbel, die mir fehlten, und wie sich ihre Umgebungen ausdrückten, etwas Geld bestimmt hatte. Es kamen von ihr die Geschenke, nebst 40 Gulden.[388]

Alle Ausgaben, die sich während des langen Ausbleibens meines Gehalts aus Paris aufgehäuft hatten, mußten bestritten werden. Es war Ende October, für den Winter kein Vorrath vorhanden, und die Nothwendigkeit da, nach Paris zu gehen. Spindler hatte, wie schon angeführt, meinen Söhnen betheuert, daß man die kostspielige und beschwerliche Reise sparen könne. Mein ältester Sohn gehorchte ihm, und blieb in Baden. Max erklärte sich bereit, mich nach Paris zu begleiten. Durch wohlfeiles Losschlagen meines Handbuchs »Norika« und meiner Gedichte, die bei v. Seidl in Sulzbach erschienen und von den entstellendsten Druckfehlern übersät waren, sowie durch Veräußern einiger Pretiosen, konnte ich endlich die Kosten meiner Reise nach Baden und Strasburg bestreiten und mit meinem Max bis Paris gelangen. Der geistreiche Staatsrath von Maurer in München, den Görres gebeten hatte, mir mit Rath beizustehen, hatte mir erklärt, daß ich in Paris weder Unkosten noch irgendeine Schwierigkeit bei der Erbschaft haben würde. Auch diesem würdigen Manne glaubte mein ältester Sohn nicht, und dieser irrthümliche Entschluß stürzte uns in 3000 Francs Unkosten.

Wir langten im Collège de France in Paris an. Ich schickte nach einigen Mitgliedern der Familie, die sogleich kamen und mir freundlichen Antheil bezeigten. Der Schwiegersohn von Sylvestre de Sacy, Herr Pavet von Courteille, ein wackerer Freund Chézy's, Herr Langlois sein berühmter Schüler, waren noch denselben Abend bei uns, sowie Chézy's noch einzige Schwester Adelheide, nebst ihrem Sohn Antoine, dessen geliebte Gemahlin, Clémence, jetzt in Algier mit zwei Söhnen und Schwiegertöchtern wohnt. Andern Tags suchte ich Sylvestre de Sacy auf, bei dem ich den Grafen von Salvandy traf,[389] dessen berühmt gewordenes Wort: »Wir tanzen auf einem Vulkan«, wol noch für heute gelten kann, wenn wir gleich nicht tanzen.

Die Bemühungen der edeln Freunde Baron Prony, Sylvestre de Sacy und Degerando, hatten vortheilhaft für mich beim Ministerium gewirkt. Meine Aufopferungen für die Gefangenen von der Schlacht bei Hanau wurden in das gehörige Licht gestellt, und erwarben mir viel Sympathien. Der Minister des öffentlichen Unterrichts ließ mich rufen, und sagte mir bedeutungsvolle Worte, die mich über meine Zukunft beruhigen konnten.

Ich habe, so nahe meinem Grabe, den Gedanken aufgegeben, das ganze Gewebe der Widersacher, Neider und Feinde des edeln verstorbenen Chézy an das Licht zu ziehen; ich bin bis in den Tod ermattet, und muß auf meinem letzten Lager darben und entbehren, so manche edle Hand mir auch schon Linderung zukommen läßt. Ich bin im Sinne des Worts ausgeraubt worden, und sehne mich nach der Befreiung von soviel Leiden; da fehlt es mir an Stimmung und Kraft, die letzten Prüfungen die ich erdulde, ausführlich zu schildern, ich habe sie Gott geopfert. Nur über Eines muß ich meine Stimme erheben, die schwache Stimme, die vielleicht bald der letzte Seufzer erstickt, die aber ein Echo in Asien und Europa wecken wird.

Seit längerer Zeit schon hatte der Graf von Corbière die Typen zu Chézy's indischer Grammatik bewilligt. Um dies vortreffliche Werk herauszugeben, fehlte es ihm blos an der Zusammenstellung des Anhangs, den er dazu gemacht, und der, wie mir ein Sprachforscher versicherte, durchaus neu und von erschöpfender Belehrung ist. Zum Unglück hatte ich das Schreiben des Ministeriums noch[390] nicht aufgefunden, als ich die verlangte Notiz für den Minister Guizot aufsetzte; die Mittheilung desselben würde jeden Zweifel des Ministeriums gehoben haben, ja, sie hätte das ganze Bubenstück von vornherein unmöglich gemacht. Wer hätte zweifeln können, daß Chézy's Vorsatz, seine Manuskripte in Druck zu geben, feststand, da er bereits die Typen dazu vom Ministerium bewilligt erhalten hatte?

Ein nun verstorbener Verwandter Chézy's, den ich nicht näher bezeichnen werde, bedurfte des Taufscheins des Verstorbenen, um sein Geburtsdatum richtig auf den Leichenstein zu setzen. Da er diesen Taufschein nicht gleich vorfand, kam er nicht auf den natürlichen Gedanken, ihn im Register seiner Kirche aufsuchen zu lassen, sondern vermeinte, der Taufschein könne ihm nicht entgehen, wenn er alle Papiere des Dahingeschiedenen ohne Ausnahme durchsuchen ließ. Dies geschah unbehindert in jener Zeit, wo die Verheerungen der Cholera jeden Unfug begünstigten. Wenige der Schriften, Familienpapiere und dergleichen kamen an ihre rechte Stelle zurück. Es fand sich auch kein Testament mehr vor, wiewol mehrere Freunde Chézy's darum wußten, daß der Verstorbene ein Testament aufgesetzt hatte. Auch wurde erst fünf Tage nach dem Tode desselben die Wohnung versiegelt, weil bei den häufigen Todesfällen die Gerichte mit Geschäften überhäuft waren. Ich schweige von dem Unfug und der Ausplünderung des Hauses, die noch durch Domestiken vorfiel. Mein Schmerz war zu heftig, als daß ein Kummer neben dem um den geliebten Todten in mir hätte aufkommen können. Der Tod hatte Chézy überrascht, als er im Begriff stand, seine Werke, die Frucht vierzigjähriger Anstrengung, der Oeffentlichkeit zu übergeben; sie sind zahlreich und hochwichtig, ihre[391] Titel sind in der »Biographie Universelle« von Michaud, im sechzigsten Bande (Supplement), im Artikel »Chézy«, genau verzeichnet. Ich nenne davon nur die große indische Grammatik, ein Werk von bedeutendem Umfang, dessen scharfsinnige Forschungen sich über alle Sprachen des Orients verbreiten; ferner eine Sanskrit Chrestomathie umfassenden Inhalts; Auszüge aus den Puranas; »Hasyanava« (»Die Vereinigung der Schurken«), mit Uebersetzung der bedeutendsten Stellen; indische Gnomen; indische metrische Uebersetzungen deutscher und französischer Gedichte; die Analyse des »Ramayana« mit vielen Erläuterungen und sprachforschenden Bemerkungen. Von den persischen Werken bezeichne ich nur eine Chrestomathie, von der geschmackvollsten und mannichfachsten Auswahl und vom gediegensten Werth.

Der Minister Guizot, stets von Eifer für das Schöne und Gute erfüllt, schickte mir im November 1832 eine Aufforderung, ihm eine Note über alle hinterlassenen Arbeiten Chézy's auf das schleunigste zu senden. Ich bedurfte bei dieser Arbeit keine Hülfe, Chézy hatte das Verzeichniß gemacht, und ich hatte die Noten und Manuscripte selbst, soviel in meiner Macht lag, durchstudirt. Ich verstand zwar kein Indisch und nur wenig Persisch, allein unsere Gespräche hatten immer auf diese Gegenstände sich ausgedehnt, ich war in den persischen Manuscripten beinahe so heimisch als er. Dies war eine glückliche Zeit unsers Beisammenseins, als plötzlich der Gedanke, Sanskrit zu lernen, in ihm aufstieg. Er sagte: »Ich habe so gut wie gar keine Hülfsmittel, nichts als eine mangelhafte Grammatik von Anquetil du Perron, einige Arbeiten von Fra Bartolommeo und die Manuscripte der Bibliothek; doch bei Benutzung der Uebersetzungen, die es bereits gibt, bei der Ankunft der Grammatik von[392] Wilkens, und bei angestrengtem Fleiß und unermüdetem Forschen, werde ich der erste Franzose sein, der das Studium des Sanskrit auf das Festland hinverpflanzt. Frankreich wird vom Gelingen meines Unternehmens Ehre und Nutzen ziehen; hierher werden die Gelehrten reisen, um Indisch zu lernen. Paris wird ihr Sammelplatz werden. Hamilton ist fort, aber sein unvergleichlicher Katalog unserer indischen Werke ist hier geblieben, und das Katheder für das Sanskrit kann da niemand besteigen als ich!« Meiner Schwiegermutter ging bei solchen Reden das Herz auf, sie sah ihren Sohn im Geist von einer Glorie umstrahlt, einer Glorie des Heroismus und des Marterthums. Das Opfer, welches auf dem Altar brannte, war sein eigenes Selbst, sein Frieden, sein häusliches Glück, seine Gesundheit, sein Lebensgenuß, seine Jugendblüte, sein Weib und seine Söhne. Ich fühlte es, der Preis war eines solchen Opfers werth, und ich brachte es mit ihm, ergeben in seinen Willen; erleichtert wurde es mir durch ein Unglück ohne gleichen. Meine Schwiegermutter, eine kräftige Natur, eine eifrige Katholikin, eine Frau voll Geist und Leben, konnte sich nicht mit dem Gedanken versöhnen, daß eine Ungläubige wie ich, Gattin ihres Sohnes und Mutter ihrer Enkel sei. Sie und ihre Töchter, die alle die vortrefflichste Erziehung genossen hatten und von denen eine schön malte, waren Muster der Weiblichkeit und Häuslichkeit. Ich war nur für die Poesie erzogen worden, mein redlichster Wille konnte die Einübung in das häusliche Getriebe nicht ersetzen. Die Kränklichkeit meines ältesten Sohnes zehrte an Zeit und Lebenskraft. Hierzu kamen die literarischen Beschäftigungen, ich mußte Brot für die Haushaltung verdienen helfen, die Theuerung war gestiegen. Die Schwiegermutter meinte: »Geld verdienen[393] solle einzig die Sorge des Mannes sein; die des Weibes sei auf ihre Häuslichkeit beschränkt!« Unter andern Zuständen würde sie recht gehabt haben, nicht so unter den obwaltenden. Da ich nun wußte, daß Chézy's inneres Glück davon abhing, daß seine Mutter die höchste Liebe und Achtung von mir genoß, bemühte ich mich aus allen Kräften, ihr die Liebe zu zeigen, die ich für sie empfand. Doch dies machte keinen Eindruck auf sie. Ich hätte mich total umschaffen müssen, um ihrem Begriff von einem Weibe wie es sein sollte, zu entsprechen. Die Feder in meiner Hand war ihr ein Greuel. Den ersten ungünstigen Eindruck, den sie durch mich empfing und mir späterhin eingestand, verdanke ich dem Misbehagen das sie empfand, als ich zum ersten mal bei ihr speiste und nach Tisch meine Serviette nicht zusammenlegte. Später empfing ich einmal einen Brief von ihr, in welchem die Worte standen: »Glauben Sie mir, hören Sie mit ihren Schreibereien auf, und flicken Sie Ihre Sachen!« Ich ging zwar keineswegs zerrissen, aber sie sah mich doch nie beim Flicken sitzen. Sie verlangte das von der jungen Kindermagd, die ein vortreffliches Mädchen war, sich aber, sowie auch ich, anhaltend mit den zwei Kindern beschäftigen mußte, und wirklich kaum die nothwendigste Zeit zum Waschen, Bügeln und Nähen ersparen konnte. Das Mädchen, erst neunzehnjährig, war höchst empfindlich und verletzbar; in acht Tagen fand sie eine vortheilhaftere Stelle und verließ uns. Ich fand nicht mehr solche wieder. In unserer verdumpften sonnenlosen Wohnung erkrankten die Kinder bedenklich. Die Schwiegermutter im ersten Stocke wohnte gesund. Die Aerzte erheischten Landluft für die Kinder und mich. Ich suchte in Challiot und Passy nach Wohnungen, und zwar in der Nähe des Palais Bourbon; ich konnte[394] dort auf den täglichen Besuch Chézy's hoffen, erfuhr aber, daß er nur alle acht Tage kommen würde; ich hätte es dabei bewenden lassen sollen, er liebte mich und unsere Söhne, und würde gekommen sein; allein das Herz war wund an allen Stellen, der unselige Trotz meines leidenschaftlichen Gemüths hatte sich meiner bemeistert, und da Challiot und Passy doch eigentlich nur Vorstädte von Paris sind und der Aufenthalt daselbst die Beschwerden einer dürftigen Haushaltung nur vermehrt, so glaubte ich in Montmorency einen gesündern Aufenthalt zu finden, und suchte mir dort eine Wohnung, wo mich Chézy alle acht Tage besuchen konnte, und richtete mich ein, sie am 16. Juni zu beziehen.

Als ich in den Wagen stieg, der mich nach Montmorency führen sollte, ahnte ich nicht, daß ich das Haus meiner Schwiegermutter nie wieder bewohnen würde. Es war halb zwölf, als ich nach der Uhr meines Mannes sah, die am Kamine hing.

Abends kamen wir in Montmorency an. Mit unsern kleinen Einrichtungen und der Sorge für die Kinder ging mir und meiner treuen Marianna der folgende Morgen und der Nachmittag hin, wo nur einzelne Blicke aus dem Fenster hinaus nach dem silberhellen See, am Fuß der Hügel, nach dem dichten Walde und den schönen Feldern mein Herz erquickten. Es war nun Abend geworden, die Kinder niedlich geputzt. Wir gingen durch eine kleine Straße in das nahe Kornfeld, nach dem Kastanienwald, auf dem Wege nach Rousseau's Hermitage. Die Sonne senkte sich schon, die Weinberge hauchten Düfte, Heimchen schwirrten, Nachtigallen schlugen, über dem Kornfelde schwebten singende Lerchen. Meine Kinder jubelten vor Lust, uns umfing mit einem mal ein Frieden, eine Seligkeit, als wenn ich nun am Ziel aller[395] Leiden sei. Hier zu sterben wünschte ich innig, aber ich war zu größern Schmerzen aufbewahrt.

Mit freudiger Ungeduld erwarteten wir den Ablauf der Woche. Der Samstag sollte uns Chézy bringen, wir gingen ihm bis zur Barre entgegen; die Kleinen konnten der Liebkosungen kein Ende finden. Kinder sind nie anmuthiger, als wenn sie glauben, sie hätten etwas zu erzählen, jeder Umstand erlangt Wichtigkeit durch die Lust der Mittheilung. Als wir oben in der Wohnung waren, zog Chézy seine Uhr hervor; sie war ein Erbstück von seinem seligen Vater, dem besten und würdigsten der Menschen, und er hing sehr daran. »Mienchen«, redete er mich an, »was hast Du denn mit der Uhr gemacht?« Unbefangen wie ich war, antwortete ich: »Ich habe noch nachgesehen, wie viel die Uhr sei, als ich in den Wagen stieg, es war halb zwölf!« Chézy öffnete jetzt die Uhr. Punkt halb zwölf war die Kette gesprungen. Ich erschrak heftig darüber, ein ahnender Schauer zuckte durch mein Herz, doch erst nach mehreren Jahren konnte ich wissen, wie prophetisch dieser Umstand war.

Recht friedlich und süß verging der Sommer, meine Kinder erholten sich, ich selbst genaß von meinem schweren Kummer. Mein Mann brachte viele schöne Tage mit uns zu. Wir besuchten den an Feigen, Pfirsichen, Melonen und Mandeln überreichen, köstlichen Garten der Mutter Marie. Wir irrten durch die Kastanienwälder nach den umliegenden Dörfern; wir besuchten das Schloß, wo der gequälte Rousseau auf der Pilgrimschaft des Lebens eine kurze süße Rast gefunden. Oftmals gingen wir über die Waldeshöhe durch St.-Prix nach der Ruine des alten Jagdschlosses, mitten im schönsten einsamsten Wald, wo Heinrich IV. mit Gabriele unter einer hohen Eiche gesessen, die noch jetzt ihre Zweige[396] in das Gewässer zu ihren Füßen senkt, wo noch immer alles duftet und blüht, wo die süße Natur noch immer in ungestörtem Frieden waltet.

Noch widmete sich Chézy in diesem Sommer nicht so ausschließlich dem Sanskrit als späterhin. Er hatte den »Schahnameh« mit nach Montmorency genommen, und zog die Episode von Rusthem und Sohrab für seine Chrestomathie aus verschiedenen Manuscripten der kaiserlichen Bibliothek. Sie hatten Varianten dargeboten, und die Arbeit war von großem Verdienst. Mehrere Jahre später gab der berühmte Professor Mohl dieselbe Episode nach seiner eigenen Bearbeitung heraus, die ganz vortrefflich sein soll. Denselben Sommer setzte Chézy seine persische Anthologie in Stand, und arbeitete an seinem »Zeboun-nameh«. Er fügte auch arabische Dichtungen zu der schon so reich ausgestatteten persischen Chrestomathie, doch nach meiner Abreise ließ er sich ganz von der Begierde, das Sanskrit aus dem Grund zu studiren, hinreißen. Er trat zuerst mit der Dichtung des »Yadschnadattabhatta« aus dem »Ramayana« auf. Friedrich Schlosser übersetzte diese Episode, und las sie im »Frankfurter Museum« vor. Sie wurde allgemein bewundert. Nur Karl von Dalberg, der milde und erleuchtete Priester des Herrn, bemerkte in seinem Brief an Chézy über diesen Gegenstand, daß die Idee der Wirkung eines unverdienten Fluches ihm Abscheu errege! Sein Gefühl war richtig. Die Götter der Indier, die einen unverdienten Fluch auf das schuldlose Haupt des Gegenstandes wie einen Donnerkeil lenkten, entsprachen nicht der Idee des allliebenden, des allvollkommenen höchsten Wesens; aber jene alte heidnische Lehre stellte nicht den Menschen als geschaffen nach Gottes Bilde dar, sondern sie schuf die Götter nach dem Bilde des Menschen, leidenschaftlich[397] und sinnlich. Das Volk Gottes that dasselbe. Moses sagt in den Zehn Geboten: »Denn ich der Herr, dein Gott, bin ein zorniger Gott, der die Sünden der Väter heimsuchet an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied!« Ueberhaupt kann ich bei Erwähnung der indischen Dichtungen nicht übergehen, daß mir der »Mahabharata« weit mehr als der gepriesene »Ramayana« gefällt, obschon man von ihm sagt, daß ihn der Waldgott Hanuman selbst in die Felsenwände der Pagoden eingehauen, und daß ich die Sakuntala aus dem Mahabharata der des Kalidasa weit vorziehe, da sie mehr Kraft, Wahrheit und Würde hat. Firdusi's »Schahnameh« ist mir lieber als die indischen Heldengedichte, er bleibt in den Kreisen der Menschheit; ich weiß kein indisches Gedicht, dem man dasselbe nachrühmen könnte. Es war wol vor allem der Reiz der Sprachforschung, der Chézy in das unabsehbare Gebiet des Indischen lenkte. In seinen Arbeiten finden sich 12,000 Karten, auf denen Haupt- und Zeitwörter aus allen orientalischen, sowie auch europäischen Sprachen, der ältesten wie der neuesten Zeit, verzeichnet sind, welche Uebereinstimmung haben, oder Anklang darbieten; ein Werk vom umfassendsten Umfang, welches mit zur indischen Grammatik gehört. Es sind nun zweiundzwanzig Jahre, daß Chézy im Grabe liegt; doch steht zu vermuthen, daß seine Entdeckungen nicht nach ihm von andern gemacht werden, denn es gab keinen zweiten Chézy. Seine Beharrlichkeit, sein Muth, seine Geistesschärfe, verbunden mit seinem poetischen Gefühl, finden sich nicht leicht wieder beisammen. Die Winke, die er für die Wissenschaft gab, wurden zwar von den Wetteiferern häufig benutzt; doch für die rechte Spur fand niemand das Licht, das in ihm wohnte. Sein Nachfolger Burnouf, einer der fähigsten Köpfe und fleißigsten Arbeiter,[398] die es jemals gegeben, besaß zugleich das Talent, die Aufmerksamkeit der gelehrten Welt anhaltend zu beschäftigen und zu nähren, mit Hülfe Chézys, der sich eifrig bestrebte, die errungenen Früchte seines Wissens zu verbreiten, und sie auf neue Bahnen zum Gipfel hinaufzuführen, sodaß die berühmtesten Indianisten Europa's unter seiner Leitung Meister wurden; auch war Burnouf einzig darauf bedacht, sich aus mittelmäßigen Schülern eifrige Bewunderer und Freunde zu machen und eine Partei für sich aus ihnen zu bilden. Burnouf glaubte, weiter gelangt zu sein und höher zu stehen als sein edler Meister; diese Ansicht war, wenn auch nicht richtig, dennoch nicht zu tadeln, man findet sie oft bei der anstrebenden Jugend. Langlois und Loiseleur waren gerechter, und liebten ihren Meister. An die Gegenpartei hatten sich Menschen geschlossen, deren Namen die Feder sich sträubt aufzuschreiben, deren Wege noch etwas dunkler waren, als ihr Dasein geblieben ist. Ihren Umtrieben ist es zu verdanken, daß der geistvolle thatkräftige Minister des Unterrichts, Guizot, die Notiz über Chézy's Manuskripte, die er selbst verlangt hatte, unbeachtet ließ, während er die hinterlassenen Schriften der vier Gelehrten, die beinahe zugleich mit Chézy gestorben waren, von der Regierung kaufen ließ, zum Besten ihrer Witwen in den Druck gab, und ihnen gute Pensionen schaffte, wiewol er mich bei den Kammern zu 3000 Francs Pension vorgeschlagen. Ich lag während dieser Vorgänge brustkrank, und zwar lebensgefährlich darnieder.

Im Juli 1833, als ich wieder etwas zu Kräften gekommen, bat ich einen alten Freund, der öfters mit Hippolyt Royer-Collard zusammenkam, er möchte sich bei ihm erkundigen, wie es zuginge, daß von mir keine Rede mehr sei, und was denn mit den Manuscripten meines[399] Mannes zu thun beschlossen wäre, da man durch die Zeitungen erfahre, daß die armenische Grammatik von Abel Rémusat erschienen, und daß die Regierung der Witwe des dritten Gelehrten, den der Tod seit der Zeit dahingerafft, nicht allein 3000 Francs Pension verwillige, sondern auch eine Summe von 50,000 Francs, um ihr Töchterchen zu erziehen. Champollion der Jüngere war dieser Gelehrte. Nach seinem Tode war bei ihm das zweite Exemplar der Zeichnungen gefunden worden, die er aus Aegypten mitgebracht hatte. Das erste war Herrn Champollion selbst, noch bei seinem Leben, vom Ministerium für einen hohen Preis abgekauft worden. Man sieht, wie auch unter dem Bürgerkönig alles nach Gunst ging. Champollion's Witwe hatte ohne Zweifel mächtige Fürsprecher gefunden, denn wozu können Doubletten, deren Originale schon in Kupfer gestochen sind, nützen? Hippolyt Royer-Collard ließ mich zugleich wissen, daß er von keiner Entscheidung über Chézy's Manuskripte gehört habe. Ich wendete mich also an den Minister, und erfuhr durch ein Handschreiben desselben Folgendes, das mich in die höchste Bestürzung versetzte: der Minister habe eine Commission ernannt, welche die Manuscripte des verstorbenen Herrn von Chézy untersucht habe; da sich jedoch nichts gefunden, als einige unbedeutende Fragmente, und er, der Minister, sich auf den Bericht seiner Commission nothwendigerweise verlassen müßte, so wäre in dieser Sache nichts weiter vorzunehmen. Chézy's Manuscripte waren nicht aus meinen Händen gekommen, niemand war erschienen sie zu untersuchen, die ganze Sache mußte ein Irrthum sein. Ich schrieb deshalb an den Minister, an den Herzog von Broglio, an Sylvestre de Sacy, an Baron de Gerando, an den Baron Prony um Auskunft und Erläuterung zu ermitteln.[400] Hippolyt Royer-Collard antwortete mir: man habe sich nach den hinterlassenen Schriften Chézy's pflichtmäßig erkundigt, und der Minister habe eine Commission ernannt, welche sie untersuchen sollte, allein bedauerungswürdigerweise habe man aus dem Bericht dieser Commission sowol, als durch die Freunde des Verstorbenen, und durch ihn selbst in Erfahrung gebracht, daß Herr von Chézy nichts hinterlassen habe, als einige unbedeutende Fragmente, woraus denn erhelle, daß in dieser Sache weiter nichts zu machen sei. Vergebens protestirte ich gegen diesen Ausspruch. Es gelang mir endlich, die Namen der Gelehrten zu erfahren, aus welchen die Commission bestanden haben sollte. Mir wurden drei der ersten Ehrenmänner Frankreichs genannt, an welche ich mich sofort wendete. Der Baron Sylvestre de Sacy schrieb mir sogleich mit höchster Empfindlichkeit, daß diese Mittheilung eine Lüge sei, er sei nie zu solcher Commission ernannt worden, noch habe er eine abgehalten. Ich befragte mich dann mündlich beim Herrn Letronne, er betheuerte das nämliche. Ich bat ihn, es mir schriftlich zu geben. Er versicherte, sein Wort sei hinreichend, die Wahrheit an den Tag zu bringen. Ebenso handelte Herr Demanne. Ich schrieb nun von neuem an den Minister und die übrigen genannten Herren; nicht ein einziger antwortete mir. Was vermag denn eine hülflose Witwe, und was vermag nicht eine vorgefaßte Meinung? Die edle Juliette Récamier kam mir zu Hülfe; es hat nicht gefruchtet, allein es verdient erwähnt zu werden.

Ihre liebenswürdige Nichte war mit dem Gelehrten Lenormant vermählt, der mit Champollion in Aegypten gewesen war, und sehr viel beim Minister Guizot galt. Charles Lenormant sollte einen Brief in des Ministers[401] Hände besorgen, und diesen noch in einer Unterredung überzeugen, daß ich in allem die Wahrheit geschrieben habe. Dies geschah, und ich empfing darauf einen Brief von Herrn Lenormant im Namen des Ministers, »daß sich Se. Excellenz geirrt hätten, daß keine Commission bei mir gewesen sei, der Minister aber sofort die Manuscripte meines Mannes seinem Nachfolger im Amte Herrn Burnouf zur Untersuchung übermalen wolle«. Dabei blieb es. Denn Herr Burnouf war nicht in Paris, sondern in Oxford auf einer langen Reise. Er blieb solange in Oxford, daß das Ministerium sich indessen änderte. Er kam zurück, und ich schrieb über diese Angelegenheit an alle Personen, an die ich mich vorher gewendet hatte, und an Ludwig Philipp selbst, vergebens. Die Prinzessin Marie von Orleans, an die ich mich auf Antrieb der Königin Therese von Baiern wendete, ertheilte mir Audienz, und nahm den Brief an ihren Vater mit. Der Brief war, wie natürlich, mit der gehörigen Achtung abgefaßt, aber etwas trocken; ich wollte keine Gunst, sondern forderte Gerechtigkeit. Die Königin hatte zu mir gesagt: »Ich solle mich mit dem zugeworfenen Almosen von 1500 Francs nicht begnügen, sondern um eine wirkliche Pension einkommen.« Ich entgegnete ihr, daß ich dies unmöglich könne, da mein Mann Legitimist gewesen sei. Sie schickte mich zur Tante, der jungen Prinzessin von Orleans. Ich lernte diese merkwürdige Fürstin kennen, von der ich damals noch wenig erfahren hatte, einige Jahre später aber viel sprechen hörte. Ich fand sie von einer leuchtenden Klarheit des Verstandes, von einer Bestimmtheit des Urtheils, die mir bewunderungswürdig schien. Ihre großen schwarzen Strahlenaugen funkelten von Jugendfeuer, ihre schönen Gesichtszüge waren regelmäßig und angenehm. Sie richtete[402] viele Fragen an mich, und bezeigte mir in wohlgesetzten Ausdrücken, daß meine Aussagen ihr lebhaften Antheil einflößten. Sie gab mir bestimmte Hoffnung, daß der König meine Eingabe beherzigen würde. Sie fragte auch nach meinen Schriften. »Ich bin es zwar nicht würdig, daß Sie mir viel darüber sagen«, sprach sie, »denn ich kenne Sie nur dem Rufe nach! Ich habe zu viel Geschäfte, um mich um Literatur zu bekümmern. Vielleicht kommt eine Zeit, wo ich Ihre Schriften und Sie näher kennen lerne!« Darauf entließ sie mich. Doch es verging lange Zeit, ehe ich etwas über das Schicksal meiner Vorstellung an den König Ludwig Philipp erfuhr.

Endlich schrieb mir der Minister Salvandy einen Brief, der mein gereiztes Gefühl empörte, weil er Chézy oft gesehen und ihm Wohlwollen bezeigt hatte. Ich erfuhr aus den wenigen empfangenen Zeilen, daß der König Ludwig Philipp ihm die Vorstellung hinsichts der Manuskripte Chézy's übergeben, aber nichts darüber entschieden habe; so wäre denn das Einzige was er für mich thun könnte, mir vorzuschlagen, die Arbeiten an das Ministerium zu schicken. Dies stand nicht in meiner Gewalt, denn ich hatte sie nicht mit mir in München. Die zwei großen Kisten, in welchen sie geordnet lagen, hatte ich in Roßheim deponirt. Es war vielleicht zur Unzeit, daß ich im Gefühl des hohen Verdienstes meines Mannes und seiner Arbeiten einen Stolz übte, den eine arme alte Witwe nicht aufkommen lassen soll. Ich fragte mich selbst: Ist es denn nicht eine Schmach, welche dem Andenken eines solchen Mannes angethan wird, wenn man die Werke, die er selbst erklärt zum Druck fertig zu haben, noch einer andern Beurtheilung als seiner eigenen überlassen will? Zu gleicher Zeit gab es einsichtsvolle[403] und gutdenkende Männer, die mir versicherten, ich müsse selbst nach Paris reisen, wenn ich etwas ausrichten wolle; und doch war ich zu arm, um eine solche Reise auf's ungewisse zu unternehmen. Ich ließ also die Zeilen des Ministers Salvandy unbeantwortet, hoffte auf einen neuen Wechsel des Ministeriums und auf die Möglichkeit meiner Rückkehr nach Frankreich. Ich setze hinzu: daß weder hinsichts meiner Manuscripte, noch meiner Pension etwas für mich geschehen ist; daß alle meine Eingaben unberücksichtigt geblieben sind; daß meine zahllosen Opfer und Bestrebungen, die Rechte meines Mannes emporzuhalten und die Früchte seines unablässigen Fleißes seinem Andenken und dem Gedeihen der Wissenschaft nützlich zu machen, mißlungen sind. An ihm ist ein doppelter Mord begangen, zuerst durch die Cholera, dann durch seine Gegner, wie ich schon früher in diesen Blättern geäußert. Es gibt Verbrechen, die dem Gesetz nicht unterliegen, und doch ist der moralische Meuchelmord der gräßlichste. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, wie es wol zugehen mag, daß die Laufbahn der Wissenschaft nicht minder, als die der Literatur und Kunst, sowie der Musik, allzu oft einen tödtlichen Haß erzeugt, der zuweilen noch über das Grab hinausdauert. Es sollte doch bei den Jüngern der Wissenschaft Liebe vorherrschen; das Ziel, das ihnen winkt, sollte Hand in Hand erstrebt und erreicht werden. Chézy's reine große Seele war ausschließlich vom heiligen Eifer für das Gedeihen der Wissenschaft angeregt. Neidlos erfreute er sich der Fortschritte edler Mitbewerber, und jeder Bestrebung, die der Wissenschaft zugute kam. Er wurde dennoch angefeindet, gemartert, zertreten; er mußte beispiellose Ungerechtigkeiten wehrlos ertragen. Der Conservateur der orientalischen Manuscripte, Langlès,[404] starb. Der hergebrachten, stets beobachteten Ordnung gemäß mußte Chézy, der älteste und erste angestellte Beamte, nach ihm nun seine Stelle bekleiden. Er wurde auch zu dieser einstimmig vorgeschlagen, allein man ernannte plötzlich noch zwei Candidaten, um unter ihnen und Chézy den Conservateur auszuwählen. Dies waren zwei noch junge Männer, die wenig Verdienst um die orientalische Literatur besaßen und auf der Bibliothek nicht Bescheid wußten. Der eine hieß Abel Rémusat. Man erstaunte sehr, daß Chézy, dem durchaus berechtigten Nachfolger von Langlès, noch zwei Mitbewerber an die Seite gesetzt werden sollten, nachdem er, schon seit 1798 in Talleyrand's Bureau als Orientalist angestellt, wenige Jahre darauf bei der Bibliothek als erster Employé ernannt worden, Adjunct auf dem Katheder der persischen Sprache war, sein Amt rühmlich geführt, und seinem Vaterlande als Professor des Sanskrit einen wesentlichen Dienst erzeigt hatte. Karl X. wollte nichts davon hören, daß Chézy wider alles Recht übergangen werden sollte; doch die schlauen Rädelsführer der Kabale wußten den schwachen König zu überreden, daß Chézy keine Rücksicht verdiene. Die Ursachen, die sie angaben, enthielten nur Scheingründe; es lag dem Monarchen, der zeitlebens der Meinung getrotzt hatte, jetzt alles daran, der Welt glauben zu machen, daß er moralisch sei, wiewol niemand das von ihm verlangte. Herr Abel Rémusat, hieß es, sei ein treuer Hausvater, zu Langlès' Amte befähigt, seine Ernennung würde einen guten Eindruck machen, Chézy könne täglich zu seinem Adjunct ernannt werden und 3000 Francs Gehalt beziehen. Von nun an wurde so stark gemunkelt, daß man diese Einrichtung treffen würde, daß dem zurückgesetzten, in seinem heiligen Recht gekränkten Chézy kein[405] Zweifel übrigbleiben konnte. Er forderte seinen Abschied. Der Minister, Graf von Corbière, sah ein, welcher Verlust diese Entfernung Chézy's für die Bibliothek sein würde, und suchte ihn auf alle Weise zu bewegen, seinen Entschluß zu ändern; aber vergebens. Mit einem todwunden Herzen verließ der würdige Mann den Schauplatz seiner Thätigkeit die Heimat seines Geistes, das Reich seines ruhmvollen Wirkens, die Wohnung, welche er mit großen Unkosten wohnlich gemacht aus seinen eigenen Mitteln, und bezog das entlegene Collège de France, wo er wiederum auf seine Kosten Räume bewohnbar machte, die ganz im Verfall waren. Wie in der Bibliothek beliefen sich die Unkosten auf mehr als 3000 Francs. Die Wohnung war sonnenlos und feucht, die Bibliothek sehr entlegen. Man sparte dem so vielfach Gekränkten nicht einmal den Schmerz, ihm öfters die Manuskripte und Bücher von der Bibliothek, die er zu seinen Arbeiten brauchte, wiederholt und dringend abzufordern. Zuviel der Herabwürdigungen waren dies. Chézy erkrankte von nun an oft und schwer. Noch kurz vor dieser Katastrophe hatte der Minister von Corbière in einem officiellen Schreiben Chézy die Typen zum Druck der indischen Grammatik bewilligt, die als Handschrift noch heut in den Händen seiner unglücklichem Witwe liegt, und deren Unterdrückung eine Kränkung der heiligsten Interessen der wissenschaftlichen Welt sein würde, wenn man das begangene Unrecht nicht wieder gutmacht.

Ich war gezwungen noch in Paris zu bleiben, um mir wenigstens Lebensunterhalt durch eine Pension zu verschaffen. Nur von weitem empfing ich zuweilen eine unbestimmte Nachricht hierüber. Die edle liebenswürdige Tochter der Frau von Staël, Herzogin von Broglie,[406] sprach mir Muth ein, so oft sie mich sah. Eine Engländerin, die in ihrem Hause lebte, Fräulein Randall, eine verständige wohlwollende Natur, gab mir gute Hoffnung, und sprach mir Trost ein; doch ich mußte lange auf eine Entscheidung warten. Ich war in Paris nun wieder allein, denn mein geliebter Max konnte die Luft dort nicht vertragen. Er war nach Fontainebleau gegangen, wo er sich bald wiederhergestellt fand.

Als der Minister Guizot durch den Baron Sacy erfuhr, daß das wenige baare Geld, welches Chézy hinterlassen, verbraucht sei, sendete er mir 250 Francs. Ich gab dem Wunsch einiger Orientalisten nach, und verkaufte ihnen einige der Werke, die ich aus Chézy's Bibliothek nahm. So war ich denn im Stand, meinen Max zu verhindern, seinen Brillantring für einen Spottpreis an einen Juwelier zu verkaufen, indem ich ihm Geld zur Reise nach Baden-Baden verschaffte. Ich blieb sehr betrübt in Paris zurück, um dort abzuwarten, was Guizot über mich verfügen würde. Max sah sich in seiner Hoffnung getäuscht, in Baden-Baden Geld zu erwerben, er war damals nicht gehörig bekannt; beide Söhne mußten im Gasthof zehren, wurden betrogen und gemisbraucht, und machten Schulden.

Im Juli kam ein Brief vom Ministerium. Eine jährliche Einnahme von 1500 Francs wurde mir unter der Benennung »Indemnität für die Witwe eines Mitglieds des Instituts« zugesichert. Auch Madame Rémusat hatte eine gleiche Zusicherung, unmittelbar nach dem Tode ihres Gatten, und zwar vom damaligen Minister Argout empfangen. Und wiewol zum zweiten mal verheirathet, bezieht sie, wie ich glaube, noch immer diese Pension.

Sylvestre de Sacy war über die Entscheidung meiner[407] Sache sehr betrübt. Die Zahlungen aus dem Fond, der zur Unterstützung von Gelehrten, Künstlern, oder deren Hinterbliebenen bestimmt ist, sind ungewiß können gestrichen, oder auch vermindert werden. Chézy hatte noch im Sterben seinen Freund Baron Sacy dringend angefleht, mir eine Pension zu verschaffen. Sacy stellte Guizot vor, wie wenig die für mich getroffene Einrichtung der letzten Bitte des Sterbenden entspräche. »Was wollen Sie?« hatte Guizot geantwortet, »meine Gesinnungen für Frau von Chézy sind wohlwollend und eifrig; Sie wissen, daß ich mich in Bestrebungen für sie ganz erschöpft habe; doch die Kammern scheinen ihr nicht günstig gewesen zu sein. Fünf traurige Begebenheiten hatten sich Schlag auf Schlag vereinigt. Cuvier, Champollion, Rémusat, St.-Martin und Chézy waren hintereinander gestorben. Madame Cuvier und Madame Champollion mußten großartig berücksichtigt werden. Es blieb mir nichts übrig, als für Frau von Chézy auf die Weise zu sorgen, wie ich es that. 1500 Francs in Paris sind sehr wenig, die Frau von Chézy liebt ihr Vaterland, sie kann diese Einnahme ungehindert in Deutschland verzehren!« Sacy wendete noch ein, daß diese Einnahme unsicher sei. »Nein«, rief Guizot, »kein Minister ändert etwas an dem, was sein Vorgänger festgestellt hat.«

Sacy rieth mir, keine weitern Schritte zu thun, und ich mußte seinem Rathe folgen. Mein ältester Sohn bedurfte Geld, er hatte eine schöne Baustelle in Baden billig erstanden. Ich besaß kein Vermögen, nur Chézy's Bibliothek, die ich ohne diesen Drang der Umstände vortheilhaft zu verkaufen hoffen konnte, nun aber versteigern mußte, um Wilhelm's Wunsch zu willfahren. Auch Max gab alles her, was er unter der Seele[408] hatte; denn zärtlicher hat nie ein Bruder den andern geliebt. Der Bau der Villa Chézy wurde begonnen, die Stimme der Mutter wurde überhört. Vergebens stellte ich meinem ältesten Sohn vor, daß eine solche Unternehmung nicht ersprießlich ausfallen würde, seiner Stellung nicht entspräche, und ihn in seinen literarischen Unternehmungen hemmen müsse! Die Folge belehrte meinen ältesten Sohn bald, daß ich vollkommen recht hatte. Doch es ist einmal das Los der Erfahrung, daß der, welcher sie erwirbt, sie nur insofern schätzt, als er sie theuer erkauft hat! Auch gibt es Menschen, die durchaus nur auf selbstgewähltem Wege ihr Glück suchen wollen. Wilhelm von Chézy hatte eine herrliche reiche Gabe für die Poesie. Der Hohn Spindler's, den er für seinen Freund ansah, war auf diese Blüten wie Mehlthau gefallen. Görres sagte einmal zu mir: »Suchen Sie sich über Wilhelm's Verlust zu fassen, er ist in den Händen eines Rattenfängers von Hameln. Sorgen Sie nur, daß Sie den Kleinen retten!« Ich beherzigte diesen Rath. Max entwand sich noch zu rechter Zeit den Netzen, von denen er umsponnen gewesen; Wilhelm jedoch mußte ich sich selbst überlassen. Er erkannte endlich die Wahrheit, doch mit herzzerreißendem Schmerz und viel zu spät. Möge ihn Gott auf seinem neuen Lebenswege zum Heile leiten!

Ich bin mit besonnener Eile über die Begebenheiten meines Lebens seit dem eben geschilderten Zeitpunkt hinweggegangen. Zu meinem Erstaunen lebe ich noch; doch mein Herz hat seit 1846, wo ich am Sarge meines Max geweint, schon mehr als tausendmal den Tod gelitten. Seit langer Zeit übe ich mich nun im Sterben ein. Im alten Heidenwahn waren die Götter selbst[409] dem Geschick unterworfen. In der christlichen Lehre steht Gott über dem Geschick, und selbst der Mensch ist dessen Meister!

Meine Erni, ich habe dich in diesem Buche noch nicht genannt, doch jeder Herzschlag nennt dich bis in den Tod, und mein Geist wird dich auch jenseits liebevoll umschweben! Ahnung sagt mir, daß auch du eine erkorene Natur bist, daß auch deine Bahnen zum Lichte führen werden, und daß wir uns wiederfinden.

Und nun noch ein Dank und Segenswort an dich, meine liebe Muhme Bertha Borngräber, die du mir wie ein Engel vom Herrn gesandt bist, mir aus so weiter Ferne, aus dem mir so heiligen Städtchen Tirschtiegel, wo du noch so liebe Geschwister verließest, so liebreich zu Hülfe kamest. Nicht achtend meine körperlichen schweren Leiden, welche du so mit Geduld tragen hilfst, und bei allen Entbehrungen der nöthigsten Bedürfnisse unverdrossen, halfest du fleißig, ja mit der größten Anstrengung an diesem Werke arbeiten. Denn nur durch deinen Fleiß und deine Anregung wurde mein schon so schwacher Geist, der infolge schwerer Krankheit und Trübsal die Jahre des Alters drückend fühlt, wieder feurig und rege, und ich kann dieses Buch mit Gottes Hülfe der Nachwelt übergeben. Ich kann dir nicht nach Verdienst lohnen wie ich möchte; aber es ist einer über uns, der kann mehr thun als wir bitten und verstehen, der wird dich dafür segnen; denn er spricht ja: »Was ihr gethan habt einem dieser Geringsten in meinem Namen, das habt ihr mir gethan!« Dein so reich bewegtes Leben schon von früher Jugend an hat hier noch neue mannichfache Erfahrungen gesammelt, die dein Leben noch reichhaltiger machen sollten. Doch nur im Feuer wird das Gold[410] von den Schlacken gereinigt, und geläutert bewährt es sich fort und fort. Ich werde bald diese Welt verlassen und zu unsern Lieben in höhere Sphären eilen; dort werde ich dich einst verklärt ewig schauen, und in jener himmlischen Vereinigung werden erst die reinen Triumph-, Dank- und Siegeshymnen ertönen!


Genf, den 1. December 1855.


Helmina von Chézy.[411]

Quelle:
Chézy, Helmina von: Unvergessenes. Leipzig 1858, Band 2, S. 359-412.
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