Fünftes Kapitel.

Verlauf der Nacht (Solo).

[35] Der Frontsoldat, dem ohne eine nächtliche Schneeballenschlacht, will sagen Handgranatenkampf, immer etwas zur Gemütlichkeit fehlt, wird empört sein, wenn er hört, daß es in Deutschland Waschlappen gibt, die die Nacht zum Schlafen benutzen! Da kann es dann nicht wundernehmen, daß die Menschheit faul und verlottert wird. Und da hat man nachher die Kasernenhofblüten und dicken Bäuche, die von verzweifelten Unteroffizieren mit schwerer Not wieder runtergeschliffen werden müssen und im Massengrab die besten Plätze wegnehmen![35]

Die Nacht steht in Deutschland hoch im Kursbuch, denn sie wird aus Reichsmitteln unterstrichen. Dies wird zur Beachtung empfohlen, weil in der Nacht die Liebe erwacht und nimmer aufhört. Man kann darum auch sagen: Die Liebe in der Nacht wird von Reichs wegen empfohlen!

Nach dieser Einleitung, die man auch ebensogut weglassen könnte, frage ich: »Wollen wir nicht noch 'nen Bittern nehmen?«

Alsdann Marschrichtungspunkt das Kusché, die Flohkiste, Schnarchkommode oder – vom Feldwebel aufwärts – das Bett! Dies Verweichlichungsgestell ist halb Kino, halb Veilchen, es wird erst am Abend geöffnet und blüht im Verborgenen – manche Protzen räumen ihm sogar ein besonderes Zimmer ein! So was müßte besteuert werden ebenso wie das gleichfalls im Verborgenen blühende Korsett, worauf ich den Staat hiermit hingewiesen haben möchte.

Will man nun durchaus diesen Lottersack benutzen, so entferne man seine Stiefeln, indem man sie mit einem möglichsten Krach vor die Tür schmeißt, steige in das sogenannte Nachthemd und schaue unter das Bett, ob die Dose da ist. Letzteres ist wichtig wegen des Hausarztes. Für alle Fälle nehme man auch ein Konversationslexikon mit in die Falle! Nun blase man das Licht aus, stelle die Atmung ein, und die Nacht kann ihren Anfang nehmen.

Wenn man jetzt genauer hinsieht, wird man[36] bemerken, daß es dunkel ist. Dies Phänomen tritt am Tage nicht ein und ist ein Beweis für die Kugelgestalt der Erde. Auch hängt das mit dem Nachtwächter zusammen, der jetzt vor dem Fenster pfeift, was er nicht zu tun brauchte, wenn es Tag wäre. Der Nachtwächter ist also ein Beweis für die Kugelgestalt des Globus.

Wenn man jetzt beim Umdrehen mit dem Schädel heftig gegen die Bettkante haut, verläuft alles programmäßig und es ist empfehlenswert, einzuschlafen.

Der nächste Programmpunkt wird etwa um 1 Uhr vor sich gehen, wo der aus Versehen aufgezogene Wecker einem rasselnd mitteilt, daß man noch da ist. Man werfe ihn mit einem kurzen Ruck an die Wand, worauf ihm schon die Zicken vergehen werden! Es ist angezeigt, dabei beträchtlich und ausgiebig zu fluchen.

Alsdann werfe man sich auf die noch nicht benutzte Körperseite. Dem aufmerksamen Beobachter wird es dabei gelingen, seinen Döskopp wieder mit der Bettkante in passende Berührung zu bringen, was aber nur die Gemütlichkeit erhöht und ihm vielleicht Veranlassung gibt, nunmehr von den lieben alten Schützengrabendeckungen von Arras und Verdun zu träumen.

Eine Stunde später wird man davon aufwachen, daß einen nichts beißt. Diese erstaunliche Tatsache ist mir von Augenzeugen bestätigt worden. Wenn man nun trotz angespannten[37] Nachdenkens keinen Floh findet, sehe man in dem eigens dazu mitgenommenen Lexikon unter F nach, unterstreiche das Ergebnis und lege sich zum Schutze den Stiefelknecht unter das Kopfkissen. Alsdann wird der wohlverdiente Schlaf schon ausbleiben.

Weitere Störungen hat man in der nächsten halben Stunde kaum zu befürchten. Dann aber wird das Fenster, das man vor dem Schlafengehen ungewohnterweise nicht fest zugemacht hat, von einem heftigen Windstoß aufspringen und einen bereitstehenden Blumentopf mit Donnergepolter auf den Fußboden schmettern.

»Fliegerangriff! Volle Deckung nehmen – –« ist der erste Gedanke – – – raus aus der Falle, marsch marsch in den Keller – – –! Kladderadatsch stößt man die Wasserkaraffe vom Nachttisch runter – aber schon ist man auf dem Korridor, wo man im nächsten Augenblick über die am Abend rausgeschmissenen Stiebeln der Länge lang auf die Nase fliegt! Dies wird einen jedoch nicht hindern, im unmittelbaren Anschluß daran die Treppenstufen hinunter – klack – klack – klack – klack – auf dem zu Unrecht verrufenen Steiß zu rutschen. Zum Glück wird man mit dem Riechzinken am Griff der Kellertür hängen bleiben, worauf der strategische Rückzug seinen vorläufigen Abschluß findet, denn die Kellertür ist fest verschlossen!

Mittlerweile hat sich der Fliegerangriff ausgetobt. Man suche nun seine Knochen vor der Kellertür zusammen, wobei man das Nachzählen und etwa notwendige Reparaturen zweckmäßig auf den nächsten Morgen verschiebt. Dann schleiche man unter Absingen des Liedes »Wie bin ich, ach, so tief gesunken« an den verräterischen Trittchen vorbei wieder ins Schlafgemach, durchschwimme den durch den Angriff hervorgerufenen See vor dem Wonnelager und lasse sich erfrischt auf den Pfühl sinken. Das war doch mal 'ne feldmäßige Abwechslung! Und mit dem Wonnegefühl ehrlich zerschundener Schienbeine wird man alsbald wieder entschlummern – – – –

Die Reize der Nacht sind mit dem Vergangenen noch keineswegs erschöpft. Aber, liebe feldgraue Pennbrüder, ich will sie Euch nicht alle vorwegnehmen durch Ausmalung der noch ausstehenden – kommt und seht und benehmt Euch dabei so anständig, wie es einem Manne mit zerknirschtem Hinterteil und grausam, aber planmäßig zerschlagenem Ellbogen möglich ist!

Solch eine Friedensnacht hat's in sich! Beleidigt deshalb aber den Nachtwächter nicht, sondern kommt die nächste Nacht vorsichtshalber erst um 4 Uhr nach Haus, wo's schon hell ist und darum eine Flucht in den Keller leichter vonstatten geht.


Anmerkung: Daß die Nacht eine ehelich Beweibten wesentlich anders verläuft, will ich nur kurz erwähnen, muß aber leider darauf verzichten, Verhaltungsmaßregeln[41] hierfür herauszugeben, da ich ein moralischer Mensch bin Ich sage nur: »O! O!«

Quelle:
Engelhardt, Wilhelm: Kleiner Knigge für heimkehrende Sieger nebst kurzer Instruktion über die Heimat. Berlin 1918, S. 35-39,41-42.
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