Siebentes Kapitel.

Die Straße.

[52] Die Straße, larue oder schorsee genannt, hat sieben Seiten, die Unter-, Ober-, rechte, linke, vorn und hinten und eine schwache Seite; letztere ist nur Sumpfhühnern und dem Nachtwächter bekannt. Zwei Seiten sind zum Verkehr, die anderen zum Betrieb da. Auf der Unterseite, auch Untergrund genannt, fährt die Untergrundbahn in drei Minuten; in besseren Gegenden steigt sie zum Ärger der anderen Fuhrwerke hoch und geht als Hochbahn.

Sie ist in Neustadt polizeilich noch nicht gemeldet, weswegen das eben Gesagte fortfällt. Man ist hier mehr für das Oberflächliche, womit ich jedoch nichts gesagt haben will. In der Mitte, auf dem sogenannten Damm, regieren Sperling und Nuddelspinne; ersterer wegen der Pferdeäppel, letzteres wegen der Schnelligkeit. Man gewöhne sich daran, nicht unter die Räder zu kommen, sondern springe auf den Bürgersteig. Dort gehe man, auch auf der linken Seite, rechts,was manche immer noch nicht wissen, aber bloß auf die Berliner Friedrichstraße zu kommen brauchen, wo ihnen das schon beigebracht wird!

So vollzieht sich der sogenannte Verkehr. (Er heißt »erlaubt«, im Gegensatz zum unerlaubten, der aber auch nicht ohne ist!) Man verstocke ihn nicht durch Überfahrenlassen seines steifen Hutes und sehe nicht erregt auf, weil das Aufsehenerregen unter Mörder und Räuber – wollte sagen, die Sittenpolizei fällt.

Man kann auch einen Auflauf verursachen, indem man seinen Regenschirm ohne Marke und Aufschrift in einen Briefkasten steckt, was extra dransteht. Auch wenn ein Pferd fällt, gibt es einen Auflauf (fehlt in den meisten Kochbüchern).

Wer schon einmal etwas von einer Epileptischen gehört hat, der freue sich, denn eine solche gibt's in Neustadt nicht. (Man erkennt sie sonst an einem Schild mit der feierlichen Inschrift: »Besetzt!«) Hier gibt es an Mitteln zur Unterdrückung des Fremdenverkehrs nur eine vierrädrige Schaukel (daher der Name »Schaukelpferd«), die laut Magistratsbeschluß den Beinamen »Droschke« führt. Ihr Modell steht auf dem Brandenburger Tor. Hieran steht man so recht die Moral der Großstadt, denn in Neustadt steht niemand Modell, weil das wegen der krummen Beine Ärgernis erregend ist, und die Künstler sich was schämen sollten. Künstler sind überhaupt eine Sorte – – –!!![55]

Ein weiteres Straßenbild ist der Dienstmann. Zum Unterschied vom Dienstmädchen ist er männlichen Geschlechts und braucht sich nicht mit einem Grenadier in die Küche zu setzen. Sein Dienst besteht in der nächsten Destille, wo er die hohe Politik macht (daher dann der Alkoholmangel). Von dort aus führen drei Stufen wieder auf die Überschrift dieses Kapitels, d.h. auf die Straße zurück.

Während es in der Schießvorschrift heißt »Laden und sichern«, heißt es hier »Man sichere sich vor dem Laden!« Nämlich das Portemonnaie oder zu deutsch den Geldsack! Steht man z.B. mit seiner Kleinen vor einem Hutladen, wo die neuesten Wahngebilde ausliege, so sehe man sich nach einer Deckung um. Wenn man keine findet, ist man in drei Minuten drin, ein »goldiger Bubi« und 150 Mk. los. Dies sind die Gefahren der Großstadt, wovor ich die Jugend und das reife Mannesalter nicht eindringlich genug warnen kann!

Auf der Seite des Bürgersteigs, wo die Häuser fehlen, ist der Rinnstein. (Man verwechsele nicht Bürgerstein und Rinnsteig, denn letzterer, auch »Rennsteig« genannt, ist ein Grenzkamm. Ein Grenzkamm aber ist ein Kamm zum Scheitelziehen, was mit einem Rinnstein selbst Fachleuten kaum möglich ist!) Er heißt im Volksmunde auch »Gosse«, woher der Ausdruck kommt »durch diese hohle Gosse muß er kommen« (nämlich[56] der versoffene Kupferschmied), was polizeiwiderlich ist und deshalb aus unseren Betrachtungen ausscheidet. Eure Olle würde Euch schön was blasen!

Nach diesen Fährlichkeiten stößt man mit dem Schienbein an einen eigens dazu angestellten Prellstein. Um seiner Aufgabe gerecht zu werden, steht er an den belebtesten Straßenecken; für die Aufzucht der Stubenhunde ist er aber ebenso unentbehrlich wie die Straßenlaterne und der bekannte blutige Knochen hinter der Kirchhofsmauer.

Dem Prellstein gegenüber ist Loeser und Wolff.

Unfern erhebt sich ein Schutzmann. Ein solcher ist stets unfern, sofern er nicht fernab ist. Finster spielt das Auge des Gesetzes mit dem Feuerhaken, wollte sagen Feuerrohr an seinem Bauchlatz. Wäre er mit einer Handgranate statt mit einer Feuerlatte ausgerüstet, so würde dies wesentlich zur Hebung der Papiernot beitragen. Wen diese Behauptung etwa ungewöhnlich deucht, der lese die Anmerkung am Schlusse dieses Buches nach! Um wieder auf besagten Schmutz- – pardon, Schutzengel zu kommen, so enthalte ich mich lieber! Gegen ihn gilt seines Diensteides wegen nicht mal eine kleine Notzucht alias Notwehr als kommentmäßig. Man setze sich lieber mit ihm mittels Umgehung im weiten Bogen ins Benehmen!

Das Benehmen auf der Straße ist eine Sache[57] für sich, es richtet sich danach, wieviel Uhr es ist. Letztere ist wieder etwas, was die Post angeht, woraus der denkende Mensch den Satz ableiten wird: »Das Benehmen auf der Straße ist Sache der Post.«

Deshalb, liebe Kriegskameraden, stellt Euch mit dem Postfräulein gut, sie hat um 7 Uhr frei und ist gern erbötig! Worauf das Weitere sich von selbst ergibt und ich die Kapitel schließen kann.

Quelle:
Engelhardt, Wilhelm: Kleiner Knigge für heimkehrende Sieger nebst kurzer Instruktion über die Heimat. Berlin 1918, S. 52-53,55-58.
Lizenz:
Kategorien: