Gesellige Höflichkeit.

[80] »Es gibt kein Zeichen der Höflichkeit, welches nicht einen tieferen, sittlichen Grund hätte.«


In kleineren Gesellschaften steht es der jungen Dame wohl an, sich nützlich zu machen, ohne dabei unbescheiden und zudringlich zu sein, doch muß sie in diesem Fall mit den Wirten näher bekannt sein. Es werden sich bei aufmerksamer Beobachtung eine Menge kleiner höflicher Dienste finden, die sie den Wirten abnehmen kann. Hat sie die Tasse oder ein Glas geleert, setze sie dasselbe wieder auf einen Tisch und erwarte nicht, daß jemand kommt und es holen soll. Präsentiert die Tochter des Hauses oder die Wirtin selbst eine Erfrischung, so steht man auf, während man davon nimmt, thut es ein Dienstbote, bleibt man sitzen.

Gerade in der Gesellschaft und unter Fremden wird die junge Dame um so mehr gefallen, je mehr sie die Regeln der Höflichkeit beachtet, sie kann in der Befolgung derselben eher zu weit gehen, als daß sie sich eine Vernachlässigung zu schulden kommen läßt. Einer älteren Dame ein Kissen unter die Füße zu legen, ein vergessenes Tuch herbeizuholen, das steht ihr wohl an, sie sei flink bei der Hand, etwas auf die Erde Gefallenes aufzuheben, und überreiche es, selbst wenn ihr das Suchen danach schwer geworden ist, nicht mit unfreundlicher Miene.

Tritt eine ältere Dame oder ein alter Herr zu ihr, um mit ihr zu sprechen, so erhebt sie sich nicht bloß zur Begrüßung, sondern bleibt stehen, bis das Gespräch zu Ende geführt ist, mit einem jungen vor ihr stehenden Herrn kann sie sich jedoch sitzend unterhalten.[80]

Quelle:
Ernst, Clara: Der Jungfrau feines und taktvolles Benehmen im häuslichen, gesellschaftlichen und öffentlichen Leben. Mülheim 3[o.J.]., S. 80-81.
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