8) Der Neidische.

[75] Der Neid ist eine der verderblichsten und gehässigsten Leidenschaften, welche sich in das Herz des Menschen stehlen können, in welchem er, sobald er sich einmal festgesetzt hat, den Keim aller Tugenden zerstört. Wer das Unglück hat, neidisch zu sein und seinen Neid nicht zu bekämpfen oder zu unterdrücken vermag, der sollte die Gesellschaft fliehen, den Umgang mit der Welt meiden; denn welche Larve er auch vornehmen möge, um dieses abscheuliche Laster zu verbergen, so wird man dennoch bald erkannt und von der ganzen Gesellschaft zurückgestoßen werden.[75]

Der Neid ist der Wahn des Stolzes oder der Eitelkeit und sogar der erste Grad des Wahnsinns. Der Neid hat in seinem Gefolge den Haß, die Verleumdung, die Heuchelei und die Vernichtung aller Tugenden. Unglücklicherweise ist diese Leidenschaft oft eine unheilbare Krankheit, weil ebenso, wie bei dem wirklichen Wahnsinne, der Neidische sein Uebel oft nicht kennt und sich darin gefällt, obgleich es ihn verzehrt; denn der Neid ist eine Krankheit, welche langsam tödtet.

Der Neid gleicht einer giftigen Schlange, die sich selbst beißt, wenn sie Niemand Andern beißen kann.

Er ist die Herabwürdigung der Selbstliebe und die höchste Verblendung des Egoismus.

Fühlt man den Neid zum ersten Male sich in das Herz einschleichen, so kann man ihn leicht daraus vertreiben, wenn man vernünftig darüber nachdenkt; kämpft man aber nicht gleich von allem Anfange gegen diesen Feind, so wird man zuletzt unfehlbar von demselben besiegt.

Unter allen Neidischen kennt nur der Dummkopf allein seinen Fehler nicht und überläßt sich demselben mit Wohlgefallen.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 75-76.
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