Von den Begrüßungen.

[159] Wir wollen dieß Capitel nicht wie ein Tanzmeister behandeln, und wir möchten sogar unsere Leser und Leserinnen auffordern, wenn sie in der Welt sind, die Unterweisungen dieses würdigen Lehrers ganz und gar zu vergessen. Dennoch erkennt man an einer Begrüßung auf den ersten Blick einen Menschen von Erziehung und gutem Ton. Der Gruß ist von der höchsten Wichtigkeit, wenn man es in der Welt zu irgend Etwas bringen will, und Gott weiß, wie viele Menschen nur deßhalb nicht zu[159] höheren Aemtern und Ehrenstellen gelangten, weil es ihnen bei den Begrüßungen an dem gehörigen Tact fehlte.

Grüßt man einen hohen Vorgesetzten oder Beschützer, so muß das Rückgrat mit den Beinen einen beinahe rechten Winkel bilden.

Wenn der Beschützer den Gruß zwei oder drei Mal, statt eines einzigen, erwiedert, dann darf man überzeugt sein, daß man bei ihm nichts erlangen wird.

Begegnet man auf der Straße einem Bekannten allem, so grüße man ihn zuerst.

Ist er in Gesellschaft, so warte man seinen Gruß ab.

Grüßt Jemand, mit dem man geht, irgend einen Vorübergehenden, so grüßt man mit, auch wenn man den Gegrüßten nicht kennt.

Eine Dame grüßt man jederzeit zuerst, auch wenn man im Range über ihr steht.

Wird man durch einen Grüßenden angehalten, so antworte man durch einige höfliche Worte, lasse sich aber nicht in ein langes Gespräch ein.

Freunde grüßt man durch, eine bloße Handbewegung oder indem man militärisch an den Hut faßt.

Entspinnt sich ein Gespräch mit einem Begrüßten, so behält man den Hut in der Hand, bis der Höhere oder Vornehmere – oder eine Dame – dazu auffordert, den Kopf zu bedecken.

Begegnet man einer allein gehenden Dame, so wartet man mit dem Gruße, bis man von ihr erkannt zu sein scheint.

Einen empfangenen Gruß nicht zu erwiedern, ist eine Grobheit, wie niedrig auch die Stellung des Grüßenden sei.

Einen Gruß auf eine vornehme oder herablassende Art zu erwiedern, wenn man nicht sehr hoch über dem Grüßenden steht, ist eine alberne Anmaßung.

Ein Händedruck als Gruß ist nur unter Freunden oder ganz genauen Bekannten statthaft. Wem man Achtung[160] oder Ehrerbietung schuldig ist, dem darf man nie zuerst die Hand bieten.

Zu einem Händedrucke nur einen oder zwei Finger zu bieten, ist unter Gleichen eine lächerliche Unverschämtheit, von dem Niedern gegen den Höheren eine Albernheit, von dem Höhern gegen den Niedern ein Zeichen der Geringschätzung.

Den abgezogenen Hut tiefer oder weniger tief zu senken, ihn längere oder kürzere Zeit in der Hand zu behalten, sind eben so viele Unterschiede in der Bezeigung der Achtung.

Einen Respectsgruß darf man nie anders ausführen, als durch Abziehung der Kopfbekleidung. Auch Damen sollte man nie anders grüßen.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 159-161.
Lizenz:
Kategorien: