Höflichkeit im Beruf

[120] Manche Menschen glauben, daß es angebracht sei, wenn sie ihre Untergebenen möglichst anschreien oder kommandieren und ihnen kaum einen Gruß gönnen. Diese Auffassung ist falsch. Jeder, der gut erzogen ist und anständige Manieren hat, zeigt dies gerade im Umgang mit Untergebenen, zum Beispiel dem Dienst-, Geschäfts- und Büropersonal, oder den Leuten auf der Straße. Im Umgang mit Untergebenen oder fremden Menschen auf der Straße, die man nach dem Weg fragt, zeigt sich der Bildungsgrad des anderen. Es ist recht ungebildet, den Polizisten auf der Straße, den man um eine Auskunft bittet, einfach mit »Sagen Sie mal...« anzureden oder dessen korrekten Gruß gar nicht oder nur kurz zu erwidern.

Was die berufstätige Frau angeht, so ist auch hier die wirklich gebildete Frau leicht zu erkennen durch eine gewisse Zurückhaltung. Eine im Büro tätige Dame versuche nie, sich in den Vordergrund zu drängen. Es mag Herren geben, die Gefallen daran finden, aber ernste, pflichttreue Angestellte finden es nicht angenehm, täglich daran erinnert zu werden, daß Frauen in ihrer Umgebung arbeiten.

Eine wirklich gebildete Frau wird auch niemals parfümiert ins Büro kommen, auch nicht in auffallender[120] Kleidung, und sich nicht durch auffallendes Auftreten unbeliebt machen.

Zur richtigen Arbeit gehört ein einfaches Kleid, ein allzeit freundliches Wesen und die richtige Zurückhaltung.

Die berufstätige Frau darf von den Herren fordern, daß diese ihr gegenüber höflich sind und ihre Kraftausdrücke bis nach Dienstschluß, wenn sie mit ihren männlichen Kollegen allein sind, aufbewahren. Die Frau dagegen rege sich nicht künstlich auf, wenn ihre männlichen Mitarbeiter in Hemdärmeln arbeiten, sowie das Thermometer einmal außergewöhnlich hoch klettert.[121]

Quelle:
Gleichen-Russwurm, Alexander von. Der gute Ton. Leipzig [o. J.], S. 120-122.
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