Mein erstes Konzert

[54] Und ich hatte die Kühnheit, ein Konzert mit nur eigenen Kompositionen anzuzeigen. Programm: Ouvertüre, PsalmKlavierquartett und Ballade. Das ganze Orchester des Carl Theaters, meine Kollegen, hatten sich ehrenwörtlich schriftlich bereit erklärt, unentgeltlich mitzuwirken. Professor Dachs vom Konservatorium erklärte nach Durchsicht des Klavierquartetts sich ebenfalls bereit, dasselbe mit drei anderen Mitwirkenden (Ludw. Strauß – lebte später in London –, Röver, Dobyhal) zu spielen. Nun galt es den Männerchor für den Psalm zusammenzubringen sowie den Sänger für das Solo im Psalm und die Ballade zu gewinnen. Außer dem Wiener Männergesangverein, der ja für mich jungen und unbekannten Anfänger nicht zu haben war, gab's damals noch keine Gesangvereine.

Indessen gelang's mir doch, von unseren Theaterchormitgliedern und Dilettanten einen Chor von ungefähr 30 Mann zusammenzubringen.[54] Hingegen hatte es große Schwierigkeit, einen Sänger zu finden, der das Solo im Psalm und die Ballade »Der Trompeter an der Katzbach« sänge. Da es kein einziges Liederkonzert gab, kannte man öffentlich auch keinen Sänger; nur die von der Hofoper kamen in Betracht. Fünf – sechs hatten zugesagt und der Reihe nach – kaum war der Zettel mit ihrem Namen erschienen – wieder abgesagt. Der beliebte Sänger Hölzl wies mir geradezu die Tür: »Wie ich es wagen könne, ihn aufzufordern, nachdem sechs andere bereits auf dem Zettel ständen.« Endlich fand sich ein drittes Mitglied der Hofoper namens Liebisch, der Wort hielt.


*


Ich hatte mit meinen kleinen Ersparnissen die Saalmiete (Musikverein), Affichen und Billette bezahlt. Der Tag der Aufführung nahte heran. 26. Dezember 1857. Einen Tag vorher hatte ich die einzige Orchesterprobe angesetzt. Das ganze Orchester des Carl-Theaters hatte sich schriftlich mit Ehrenwort verpflichtet, unentgeltlich mitzuwirken. Ich trete aus Pult und die Hälfte des ohnehin kleinen Orchesters (4 erste Geigen usw.) fehlt – und morgen sollte das Konzert stattfinden. Man stelle sich meine Verzweiflung vor!

Ich muß das mit soviel Mühe zustande gebrachte Konzert absagen.

Ein zweitesmal konnte ich die bedeutenden Auslagen nicht machen, auch wenn das Orchester nun vollzählig käme, was ja mehr als unwahrscheinlich war.

Da führte der Zufall – wie so oft der bestimmende Geist – mich mit einem jungen Manne zusammen, der in der Kanzlei eines stadtbekannten Advokaten arbeitete. Dieser junge Mann[55] riet mir, mich an seinen Chef zu wenden; er unterstütze junge Talente, sei Kunstfreund und selbst guter Musiker. »Er wird Ihnen in irgendeiner Weise raten und helfen.« – Ich ging hin, stellte ihm meine Lage vor, sagte gleich, ich käme nicht betteln, aber wenn er seinen großen und reichen Bekanntenkreis für das Konzert interessieren würde, wäre mir, ohne ihn persönlich irgend in Anspruch zu nehmen, geholfen. »Ich unterstütze gerne junge Talente,« sagte er, »aber eine Konzertanzeige ist noch kein Beweis dafür.« Ich: »Genügt Ihnen das Zeugnis von Professor Dachs und Hanslick?« Er: »Vollkommen.«

Nun, des Dachs war ich sicher, aber Hanslick kannte ich nicht. Ich schickte letzterem die Ouvertüre, schrieb ihm, um was es sich handle und bat um seine Meinung. Er schrieb an meinen Kunstmäzen: »Talent, aber noch unreif.« Hierauf nahm dieser 50 Sitze, mir war geholfen; ich hatte nicht bloß die Kosten gedeckt, sondern viel mehr – ein Publikum.


*


Es war eine an Frechheit grenzende Kühnheit, mit zwei großen Orchesterwerken – ich hatte bisher noch nichts für Orchester geschrieben – vor das Publikum zu treten, mit Stücken, die ich noch nicht gehört hatte. Aber ich hatte sie – die Frechheit. (Und da spricht man immer von meiner Bescheidenheit.) Ich nahm das Hofopernorchester, das Konzert fand endlich (mit einer Probe) Donnerstag, den 12. März 1858 statt. Der Erfolg war freundlich, die Presse so, so, half and half. Es war gerade kein welterschütterndes Ereignis, aber mein Name kam im ganzen nicht unvorteilhaft in die Öffentlichkeit, der Zweck war erreicht.

Eine heitere Episode sei hier angeschlossen.[56]

Vor kurzem traf ich Eduard Kremser, den jetzigen Ehrenchormeister des Wiener Männergesangvereines. Wir sprachen von alten Zeiten, auch von diesem Konzerte. Er sang mir noch Themen aus der Ouvertüre vor. Da sagte er plötzlich: »Wissen Sie, daß ich noch ein Manuskript von Ihnen besitze? Die Ballade ›Der Trompeter an der Katzbach‹«. Ich hatte die Existenz dieses Stückes längst vergessen.

»Wie kommen Sie zu diesem Stücke«, fragte ich. »Ganz einfach,« sagte er, »ich begleitete damals den Sänger und behielt das Manuskript.« Ich bat ihn darum. »Fällt mir nicht ein,« sagt er, »50 Jahre geben mir längst ein Besitzrecht.« Nun bat ich wenigstens um eine Abschrift. Die erhielt ich, aber wie! Den schwer-pathetischen, feierlichen Schluß ersetzte er durch einen lustigen Duliä-Jodler. Ich drohte ihm, das von ihm so verbesserte Stück mit seinem Namen zu veröffentlichen. Umgearbeitet ist es jüngst in der Universal-Edition erschienen. Mit Ausnahme dieses ist von all den genannten Stücken kein einziges veröffentlicht. Damals konnte ich's nicht (hatte auch keinen Versuch gemacht) und später, da ich es konnte, wollte ich nicht mehr, da ich ihre völlige Unselbständigkeit erkannte. Der Psalm, der ganz Mendelssohn war, ging durch Ausleihen verloren.

Alles was ich bis zu dieser Zeit schrieb, von meinem 14. bis 27. Jahr, ist der Vernichtung anheimgefallen. Und tiefe Wehmut ergreift mich, wenn ich bedenke, daß Mendelssohn mit 17 Jahren den Sommernachtstraum, Franz Schubert, der schon mit 32 Jahren starb, die große Zahl der herrlichsten Werke schrieb, von Mozart gar nicht zu reden – daß mir die blühende Jugend mit ihrer brennenden Phantasie, dem warmen, stürmischen Herzen verloren ging; verloren durch Elend und Dürftigkeit, mehr noch durch Mangel jeglichen Unterrichts – in den fünf Monaten am Konservatorium hatten wir kaum die [57] Dur-Harmonielehre durchgenommen – Unkenntnis der gesamten musikalischen Literatur, alles dessen, was groß ist, erhebend, belehrend und erziehend wirkte, in stetem, täglichem Verkehr mit der gemeinsten, flachen Possenmusik. Und in diesem Sumpf lebte ich bis zu meinem 28. Jahr!

Beurteilt die Kritik später seine Werke, so kümmert sie sich, und mit Recht, wenig darum, ob der Künstler mit liebender Hand, von tüchtigen Lehrern, mit Wohlwollen seine Entwicklung fördernd, auf geradem Wege zur Höhe geführt wird, oder aber durch tausend Schmerzen und Hemmungen, ohne Lehrer und Ernährer aus Not und Elend (und später durch alle Spöttereien) sich durchgerungen hat.

Und ich war bereits achtundzwanzig Jahre alt! – Das sollte nun anders werden; ich sollte das Possentheater mit seinem verderblichen Einfluß für immer verlassen – eine neue Zeit begann für mich, eine Zeit ernster, rastloser Studien.

Quelle:
Goldmark, Karl: Erinnerungen aus meinem Leben. Wien, Berlin, Leipzig, München 1922, S. 54-58.
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