Rahel – Varnhagen – Bettina.

[519] Nach langem Verweilen hinsichtlich derer, die mit der »Literarischen Gesellschaft« in Verbindung kamen, lasse ich zwei kurze Einschaltungen folgen.

Mein Ruf als dienstwilliger »Max Helfenstein« mußte im Jahre 1832 sich bis zwölf Meilen von Berlin bis nach Königsberg in der Neumark, verbreitet haben. Der damalige Bürgermeister dieser Stadt, Namens Reimann, schrieb mir:


»Ew. Wohlgeboren


verzeihen, daß ich wegen eines mir wichtigen Wunsches mich an Sie wende, in der Ueberzeugung, Ihre vielseitige Thätigkeit könne mir behülflich werden. Als hiesiger Bürgermeister bin ich für Königsberg bemüht, die Betriebsamkeit zu erhöhen, und gewiß ist es auffällig, daß in einer Stadt, die über 4000 Einwohner[519] hat, auch ein Gymnasium, weder eine Buchdruckerei noch eine Buchhandlung etablirt worden ist. Sie, verehrter Herr, haben Schriftgießerei, Buchdruckerei auch eine Buchhandlung, und können mit Ihrer Umsicht beurtheilen, ob und wie es thunlich wäre, hierorts nach zuträglichem Maaßstabe solchem Geschäftlichen und Berührigen Umfang zu verschaffen. Ich erlaube mir daher, Sie um Ihren Rath zu bitten. Das Beste wäre freilich, wenn Sie selbst eine Filialanstalt hierher beschaffen wollten, auf die städtische Unterstützung, so weit sie zu erlangen, könnten Sie rechnen.

Ihre Humanität wird Nachsicht haben für meine Dreistigkeit, die sogar auf einen gefälligen Bescheid hofft.

Unter allen Umständen habe ich die Ehre, in Anerkennung zu seyn


Königsberg N/M.

25. März 1832.

Ew. Wohlgeboren

ergebenster

Reimann.«


Noch vor dem Ende des Frühlings war ich, begleitet von meiner herzigen Frau und zwei Kindern, in diesem Königsberg, der alten, von den Markgrafen Johann I. und Otto III. begründeten Stadt, deren Bürger sich in der Vorzeit tapfer wehrten gegen hochadlige und fürstliche Faustritter, namentlich auch gegen den Herzog Kasimir von Pommern, der im Jahre 1372 erfolgloser Belagerer war und durch den Pfeilschuß eines Schuhmachers getötet wurde. Mit der Familie Reimann waren wir rasch befreundet, ebenso mit dem Postdirektor, Rittmeister von der Heyden, als Schriftsteller benannt »Emerentius Scävola«, in bezug darauf, daß er eine Hand im Kriege verlor. Nachdem ich in den Verhältnissen mich umgeschaut hatte, man mir von allen Seiten, auch von der Kreisregierung, zutunlich entgegenkam,[520] errichtete ich in jener Stadt eine »Buchdruckerei, verbunden mit Buch-, Musikalien-und Kunsthandlung«. Damit war ich im Frühjahr 1833 in Ordnung und »Emerentius Scävola« freute sich, daß zuerst sein zweibändiger Roman: »Die Erbsünde«, in Königsberg gedruckt wurde, als Verlagswerk der Vereinsbuchhandlung. – Die Anstalt mehr zu beleben, ließ ich auch sogleich die Zeitschrift:


»Der Märkische Stadt- und Landfreund«


erscheinen, sorgte dafür von Berlin aus, hatte aber vorweg erklärt, daß ich nur ein paar Jahre das Ganze leiten und es dann einem Käufer überlassen würde. Nachdem mein dortiger Geschäftsführer J.G. Striese, sich sehr wacker und glücklich in alles hineinfand, überließ ich ihm das Sämtliche, habe ihm zu bezeugen; daß er die Kaufbedingungen redlich erfüllt und ein Eigentum erworben hat für seine Familie, der ich eine gesegnete Zukunft wünsche.

Die zweite Einschaltung ist ein Verbessern der Vergeßlichkeit im Bezug auf Mitbeschäftigung bei einem fabelhaften wunderlichen Abenteuer, an das ich wieder erinnert wurde, als im Jahre 1835 in Paris der berühmte Sprachkundige Julius Klaproth gestorben war. Er trat im Jahre 1805 in mein Arbeitszimmer, legte mir Papierstreifen mit persischen Schriftzügen vor, um sie im Holzschnitt nachzuahmen und zugleich empfing ich die Einladung zu einem Mittagsgastmahl bei dem Rittmeister von Kamecke, der mir mehr sagen würde über diese Angelegenheit. Zur bestimmten Stunde fand ich mich ein und kam in ein Zimmer, das einen seltsamen Anblick bot. Die inneren Räume, bis zu den Fenstern hin, hatten an den Mauern entlang Polstersitze und über[521] ihnen ringsum hingen allerlei Waffen: man konnte sich einbilden, in der Wohnung eines morgenländischen Kriegsmannes zu sein. Auf dem Tritte am Fenster saß eine Frau, die aus einem Stück Zeug Goldfäden zupfte; sie rief mir einen Gruß zu, und mehr durch Winke mit der Hand, als durch Worte begriff ich, daß auch ich dort mich setzen sollte. Sie war eine der schönsten Frauen, die ich gesehen habe, ehemals, wie ich bald wußte »spanische Reiterin« gewesen und ihr Gatte geriet nach solchem Ehebündnis mit seiner ganzen Familie in Feindschaft. Jetzt wollte der preußische Rittmeister zeigen, was er vermöchte, in seinem überspannten Gehirn entstand und befestigte sich die Absicht, das schwärmerisch geliebte Weib zur – Königin von Persien zu erheben.

Dort wütete damals, wie früher und später oft, Hader um den Thronsitz, und ganz erfüllt war Herr von Kamecke von der Überzeugung, sein Unternehmen werde gelingen. Die schöne Frau äußerte ebenfalls in verschiedenen Sprachen Begeisterung für diesen Plan, zweifelte auch nicht an sicherem Erfolg. Vertraut hatte sich der kühne Rittmeister dem Dr. Julius Klaproth, dieser schrieb an das Perservolk Verkündigungen, die ich durch Holzschnittplatten im Abdruck auf Seidenpapier zehntausendmal vervielfältigte. Der abenteuerliche Entschluß des Herrn von Kameche begründete sich bei ihm zur Ausführung in folgender Art: in Nähe der Thronstadt Persiens wollte er sich erheben vermittelst eines Luftballons, Verkündigungen eines neuen Propheten aus der Luft herabflattern lassen, um dann als dieser neue Prophet vom Himmel her unter das Volk zu treten. Für die Drucksachen und den Luftballon wurde ein geheimer Boden überdeckt im Reisewagen, und was ereignete[522] sich dann? – Das hoffnungstrunkene Ehepaar kam wirklich bis in die Nähe Persiens, wurde aber dort, der Angabe nach – denn hier hört mein begründetes Wissen auf – angefallen von Räubern. In deren Besitz kamen nun auch mit dem Wagen die Verkündungen samt dem Luftballon, ohne daß vielleicht irgend jemand entdeckte, was in dem Wagen verborgen wurde. – Mit dem Bezahlen dessen, was ich für meine Platten, Drucksachen und Seidenpapier zu forden hatte, war ich an Dr. Julius Klaproth gewiesen. Als er aber – auch im Jahre 1805 – Berlin verließ, war ich genötigt, seinen Vater, den berühmten Chemiker Klaproth, um Vermittlung zu ersuchen, erhielt nun auch Befriedigung meiner Ansprüche. Von dem preußischen Rittmeister von Kamecke und seiner schönen »spanischen Reiterin« konnte ich dann niemals ein Lebenszeichen erkunden, wahrscheinlich hat ein schlimmes Schicksal sie ereilt, aus dieser lustigen Ritterlichkeit im neunzehnten Jahrhundert ließe sich aber unzweifelhaft ein Romanstoff bilden. –

Noch während der Theaterverwaltung durch Graf Brühl ereignete sich der Streit, den der mit Wortwitz spielende und boshaft plaudernde M.G. Saphir gegen Bühnendichter begann. Er kam im Jahre 1824 nach Berlin, war vorher dem »Gesellschafter« Berichterstatter gewesen aus Wien und Pest, ward auch jetzt versuchsweise mit tätig bei meiner Zeitschrift. Wissend, er wende sich besonders zur Bühne, machte ich, meinerseits damals schon Theaterbeurteiler für die »Vossische Zeitung«, den Versuch, ihn nach solchem Beruf hin zu beschäftigen. Bald aber erkannte ich, daß sein Lob und Tadel bestechlich war; ich trennte mich also von ihm, was er giftig grollend mich entgelten ließ in seiner dann er-[523]

scheinenden »Schnellpost« und seinem »Berliner Courier«. Mit ihm, der in Berlin auch faustkämpfliche Abenteuer hatte und von dannen mußte, kann sich mein Urteil, ohne Unnötiges vom schriftstellerischen Ärgernis zu erneuern, abfinden durch eine Äußerung, als er im Jahre 1843 nochmals Preußens Hauptstadt besuchte und »humoristische Vorlesungen« auf der Schauspielbühne hielt. Ich berichtete selbst darüber und schloß mit der ansichtlichen Betrachtung:

»Der echte Humor erfordert ein Wesen, das alle Selbstsucht überwandt, um das Allgemeine zu fördern; er kämpft gegen die Täuschungen der Wirklichkeit und will von ihr nichts eigen für sich, wohl aber alles für den Fortschritt menschheitlicher Ansprüche. Er erhebt und gibt freudigen Mut, rührt und erschüttert zu rüstigem Streben nach Veredlung, versteht sich also: immer im Gesetz des Edlen; und wie, als Folge falscher Erkenntnis, das Schwert des Cherubim den Menschen von dem irdischen Baum des Lebens abwehrt, so schwingt dann auch wohl der Humor, das Gegenwärtige allseitig beleuchtend und alles Schlechte in Kraft und heiteren Gleichmut bekämpfend, sein Schwert, die Menschheit in ein neues Paradies zu führen, ihr den Baum wahrer Erkenntnis zu höherem Leben gewinnend. Was der Gedanke an Heil und Segen erfaßt, das Gemüt vermittelte und erwärmte, wird zum Wunsche, zur Sehnsucht, und nun, von der Phantasie mit allen ihren Gaben ausgestattet, zum Humor. Wie reich an Mitteln, sind ihm diese doch eben nur Mittel, nicht Zweck; denn dieser liegt darin, dem Innersten, Erhabendsten und Heiligsten Geltung zu schaffen ringsum, so tief, weit und aufwärts unser Leben zu dringen vermag und wie verzweigt und[524] springend er sich ergeht, selbst das Barocke nutzend, nimmer soll er seiner Abstammung aus dem Gefühl des Edlen und Schönen untreu werden; er ist das Gleichmaß, das reine Maß, was der Geist in Selbstüberwindungen gewonnen, ist Blüte und Frucht des himmlischen Teils im Menschen, das Höchste, was er erreichen und geben kann. Wäre dieser rechte Humor epidemisch, würden wir aus vielen Wirren der Zeit gesund und froh hervorgehen. – Daß von dem Erd' und Himmel umfangenden Humor bei einer Vorlesung auf der Bühne wenig die Rede sein kann, leuchtet ein; Annäherungen kamen indes vor, wenn auch nur abgerissen, während anderes wieder nur mit dem Schein spielte. Wir wissen längst und ich sprech es auch hier mit Vergnügen aus, daß Saphir Humor hat; wünschen wir ihm vor allem, das Glück möge ihm so lächeln, daß er mit der Wahrheit und seinem Talent nicht auch dem Schein zu huldigen, nicht die Schwingen, auf denen er sich weiter erheben könnte, in einzelne Federn zu zerrupfen braucht und eine Säule, auf der ein herrlicher Baum gegründet sein könnte, sich nicht in lauter Splitter zerschlägt.« –

Durch das Andenken an Ludwig Robert ist mir auch das an seine Schwester Rahel, in Verbindung mit ihrem Gatten, Varnhagen von Ense, er weckt; ich will dabei hauptsächlich nur an schriftstellerisches mich halten, indem ich das Jahr 1835 mir zurückrufe. In dieser Zeit erregten die zwei Frauen »Rahel« und »Bettina« Meinungs- und Urteilskämpfe. Jene war gestorben, ihr Gemahl schickte »Briefe der Frau von Varnhagen« in die Lesewelt, womit er sich Unangenehmes bereitete, und ihm nähert sich meine Erinnerung vorweg. – Er hatte ein Gesandtschaftsamt verloren, ich weiß nicht, weshalb,[525] wurde nicht wieder angestellt, war darüber lebenslang in Mißbehagen, benahm sich aber auch lebenslang in seiner sich allmählich angeeigneten Vornehmtuerei und hoffähigen Haltung staatsmännisch. – Vom Jahre 1821 an Mitarbeiter für den »Gesellschafter«, bemühte er sich besonders, die »romantische Schule«, deren Oberhaupt ihm Goethe war, geltend zu machen. Dies betrieb er ebenfalls etwas staatslenksam, wollte von denen, die er rühmte, gerühmt werden, was ihm nicht ausblieb, indem sogar Goethe mit reichlichster Vergeltung in seiner bruchstücklichen Fortsetzung von »Wahrheit und Dichtung« geäußert hat:

»1821. Ein tief sinnender und fühlender Mann, Varnhagen von Ense, der meinen Lebensgang schon längst aufmerksam betrachtete, mich über mich selbst seit Jahren belehrte, hat im ›Gesellschafter‹ die Form gewählt, mehrere Meinungen im Briefwechsel gegeneinander arbeiten zu lassen, in solchem Falle sehr glücklich, weil man den Bezug eines Werks zu verschiedenen Menschen und Sinnesweisen hierdurch am besten zur Sprache bringen, und sein eigenes Empfinden mannigfach und anmutig an den Tag bringen kann.«

Unzweifelhaft war Varnhagen ein kenntnis-und gedankenvoller, aber nächstdem zugleich ein bisweilen zur Fügsamkeit verführter Schriftsteller, ohne jemals sich selber zu vergessen. Durch Verbreitung jener Briefe, von der Schreiberin nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, schmeichelte Varnhagen seiner Eitelkeit; es ist als fühle man heraus, er wolle die Rahel so schildern, daß der Leser sich sagen könne: die geistreichste Frau hatte auch den geistreichsten Mann. Über diese, scheinbar verwandtschaftlich mit aus seinem Kopf entsprungene Rahel[526] schüttelten viele, die genau mit ihr bekannt und für das an ihr Vorzügliche hellen Blicks waren, den Kopf, was Varnhagen, nachdem zeitschriftliche Entgegnungen sich einmischten, kraft seiner An- und Absicht sehr übel deutete. Er mochte es nicht dulden, wenn man sagte: daß bei einer in weltschlifflicher, umgangsklüglich verfeinerten Gesellschaft mit Witzsucherei beschäftigten Frau kindlichreine Natürlichkeit nicht ganz glaubhaft, demzufolge eben nicht unbedingt begreiflich sei, was sich nicht begreifen läßt. – Daß der körperlich nicht schönen Rahel die alles ausgleichende weibliche Anmut fehlte, braucht man nicht durch ihr Persönliches eingesehen zu haben; ihre Briefe bekunden es nebenher, sind aber jedenfalls im Einklange mit dem mir bekannten geläufig Eigentümlichen ihrer Persönlichkeit. Sie schreibt und urteilt über alles blendend, doch zuweilen in sich geblendet durch rasch wirksame Einbildung, und bei ihrer Witzjagd verletzt sie mitunter mehr ihren Wert als den anderer. – Geistiges Auffassen darf man der Rahel, wie absprechend sie selbst sein mag, gewiß nicht absprechen; es hatte aber ein Erbteil von ihrem, seinen Handelsbetrieb mit lustanstachelnden Wortzugaben fördernden Vater Levin Markus. Das ganze Wesen der Rahel wurde im Zeitlauf ungesunder durch Überschätzung; mit allem war sie unzufrieden, auch mit ihrem Glück: sie hatte von ihrer Familie aus sämtliches zum Wohlsein, ermüdete sich aber in der immer krankhafter werdenden Beeiferung, den Welt-und Lebensüberdruß sich vorzuspiegeln. Hinsichtlich ihrer Ehe hielt man ihr irdisches Gut für miteinwirkend, denn Varnhagen war nicht nur vornehm im Betun, in den Ansprüchen für seine Häuslichkeit war er es durch Stand und Gewohnheit auch.[527]

Über jene Briefe sprach der offenherzig redliche und wissenstüchtige Dr. Karl Rosenberg im »Gesellschafter« (1835. Bl. 56–60), umfassend mit anständigem, gründlich bewaffnetem Freimut; klar heraus stellte sich jedoch die Ansicht: Varnhagen hätte für die Verstorbene und sich besser gesorgt, wenn er die Briefe vor der Öffentlichkeit bewahrte. Dadurch wurde Varnhagen so erbittert, daß er sich von mir, der ich als Herausgeber einer Zeitschrift für das besonnene, musterhaft entwickelte Urteil nur meine Pflicht getan hatte, schweigend trennte, was meinerseits auch nur zum Schweigen führte. – Diese hinweisend begrenzte Darlegung dürfte aber mit anwendbar sein auf die tagesgeschichtlichen Werke, die als Nachlaß Varnhagens gedruckt sind, und allerlei Hader anfachten. – »Er will Karriere machen, und warum nicht?« sagt uns der lebenslang kindliche Chamisso in seinem gedruckten Briefwechsel über Varnhagen, und diese Frage soll mich nur noch hinleiten zu dessen Bemerkung, die er selbst schließlich seinen Aufzeichnungen mitgab:

»Ich habe in den früheren Jahrgängen dieser Blätter vieles nachgelesen, und finde manche halbwahre, unvollständige Nachrichten, doch will ich sie nicht vernichten, weil doch hinwieder auch die schätzbarsten, charakteristischen, für mich und andere nicht anders aufzubewahrende Geschichtszüge sich darin finden, Sachen, die unmittelbar aus dem Leben geschöpft sind, und einst belehrend für die Forscher dieser Verhältnisse werden müssen. Und eine Wahrheit ist in allem hier Niedergelegten, nämlich die, daß es einen Tag, in einem Kreise fürwahr gegolten hat und hat gelten können.« –

Die andere, im Jahr 1835 viel Fehde veranlassende[528] Frau, Bettina von Arnim, hatte – nicht ganz unschuldig – viel zu leiden wegen ihres überspannt gemüts- und üppig-eitlen Werks: »Briefwechsel Goethes mit einem Kinde«. Auch darüber hat der »Gesellschafter« (1836. Bl. 132 – 138) eine umständliche, mitunter kräftig zurechtweisende Beurteilung von Dr. Julius; Bettina war aber so klug, sich und mich nicht einzumischen. Mutmaßlich fand sie sich befriedigt durch eine Nachbemerkung, worin ich sie verteidigte gegen den ihr gewidmeten Vorwurf, das Ganze erfunden zu haben. Der Bettina war auf schwärmerischen Höhen der Glaube an sich zur Natur geworden; sie gewöhnte sich dort manche Unwahrheit als Wahrheit an bis zur Überzeugung hinein. Daß aber jenes Buch nebenher auch Wahrheit mit den Selbsttäuschungen verwebte, bezeichnet der im Empfinden abgekühlte Goethe durch seine Eröffnung aus dem Jahre 1811:

»Das Ehepaar von Arnim hielt sich eine Zeitlang bei uns auf; ein altes Vertrauen hatte sich sogleich eingefunden; aber eben durch solche freie, unbedingte Mitteilungen erschien erst die Differenz, in die sich ehemalige Übereinstimmung aufgelöst hatte. Wir schieden in Hoffnung einer künftigen glücklicheren Annäherung.«

Die »ehemalige Übereinstimmung« hat Goethe in keinem Verhältnis enthüllt, was gewiß zu billigen ist; Bettina konnte nun aber jedenfalls bei ihrem Federschwunge noch über »Wahrheit und Dichtung« hinaus, und dies kühnen Beliebens mit Einbildungsmacht vollbringen. –[529]

Quelle:
Gubitz, Friedrich Wilhelm: Bilder aus Romantik und Biedermeier. Berlin 1922, S. 519-530.
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