Abklären

[6] Abklären, (Clarificatio) heißt eine trübe Flüssigkeit durchsichtig machen. In der Pharmazie hat man drei Vorrichtungen hiezu, welche je nach der verschiedenen Natur und Absicht der Flüssigkeit sehr abweichen.

I. Trübe Flüssigkeiten, welche durch Kochen in ihrer Natur keine Veränderung leiden, welche aber theils von zu dicklicher Konsistenz sind, als daß sie durchgeseihet werden könnten, oder in denen die fremden Theile so fein vertheilt sind, daß sie mit durchs Filtrum gehen, und sich auch durch Ruhe nicht absetzen, klärt man am besten mit Eiweiß ab. Man nimmt das Weiße von einem Eie, schüttet eben soviel kaltes Wasser dazu, und schlägt es mit einem vielfachen Rüthchen bis sich das Wasser innig damit verbunden hat; das Schäumen ist etwas sehr unwichtiges und zufälliges bey dieser Verrichtung. Ist diese kleine Menge Wasser innig mit dem Eiweiß vereinigt, so wird es unter die kalte oder doch laulichte Flüssigkeit, welche man klar machen will, mehrere Minuten lang gerührt, dann erst setzt man sie über das Feuer und bringt sie so schnell als möglich ins Kochen. So wie die erste oder zweite Aufwallung geschehen ist, nimmt man die Flüssigkeit hinweg und seihet sie durch. Ein einziges Eiweiß reicht zu zehn und mehreren Pfunden Flüssigkeit auf diese Art zu. Die durch aus und überall in der Flüssigkeit verbreiteten Theilchen des Eiweißes ziehn sich bei dieser Hitze zu kleinen käsichten geronnenen Klümpchen zusammen, und nehmen alle trübe machenden Theilchen in sich auf.

Die bloße Auftragung des Eiweißschaumes auf die schon kochende Flüssigkeit ist ein schwieriges, langweiliges, oft unzulängliches Verfahren.

Man warte auch nicht, bis sich im Kochen alles geronnene Eiweiß auf der Oberfläche gezeigt hat, um es mit dem Schaumlöffel abnehmen zu können. Mehrere Salzauflösungen lösen bei langem Sieden einen beträchtlichen Theil des geronnenen Eiweißes wieder auf, und auf der andern Seite sind oft die nun koagulirten Unreinigkeiten so schwer, daß das damit verbundene Eiweiß nicht so vollkommen auf der[6] Oberfläche erscheinen kann, um rein abgeschäumt werden zu können. Das Durchseihen vollendet daher diese Arbeit hinreichend, und nur dann möchte das blose Abschäumen zureichen, wenn der trübe machenden Theile nur wenig sind, oder das Eiweiß in weit größerem Verhältnisse zugesetzt wird.

Diese Abklärung mit Eiweiß ist unnöthig, wo die Flüssigkeit durch Abgießen nach vorgängiger Ruhe oder Filtriren, w.s. gereinigt werden kann; sie ist schädlich, wenn die kräftigen Theile der Flüssigkeit dadurch verloren gehen, und sie taugt nicht zu laugensalzigen Flüssigkeiten, weil sie viel vom Eiweiße auflösen. Am besten und wirksamsten aber reinigt sie solche trübe Flüssigkeiten, welche irgend eine freie Gewächssäure enthalten.

Die alte Pharmazie reinigte auf diese Art sowohl die frischen Pflanzensäfte als auch die Absude der trocknen Vegetabilien, theils wenn sie in flüssiger Gestalt verbraucht werden sollten, theils bevor man sie zum Extrakte eindickte. Alle nicht nur erdige und holzige, sondern auch fast alle harzigen Theile wurden auf diese Art hinweggenommen, und die Aerzte sahen, daß ihnen auch alle Arzneikräfte entzogen worden waren. Die Abklärung dieser Flüssigkeiten mit Eiweiß wird daher fast von keinem vernünftigen Apotheker mehr verrichtet, und wohl kein einsichtsvoller Arzt wird sie je in seinen Verordnungen hiezu vorschreiben.

II. Bei den genannten Flüssigkeiten, welche die Klärung mit Eiweiß nicht vertragen, ist es so wie bei den meisten übrigen schon hinreichend, wenn man die groben Theile durch eine Ruhe von mehrern Stunden oder Tagen von selbst sich zu Boden setzen läßt, und dann das Helle mit der im Artikel Abgießen angegebnen Behutsamkeit von dem Bodensatze abgießt, dem man noch auf einem Seihetuche seinen flüssigen Theil vollends entzieht und zum erstern Hellen thut.

Diese Abklärung ist durchaus bei feinen Flüssigkeiten erforderlich, deren Werth in riechbaren, flüchtigen gewürzhaften oder geistigen Theilen liegt, bei Ratafias und Aufgüssen der mit ätherischen Oelen geschwängerten Blumen, Pflanzenspitzen u.s.w. Selbst bei Reinigung der Dekokte und der frisch zu verbrauchenden Kräutersäfte ist sie statt aller andern Vorrichtungen zu empfehlen. Kugelförmige Phiolen, welche an ihrem kurzen Halse einen übergebogenen Rand haben und gut verkorkt werden können, sind zu dieser von selbst erfolgenden Abklärung die besten ( Abgießen).

Einige Fruchtsäfte lassen, ihrer schleimigen Beschaffenheit wegen, die trüben Theile sehr schwer niedersinken, wenn man sie nicht mehrere Tage an einem kalten Orte stehen und so einen Anfang der Zersetzung der Schleimtheile erfahren läßt, wovon bei den verschiednen einzelnen Fruchtsäften das nöthige.

Man muß aber wissen, daß die Dekokte und die frisch ausgepreßten Säfte der Pflanzen durch blose Ruhe zwar die gröbern Fasern und schweren erdigen Theile von selbst absetzen, (und dies ist zu aller Absicht eines wackern Arztes hinreichend,) aber hell und klar können sie selten hierdurch werden, welches auch niemand verlangt, wer da weiß, daß in den feinen harzigen, diese Flüssigkeiten trübe machenden[7] Theilchen immer das eigentliche Wirksame dieser Arzneien lieget. Sechs bis zwölfstündige Ruhe ist zur Absetzung der groben Theile dieser Flüssigkeiten völlig hinreichend.

Die als Schaum obenschwimmenden faserigen Theile kann man mit einer Schaumkelle abnehmen.

Da man sie also nun einmal nicht ohne Vertilgung ihrer Arzneikräfte ganz hell und klar machen kann, so ist es schon hinreichend, die Dekokte und ausgepreßten Kräutersäfte durch ein reines dichtes wollenes Tuch zu gießen, ehe man sie entweder flüssig verbraucht, oder zu Extrakten eindickt.

Baumé füllt dünne Flaschen mit dem geruchvollen frischen Kräutersafte, z.B. dem Körbelsafte, bis zu drei Vierteln an, verbindet die Mündung mit nassem Pergament, und taucht sie zu wiederholten malen in heißes fast kochendes Wasser, bis der Saft ziemlich heiß geworden, und man bemerkt, daß sich die harzigen Theile in Klümpchen zusammen geben, dann läßt er sie noch fest verbunden erkalten, und seihet den kalten Saft durch. Dieser mag dann wohl weniger von seinen Kräften verloren haben, als bei andern Klärungen, aber verloren hat er allemal etwas.

Flüssigkeiten, welche ihre Trübheit nicht binnen einigen Tagen von selbst niedersetzen können, entweder weil sie allzu dicklich und schleimig, oder weil die trüben Theile allzu fein sind, lassen sich auch mittelst des Durchseihens (welches siehe) nicht davon trennen. Sie gehen entweder durch kein Filtrum, oder sie gehen trübe hindurch. Man kann sich aber

III. noch einer andern Methode zur Abklärung solcher Flüssigkeiten bedienen, welche ohne Hitze hell gemacht werden sollen, wie beim Agrest in Frankreich gewöhnlich, und bei allen wohlriechenden Fruchtsäften (dem Himbeersafte u.s.w.) vortheilhaft ist. Man vermischt sie nämlich genau und innig mit etwa 1/200 frisch gemolkener ungekochter Kuhmilch, und läßt sie damit so lange an einem kühlen Orte stehen, bis der kleine Antheil Milch geronnen und die trüben Theile in den Käsematten aufgenommen sind; dann seihet man sie durch einen Spitzbeutel.

So werden trübe Flüssigkeiten klar und durchsichtig gemacht; sie behalten aber auf diese Art immer noch ihre mehr oder weniger dunkle Farbe. Wie sie auch von dieser, wo nöthig, befreitet, das ist, wie braune Laugen entfärbt und wasserhell gemacht werden können, dieß sehe man unter dem Artikel Entfärbung nach.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 1. Abt., 1. Teil, Leipzig 1793, S. 6-8.
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