Aetzstein

[21] Aetzstein (Lapis causticus chirurgorum, Lapis septicus, Cauterium potentiale, Causticum commune acerrimum). Man nimmt sechs Pfund frisch gebrannten und noch nicht zerfallenen Kalk, legt ihn zwei Minuten lang in kaltes Fließwasser in einen irdenen Topf, gießt dann das Wasser rein ab, läßt ihm Zeit, sich zu löschen, und rührt ihn indeß mit einem eisernen Stabe, bis er zu verkühlen anfängt. Diesen zu Pulver gelöschten Kalk bringt man sogleich mit fünf Pfund Potasche und vierzig[21] Pfund Wasser in einen eisernen Kessel, und kocht nach Bedeckung des Kessels die Mischung so lange, bis eine ausgeschöpfte durch weißes Druckpapier geseihete Probe davon nicht mehr mit Vitriolsäure braust, oder (besser) frisches Kalkwasser nicht trübt.

Ist dieß, so gießt man alsbald die heiße kaustischalkalische Lauge in einen leinenen Spitzbeutel, und schüttet das anfänglich trübe durchgelaufene wieder zurück, bis alles hell durchgelaufen ist.

Man schöpft nun diese Lauge, ohne sie erst lange stehn zu lassen, sogleich in einen kleinern gußeisernen Kessel, und dampft sie darin bis zur Trockenheit ab, unter beständiger Zurückstoßung des an die Seiten angehangenen Salzes. Dann wird (nach Verdeckung des Kessels mit einer Stürze) das Feuer allmählig bis zum Rothglühen verstärkt, und nun fließt das Salz ruhig als ein rothes Oel, welches hierauf alsbald in Formen, wie der Silberstein, zu Stängelchen ausgegessen wird. Ehe die Stängelchen verkalten, werden sie herausgenommen in kleinen gläsernen Flaschen mit eingeriebenen in weißes Wachs getauchten gläsernen Stöpseln sorgfältig verwahrt.

Daß diese Arbeit vom Anfange bis zu Ende ununterbrochen fortgesetzt werde, ist hauptsächlich einzuschärfen, damit das Präparat nicht durch die Luft seine Aetzkraft verliere, welches sehr geschwind geschieht.

Alle Dinge von Haar, Wolle, Horn, alles Fettige und dergleichen muß sorgfältig von der ganzen Bereitung entfernt werden. Daß man das eingekochte oder wohl gar geschmolzene Salz nicht auf die bloße Haut bringe, bedarf wohl keiner Erinnerung.

Hat man gut gearbeitet, so wird eine Probe gutes Kalkwasser nicht trübe werden, wenn man einer Erbse groß dieses Aetzsteins darin hat zergehen lassen. (Das Kalkwasser muß in einer verstopften Flasche seyn.)

Nichts zerstört so schnell und so wirksam alle thierische weiche und harte Theile, (wenn sie vorher benetzt sind,) als der gut bereitete Aetzstein, und er frißt in gegebener Zeit weit tiefer als der Höllenstein. Der Wundarzt kann seiner nicht wohl entbehren.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 1. Abt., 1. Teil, Leipzig 1793, S. 21-22.
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