Dicksäfte

[223] Dicksäfte (succi herbarum inspissati, extracta herbarum e succo), hat man uneigentlich Extrakte genannt, da doch letztere nur durch Ausziehung der wirksamen Theile mittelst andrer Flüssigkeiten (Wein, Weingeist, Branntwein, Wasser) erhalten werden, die Dicksäfte aber blos der ausgepreßte und eingetrocknete Saft frischer Pflanzen sind. Die Absicht bei Bereitung der meisten Dicksäfte geht nicht sowohl auf die Konzentrirung der wirksamen Pflanzentheile in eine kleine Gabe (denn von so stark wirkenden Pflanzen als der Stechapfel, der Schierling u.s.w. ist, thut schon eine kleine Menge des wohl aufbehaltenen trocknen Krautes eine ansehnliche Wirkung), als vielmehr darauf, die wirksamen Theile derselben zu jeder Zeit des Jahres auch in flüssiger, verdünnter Form innerlich, und äusserlich bequem als topisches Mittel anwenden zu können.

Man hat bei Bereitung der Dicksäfte aus Belladonnschlafbeere, aus Fleckenschierling, Giftwütherich, Napellsturmhut, Giftsturmhut, Tollstechapfel, Metelstechapfel, Purpurfingerhut, Schwarzbilsen u.s.w. wenige Regeln zu beobachten; so wenig ihrer aber sind, so wichtig sind sie auch.

Gewöhnlich gleich vor Ausbruch der Blüthe dieser Pflanzen werden sie (am besten noch vor der Sonnenhitze) gesammelt, unmittelbar darauf (nach Abschneidung der verdorrten oder verfaulten Theile) gewaschen, alsogleich in einem steinernen, eisernen, am besten aber hölzernen Mörsel zum weichen Breie gestampft, und in Leinwandsäcken ausgepreßt, der Saft aber nach zweistündiger Ruhe von dem aus Fasern bestehenden Bodensatze rein abgegossen und unverzüglich eingedickt. Daß diese Arbeiten dicht auf einander folgen müssen, ist eine unnachlässige Bedingung, theils weil verwelkte Pflanzen weniger Saft geben, theils weil benetzte Pflanzen bald einen Anfang zum Modern und Erhitzen machen, theils weil ein ausgepreßter uneingedickter Saft schon binnen wenigen Stunden in anfangende Gährung tritt, und an den beabsichteten Kräften verliert.

Die Eindickung solcher Säfte, wie diese, deren Tugend blos in flüchtigen, bei der Siedehitze des Wassers davongehenden Theilen liegt, verlangt, wie man aus unzweideutigen Erfahrungen sieht, durchaus einen Wärmegrad bei der Abdampfung, welcher unter dem Siedepunkte ist. Da nun die behutsamsten Apothekerbücher ausdrücklich verordnen, daß man solchen Säften nur ein so mäßiges Feuer bei der Abdampfung geben solle, daß sie nie ins Kochen gerathen, so hat man bei Befolgung dieser Vorsicht im Sandbade (denn Apotheker, die sie im Wasserbade abdampfen, sind äusserst selten) geglaubt, die Dicksäfte müßten nun alle erwünschte Kräfte in sich enthalten, wenn der Saft nicht ins Kochen gerathen wäre. Die Erfahrung lehrt aber das Gegentheil, nichts ist in den meisten sonst recht guten Apotheken unkräftiger, als die[223] Extrakte dieser Pflanzen, und dieß geht so weit, daß die Aerzte zu zweifeln angefangen haben, ob ein Sturmhut-, Schierlings- oder Bilsenextrakt überhaupt einige Kräfte besäßen, oder ob sie nicht vielmehr eingebildet wären. Ich habe Quentchen und Unzen käuflichen Schierlingsextrakts von Kranken wie Brod verschlucken sehen, ohne die mindeste Aenderung an ihnen zu spüren, da doch einige wenige Gran eines recht bereiteten Dicksafts dieser Pflanze eben dieselben Kranken in die heftigsten, bedenklichsten Zufälle versetzten. (Dieß rührte daher, daß man den Siedepunkt des Wassers nicht von dem Siedepunkte sich verdickernder Säfte unterschied.)

Um also ein Extrakt von letzterer Art mit Ehre zu bereiten, muß man sich erinnern, daß ein bis zur Hälfte abgedampfter Pflanzensaft schon weit über den Siedepunkt des Wassers erhitzt seyn kann, ohne aufzuwallen, selbst ohne Spuren vom Sieden zu zeigen, und daß wenn er vollends bis zum vierten, bis zum achten Theile verdickt ist, er ohne ins Sieden zu kommen, auf 300° bis 400° Fahr. vertragen kann. Nun macht aber nicht das Sieden an und vor sich die Dicksäfte dieser Art unkräftig, sondern blos der angewendete Hitzgrad. Wenn dann schon bei 212° Fahr. binnen kurzer Zeit alles Kräftige aus diesen Pflanzen verfliegt, wie soll es nicht bei 300° und 400° Fahr. geschehen?

Eine solche Art Dicksäfte zu bereiten, selbst wenn alles Aufwallen sorgfältig vermieden wird, ist demnach, wie die tägliche Erfahrung lehrt, eine bei aller Mühsamkeit nutzlose Arbeit. Angebranntes Hollundermus, und auf gemeine Art verfertigtes Schierlingsextrakt sind von gleichem Werthe.

Hiezu kömmt, daß im Sandbade ohne hineingestellten Thermometer (mit dem unsre Apotheker nicht geläufig umzugehen wissen,) fast unmöglich eine Aufwallung, am wenigsten die Erhitzung des Pflanzensaftes über 212° Fahr. vermieden werden kann; der Arbeiter müßte denn eine zweckmäsige Anstalt zu einer anhaltenden Digestionswärme treffen. Hiezu braucht ein erfahrner Mann, wenigstens hier, keine Vorschriften, nur muß ich erinnern, daß auch bei dieser so flache Geschirre als möglich angewendet werden mögen, weil keine Eindickung eines Pflanzensaftes über 48 Stunden anhalten darf, wenn letzterer nicht einige Zersetzung seiner Bestandtheile erleiden soll.

Dasselbe ist der Fall bei der Eindickung durch die blose freie Luft. Hiezu muß ein Ort ausgesucht werden, wo eine beständige Zugluft über die ganz flachen Teller u.s.w. streichen kann, welches auf einem recht luftigen, blos an den zwei entferntesten, entgegen gesetzten Seiten eröfneten Trockenboden der Fall ist. Der Saft darf aber doch nicht über einen halben Zoll hoch in den Schalen stehen, und es muß keine feuchte Luft wehen, sonst braucht er allzu lange Zeit zum Eindicken, und geht indeß in Gährung. Die größten Schwarzblechtafeln, deren vier Ränder drei Viertelzoll hoch kastenförmig aufgebogen sind, sind schickliche wohlfeile Abdampfgefäse bei einer Digestionsabdampfung und bei der Verdunstung[224] an freier Luft. Letztere hat den Vorzug, daß die Dicksäfte bis zur brechlichen Konsistenz, das ist, zur völligen Trockenheit bei trocknem Wetter gebracht werden können, so daß man sie, wenn die Bleche polirt waren, in feinen Blättchen absondern kann. Dann aber müssen sie in wohl verstopften vorher erwärmten Flaschen vor feuchter Luft verwahrt werden. Treibt man die Eintrocknung an freier Luft nicht so weit, so muß doch wenigstens die Konsistenz eines Cerats in den an der Luft verdickten Extrakten entstehen, sonst gehen sie bald in Gährung über, weit eher als die über Feuer bereiteten.

Wenn die Umstände keine dieser beiden zweckmäsigen Arten der Eindickung erlauben, so bleibt keine andre als die im Wasserbade übrig, welches ziemlich eben so kräftige Dicksäfte und Extrakte giebt.

Man setzt über die Oefnung eines im Sieden und mit Wasser angefüllt erhaltenen Kessels eine Pfanne aus Eisenblech getrieben, mit horizontalem Rande dergestalt, daß der Rand des Kessels vom Rande der Pfanne verdeckt, der flache Bauch derselben aber in das siedende Wasser tauche. In dieser Pfanne läßt man den frisch ausgepreßten Saft, unter fleißigem Umrühren, ohne Furcht einer Kraftlosigkeit des Extraktes, bis zur gehörigen Dicke abdampfen, und es ist nichts daher zu beobachten, ausser 1) daß man gegen das Ende der Arbeit, wenn man die Feuerung und die Zeit sparen will, oft genug umrühre, und 2) daß man das Feuer unter dem Kessel mäßig erhalte, damit das Wasser darin nicht unter der Pfanne hervorsprudele, welches jedoch keinen andern Nachtheil als die Verderbung des Herdes und eine öftere Nothwendigkeit nach sich zieht, das verlorne Wasser im Kessel zu ersetzen.

Die gehörige Konsistenz eines in Digestionswärme und im Wasserbade bereiteten Dicksafts ist unstreitig die eines Sirups, und zwar aus der doppelten wichtigen Ursache, um ihn 1) vor der nachtheiligen Einwirkung der Luft in gläsernen verkorkten Flaschen aufbewahren zu können (und dann hält er sich mehrere Jahre unversehrt), 2) um die Zeit und die Feuerung zu ersparen, indem zur Abdünstung der Sirupskonsistenz bis zur Trockenheit weit mehr Zeit erfordert wird, als zur Abdünstung des rohen Saftes bis zur Sirupsdicke. Hierunter verstehe ich aber, daß der fertige Dicksaft bis zur Milchlauheit (100° Fahr.) abgekühlt, schon wie kalter Sirup (nur langsam und in einem dicken Strahle) fließen muß. Wird er in dieser Verfassung in eine erwärmte Flasche gefüllt, so erhält er sich ohne Schimmel, und wenn man etwas ausfüllen will, darf man die Flasche nur vorher einige Minuten in warmes Wasser stellen.[225]

Ausser diesen drei einzig zweckmäsigen Eindickungsarten frischer Säfte von jenen heroischen Pflanzen sey keine fortan unter gewissenhaften, Ehre liebenden Apothekern erlaubt.

Die Digestionswärme kann zu dieser Abdampfung sehr gleichförmig mittelst einer nicht allzu grossen unter die flache Abdampfschale gestellten Baumöllampe unterhalten werden, mit sehr mäsigen Kosten.

Auch erinnere ich, daß Ein Gran völlig dürren, an der Luft abgedampften Extraktes so viel Kraft besitzt, als zwei Gran des bei Wärme zur Sirupsdicke abgedampften Dicksaftes, wornach man sich bei der Rezeptur zu richten hat.


Abdampfen der Dicksäfte im Wasserbade.
Abdampfen der Dicksäfte im Wasserbade.

Abdampfen der Dicksäfte im Wasserbade.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 1. Abt., 1. Teil, Leipzig 1793, S. 223-226.
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