Gifte

[355] Gifte sind stark wirkende Substanzen, welche, in größerer als arzneilicher Gabe und am unrechten Orte gebraucht, theils boshafte, theils unvorsichtige Vergiftungen, Tod oder beträchtlichen Körperschaden anrichten können.

Deshalb sind nicht blos Mohnsaft, Arsenik, Sublimat für Gifte anzusehen, sondern noch weit mehrere unnennbare Arzneisubstanzen, wenn sie in gar zu großer Gabe von Quacksalbern oder unwissenden Aerzten verschrieben, oder vom gemeinen Manne in Menge begehrt werden, um sie entweder auf einmal einzunehmen oder sie in offenbar heterogenen Krankheiten zu brauchen. Was kann ein bis zwei Loth Salpeter binnen wenigen Stunden eingenommen nicht für lebensgefährliche Zufälle erregen, was eine große Gabe Schwefelbalsam beim Lungengeschwür, eine tüchtige Portion Holzessenz im Seitenstich, ein Skrupel Jalappharz für eine Schwangere, was die unvermischten Mineralsäuren, die kaustischen Laugensalze, die drastisch, fressend oder betäubend wirkenden Pflanzen und ihre Extrakte, die Maiwürmer, die spanischen Fliegen, das Hirschhornöl u.s.w. innerlich genommen?

Es scheint zwar, als ob die Beurtheilung solcher Fälle nicht für den Richterstuhl des Apothekers gehörte. Man irrt sich aber. Innerhalb des großen Wirkungskreises der thätigen Menschenliebe und der väterlichen Sorge für das allgemeine Beste, den die Natur seines Amtes dem rechtschaffnen Apotheker vorzeichnet, gehört auch diese Obhut, so viel an ihm ist, zu wachen, daß die zum Heile der Menschheit von ihm verfertigten und aufbewahrten Mittel so wenig als möglich durch Mißbrauch Schaden thun mögen.

Es erfordert seine Pflicht, wenn diese oder ähnliche stark wirkenden arzneilichen Dinge ihm von unwissenden Leuten im Handverkaufe abgefordert werden, sie selbst oder durch seine Gehülfen auszufragen, was sie damit anfangen, wozu sie sie brauchen wollen, und wenn sie auf einem unrechten Wege sind, sie eines bessern zu belehren. Dieß ist oft mit etlichen Worten abgethan. Blos in dieser Rücksicht ist es für ihn höchst nöthig, sich die allgemeinen Wirkungen der Arzneien und ihre Gabe bekannt zu machen.

Eben so ist es des Apothekers Pflicht, wenn ein Arzt aus Uebereilung oder aus Unwissenheit und Wagehälsigkeit heftig wirkende Mittel in allzugroßen Gaben verschreibt oder äußerlich zu brauchende drastische Dinge ohne Signatur läßt, ihn mit der Behutsamkeit und Achtung, die man seinem Stande schuldig ist, unter Vorzeigung des Rezepts persönlich zu fragen (nicht durch seine Leute fragen zu lassen), ob er eine nähere Bestimmung zu geben vergessen, oder ob diese Vorschrift Wort für Wort befolgt werden solle? Die hiebei nöthige Behutsamkeit und Schonung des Arztes kann nicht leicht zu weit getrieben werden, vorzüglich in Rücksicht[355] des Kranken und des Publikums, dem hievon durchaus nichts zu Ohren kommen darf.

So wenig ein würdiger Apotheker sichs wird einfallen lassen, den Arzt zu meistern, oder ihm Vorschriften zu geben, was, wieviel, und in welchen Fällen er seine Mittel verordnen solle, so wird doch dieser, wenn er nur die dürftigste Lebensart besitzt, eine treugemeinte und behutsam unter vier Augen vorgetragene Erinnerung von seinem arzneilichen Gehülfen, dem Apotheker, nicht anders als wohl aufnehmen.

In Ländern, wo den Quacksalbern, Schäfern, Scharfrichtern, Hufschmieden, alten Weibern u.s.w. kein obrigkeitlicher Zaum bei ihrer mörderischen Empirie angelegt wird, z.B. wie in Chursachsen, wo die vortrefflichsten Mandate ohne Wirkung bleiben, da scheint der gewissenhafte Apotheker freilich nicht viel mehr thun zu können, als die Achseln zu zucken, und dem unwissenden Menschenmörder die verfänglichen Waaren auszuhändigen (um sich, wie man spricht, das Geld nicht weiter tragen zu lassen), weil er sie auch sonst anderswo kaufen würde. Er kann aber doch etwas mehr thun – entweder verweigere er ihm die großen Quantitäten gefährlichen Droquen, um sein eignes Gewissen nicht zu belasten, oder, welches besser, er bespreche sich mit ihm über die gefoderten Dinge, frage ihn über die Gabe und die Krankheiten aus, in denen er sie zu geben denkt, führe, wenn dieser, wie gewöhnlich, keine Auskunft darüber giebt, traurige Beispiele von der unbehutsamen Anwendung dieser Dinge aus Erfahrungen in der Nähe an, und suche ihn zum Nachdenken zu bringen, oder, wenn er mit aller Mühe hier nichts ausrichtet, so gebe er ihm diese Mittel doch nie auf mündliches Fordern, sondern nach einem schriftlichen Zettel, worunter der Empfänger seinen Vor- und Zunahmen, den Ort seines Aufenthaltes und den Monatstag gesetzt hat – um ihn dereinst bei gerichtlichen Untersuchungen vorzeigen zu können. Den Rath, einem Quacksalber solche Dinge gar nicht zu verkaufen, würde ich am liebsten geben, wenn ich so viel Selbstverleugnung hoffen dürfte.

Wo die Obrigkeit aber strenge über die Einschränkung der Afterärzte wachet, da nehme der rechtschaffne Apotheker durchaus keinen Theil an den Verbrechen dieser Leute durch Verkauf gefährlicher Waaren an sie; er verweigere sie ihnen standhaft, und übergebe ihre Zettel der Obrigkeit.

Für Handwerksleute, Künstler und Viehärzte, welche scharfe, giftige Substanzen bei ihrem Gewerbe brauchen, halte sich der Apotheker ein eignes Buch, (weil einzelne Zettel leicht verloren gehen), schreibe unter dem laufenden Monatstage die Droquen hin, und lasse den Mann durch seines Namens Unterschrift über den Empfang quittiren. Ein ehrenwerther Mann aber muß der Unterschriebene seyn, welcher durch seinen guten, unbescholtenen Namen, oder durch Ansässigkeit für die Gefahr eines Mißbrauchs stehen kann, kein Kind, keine Magd, Bedienter, Frau u.s.w. Ist der Foderer ein dem Apotheker unbekannter[356] Mensch, so bringe er die Bürgschaft leistende Unterschrift unter seinem Zettel von einer dem Apotheker bekannten, ehrenwerthen Person; welcher Zettel denn an den gehörigen Ort des Giftbuches eingeheftet wird. Ein erfahrener Apotheker wird schon ungefähr wissen, in welchen Gewerben diese und jene Gifte gebraucht werden – welche nicht – um im zweideutigen Falle durch einige Fragen nähere Erkundigung über die Anwendung zu erhalten, und wenn dann der Verdacht noch wächst, die Masregeln ergreifen zu können, die ihm Gewissen und Menschenpflicht in solchen Fällen auferlegen. Aber auch den unverdächtigen Handwerkern und Künstlern gebe er dergleichen Dinge nie anders als unter Erklärung der bei Unvorsichtigkeit damit besorglichen Gefahr, und dergestalt in die Hände, daß die Einfassung der drastischen Substanz deutlich mit ihrer Benennung beschrieben sei, unter Beisetzung des mit größern Buchstaben geschriebnen Wortes, Gift.

Aber auch unbescholtene Leute können mit den Giften blos aus Unwissenheit Schaden anrichten; und deshalb gebe er nie Gifte, Arsenik u.s.w. an Köche, Gastwirthe, Becker, Bierbrauer, Mehl- und Gemüßhändler u.s.w. welche Heimen (Gryllus domestica, L.), Schaben (Pimelia mortisaga), Mäuse, Ratten und andres Ungeziefer damit tilgen wollen, weil sie nicht verhindern können, daß davon etwas unversehends unter diese Nahrungsmittel gerathe, oder, von den Ratten und Mäusen verschluckt, wieder auf das Mehl, die Graupen, den Teig, das Malz u.s.w. gespieen werde, wodurch ganze Familien zuweilen vergiftet worden, wie mir mehrere Beispiele bekannt sind. Es giebt eben so kräftige Tilgungsmittel des Hausungeziefers, welche dem Menschen keine Gefahr bringen, diese schlage er ihnen vor, und verachte großmüthig die wenigen Pfennige Gewinn.

Alle in kleiner Gabe sehr wirksamen Mittel verwahrt der Herr der Apotheke am sichersten selbst in einem eignen, blos unter seinem Schlüssel stehenden Behältnisse, giebt die nöthige Menge selbst heraus, und läßt die Zubereitungen davon unter seinen Augen machen. Hier versteht sichs, daß eigne, vorzüglich gläserne Mörsel und Reibeschalen, und eigne Wagen zu dieser Dispensation gehalten werden, welche zu nichts anderm gebraucht, und immer blank und sauber gehalten werden müssen.

Die Schalen der Wagen zu so scharfen Materialien dürfen nicht aus Messing, wie gewöhnlich, sondern müssen aus Elfenbein, Horn, Schildkröte, oder von Golde seyn, welche nicht angegriffen werden. Zu diesen Giften rechne ich, wie billig, jene heftig wirkenden Dinge, z.B. Euphorbienharz, Fliegenpilz, Kanthariden, Krähenaugen, Ignatzbohne, Kirschlorberwasser, Mohnsaft, die Extrakte aller heftig wirkenden Pflanzen, Algarottpulver, Spiesglanzglas, Spiesglanzöl, weißen Präzipitat, Turbith, Quecksilbersalpeter, selbst, wenn man will, Brechweinstein, Spiesglanzleber, Koloquinten, Eselskürbißsaft,[357] Gummigutte, Skammonium, Jalappharz, weiße und schwarze Nieswurzel, Sadebaum, Aetzstein, Höllenstein, Fischkörner, Kellerhalssamen, Granadillsamen, Stephanskörner, Springkörner, Sabadillsamen u.s.w.

Beim Pülvern und Sieben der Gifte und giftartig wirkender Droquen in Quantitäten muß man die Gesundheit und das Leben der Arbeiter wie sein eignes in Betrachtung ziehen, die Oeffnung des Mörsels mit einem glatten, wohl passenden Deckel von hartem schwerem Holze zu bedecken, welcher weit breiter als der Mörsel, und dessen mittelstes Loch nicht weiter als der Schaft der auf- und niedergehenden Pistille ist. Hiebei ist es dienlich, daß der Schaft durchaus von gleicher Stärke sei, damit nichts herausstieben könne. Oft ist es der zu pülvernden Substanz gar nicht nach theilig, wenn sie mit etwas Flüssigkeit besprengt, feucht erhalten, und so vor dem Verfliegen verwahrt wird.

Das Sieben muß in Siebmaschinen verrichtet werden, deren Boden zur Aufnahme des Pulvers, so wie der Siebdeckel, ganz genau passet. Diese müssen zu keiner andern Arbeit als zum Sieben dieser fressenden Substanzen gebraucht, und jedesmal wieder gereinigt, in einem besondern Behältnisse aufbewahrt werden. Der Stoßer und Sieber muß seinen Mund und Nase mit vielfachen Tüchern verbinden, und sich mit seiner Arbeit an einen solchen Ort stellen, wo ihm die Zugluft in den Rücken kommt, wo aber auch der fortziehende Staub sonst keinem Hausgenossen schaden kann. Diese Vorsichtsregeln sind selbst bei Droquen, die man für unschuldig hält, z.B. bei der Brechwurzel, in Acht zu nehmen.

Der Rauchfang muß zu Arbeiten in Giften stark ziehen, und das Laboratorium geräumlich seyn. Man muß die ungeübten Gehülfen vor Gefahr warnen.

Außer den bekannten schädlichen Dünsten muß ich noch insbesondre vor einer Substanz warnen, welche bisher nicht in diesem Rufe stand. Es sind die Ausdünstungen der nicht völlig ausgesüßten salpetersauren Metallsalze, welche allmählig ein sehr entkräftendes auszehrendes Fieber zuwege bringen, wie ich überzeugt bin.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 1. Abt., 2. Teil, Leipzig 1795, S. 355-358.
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