Kriecherdbeere

[519] Kriecherdbeere, Fragaria vesca, L. [Zorn pl. med. Tab. 77.] mit durchgängig dreifachen Blättern, und kriechenden Lohden, eine niedrige Pflanze mit perennirender Wurzel, welche im nördlichen Europa in schattigen Gehegen und gegen Morgen liegenden Abhängen buschichter Berge in dürrem lettigem Boden einheimisch ist, wo sie im April und Maiweiß blüht. Man zieht sie in Gärten und veredelt sie.

Von dem etwas herb schmeckenden Kraute, und der zylindrischen, schuppigen, braunrothen Wurzel (fol. rad. fragariae), welche frisch eine etwas zusammenziehenden, trocken aber einen bitterlichen Geschmack hat, haben unsre Vorfahren (mit geringer Wahrscheinlichkeit) eine Menge Tugenden in sehr verschiedenartigen Krankheiten gerühmt, wenigstens hat man die gewähnte Kraft in verhärteter und entzündeter Leber, in der Gelbsucht, in Milzsucht, in wässerigen, vorzüglich von geistigen Gentränken[519] entstandnen Geschwülsten, bei Nierengries, Durchfällen und übermäßiger Monatreinigung in neuern Zeiten von diesen nicht so gar kräftigen Gewächstheilen nicht wahrnehmen können. Was sie in Geschwüren der Harnwege und, äußerlich frisch zerquetscht aufgelegt, bei Schenkelgeschwüren leisten können, ist noch zu bestätigen, da beide einen adstringirenden Stoff in Menge bei sich führen. Beide theilen dem Absude mit Wasser eine rothe Farbe mit, und eben so färben sie den Stuhlgang.

Die sehr angenehm riechenden und schmeckenden, weinsäuerlichen und süßen Früchte (Fraga) kühlen, und befördern den Stuhl- und Harnabgang. In Menge genossen hat man wichtige Heilungen damit bei Lungensüchtigen, Melancholischen, Podagristen, und mit Nierengries Behafteten ausgeübt. Bei ihrem Gebrauche vergehen die steinichten Unreinigkeiten an den Zähnen. Schlaffen Magen bekommen sie weniger, es entstehen Durchfälle und Katarrhe.

Sie halten sich nicht über Tag und Nacht, sie werden weich, verlieren viel von Geruch und Geschmack, und schimmeln.

Das von den noch ganzen Erdbeeren mit Zusatz gleicher Theile Wasser abgezogne Wasser (aqua fragorum) ist sehr angenehm von Geruche, und der unfiltrirte, eingedickte Saft (rhob fragorum) sehr lieblich an Geruch und Geschmacke; er dient in Gallübeln.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 1. Abt., 2. Teil, Leipzig 1795, S. 519-520.
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