Röhrkassie

[63] Röhrkassie, Cassia Fistula, L. [Zorn, pl. med. tab. 511] mit fünfpaarigen, eiförmigen, zugespitzten, glatten Blättern, deren Stiele ohne Drüsen sind, ein hoher Baum in Ost- und Westindien und in Afrika, welcher trocknen, fetten Boden liebt,[63] und im Mai und Juni dunkelgelbe Blumen trägt.

Die einen bis zwei Fuß langen, einen Zoll dicken, walzenförmigen, längs auf der einen Seite mit einer Nath besetzten, braunschwarzen Schoten (Cassia, Cassia fistula, fistularis) enthalten innerhalb ihrer harten holzigen Schale ein weiches, schwarzes, süßes Mark zwischen mehrern Querscheidewänden eingeschlossen, worin braungelbe harte Samen liegen.

Man schätzte ehedem am meisten die orientalische oder levantische Kassie, in den größten und dicksten Hülsen, aus Kambaja, Kananor und andern Gegenden Ostindiens; die alexandrinische oder egyptische in dünnern, unreif eingesammelten Schoten ward weniger geachtet. Seit aber dieser Baum nach Amerika verpflanzt worden, bekömmt man diese Waare fast einzig aus diesem Welttheile, von wo die Schoten kürzer und dicker, und obgleich am Geschmacke bitterlich, doch von mehr abführender Wirkung sind. Unter letzteren wird die brasilianische und marylandische Kassie in weit geringerem Werthe gehalten als die von den Antillen, von Dominik, Martinik, u.s.w. welche jetzt fast ganz allein im Handel ist.

Man verwirft die runzlichten Schoten und die von Würmern angestochenen, am meisten aber diejenigen, deren Mark sauer riecht oder schimmlicht ist. Gewöhnlich taugen auch diejenigen nichts, deren Mark so eingetrocknet ist, daß man die Samen beim Schütteln klappern hört. Doch ist das etwas eingetrocknete Mark nicht immer das untauglichste, und die etwas klappernden Schoten sind nicht immer die verwerflichsten, da das Mark zuweilen wohl etwas trocken, aber nicht verdorben ist. Oft sind die schweren, mit reichem Marke angefüllten die schlechtesten, indem die betrüglichen Droguisten die schon ausgetrockneten Schoten anzufeuchten und in feuchtem Sande in Kellern aufzubewahren wissen, wodurch das Mark zwar sich erweicht, aber nun in eine saure Gährung überzugehen geneigt wird.

Um das Mark aus der Kassie (Pulpa cassiae) zu gewinnen, ist der natürlichste und einfachste Weg, an die Schoten längs der Nähte (der sichtbaren Naht sowohl, als der undeutlichen gegenüber stehenden) zu schlagen, da sich dann die Schote in zwei Hälften theilt, woraus das Mark mit einem hölzernen oder beinernen Messer herausgeschabt und durch ein Haarsieb gedrückt wird, von den Häuten und Samen gereinigt (Casse en noyaux, mondée bei den Franzosen). Man erhält ein Viertel des dazu genommenen Gewichts der Schoten, welches sich nicht nur in Wasser sondern auch in Weingeist auflößt. Eine andre Art, das Mark zu bereiten (die man aber besser Extractum Cassiae fistulae nennen könnte) besteht darin, daß man den herausgeschabten Inhalt der Schoten mit kaltem oder lauem Wasser zusammenrührt, bis er aufgelöset ist, die Schalen mit Wasser ausspühlt und beide Flüssigkeiten durch ein[64] Haarsieb gegossen über Feuer bis zur Extraktdicke abgedampft. Diese in Frankreich gewöhnliche Art ist der in Deutschland üblichen vorzuziehen, vermöge deren man die letztgedachte Auflösung bis zur Honigdicke abdampft und dann gleiche Theile oder die Hälfte Zucker zusetzt; welches nicht nöthig wäre, wenn man nicht theils das Gewicht zu vermehren, theils die Säure des verdorbenen Markes dadurch zu bemänteln gedächte. Andre nehmen sogar heißes Wasser zur Auflösung des Inhalts der Schoten, und noch Andre, (welches die gewöhnlichste Verfahrungsart bei uns ist) kochen die kleingestoßenen Schoten (Inhalt und Schale zusammen) mit Wasser, um nach ihrer Meinung alles Auflösbare des Markes daraus zu erhalten, ehe sie die Abdampfung und Zuckerzumischung damit vornehmen. Aber in beiden letztern Fällen löset sich viel von der Substanz der Schale auf, in welcher zwar viel abführende Theile vorhanden sind, die aber auch dem Inspissate einen widrigen, barschen Geschmack mittheilen.

Man giebt von dem einfachen, bloß durchgedrückten Marke, so wie von dem Wasser ausgezognen, eine bis zwei Unzen, gewöhnlich in Auflösung und am besten mit einem Zusatz von Manna, die die abführenden Kräfte jener um Vieles erhöhen soll. Alle Auflösungen des Kassienmarkes halten sich aber kaum einen Tag, da sie leichter als irgend eine bekannte Substanz in die weinichte und in die Essiggährung übergehen.

Es ist fast unmöglich zu verlangen, daß die Apotheker mitten in Deutschland, besonders an kleinen Orten, unverdorbne Fistelkassie vorräthig haben sollten; die leichte Verderbniß und Verfälschung dieser Drogue und der weite, langweilige Weg bis zu uns macht dieß zu einer fast unbilligen Forderung. Setzt man nun noch hinzu, daß wir diese Substanz bloß aus Indolenz, weil sie uns von den arabischen Aerzten vererbet worden, beibehalten haben, nicht wegen eines nur im mindesten beträchtlichen Nutzens (den nicht das Pflaumenmuß eben so gut leisten könnte); so ist kaum abzusehen, wie wir eine so betrügliche, nutzlose Waare länger unter dem Arzneivorrathe dulden wollen, deren so hoher Preis und deren Unbequemlichkeit beim Gebrauche, den Unterleib mit Blähungen anzufüllen, schon hinlänglicher Grund wäre, sie abzuschaffen.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 63-65.
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