Schwarzbilsen

[170] Schwarzbilsen, Hyoscyamus niger, L. [Zorn, pl. med. tab. 84] mit stengelumfassenden, ausgeschweiften Blättern, und stiellosen Blumen, ein zwei Fuß hohes Kraut mit zweijähriger Wurzel an Wegen, auf ehemahligen Miststäten und salpetererdigen, steilen Ackerufern, welches im Juny blüht.

Das klebrige, haarige Kraut (Folia Hyoscyami) ist von betäubendem, ranzicht stinkendem Geruche und schleimicht fadem Geschmacke. Es ist von sehr heftiger Wirkung. Es bringt wachende Schlaftrunkenheit, Stumpfsinnigkeit, verwirrtes Gesicht,[170] Schwindel, kataleptische Ohnmachten, dann unruhiges Hin- und Herbewegen, Konvulsionen, Kopfweh, Bauchkneipen, Raserei, Blutstürze und mehrere andre gefährliche Wirkungen hervor, und hat in sehr kleiner Gabe (nach meiner Art zu 1/60 bis 1/30 eines Grans des Dicksaftes in Auflösung gegeben) Schlaflosigkeit, einige Arten von Wahnsinn, Paresis, Eklampsie, und Blutstürze unter meinen und Andrer Augen gehoben. In vielen Fällen ist es kurativ Schlaf bringend, während der Mohnsaft es nur palliativ ist; es eröfnet eher den Leib, als daß es ihn stopfen sollte. In der Bleikolik und der Ruhr, die selbst eine Art Leibesverstopfung ist, soll es sich hülfreicher als der Mohnsaft erwiesen haben. Doch ist die neuere Mode, alle Gattungen von Schmerz damit stillen zu wollen, nicht weit von Quacksalberei entfernt. Indessen hebt es gewisse Arten von chronischem Kopfweh fast spezifisch. In einigen Arten von sogenannter Nervenschwäche bei schlaffer, kalter Körperbeschaffenheit erweiset sich sein anhaltender Gebrauch als das sicherste Stärkungsmittel.

Die weiße, ähnlich schmeckende Wurzel (Rad. Hyoscyami) ist von ähnlicher, nur stärkerer Wirkung als das Kraut, und die kleinen, rundlichen, aschfarbnen Samen (Sem. Hyoscyami nigri) haben nicht weniger Kraft. Von lezterm so wie vom trocknen Kraute den Rauch in den Mund ziehen zu lassen, um Zahnschmerzen zu vertreiben, ist ein unvernünftiges Verfahren. Man hat die schrecklichsten Zufälle davon entstehen sehen. Sonst ist der äußere Gebrauch der frisch zerquetschten Blätter auf schmerzhafte, harte und entzündete Geschwülste nicht selten von gutem Erfolge gewesen.

Man soll durch die Auspressung ein Oel (Ol. Hyoscyami expressum) von 0,913 Schwere, von fadem Geruche und von den Kräften des Krautes erhalten; man sagt uns aber nicht, wie wenig. Die gestoßenen Samen mit Baumöl zu mischen, und auszupressen, ist ein unzuläßiger, obgleich häufiger Betrug.

Ueberhaupt ist der Schwarzbilsen stärker an Kräften als der Weißbilsen, w.s. und beider einziges mir bekanntes Gegengift ist, Weinessig in großer Menge getrunken; doch versuche man vorher, wenn es Kraut, Wurzel oder Samen gewesen, den größten Theil davon erst (oder beizu) durch Erbrechen fortzuschaffen.

Der Dicksaft aus dem im ersten Jahre oder doch vor der Blühezeit im zweiten Jahre gesammelten Kraute muß möglichst ohne Feuer an bloßer Luft oder doch in der Wärmstube eingetrocknet werden, wenn er in kleiner Gabe die möglichst größte Wirkung haben soll. Der über Feuer, wie gewöhnlich, eingekochte ist ein wohl hundertmahl unkräftigeres Sudelprodukt.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 170-171.
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