Sedativsalz

[196] Sedativsalz (sal sedativum Hombergii, Acidum Boracis), eine, wie es scheint, eigenartige Säure in silberglänzenden Schuppen, sanft anzufühlen, von 1,480 eigenthümlichem Gewichte, von schwachem, kaum merklich sauerm, bitterlichem Geschmacke, welche sich bei 65° Fahr. in 20 Theilen, bei 212° Fahr. in kaum drei Theilen Wasser, und in fünf Theilen kochendem Weingeiste auflößt, und in letzterer Auflösung mit einer grünen Flamme brennt. Es präcipitirt den Eisenvitriol nicht, schlägt aber den Quecksilbersublimat zu einem gelben Präcipitat nieder, der sich ziegelroth sublimirt, und schmelzt vor sich zu einem hellen, in Wasser auflösbaren Glase, so wie es auch Erden und Metallkalke verglaßt.

Es findet sich rein in einigen italienischen Seeen, sonst aber in Verbindung mit Minerallaugensalz in thibetischen Seeen, (in Ostindien) in kleinen Krystallen, woraus der Borax (w.s.) gezogen wird, und mit Kalkerde und Magnesie vereinigt in dem lüneburgischen Boracit.

In Apotheken wird das Sedativsalz aus dem Borax gezogen, indem man acht Unzen des leztern in achtzehn Unzen siedendem Wasser auflößt, und so lange starke Vitriolsäure zutröpfelt, bis die Mischung einen säuerlichen Geschmack hat, etwa vier Unzen. Dann rührt man die Mischung wohl um, und stellt sie in einem gläsernen Geschirre an einen kalten Ort. Die hier anschießenden, weißen, glänzenden, schuppenartigen Krystallen, sondert man nach einigen Tagen durch ein Filtrirpapier ab, reinigt sie mit etwas kaltem destillirtem Wasser, dampft die Lauge ab, läßt das übrige Sedativsalz vollends anschießen, und reinigt beide Anschüsse vollends durch abermahliges Auflösen und Krystallisiren. Alle Säuren, nur die Luftsäure ausgenommen, können das Sedativsalz aus dem Borax abscheiden.

Wenn es eben aus dem Borax durch eine Säure abgesondert worden, und noch ganz naß der Destillation unterworfen wird, so pflegt ein Theil dieses Salzes, seiner eigenthümlichen Leichtigkeit wegen, den aufsteigenden Wasserdünsten zu folgen, und sich so in kleiner Menge an den obern Theil der Destillirgefäße in leichten Flocken, die aus dünnen Blättchen zusammengefügt sind, anzulegen, eine Art anscheinender, aber uneigentlicher Sublimation, indem die äusserst feuerbeständige Säure, sobald sie ganz trocken ist, unter keiner Bedingung aufgetrieben werden kann.

Das Sedativsalz ward in ältern Zeiten für Schmerz und Krampf lindernd ausgegeben, und in bösartigen Fiebern, in Manie, Epilepsie, u.s.w. zu drei bis zehn Gran in Pulver, auch wohl zu einem Skrupel und mehr in Auflösung[196] verordnet, wobei man rühmte, daß es weder erhitze noch schwäche. Die neuern haben es fast gänzlich beiseite gesezt; es läßt sich daher nichts gewisses darüber sagen.

Ein kleiner Theil Sedativsalz macht den Weinsteinrahm zu einem sehr leichtauflöslichen, dem Boraxweinsteine (w.s.) ähnlichen, nur sauern Salze.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 196-197.
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