Würzvanille

[457] Würzvanille, Epidendron Vanilla, L. [Zorn, pl. med. tab. 288] mit kletterndem Stengel, opallänglichten stiellosen Stengelblättern und spiralförmigen Gäbelchen; ein rankender Strauch im südlichen Amerika, welcher kaum aus der Erde entsprossen die aus seinen Knoten sprossenden Würzelchen in die Rinde der nahen Bäume einsenkt, und beim Fortkriechen aus lezteren seine Nahrung zieht, während die Erdwurzel abstirbt. Auf Cayenne und Jamaika wird er künstlich gezogen. Die Blüthe der besten Spezies oder Varietät ist schwärzlicht.

Seine Früchte, die Vanilleschoten (Vanilla, Siliquae Vanillae, Vanigliae) erhalten wir in Bündel zusammen gebunden, (jedes Bündel von 50 Stück muß wenigstens fünf Unzen wiegen) in dünne Bleiblättchen gewickelt und in hölzerne Kisten gepackt, wovon die beste Sorte (Ley oder Leg genannt) fast sechs Zoll lang, vier Linien oder eines Schwanenkiels breit und dick, doch etwas zusammengedrückt, dunkelbraun, mit feinen Längerunzeln besetzt, schimmernd, aber nicht glänzend, an beiden Enden stumpf zugespitzt, am Stielende etwas gekrümmt, biegsam und doch zerbrechlich, einfächerig, von zähem Fleische, innerlich der Länge hin mit sehr vielen ganz kleinen, Sandkorn großen, rundlichen, schwarzen Samenkörnern angefüllt, und von sehr angenehmem, mehrere Tage lang an den Fingern hängen bleibendem Geruche und starkem, süßlicht aromatischem, hitzigem, angenehmem, mit dem Geruche überein kommendem Geschmacke sind. Sie geben ein geruchvolles Wasser in der wässerigen Destillation, der Weingeist nimmt wenig Riechbares in der Destillation mit sich, beim Aufgusse aber zieht er so wie das heiße Wasser Geschmack und Geruch vollständig aus.

Als Tafelgewürz macht er ein Hauptingredienz der Schokolate aus, die man dann für ein Geschlechtstrieb beförderndes Mittel hält; aber der Betrug schiebt ihr auch hier den Storax oder den Perubalsam unter. Zu Gefrornem wird er ebenfalls genommen.

Schon in ältern Zeiten soll die Vanille gegen Melancholie in England (etwa zu 12 Gran auf die Gabe) angewendet worden seyn; die Neuern frischen dieses Gerüchte wieder auf, ohne Thatsachen beizubringen. Sicherer ist es, daß da der Genuß dieser Drogue Trockenheit des Mundes und eine[457] zusammenschnürende Empfindung im Magen erregt, sie auch dergleichen heilen könne, wie man auch schon durch die Erfahrung überzeugt worden ist. Die gerühmte Monatzeit erregende Wirkung derselben beruht blos auf ihrer großen Erhitzungskraft (die uns behutsam bei ihrer Anwendung machen sollte) und die Harntreibende beruht nur auf einer Sage.

Die zweite Sorte (von den Spaniern pompona oder bova, die aufgeblasene genannt) ist dicker, kürzer, platter, mit einem flüssigen Wesen und vielen senfkorngroßen Samen angefüllt und von einem allzu starken, Kopfweh erregenden Geruche.

Die dritte Sorte, welche vorzüglich von Domingo kömmt, und deren Mutterstrauch weiße Blumen hat, ist die (in allen Rücksichten kleinere) sogenannte Bastardvanille (Simarona). Sie enthält ein trocknes Mark, sehr kleine, schwarze Samen und ist äusserlich von gilblicher Farbe und fast ohne Geruch.

Noch eine Sorte sehr dicker, kurzer Vanilleschoten von Pflaumengeruch, welche aus Hindustan kömmt, ist unkräftig und unbrauchbar.

Beim Einkaufe muß man die Packte immer öfnen, um zu sehen, ob nicht einige Schoten dieser schlechtern Sorte mit eingebunden sind, oder solche, die ihres Markes (des kräftigsten Theils) beraubet, mit einer fremdartigen Materie angefüllt und wieder zugeleimt worden, oder solche alte, geruchlose Schoten, die man mit einer Mischung aus Mandelöl, Storax und Perubalsam wieder angestrichen hat; diese sind äusserlich glänzender, als sie seyn sollten, und innerlich geruchloser.

Ein Ueberzug von glänzenden Salzblumen ist der guten Vanille eigen; es ist das wesentliche inwohnende Salz, welches von der Hitze während des Transports ausgeblühet ist.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 457-458.
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