§. [126] 57.

Um so antipathisch zu verfahren, giebt ein solcher gewöhnlicher Arzt gegen ein einzelnes, beschwerliches Symptom unter den vielen übrigen, von ihm nicht geachteten Symptomen der Krankheit, eine Arznei, von welcher es bekannt ist, dass sie das gerade Gegentheil des zu beschwichtigenden Krankheits-Symptoms hervorbringt, wovon er demnach zufolge der ihm seit mehr als funfzehn Hundert Jahren vorgeschriebenen Regel der uralten medicinischen Schule (contraria contrariis), die schleunigste (palliative) Hülfe erwarten kann. Er giebt starke Gaben Mohnsaft gegen Schmerzen aller Art, weil diese Arznei die Empfindung schnell betäubt, und giebt eben dieses Mittel gegen Durchfälle, weil es schnell die wurmförmige Bewegung des Darmkanals hemmt und denselben alsbald unempfindlich macht, und so auch gegen Schlaflosigkeit, weil Mohnsaft schnell einen betäubten, stupiden Schlaf zuwege bringt; er giebt Purganzen, wo der Kranke schon lange an Leibesverstopfung und Hartleibigkeit leidet; er lässt die verbrannte Hand in kaltes Wasser tauchen, was durch die Kälte den Brennschmerz augenblicklich wie wegzuzaubern[126] scheint; setzt den Kranken, der über Frostigkeit und Mangel an Lebenswärme klagt, in warme Bäder, die ihn augenblicklich erwärmen, und lässt den langwierig Geschwächten Wein trinken, wodurch er augenblicklich belebt und erquickt wird, und wendet so noch einige andre opponirte (antipathische) Hülfsveranstaltungen an, doch ausser diesen nur noch wenige, da der gewöhnlichen Arzneikunst nur von wenigen Mitteln einige eigenthümliche (Erst-)Wirkung bekannt ist.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Dresden, Leipzig 51833, S. 126-127.
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