XXI. Die Jahre 1817 und 1818.

[234] Zwei Tage nach meiner Rückkehr von der Hochzeitsreise war ich beim Fürsten Metternich zu Tisch geladen und aß dort mit dem neapolitanischen Gesandten Ruffo, dem Gesandten Freiherrn von Lebzeltern und den beiden leitenden Geschäftsmännern der Staatskanzlei, dem Staatsrate Hudelist und dem Hofrate Mercy. Die Veranlassung zu dieser Einladung war eine schöne persische mit historischen Figuren bemalte Schachtel, welche der Fürst vom persischen Botschafter Mirsa Abdul Hassan durch den Freiherrn von Steigentesch als Geschenk erhalten hatte und deren Erklärung und Beschreibung er wünschte. Der Gegenstand interessierte mich an und für sich, als Anlaß durch ihn den[234] Fürsten öfter sehen und von meinen Angelegenheiten mit ihm sprechen zu können, war mir der Auftrag doppelt willkommen. Ich ließ die Schachtel sehr genau von Mannsfeld für die ›Fundgruben‹ in Kupfer stechen und gab eine genaue Beschreibung. Auf ausdrückliches Verlangen ließ ich einen Kupferstich in den Farben des Originals malen, den der Fürst dem Kaiser geben wollte. Mir war es hauptsächlich um geregelte Beschäftigung in der Kanzlei zu tun, das Dolmetscheramt war ja seit den sieben Jahren meiner Ernennung dazu eine vollständige Sinecure, ich hoffte von des Fürsten Einsicht und Gerechtigkeitsliebe, daß er mich trotz Hudelists Bemühungen, mich aus dem Bureau zu entfernen, doch tätig verwenden werde. Nach der Tafel ergab sich keine Möglichkeit mit dem Fürsten davon zu sprechen, denn es kamen Fürst Trauttmansdorff und Graf Stadion, um wegen der für den nächsten Tag festgesetzten Vermählung der Erzherzogin Clementine das Nötige zu besprechen. Der Fürst ging seines Augenleidens wegen nicht aus, der Kaiser besuchte ihn wöchentlich einige Male und war erst am vorhergehenden Tage wieder bei ihm gewesen. Das Augenleiden hatte den Verlust des linken Auges zur Folge.

Damals hoffte ich noch, bei der nächsten Erledigung auf den Posten in Konstantinopel Anspruch machen zu können, diese Hoffnung wurde bei der nächsten Unterredung, welche mir der Fürst am 10. September gewährte, vernichtet. Ich beschwerte mich darüber, daß ich bei der neuen Zuteilung der Arbeiten in der Kanzlei übergangen worden sei, obwohl ich durch die zwei Jahre der Abwesenheit des Hofrates Perrin sein Ressort geführt hatte. Der Fürst sagte: ›Sie sind zu gut, gewöhnliche Kanzleinoten zu konzipieren. Sie können sich nützlicher mit literarischen Arbeiten beschäftigen und Sie werden nichts dabei verlieren, alle Vorteile und Auszeichnungen, welche Ihre Kollegen auf dem politischen Wege erreichen, werden auch Ihrem literarischen Verdienst zukommen.‹ Ich erwiderte, daß ich nicht ein Referat in der Kanzlei, sondern vielmehr den Posten in Konstantinopel im Auge habe, zu dem ich mich durch meine bisherige Verwendung dort und in der Moldau und als Hofdolmetsch, besonders aber durch meine auf Reisen erworbenen Kenntnisse des Landes[235] und der Menschen vor anderen für befähigt halte. Hierauf sagte der Fürst: ›So lange ich Minister bin, kommen Sie nicht nach Konstantinopel. Ich kann bei den von mir auf Ministerposten verwendeten Subalternen weder vorzüglichen Geist noch ausgezeichnete Kenntnisse brauchen, ich brauche charakterlose Maschinen. Sie taugen nicht zum Diplomaten durch Ihren Charakter. Sie haben Phantasie und poetisches Talent. Um Gottes willen! Nur keine Poeten in Geschäften! Ich werde besser für Sie sorgen als Sie selbst.‹ ›Das ist ja‹, sagte ich, ›die wahrhafte Anwendung aus der Fabel, wo der Esel Gesandter wird.‹ Der Fürst lachte: ›Das ist mein Fall, ich werde lieber einen Esel schicken als Sie.‹ ›Ich schrieb das Werk über die Staatsverfassung und Staatsverwaltung des Osmanischen Reiches, um meine genauen Kenntnisse desselben zu beweisen.‹ Der Fürst: ›Wer das Osmanische Reich so genau kennt wie Sie, könnte doch nur ein elender – das ist nicht das Wort – nur ein gefährlicher Internuntius werwerden. Ich bin ein Lasttier, welches den Karren, vor den es gespannt ist, durch dick und dünn hindurchzieht, Leute von Charakter wie Sie haben eine sehr beschränkte Laufbahn und sind in diplomatischen Geschäften gar nicht zu brauchen.‹ – Am selben Morgen erzählte ich dem Erzherzog Johann von dieser Unterredung, er sagte nur: ›Das Gebäude ist morsch, schonen wir unsere Kräfte.‹

Mitte Dezember brachte ich dem Fürsten Metternich den vollendeten Kupferstich des persischen Schachtelgemäldes und den in Farben, er versprach, mir in vierzehn Tagen Bestimmtes über meine Beförderung zum Hofrat wissen zu lassen. Einige Tage später lud er mich zu Tisch, in einer Anwandlung von Dankbarkeit für das neuerliche Versprechen bat ich den Fürsten, ihm meine Geschichte der persischen Redekünste zueignen zu dürfen, was gnädig angenommen wurde.

Ich hatte wieder mit meinen Augen zu leiden und dies fiel mir um so lästiger, als eben aus Kalkutta ein schönes Geschenk orientalischer Bücher angekommen war und die häufigen Briefe der Mitarbeiter der ›Fundgruben‹ meine Tätigkeit sehr in Anspruch nahmen. Die wichtigsten, weil es sich um Sein oder Nichtsein der ›Fundgruben‹ handelte,[236] waren die meines Freundes, des Grafen Rzewuski. Schon vor fünf Jahren hatte ich ihm meine Übersetzung ›Rumili und Bosna‹ gewidmet und er wollte mir dafür ein Reitpferd schenken. Ich mußte dieses Geschenk ausschlagen, da ich nicht in der Lage war, den Unterhalt eines solchen zu bestreiten.

Claudius James Rich, der britische Resident in Bagdad, war seit dem Beginne der ›Fundgruben‹ ihr tätiger Mitarbeiter und besonderer Gönner. Er hatte mir ein herrliches Geschenk geschickt, nämlich zweiundsiebzig babylonische geschnittene und gebrannte Siegel und Zylinder, vier kufische, vier babylonische Siegel und eine sehr schöne bronzene Antike, einen Leoparden darstellend. Die geschnittenen Steine und Ziegel, deren Abbildungen in den ›Fundgruben‹ erschienen, wurden zwischen mir und dem Grafen geteilt, die meisten fanden ihren Weg in das Kaiserliche Antiken-Kabinett in Wien und in das Joanneum in Graz, ein Dutzend der schönsten behielt ich, ebenso den Leoparden. Außer den Geschenken und den Aufsätzen für die ›Fundgruben‹ dankte ich Rich meine Ernennung zum Mitglied der Ostasiatischen Gesellschaft von Madras, Kalkutta und Bombay.

In diesem Winter (1817) war ich ein eifriger Besucher des Antiken-Kabinetts und Karoline, der viel Bewegung angeraten war, begleitete mich. Mich interessierten damals besonders die ägyptischen Altertümer, und eine Frucht dieser Besuche war die in den ›Fundgruben‹ veröffentlichte Abhandlung über den Sargdeckel einer Mumie. Meine Beschäftigung mit den ägyptischen Altertümern wurde durch eine andere unterbrochen, durch die von Goethe verlangte Erklärung der Inschrift Lothar II., die Goethe mit einigen Worten drucken ließ, die aber Kenner deutscher Altertümer, wie Kopp, nicht als richtig anerkannten.

Hudelist wollte mich um jeden Preis aus der Kanzlei entfernen und versuchte neue Minen. Er beantragte die Pensionierung des schon altersschwachen Direktors der Orientalischen Akademie, des Professors Hoeck, und die Ersetzung desselben durch mich. Dies erfuhr ich durch den Grafen Sickingen, zugleich die Äußerung des Kaisers, daß er diesen Vorschlag nicht genehmigen werde, da ich nach seiner Ansicht[237] nicht zum Leiter, eines Erziehungsinstitutes tauge. Das Jahr 1817 war durch verschiedene Erfolge und Freuden ausgezeichnet, aber es hatte traurig begonnen; meine Freundin, die Gräfin Purgstall, wurde durch den großen und unersetzlichen Verlust betroffen. Am 7. Jänner starb ihr einziger, hoffnungsvoller Sohn Wenzel Raphael, der letzte Sproß des alten, erlauchten Hauses der Grafen von Purgstall.

Die Ausführung des Denkmals für ihren Gatten in der Kirche zu Riegersburg hatte Graf Moriz Dietrichstein besorgt, mit dem zweiten, für ihren Sohn, betraute sie mich. Mit der größten Lebhaftigkeit ergriff sie die Idee, ihrem Gemahle und Sohne auch ein literarisches Denkmal zu setzen, das nicht für den Buchhandel, sondern nur zur Verteilung an Freunde bestimmt war. Sie bat mich, die zu den Nekrologen beider vorhandenen Materien zu sichten und zu ordnen. Verschiedener Schwierigkeiten wegen kam es aber erst vier Jahre später heraus. Die Inschriften zu beiden Grabdenkmalen hatte Graf Stolberg geschrieben.

Am zweiten Sonntage nach Ostern genas Karoline eines Knaben. Ich begrüßte den Neugeborenen mit der Übersetzung eines arabischen Distichon, das ich als Anzeige an meine Freunde sandte:


›Es lachten alle froh am Tage, der Dich gebar,

dem Mutterschoß entsandt, nur sie in Tränen.

Leb so, daß an dem Tage, wo Du nächst der Bahr

Du lachst, indeß sich alle weinend nach Dir sehnen.‹


Getauft wurde der Neugeborene Karl Josef Kamillo, obwohl sein Vater und Großvater Josef hießen, zog ich den Namen Karl vor, weil er der der Mutter, und damit der Sohn schon in seinem Namen Grund finde, eine andere Laufbahn als sein Vater zu ergreifen.

Ich ging zum Fürsten Metternich und fand ihn diesmal günstig gestimmt. Er sprach sogar von seiner ›Verpflichtung‹, für mich etwas zu tun. Er ging nun wirklich ernsthaft daran, sein Versprechen, das er mir beim Eintritt in die Staatskanzlei gegeben, daß ich zugleich mit Brenner Hofrat werden solle, zu erfüllen. Dieser war es nun schon seit Jahr und Tag. Mitte Mai vertraute mir Brenner an, er habe vom Fürsten den Auftrag bekommen, den Vortrag zu[238] meiner Ernennung zum Hofrat zu machen. Eine Woche später sagte mir der Fürst, der Vortrag sei an den Kaiser gelangt und wieder eine Woche später in seinem Salon ›Der Kaiser tut es, er wird es in die Staatskanzlei geben‹. Wenige Tage später sagte mir Graf Wallis, daß ich nicht mehr am Erfolg zweifeln dürfe, denn ›Metternich setze beim Kaiser durch was er will‹. Auch Graf Stadion, an welchen wegen der Gehaltsvermehrung der Vortrag kommen mußte und den ich bat, nicht dagegen zu protestieren, sagte mir: ›Soyez tranquille je proteste contre des millions et contre le ruine des provinces, mais non pas contre ce qui est pour un homme de mérite.‹ Einen Monat nach der Entbindung Karolinens zogen wir nach Döbling, wohin ich in den folgenden Jahren stets früher zog. In meiner Studienordnung begann ich zum drittenmal das bibliographische Wörterbuch Hadschi Chalfas zu lesen und mir die Büchertitel zu enzyklopädischen Übersichten auszuziehen, welche ich für die Ersch- und Grubersche Enzyklopädie zu liefern versprochen hatte und von denen auch dann die Anthologie, Arzneikunde und Astronomie erschien. Die Einladung zur Mitarbeit hatte ich von Freiherrn von Hormayr erhalten und ihm auf sein Zureden die Mitarbeit zugesagt. Seine Bekanntschaft hatte ich schon im Jahre 1798 auf der Durchreise durch Innsbruck gemacht und mich für den jungen Mann mit hoher Achtung begeistert.

Wir sahen uns gewöhnlich nur im Winter. Im Sommer lebte Hormayr auf Schoß Raitz in Mähren bei seinem Freunde, dem Grafen Salm. Unser Briefwechsel begann im Jahre 1815 und war meist literarischen, das von Hormayr herausgegebene historische Archiv und ihn persönlich betreffenden Inhaltes. Die in einem Zeitraume von über dreißig Jahren mit ihm gewechselten Briefe enthalten interessante Beiträge zur Geschichte des literarischen Verkehrs in Österreich und über seine literarischen und politischen Freunde und Feinde. (Vgl. Hormayrs Briefe im Anhang.)

Meine templerischen Forschungen betrieb ich mit größtem Eifer, besonders seitdem ich im Antikenkabinett in den Idolen mit arabischen Inschriften die Baphomete der Templer entdeckt und auf einem Ausflug nach Ernstbrunn in Schöngraben auf der dortigen alten Templerkirche die in[239] den ›Fundgruben‹ abgebildeten gnostischen Skulpturen gefunden hatte. Ich wandte mich nach allen Seiten um templerische Denkmale zu erhalten, und Hormayr ging mir dabei hilfreich an die Hand, ebenso mein Freund Kurz, Bischof Muenter und später Freiherr von Mednyansky. Ich machte mich durch das Studium der Klassiker Epiphaneus, Joanneus, Origenes und Tertullian mit den Lehrern der Gnostiker vertraut.

Am 28. Juni erhielt ich das eigenhändige Schreiben des Fürsten Metternich aus Florenz, in welchem er mich davon verständigte, daß sein Vortrag nicht nach seinem Wunsch erledigt worden sei. Sein Antrag hatte darin bestanden, daß mir die Leitung der Meninskischen Arbeit, nämlich die Herausgabe des noch immer fehlenden Onomastikon, übertragen und dazu der Hofratscharakter verliehen werden möge, den auch Jenisch, der erste Leiter dieser Arbeit, bekleidet hatte. Ich hatte mich durch eine Eingabe selbst zu dieser Arbeit angetragen. Die Entschließung genehmigte zwar die Herausgabe des Onomastikon, verweigerte aber den Hofratscharakter.

Anfangs August ging ich, den Fürsten Sinzendorf auf seine Herrschaft Gföhl begleitend, auf die Familienherrschaften des Kaisers, Luberegg, Böckstall und Rana, weil man mir von Skulpturen in unterirdischen Gewölben des Schlosses erzählt hatte, fand aber nichts. Ich nahm meinen Weg über Göttweih, wo ich die herrliche Brakteatensammlung ansah und die im ›Mysterium Baphometis‹ erwähnten zweiundsiebzig auslas. Über die untersuchten Gewölbe berichtete ich dem Erzherzog Johann, der mich zu weiteren templerischen Forschungen ermunterte.

In der Entschließung des Kaisers, welcher mir die Leitung der Arbeit an Meninsky auftrug, befand sich eine Klausel, dernach ich mich näher über die Art und Weise der Arbeit und der dazu nötigen Hilfsarbeiter erklären sollte. Zwei Monate nach der Entschließung erhielt ich diese Anfrage.

Als Hofdolmetsch hatte ich nur zweimal im Monat zu tun, bei Ankunft und Abgang der türkischen Post, wenn es Intercepte und Schreiben der Grenzbefehlshaber zu übersetzen[240] gab. In dem Zwischenraum von vierzehn Tagen konnte ich mich ohne Nachteil für den Dienst entfernen. Dies brachte mich wieder nach Steiermark, zum Besuche meines Vaters nach Graz und der Gräfin Purgstall in Hainfeld, zu meinem Freunde Fries ins Laßnitztal und zu vielen anderen Freunden und Bekannten.

Sooft es sich um literarische Auskunft handelte, nahm ich zu meinem Freunde Böttiger Zuflucht und in allem, was Politik des Hofes und des Staates betraf, zu Harrach, der immer am besten und frühesten unterrichtet war. Bei meinem ersten Besuche bei ihm nach meiner Rückkehr hörte ich, daß Metternich und Stadion in bestem Einvernehmen gegen Zichy, Wallis und den ganzen Staatsrat verbündet seien, daß die Ernennung Metternichs zum Staatskanzler demnächst erfolgen werde und daß er nur damit beschäftigt sei, die Einrichtung der Ministerien nach französischem Muster beim Kaiser durchzusetzen. Von Sinzendorf und Dietrichstein wurde diese Nachricht bestätigt. Ersterer sagte mir, daß Graf Saurau, der es dermalen mit Metternich hielt, als Minister und Oberster Kanzler des Inneren in größte Wirksamkeit treten werde, Fürst Dietrichstein erzählte, Metternich habe ihm das Ministerium der öffentlichen Angelegenheiten angeboten, er sei aber nicht gesonnen, es anzunehmen, ebensowenig wie irgend eine andere Anstellung.

Der 3. Dezember 1817 war ein für die Literaturgeschichte Österreichs denkwürdiger Tag: an ihm wurde der Entschluß gefaßt, die Jahrbücher der Literatur zu gründen. Der Fürst eröffnete mir an diesem Tage, daß er entschlossen sei, die Literaturzeitung wieder herzustellen und mir ihre Redaktion zu übertragen. Ich glaube nicht, daß es ihm mit dem letzten Antrage ernst war, sondern, daß er wohlunterrichtet war, wie sehr mich die Herausgabe der ›Fundgruben‹ in Anspruch nahm und daher meine Entschuldigung erwartete. Ich verband mit dieser zugleich den Vorschlag eines der Sache besser gewachsenen Redakteurs in der Person meines Freundes Mathias von Collin, der mit dem Lehramte beim Herzog von Reichstadt betraut, ein geschätzter Literat war. Schon acht Tage später teilte mir mein Freund Collin mit, daß Pilat als zweiter Redakteur mit vierhundert Gulden[241] jährlichen Gehaltes (der erste bekam achthundert) eintreten sollte. Pilat war einer der Vordermänner der frommen Partei und ich fürchtete, daß er sich eindränge, um für den Obscurantismus freie Hand zu erhalten. Pilat hatte es auf keine tätige Einwirkung auf die Jahrbücher, sondern nur auf den Gehalt abgesehen. Später vertauschte er den Titel eines zweiten Redakteurs mit dem lächerlichen eines ›Archivars der Jahrbücher‹.

Die Art, wie ich mich freimütig über die Redaktion der Jahrbücher und den Geist dieser Redaktion äußerte, hatte meinem Kredit beim Fürsten großen Eintrag getan, sie hatte aber doch eine Aufmerksamkeit und schriftliche Erwiderung eines meiner Briefe erwirkt. Ich will diese ganze Sache erzählen, weil sie vielleicht einzig in der Geschichte der Bücherwidmungen dasteht und weil sie dem Fürsten mehr zum Lob gereicht als mir und den Beweis dafür liefert, daß es eine Zeit gab, wo seine Geringschätzung für Literatur und Literaten noch nicht jenen Grad erreicht hatte, auf welchem sie später über die Gesetze gemeinster Höflichkeit hinaus sich hinwegzusetzen beliebte. Der Fürst hatte als Ausdruck meiner Dankbarkeit für seine Absicht, das mir gegebene Wort einzulösen und mich durch Verleihung des Hofratscharakters meinem Kollegen Brenner gleichzustellen, die Zueignung meines im Druck befindlichen Werkes ›Die Geschichte der persischen Redekünste‹ gnädig angenommen und die kurz nachher vorgelegte Zueignung unterschrieben. Nun war der Druck vollendet und der Buchhändler drängte auf das Erscheinen zu Neujahr. Nur die Zueignung fehlte noch. Der Fürst hatte sein Wort noch nicht eingelöst, ich hatte zwar den Titel eines Hofrates, aber nicht das Gehalt eines solchen erhalten. Dadurch hielt ich mich nicht zum Drucke der Zueignung für verpflichtet, ich zerriß sie und schrieb, da die Druckerei schon drängte, die Zueignung an meinen Freund Sylvestre de Sacy, zu der ich seine Unterschrift nicht brauchte. Mitte Dezember war das Werk ausgedruckt. Ich sandte ein Exemplar an den Fürsten, das ich mit einigen Zeilen des Sinnes einbegleitete, wiewohl er das Werk ihm zuzueignen erlaubte, so habe ich doch von seiner Genehmigung hierzu keinen Gebrauch gemacht, weil[242] ich hätte fürchten müssen, daß, bevor er sein Versprechen erfüllte, der öffentliche Beweis meiner Dankbarkeit mir als eine höfische Bewegung um unverdiente Gunst ausgelegt würde. Auf diesen sehr freimütigen Brief erwartete ich keine Antwort und war sehr überrascht, als ich am gelben Abend die eigenhändige erhielt, welche die Zurücknahme der Zueignung überging und für das übersandte Exemplar dankte.

Eine um so dankbarere Aufnahme fand meine Zueignung bei meinem Freunde Sylvestre de Sacy und das Werk bei meiner Freundin, der Gräfin Purgstall, der ich es als Neujahrsgeschenk sandte. Das ihr gewidmete Exemplar befindet sich noch in der Bibliothek zu Hainfeld mit der Inschrift: ›To his friend Countess Purgstall from the Author. 25. December 1817.‹


Nicht bald wird eine getroffene politische Maßregel schneller rückgängig gemacht worden sein, nicht bald wird sich aus anscheinender Einigkeit des Ministeriums offene Opposition eher entwickelt haben, als dies der Fall war mit der zu Ende des Jahres 1817 vom Kaiser auf Vorschlag Metternichs genehmigten Einrichtung der Ministerien, und mit dem scheinbaren Bündnis zwischen Metternich und Saurau. Am Christabend war Saurau zum Obersten Kanzler und Minister des Inneren ernannt worden und am Dreikönigstage munkelten die Eingeweihten schon von entschiedenen Meinungsverschiedenheiten und drohendem Bruch.

Der Anlaß dazu gab die Organisation der Verwaltung in der Lombardei. Metternich wollte sie an sich ziehen und hatte das frühere Beispiel für sich, da die oberste Leitung der lombardischen und niederländischen Geschäfte unter Kaunitz mit der Staatskanzlei vereinigt war. Für den Standpunkt Sauraus, daß diese Verwaltung in seinen Geschäftsbereich gehöre, sprach die Natur der Sache, da Mailand und Venedig keine fremden Provinzen seien und als solche nicht dem Ministerium des Äußern, sondern dem des Inneren unterstünden. Kaiser Franz hatte über alle Fragen innerer Verwaltung ein gesundes Urteil und gab Saurau recht, und von dem Augenblick an war Metternich der erklärte Gegner[243] Sauraus und ruhte nicht, bis er ihn nach ein paar Jahren vom Ministerium des Innern auf den Botschafterposten in Florenz entfernt hatte.

Die vorgeschlagenen Ministerien fielen in den Brunnen. Obwohl der dem Obersten Kanzler des Inneren bei seiner Ernennung erteilte Titel eines Ministers des Innern durch kein Handbillett zurückgenommen wurde, so geriet er doch in Vergessenheit, da ihn weder Kabinett noch Staatsrat gebrauchten und wurde im Schematismus des folgenden Jahres gestrichen. Die Grafen Wallis und Sedlnitzky, welche nach Metternichs Plan Minister der Justiz hätten werden sollen, blieben mit dem Titel Präsident an der Spitze dieser Hofstellen.

Zu Beginn des Jahres wurden Ordensfeste angesagt und Verleihungen des Goldenen Vließ und des Leopoldsordens vorgenommen. Zu Rittern des Goldenen Vließ wurden Graf Wallis und Fürst Dietrichstein ernannt. Dietrichstein war gegen Wallis, als den Urheber des teilweisen Staatsbankerottes durch das berüchtigte Finanzpatent von 1811, sehr aufgebracht und erklärte dem Kaiser, daß er das Goldene Vließ nicht annehmen könne, wenn es zugleich Wallis verliehen werde. Diese Erklärung wurde nie verziehen. Später bekam der Bruder des Fürsten, der Graf Moriz Dietrichstein, den Orden, den der Senior seines Hauses ausgeschlagen hatte. Von nun an zog sich Fürst Dietrichstein, der sich seit Jahren von allen Geschäften fern hielt und während des Kongresses eine Reise gemacht hatte, um jede Berührung mit Diplomaten zu vermeiden, noch mehr von der Welt zurück, behielt aber immer ein lebhaftes Interesse für alle politischen Begebenheiten.

Allgemein verlautete, daß der Posten in Konstantinopel durch Stürmers Rückkehr demnächst erledigt werde. Auf Hudelists Empfehlung sollte der Gesandte in Stuttgart, Graf Lützow, zum Internuntius vorgeschlagen werden. Ich schrieb ihm unumwunden und verschwieg ihm keinen der Gründe, die ich gegen die Wahl eines Nicht-Orientalisten hatte. Die schmeichelhafte und bescheidene Antwort des Grafen wurde die Grundlage eines freundschaftlichen Briefwechsels, der nun schon bald dreißig Jahre dauert.[244]

Außer Plutarch, den ich zu Anfang des Jahres begonnen hatte, war ich mit Aufsätzen für die Jahrbücher der Literatur und mit der Vorbereitung zweier besonderer Werke zum Drucke beschäftigt, mit der Herausgabe des Seitenstückes zu den Topographischen Ansichten der ›Reise nach Brussa‹ und des ›Kleeblattes‹. Dieses widmete ich meiner Freundin Karoline Pichler, für jenes erbat ich mir die Ehre, es der Kaiserin zueignen zu dürfen, durch ihren Obersthofmeister den Grafen Wurmbrand. Auch die ›Geschichte der persischen Redekünste‹ trägt die Jahreszahl 1818 und somit erscheint dieses Jahr als das fruchtbarste meiner schriftstellerischen Tätigkeit, denn außer der ›Reise nach Brussa‹, der ›Geschichte der Assassinen‹ und dem ›Kleeblatt‹ hatte ich für die ›Fundgruben‹ das ›Mysterium Baphometis‹ und für die Jahrbücher der Literatur meine Auszüge des Inhaltes der zwölf ersten Bände der ›Asiatic researches‹ geschrieben.

In diesem Winter speiste ich einigemal beim Fürsten Feldmarschall Schwarzenberg, an dessen Tafel in Paris ich täglich willkommen gewesen. Zum letztenmal sah ich damals den als Krieger und Staatsmann gleich verdienstvollen, geistreichen Welt- und Lebemann. Seinen politischen und militärischen Verdiensten hat Prokesch, der sich durch diese Biographie einen Namen in der Literatur machte, volle Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Der berühmte Staatsmann Thugut starb in der Nacht des 29. Mai 1818, über 80 Jahre alt. Über das Jahr seiner Geburt ist nichts, über seine Lebensumstände nur wenig bekannt. Schuld daran trägt die diplomatische Verheimlichung auch der gleichgültigsten Dinge und seine philosophische Gleichgültigkeit, mit der er besonders in den letzten Jahren die Welt und die wichtigsten Begebenheiten betrachtete. Auch die wichtigsten Nachrichten entlockten ihm nur ein ironisches Lächeln, durch das sein ohnehin häßliches Gesicht den Ausdruck eines Satyrs bekam.

Im März starb auch mein Gönner, der Graf Sickingen. Ich erhielt aber auch eine sehr erfreuliche Nachricht, nämlich meine Ernennung zum Mitgliede der Philosophischen Gesellschaft zu Philadelphia, in sehr ehrenvoller Gesellschaft des[245] Arztes Dr. Peter Frank und Sonnenfels, der eben gestorben war. Ich stand nun mit Philadelphia und Kalkutta in Briefwechsel.

Am Ostersonntag besuchte ich zum erstenmal in meinem Leben den Grafen Sedlnitzky. Seither war ich nur mehr einmal wegen einer Zensursache bei ihm. Diese erste Audienz flößte mir geradezu Ekel ein. Es handelte sich um meine ›Reise nach Brussa‹, welche schon mit dem Imprimatur vorsehen und deren Zueignung von der Kaiserin angenommen war. Als ich diese Annahme der Zensurbehörde vorlegte, wurde mir bedeutet, das Werk, das schon mit Genehmigung der Zensur ausgedruckt war, müsse nochmals zensuriert werden, weil es der Kaiserin gewidmet sei und man müsse nochmals nachsehen, ob nichts Anstößiges enthalten sei. Vergeblich war meine Erwiderung, daß ich es dem Obersthofmeister vorgelegt habe, dem doch in erster Linie ein Urteil darüber zustehe, was für die Kaiserin anständig sei und was nicht. Sedlnitzky erwiderte mir: ›Es ist soeben von Ihnen etwas über Sodomie erschienen, was die Zensur nicht hätte durchlassen sollen (er meinte das Mysterium Baphometis in den »Fundgruben«), wer weiß ob nicht dergleichen auch in dieser Reise vorkommt.‹ Diese Zumutung war ebenso dumm wie beleidigend. Ich bemerkte, daß die Zensur auch das Mysterium nicht zugelassen hätte, wenn es nicht lateinisch geschrieben wäre, die ›Reise nach Brussa‹ sei aber deutsch. Sedlnitzky fragte mich, ob ich auch die besondere Erlaubnis meines Chefs für die Zueignung eingeholt habe, und verwies mich an denselben, er bestand auf der zweiten Zensurierung. Der Fürst, dem ich die ganze Sache am nächsten Tage erzählte, lachte über Sedlnitzkys Zumutung, es blieb aber bei der zweiten Zensurierung.

Am 10. April setzte mich ein Billett des Fürsten in Kenntnis von der endlichen Gewährung der Hofratsbesoldung. ›Seine Majestät, der Kaiser, hat auf meine Vorstellung geruht, Euer Wohlgeboren die normalmäßige Besoldung eines Kaiserlichen Hofrates zu bewilligen. Ich gebe mir die Ehre, dieselben hiervon zu benachrichtigen, indem ich unter einem die fernere nötige Verfügung treffe. Wien, den 10. April 1818. Metternich.‹[246]

Mir kam die Hofratsbesoldung sehr erwünscht, von Georgi an hatte ich auf dem Bauernmarkt im Dietrichsteinschen Hause eine größere Wohnung gemietet. Mai und Juni dieses Jahres überwallte mit Knospen, Blüten und Früchten meine literarische Tätigkeit. Die ›Geschichte der Assassinen‹ war angekommen, der Plan der Geschichte der diplomatischen Verhältnisse zwischen Österreich und der Pforte als Vorläufer der großen Geschichte des Osmanischen Reiches war in mir gereift und die Übersetzung des Marcus Antoninus ins Persische war begonnen. Der Entschluß zu dieser Übersetzung hatte sich aus dem Gedanken der notwendigen Rückwirkung westlicher klassischer Bildung auf die östliche entwickelt. Zwar waren schon vor einem Jahrhundert wissenschaftliche Werke der Griechen ins Syrische und Arabische übersetzt worden, aber nur die der systematischen und Naturwissenschaften, nicht geschichtliche, poetische oder ethische. Vor kurzem erst waren mathematische Werke in Indien aus dem Englischen in orientalische Sprachen übersetzt und gedruckt worden. Ich dachte, daß es an der Zeit sei, durch die Übersetzung eines Klassikers den Orientalisten ein nachahmenswertes Beispiel zu geben. Am passendsten dafür hielt ich ein ethisches Werk, dessen Inhalt dem orientalischen am nächsten verwandt, und hierzu erschien mir keines geeigneter als die Betrachtungen des philosophischen Kaisers über sich selbst.

Graf Lützow war zum Internuntius ernannt worden. Hudelist hatte ihm das Memoire gegeben, das ich bald nach meiner Rückkehr dem Grafen Stadion eingehändigt hatte, und aus ihm erhielt Graf Lützow seine erste Belehrung über die diplomatischen Verhältnisse an der Pforte. Fürst Metternich fuhr auf seine böhmischen Güter und nahm, wie er mir nachher sagte, die ›Geschichte der Assassinen‹ als Reiselektüre mit. Es ist das einzige meiner Werke, worüber er mir je etwas Verbindliches sagte, ich glaube auch das einzige, das er je gelesen hat. Dieses allerdings lobte er nicht nur mir, sondern allen anderen Leuten gegenüber.

Ich hatte von den notwendigen Reformen der Orientalischen Akademie mehrmals mit Stifft, in dessen Händen die oberste Leitung des Studienressorts lag, gesprochen und[247] durch denselben war bei der letzten Erledigung der Stiftungsplätze wirklich ein Handbillett des Kaisers erlassen worden, durch welches die Präparandenschule wieder hergestellt werden sollte. Hudelist umging den ausdrücklichen Befehl dieses Handbilletts in der unverschämtesten Art, indem er durch die ›Wiener Zeitung‹ einen Konkurs um die erledigten Stellen ausschrieb. Dieser Konkurs bestand darin, daß alle, welche auf einen dieser Plätze für ihre Söhne oder Mündel Anspruch machen zu können glaubten, sich mit einer Bittschrift an die Staatskanzlei zu wenden hätten. Dies war reine Spiegelfechterei, denn auf die Art wurde keineswegs der Präparandenkurs zur Prüfung der Fähigkeiten der Kandidaten wieder hergestellt, sondern nur ein Konkurs von Bittschriften veranlaßt, und bei der Besetzung der Plätze nicht auf die Fähigkeiten der Kandidaten, sondern nur auf die Verdienste der Väter und Verwandten Rücksicht genommen.

Am 22. Juli erhielt ich ein Billett des Obersthofmeisters der Kaiserin: ›Mein Freund! Dieselben belieben heute um halb ein Uhr sich in der Kammer Ihrer Majestät der Kaiserin zur Audienz einzufinden, wo Sie Höchstselber Ihr schönes Werk überreichen werden. Wien, 22. Juli 1818. Graf Wurmbrand.‹ Ich sollte um halb eins in der Kammer sein und erhielt das Billett erst nach ein Uhr. Drei Tage später wurde mir diese nicht durch meine Schuld versäumte Audienz gewährt. Die Kaiserin unterhielt sich mehr als eine Viertelstunde lang mit mir über orientalische Sitten und Gebräuche auf das gnädigste. Einige Tage später bekam ich eine schöne goldene Dose, auf deren Deckel das Mosaik der bekannten kapitolinischen Tauben ist.

Am 4. Oktober erhielt ich einen Brief mit der Nachricht, daß mein Vater gefährlich erkrankt sei. Ich werde es mir immer vorwerfen, daß ich nicht auf diese Nachricht hin sofort zu ihm fuhr, sondern auf eine, die drei Tage später eintraf und mir die unmittelbare Todesgefahr meldete. Ich eilte in die Staatskanzlei, ließ mir den Paß ausfertigen und warf mich in die Postchaise. In schöner sternenheller Nacht fuhr ich durch das Mürztal ohne Hoffnung auf Genesung meines Vaters, ich dachte über Grabschrift und Nekrolog für[248] ihn nach. In Peggau erhielt ich die Nachricht, daß mein Vater schon am Tage vor meiner Abreise gestorben und heute begraben worden sei. Bei meiner Ankunft erfuhr ich, daß außer dem Übel des Steines mein armer Vater auch an der moralischen Kränkung darüber, daß er sein seit so vielen Jahren im Admonterhof bewohntes Quartier räumen sollte, gestorben sei. Am Tage nach meiner Ankunft besuchte ich den Kirchhof und betete an dem noch nicht beigesetzten Sarge meines Vaters. Von der Erlaubnis, denselben nochmals öffnen zu lassen, machte ich keinen Gebrauch, ich wollte das Bild meines Vaters nicht zerstören. Er war wie die Grabschrift seines Denkmals sagt ›ein gerechter Mann und ein wahrhafter Christ‹ (›Eines gerechten Mannes und rein wahrhaften Christen Asche umschließt dies Grab, ihm von seinen Kinder erhöht‹). Unser Wunsch, dem Großvater in diesem Jahre seinen Enkel Karl vorzustellen, blieb unerfüllt.

Die herzlichste Teilnahme fand ich bei meiner Freundin, der Gräfin Purgstall, zu der ich mich für drei Tage nach Hainfeld begab, und von dort über Ödenburg nach Wien zurückkehrte. In der Nacht fiel mir ein, daß ich die Versteigerung der orientalischen Handschriften Thuguts versäumt hatte, ich kannte ihren Wert zwar nicht, wohl aber den einer anderen Handschriften-Sammlung, welche gleichzeitig mit jener versteigert wurde. Eines Tages war ein Unbekannter zu mir gekommen und hatte mir mitgeteilt, daß er einen Schatz orientalischer Handschriften, die in Ägypten gekauft worden waren, zu verkaufen habe. Ich fand in seiner Wohnung in der Riemerstraße diese Handschriften aufgeschichtet und sah sie flüchtig durch, es waren wertvolle, wenn auch sehr schlecht geschriebene Werke ägyptischer Herkunft. Ich erklärte dem Mann, daß ich nicht reich genug sei sie zu kaufen und riet ihm, sie der Hofbibliothek anzubieten. Dies behauptete er schon getan zu haben, Bartsch habe es aber abgelehnt. Nun empfahl ich ihm, sie bei der Thugutschen Lizitation im Oktober ausbieten zu lassen. Seither hatte ich nicht mehr an die Sache gedacht. Nun erinnerte ich mich wieder daran und auch an die Titel mehrerer Handschriften, die ich früher in einem Kataloge gelesen hatte.[249] Auf einmal wurde mir klar, daß sie wohl der zweite Teil der Seetzensschen Handschriften sein können, von denen nur ein Teil in Gotha angekommen war. Ich vermutete einen Diebstahl oder Unterschleif. Meine Vermutung wurde zur Gewißheit, als ich bei meiner Rückkehr in der Hofbibliothek den Katalog der Seetzensschen Sammlung einsah und darin die meisten der gesehenen Handschriften fand. Ich machte die Anzeige an den Gothaschen Geschäftsträger Herrn von Borś. Er sah eine Menge von Schwierigkeiten, die ich nicht sehen konnte, und war kaum zu bewegen, die Handschriften als gestohlenes Eigentum seiner Regierung zurückzufordern. Endlich erhielt ich sie und hatte sie für die Gothaer Bibliothek gerettet. Bei der Thugutschen Lizitation waren sie nicht verkauft worden, weil der Besitzer sie nicht einzeln, sondern nur alle zusammen abgab.

Die erste Nachricht, mit der mich Karoline überraschte, war die vom Tode Hudelists, der in der Nacht vor meiner Ankunft einem Schlaganfall erlegen war. Bald nach ihm starb auch der Finanzminister Graf Wallis. Ich wußte, daß nun nach Hudelists Tod keine Rede mehr von seinen Vorschlägen, mich außerhalb der Kanzlei zu verwenden, sein werde.

Einige Monate später kam an die Stelle Hudelists der vormalige Internuntius Freiherr von Stürmer. Sehr viel hatte ich bei diesem Wechsel nicht gewonnen, aber doch etwas: an die Stelle eines sehr mächtigen, rüstigen und unablässig tätigen Feindes war ein alter, schwacher, aber keineswegs so boshafter Mensch getreten. Ich lachte sehr, als ich durch Chabert erfuhr, daß Stürmer beschlossen habe, den beiden Vorschlägen der Betrauung mit der Meninskischen Arbeit und der Professur an der Orientalischen Akademie entgegenzutreten, weil er glaubte, sie entsprängen meinem Ehrgeiz. Dadurch war ich aller weiteren Sorgen darüber enthoben und mein Gegner arbeitete mir in die Hände. Mit um so größerer Gemütsruhe konnte ich meine literarischen Arbeiten fortsetzen, dies war die Topographie Konstantinopels und der Katalog der orientalischen Handschriften der Hofbibliothek für die ›Fundgruben‹.

Durch lautes Lesen übte ich mich im Persischen, denn von Konstantinopel war berichtet worden, daß der nach London[250] bestimmte Botschafter Mirsa Abdul Chan seinen Weg über Wien nehmen und in Audienz gehen werde, in seiner Begleitung war der für Wien bestimmte persische Gesandte Mirsa Hussein. Zwar hatte ich mich seit meiner Jugend mit dem Persischen beschäftigt, vor sieben Jahren hatte ich den Diwan des Hafis übersetzt, der Goethe eben zu seinem ›Westöstlichen Diwan‹ begeistert hatte, noch in diesem Jahre hatte ich die Geschichte der persischen Redekünste mit Proben aus zweihundert Dichtern erscheinen lassen, aber nie im Leben hatte ich Gelegenheit gehabt, persisch zu sprechen. Es war eine gewagte Sache, in einer Sprache, die man nie zu sprechen versucht, als Hofdolmetsch amtlich aufzutreten. Ich setzte mich der Gefahr aus, in meiner Rede steckenzubleiben, oder die Perser gar nicht zu verstehen. Die Ankunft der Perser war das Hauptgespräch der diplomatischen Kreise.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Josef von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774–1852. Wien und Leipzig 1940, S. 234-251.
Lizenz:

Buchempfehlung

Wette, Adelheid

Hänsel und Gretel. Märchenspiel in drei Bildern

Hänsel und Gretel. Märchenspiel in drei Bildern

1858 in Siegburg geboren, schreibt Adelheit Wette 1890 zum Vergnügen das Märchenspiel »Hänsel und Gretel«. Daraus entsteht die Idee, ihr Bruder, der Komponist Engelbert Humperdinck, könne einige Textstellen zu einem Singspiel für Wettes Töchter vertonen. Stattdessen entsteht eine ganze Oper, die am 23. Dezember 1893 am Weimarer Hoftheater uraufgeführt wird.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon