Ein Jubiläum.

[126] Nächsten Freitag, den 10. August 1883, feiert man in Frankfurt a.M. das 50jährige Doctor-Jubiläum des Geheimraths Dr. Heinrich Hoffmann, eines Mannes, der sich um seine Vaterstadt und um gar viele arme kranke Menschen außerordentliche Verdienste erworben hat. Seiner energischen Ausdauer, seiner begeisternden Anregung verdankt man die großartige Irrenanstalt, der er schon vorstand, ehe sie schloßartig die schöne Stadt zu ihren Füßen liegen sah. Aber wenn Dr. Hoffmann hier Tausenden die Wohlthat seines erfahrungsreichen Wissens, seines genialen Könnens zu Theil werden ließ – ein zufällig, seiner väterlichen Güte und tief wurzelnden Heiterkeit entsprossenes Werkchen hat einer ganzen großen Welt so viel Freude, so belebende Lust gebracht, daß man es zu den Wohlthaten rechnen muß, die der Privatmildthätigkeit entsprießen. Die Welt ist die Kinderwelt – und die Wohlthat heißt: »Der Struwwelpeter«.

Der Literatur-Kalender, aus welchem ich das Alter des ewig jungen Freundes genau erfahren wollte (er ist, beiläufig gesagt, im Juni 1809 geboren), gibt die Titel einer größern Anzahl poetischer[127] Productionen, die sich viele Freunde erworben haben. Sie sind meistens humoristischer Art (»Handbuch für Wühler«, »Das Breviarium der Ehe«, »Ein Liederbuch für Aerzte und Naturforscher« u.s.w.) – der berühmte Struwwelpeter ist nicht genannt – erschien er doch ohne den Namen des Autors. Aber welcher deutsche Dichter kann sich einer ähnlichen Popularität rühmen? Weitaus über hundert Auflagen haben die Nachfrage nicht erschöpft – mit jedem neuen Frühling beginnt er ein neues Leben. Und wie viel, warmer, begeisterter Dank ist dem Verfasser geworden! Hat doch unser huldvoller Kaiser selbst sich mündlich von demselben ein Exemplar zum eigenen Gebrauche ausgebeten. Aerzte und Naturforscher, die zugleich gute Väter, haben ihn enthusiastisch umarmt auf ihren Versammlungen, ihm gedankt für alle Freude und Heiterkeit, die er in ihr Familienleben gebracht. Es gibt viele glänzendere Erfolge, die man gegen einen derartigen gern austauschen würde. Deputationen ohne Ende werden bei dem zu Feiernden sich einfinden, ehe man ihn auf das Oberforsthaus entführt, um dem großen Festbankett, der Spitze jeder Feierlichkeit, seine Gegenwart zu schenken. Hoffentlich werden unter den Gesandtschaften die der Kinderwelt nicht fehlen. Von Königsberg bis München müßten die nettesten Knaben und Mädchen ausgesucht und auf Reichskosten nach der Goethe-Stadt befördert werden, wenn man dem Verfasser des »Struwwelpeter« gerecht sein will.

Quelle:
Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 126-128.
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