[151] Otto Roquette


zugeeignet.


Ein Theaterkind.

Von François Coppée.


Uebersetzung aus dem Französischen.


Wohl trifft es sich, daß einem dunkeln Ort,

Der sonnenlos, doch eine Blum' entsprießet.


I.


Souffleur der Vater, Pförtnerin die Mutter

An einer wohlbekannten großen Bühne,

Die arge Schicksalsschläge schon erduldet.

Den Eulen gleich, die hell seh'n in der Nacht,

So lebten jene beiden dort vereint,

Verlassend nimmer ihre dunkeln Zellen,

Woher sie einst gekommen, keiner wußt' es!

Ein Kind entsproß der Ehe, sah das Licht,

Das Gaslicht wohlverstanden, eines Abends,

Zur Stunde, als der Vorhang aufgezogen

Ward' zum Beginne eines neuen Stückes.

Der Mann auf seinem Posten, weit entfernt[151]

Vom Lager seines Weibes – aber sie

Gedachten ihrer, die sich wand in Schmerzen,

Die Damen des Theaters – hielten Wacht

Abwechselnd, wie die Scenen es erlaubten,

Geräuschvoll, eilig die Mansard' ersteigend.

Und als vorüber jene schwere Stunde,

Benutzte die Naive den Moment,

In welchem sie, beschuldigt vom Geliebten,

Zu Boden stürzt, von Jammer überwältigt,

Um nah' an das Souffleurloch zu gelangen

Und dem besorgten Vater zuzuflüstern:

»Beruhigt Euch, es ist ein Töchterlein!«

Es war ein Abend, glücklich und erfolgreich;

Das Melodram – voll Unsinn und voll Greu'l,

Zweihundert volle Häuser sollt' es machen.

Der Mutter und dem Kinde ging es gut, –

Doch war's dem Vater eine schwere Sorge,

Und um in etwas ihn zu unterstützen,

Vereinigt' sich die heit're Künstlerschar,

Des ersten Augenblickes Noth zu lindern.

Die Wiege ward geliefert vom Inspector,

Das Saughorn aber gab, galant und witzig,

Der komische Alte, der ein starker Trinker.

Denn alle schenkten ihre Lieb' der Kleinen

Und Antheil nahmen sie an ihrem Loos.

Adele soll sie heißen – so beschloß man,

Weil einst ihr Vater, der in bess'rer Zeit,

Wie er erzählt, als junger Springinsfeld

Den Antony, Adelens Freund, gespielt.

Die Taufe hatte statt. Beruhigt sah

Nunmehr die fromme Truppe ausgestattet

Mit einer Eintrittskarte für den Himmel

Die Kleine, die als Kind sie adoptirt.

Ihr Pathe, Leo, erster Heldenspieler,[152]

Entfachte die Bewunderung des Küsters

Durch seine ernste, tiefe Frömmigkeit.

Das Fest verlief in wohlgelung'ner Weise;

Man fuhr zum Gabelfrühstück nach Asnières,

Zum Schauspiel war man in Paris zurück.

Mit Lustgeschrei begrüßten die Gamins

Die heit're Schar, in Wagen eingepfercht –

Und Bonbons wurden dem Pompier gespendet.


II.


Die Mimen haben stets ein gutes Herz,

Man stritt sich drum, das kleine Ding zu pflegen.

Die einen ließen Püppchen vor ihr springen,

Zur Probe brachten And're sie herab.

Die Duenna, bis sie an die Reihe kam,

Geduldig wiegt' das Kind sie auf den Armen,

Und wenn das Stichwort ihr gegeben ward,

An die Soubrette gab sie schnell es ab.

Kaum war die Kleine achtzehn Monat' alt,

Als Madame Armand, die der Stern der Bühne,

Sie gehen ließ allein, zum erstenmal,

Die ersten Schritte leitend auf den Brettern.

Doch welch ein Siegsgeschrei ward angestimmt,

Als eines schönen Tags Adele, plötzlich

Gehorchend den Befehlen jener Dame,

Den Eingang fand durch die bemalten Thüren,

Zum Garten hier und dort zum Hof des Schlosses,

Das aufgebaut war für ein neues Schauspiel.

Nun fing sie an zu plaudern, und die Mimen,

Sie lehrten Melodramensprüche sie,

Und als sie kaum Papa, Mama gestammelt,

Versuchte sie zu lallen: »Hohe Götter,

Verlaßt mich nicht in meiner Noth!« So mächtig[153]

Erwies sich die poet'sche Atmosphäre!

Jedoch Frau Armand, fromm auf ihre Weise,

Sie lehrt auch beten sie, und wenn ein Paar

In Liebesglück verstummte dort im Walde,

Da hört es murmeln hinter der Coulisse

Ein Stückchen pater noster, kaum verständlich.

Und es geschah wohl, daß ein heilig Wort:

»Erlös' uns von dem Uebel!« oder »Amen«

Geflüstert wurde zu dem Monolog

Des Treu' und Glauben höhnenden Verräthers.

So lebt Adele bis zum sieb'ten Jahr –

Sie fühlt sich glücklich, so geliebt zu sein,

Und fand natürlich all' die Unnatur.

Kaum schaute sie den Himmel und die Sonne,

Sie spielt' im Dunkel, wie ein Schmetterling,

In einer finstern Kammer eingefangen.


III.


In jener Zeit ging's uns'rer Bühne schlecht,

Der Sommer war erstickend heiß – man spielte

Durch lange Wochen stets vor leeren Bänken,

Die Menschen zogen vor, bei Wein und Bier

Allabendlich Musik im Frei'n zu hören.

Ein Melodram, das prachtvoll ausgestattet,

Es brachte nicht einmal die Kosten auf,

Und eine Feerie macht schmählich Fiasco.

Den Kopf verlor nun gänzlich der Director,

Verfolgt von Zetteln des Gerichtsvollziehers –

Der arme Mann! Es war kein scharfer Kopf!

Verzweifelnd wollt' zu guten Stücken jetzt

Er seine Zuflucht nehmen – ja, er dachte,

Ein Trauerspiel in Versen – aufzuführen!

Jedoch sein Regisseur rieth davon ab.[154]

Mit sanfter Stimme sagt' er dann: »Mein Herr,

Wie wär's, wenn wir ›die Waise‹ wieder brächten?«

Er schlug sich an die Stirne, rufend: »Das ist's!

›Die Waise‹ wird uns retten aus dem Abgrund.« –

Es war ein altes Boulevard-Melodram,

Das Zauberkraft besaß, den Augen Ströme

Von Thränen zu entlocken – schon der Name

Genügt', die spröde Menge anzuzieh'n.

Doch zu besetzen war die Waise schwer,

Ein zartes Kind, von Schurken einst gestohlen,

Sechs Jahre alt, gefühls- und anmuthsvoll,

Von grauenhaftem Unglück stets verfolgt,

Bis es im vierten Act die Mutter findet.

»Wer kann das spielen?« sagte der Director,

»Die kleine Stella schuf dereinst die Rolle,

Nun ist sie Gattin, Mutter zweier Kinder;

Wo fänden wir ein solches Mädchen jetzt,

Zu spielen so geeignet und zu sprechen?«

Der Regisseur mit einem schlauen Blick

(Es war ein Kenner) sagte: »Nehmt Adele!

's ist ein Theaterkind, ich steh' für sie –

Sie wird gefallen – seht, ich wag 'ne Wette!

Das ABC schon lernt sie auf den Brettern,

Ergriffen ist sie leicht von jedem Nichts,

Die Komödiantin liegt im Blute ihr.

Geboren ist sie für die Bühne, reizwoll

Wird der Theaterputz dem Lärvchen steh'n.«

Wie träumend sagt der Unternehmer: »Laßt

Es uns versuchen – Gott wird mit uns sein.«


IV.


Die Titelrolle gab man nun der Kleinen;

Begann die ersten Proben abzuhalten.[155]

Die Eltern hatten Skrupel – allzu schwächlich

Sei jetzt Adele noch – und allzu klein.

Jedoch ein täglich Handgeld von zehn Franken

Verscheuchte schnell die Sorgen und die Angst.

Behaglich wurd' es jetzt im kleinen Haushalt;

Und aus der Loge stiegen Wohlgerüche

Herauf zur Bühne von geschmortem Braten,

Von Schruten mit Kastanien – und das Kind,

Vor Freude wußt' es sich zu halten kaum.

Nun endlich sollt' es selbst Komödie spielen,

In einer eignen, einer großen Rolle!

Geschminkt wird sie nun werden, costümirt! –

Der alte Regisseur studirt' mit ihr,

Und als sie auf der Probe sich gezeigt,

War Jedermann des Sieges sicher. Denn

Die Kleine sprach wie eine junge Mars –

Und zuzuhören wußte sie vortrefflich,

Sogar mit einem Ausruf schon zu wirken.

Jetzt mußte die Reclame spielen – es

Belagert' der Director jede Zeitung.

War auch das alte Drama dumm und schlecht,

Die Sprache niedrig, sicher war er doch,

Nun Alles wieder auszugleichen, schnell

Den Abgrund seiner Schulden auszufüllen.

Adele prangte auf dem Anschlagzettel

Hoch über Frau Armand und über Leo;

Das war zu arg! und von dem Augenblick

Ward keines Wortes mehr das Kind gewürdigt

Von der, die ihre Schritte einst gelenkt –

Herr Leo drohte gar mit einer Klage!

Jedoch man gab das Stück – welch ein Erfolg!

Adele trat hervor und sah und siegte.

In Wahrheit war die Kleine wunderbar,

Nicht glich sie jenen armen Creaturen,[156]

Die Papageien gleich herunter plappern,

Was ihnen eingepfropft und was zur Folter

Dem Hörer wird und ihnen selbst zur Qual.

Sie lebte ihre Rolle, spielte nicht,

Die Künstlerin war staunenswerth, und doch

Blieb sie ein Kind mit allen seinen Reizen.

Ein Thränenstrom ergoß sich in dem Hause,

Wenn elend selbst und hungrig, sie den Armen

Die Blumen schenkt, die sie sich abgepflückt.

Hervorruf ohne Ende – zwanzig Sträuße

Bedeckten sie und langsam fiel der Vorhang,

Man schluchzte, schrie, rief: Bravo, Brava, Bravi!

Und eine Königliche Hoheit, die

Paris besuchte, ging sie zu umarmen

In Gegenwart von zehn Berichterstattern.

Ein Wahnsinn war's! Doch bracht' er Massen Goldes.

Und hochgepriesen wurde der Director

Ob seiner feinen Nase – bald bezahlt er

Sein ganzes Personal, dem er verschuldet.

Die Claque wird entfernt – erhöht der Eintritt

Und das Orchester gänzlich ausgeräumt.

Die feine Welt, die sonst dem Hause fern

Geblieben, schmückt es jetzt in vollem Staat,

Die Feuilletons alle sprachen von Adelen,

Erzählten jedes Wort, das ihr entschlüpft, –

Und der Cassirer rieb sich froh die Hände.


V.


Frohlocken wir nicht allzu früh, denn ach!

Das anmuthsvolle Wunderkind, da liegt es

Elendiglich – im Auge schon den Tod. –

Inmitten aller Blumen und Geschenke,

Berauscht, bethört, in ew'gem Feste lebend,[157]

Klagt oft Adele, daß der Kopf sie schmerze.

Ein Schauer schüttelt häufig ihren Körper,

Dann fährt sie mit der Hand sich an die Stirn

Und scherzt: »Es ist vorüber!« Eines Abends

Jedoch, als ihre große Scene sie

Beendigt, war ihr Antlitz so entflammt,

Daß alle Andern sie erschreckt betrachten,

Bis einer ein berühmter Possenreißer,

Sie fragt: »Warum bist du so stark geschminkt?«

Doch sie, die Stirne leis' berührend, spricht:

»Ich habe keine Schminke, aber Schmerzen.«

Sie spielte weiter – in der Nacht jedoch

Erkrankt sie schwer, gepackt von Fiebergluten.

Welch Mißgeschick! – Zwar ohne langes Zögern

Vertraut' man ihre Rolle einer Andern –

Umsonst – der Beifall schwand – das Haus blieb leer.

Der Arzt, er fürchtet für Adelens Leben.

Wie steht's mit ihr? so fragt besorgt ein Jeder,

Doch wärmsten Antheil zeigte – der Director.

In seine Wohnung hatt' er sie gebracht

Und pflegte sie mit väterlicher Liebe,

Die Nächte bei ihr wachend, legte Eis

Mit eig'ner Hand ihr auf den kranken Kopf,

Am Kleinsten auch ließ er es nicht gebrechen. –

In einer Nacht, sie lag im Fieberwahn

Und glaubt' zu sprechen mit dem Cassenschreiber,

»Hat man mein Bildniß heute oft verlangt?

Und war das Haus, wie sonst wohl, ausverkauft?«

So fragt sie – und man glaubte sie verloren –

Allein der Doctor ruft: »Sie ist gerettet!«

Und wirklich, nach vier Tagen ging's ihr besser.

Da strahlt in Freude Alles um sie her;

Nun wird das theu're Kind man wieder schau'n,

»Die Waise« wieder geben! – Die Collegen,[158]

Vor ihrem Bette waren sie versammelt;

Ein Glas ergreifend, welches der Director

Mit feinstem Bordeaux freundlich angefüllt,

Erhebt Adele sich und lächelt hold

Und spricht: »Euch trink' ich's – Euch gehör' ich wieder!«


VI.


In Eile wollte man beginnen jetzt

Zu spielen – doch gerathen schien's dem Arzte,

Vorher ihr eine Woche noch zu gönnen,

Damit in freier Luft sie Stärkung fände.

Ein reicher Fabricant von falschem Wein,

Senator auch und ein gewandter Schwätzer,

Clorindens, der Coquette, hoher Gönner,

Besaß in Courbevoie ein grünes Hüttlein,

Wo man zu zwei'n sich wohl befand. Clorinde

Bot an, sogleich das Kind dorthin zu bringen,

Damit es seine Kräfte wieder stähle

Zu neuen Kämpfen und, der Kunst zurück

Gegeben, die Theatercasse fülle.

Man einigt sich und läßt die beiden zieh'n.


Clorindens Villa war nur klein, jedoch

Ein Garten voller Frühlingsblumen lag

Vor der Veranda weithin ausgedehnt,

Von warmer Junisonne hell beschienen.

Dort angelangt, rollt' einen Lehnstuhl man

Hervor – er nahm Adelen auf – sie wurde

In weichen Polstern ganz und gar begraben.

Als nun das frische Bild sie vor sich sah,

Gewohnt an falsche Blumen nur, ans Licht

Des Gases, reflectirt vom Glase, rief

Sie aus: »Sieh da, das gleicht ja auf ein Haar[159]

Dem schönen Pack am End' des vierten Actes!«

Doch überströmte bald die Wonne sie

Des Ortes, wie sie keinen je geseh'n!

Durchdrungen von der holden Sonnenwärme,

Berauscht vom Duft der Blüten ringsumher,

Schloß sie die Augen, lispelnd: »O, wie köstlich!«

Und hingegeben süßer Mattigkeit

War sie vom Sitz nicht wieder zu entfernen.

O Gott, wie war das schön und gut und lieb!

Jedoch Clorinde, die zur Seite stand,

Sie war bestürzt von ihrem wirren Blicke.

»Geh'n wir ins Haus, Adele –« »O, noch nicht,

Hier lass' und bleiben bis zum Abend, bitte!«

Und als die Sonne war am Untergehen,

Erhob sie sich – doch weh! ein leiser Schauer

Durchbebt sie, als sie sich aufs Lager warf. –

Die freie reine Luft, die Sonnenflamme

Des Junitages, allzu stark berührt

Ihr zartes Wesen – neue Fieberglut

Erfaßt sie in der Nacht – sie redet irre,

Zur Klarheit kehrt ihr Geist nicht mehr zurück,

Und als der Morgen graut', war er entfloh'n.

's war eine Blume, blühend nur im Schatten,

Der erste Sonnenstrahl gab ihr den Tod.

Quelle:
Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 151-160.
Lizenz:

Buchempfehlung

Naubert, Benedikte

Die Amtmannin von Hohenweiler

Die Amtmannin von Hohenweiler

Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.

270 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon