Vierundsechzigstes Kapitel

Geburtstag.

[204] Zum Geburtstag sollen Kinder ihren Eltern zarte Aufmerksamkeiten erweisen, die hauptsächlich in einer persönlichen Leistung – Zeichnung, Handarbeit, Schnitzerei – bestehen sollen.

Sie sollen, wenn sie erst den nötigen Verstand haben, versuchen, diesen Tag den Eltern zu einem möglichst stimmungsvollen zu gestalten. Nichts erfreut Eltern mehr, als dankbare Kundgebungen ihrer Kinder.

Auch Eltern sollen ihren Kindern den Geburtstag als frohen Gedenktag ihrer Geburt zu einem möglichst fröhlichen gestalten, wozu nicht nur immer die übertrieben große Anhäufung von Geschenken, sondern die verschiedenen Maßnahmen für den Tag, die Art der Feier beitragen soll. Ein schöner Kuchen mit Geburtstagslichtern, frische Blumen verleihen jedem Geburtstagstisch ein festliches Gepräge.[204]

Ein paar Freunde oder Freundinnen einzuladen, sollen sie ihren Kindern zur Feier des Tages gestatten, diese aber bloß in einer den Verhältnissen angemessenen Weise aufnehmen. Junge Leute amüsieren sich leicht auch ohne besonders kostspielige Veranstaltungen.

Seine Freunde und Bekannten setze man nicht durch übertrieben kostbare Geburtstagsgeschenke in Verlegenheit, da solche Sachen abgeblicher Natur sind, worauf bei jedem derartigen Geschenk Rücksicht genommen werden muß.

Ein paar Blumen, Konfitüren, eine zierliche Nippesfigur genügen in den meisten Fallen, in denen man den Betreffenden nur seine Teilnahme an den Tag legen will.

Ein junger Herr darf einer jungen Dame, die ihm nicht nahe steht, höchstens einen Blumenstrauß zum Geburtstag senden.

Irgendein Wertgegenstand wäre in diesem Falle gegen den guten Ton und könnte leicht zurückgewiesen werden.

Geschwister untereinander sollten sich ebenfalls kleine Aufmerksamkeiten zum Geburtstage erweisen.

Die gemeinschaftlichen Sammlungen bei Geburtstagen von Lehrern und Lehrerinnen sind eine Unsitte und durchaus gegen den guten Ton. Sie gehören in das Gebiet der Zwangsmaßnahmen,[205] da sich der unbemitteltere Schüler aus Gründen des Anstandes ihnen nur schwer entziehen kann. Es möge jedes einzelne Kind seinem Lehrer nach persönlichem Können und Wollen zum Geburtstage in dankbarer Anerkennung eine kleine, seinen Verhältnissen angemessene Aufmerksamkeit erweisen Der wahrhaft gebildete, feinfühlige Lehrer wird sich gewiß über die einfache Blume des Ärmeren ebenso freuen, wie über die prunkhafte Gabe des Reicheren.

Hat man langjährige treue Dienstboten, so mache man ihnen ebenfalls irgendeine kleine Freude an diesem Tage. Und wenn die Gabe auch nur in einem Festkuchen besteht, so wird sich der Betreffende gewiß sehr darüber freuen und seinen Pflichten mit doppeltem Eifer obliegen. Gerade dem braven, treuen Dienstboten, dessen Dasein doch im allgemeinen nur in unausgesetzter Pflichterfüllung besteht, tut hin und wieder ein Sonnenstrahl der Liebe und der Herzlichkeit sehr wohl.[206]

Quelle:
Kallmann, Emma: Der gute Ton. Berlin 1926, S. 204-207.
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