Dreiundsiebenzigstes Kapitel

Kinder.

[226] Kinder hat man von Jugend auf an Höflichkeit zu gewöhnen.

Ein Knabe muß, sowie er Verständnis dafür hat, sein Mützchen ziehen, wenn er Erwachsene trifft, die im Elternhause verkehren. Ein kleines Mädchen macht einen Knix.

Man gewöhne die Kinder, den Erwachsenen beim Anziehen des Mantels behilflich zu sein, einer älteren Dame eine Fußbank, einen Stuhl zu holen, zurückzutreten, wenn sie mit Erwachsenen durch eine Tür gehen, nichts zu fordern, sondern zu warten, bis man ihnen eine Speise reicht, keine begehrlichen Blicke auf Näschereien zu werfen, die den Gästen eines Hauses serviert werden, keine häßlichen Worte nachzusprechen, die Sprache ihres Landes gut und rein zu sprechen, stets, auch wenn eine Strafe droht, die Wahrheit zu sagen, sich sauber zu halten, nicht zu prahlen, sich nicht hervorzudrängen, selbst wenn sie besonders[226] begabt sind, gegen jeden bescheiden und gefällig zu sein.

Kinder haben sich an der Unterhaltung Erwachsener nicht zu beteiligen, überhaupt nicht ungefragt zu sprechen, weil das gegen den guten Ton ist.

Kinder sollen nur auf speziellen Wunsch eines Gastes in den Besuchsalon gerufen werden.

Auch bei Gesellschaften im Hause haben Kinder nicht zu erscheinen, ebensowenig wie man sie zu den Gesellschaften anderer mitnehmen soll.

Kinder unter zwölf Jahren gehören im Winter um acht, im Sommer um neun Uhr ins Bett.

Man spreche zu Bekannten nur von seinen Kindern, wenn diese nach ihnen fragen.

In Gegenwart von Kindern verhandle man keine heiklen Themata, selbst in dem Fall, daß die Kinder nichts davon verstehen würden.

Man spreche nichts Nachteiliges über einen Erwachsenen in Gegenwart der Kinder.

Man rüge die Dienstboten nie in Gegenwart der Kinder.

Man kleide Kinder zierlich, aber unauffällig, vor allen Dingen nicht prunkhaft.

Man spreche nie in Gegenwart der Kinder von ihrem Äußeren. Ein Kind soll sich weder für häßlich noch für hübsch halten.[227]

Man halte auch bei Kindern auf peinlichste Pflichterfüllung und gestatte ihnen nie eine Schul- oder Stundenversäumnis, wenn diese nicht direkt notwendig ist. Kinder haben sich mit größter Pünktlichkeit der Hausordnung anzupassen. Pünktlichkeit gehört ebenfalls zum guten Ton eines Hauses.

Man gewöhne Kinder, wenn sie Besuch haben, ihren kleinen Gästen in allem den Vorzug zu lassen.

Es ist taktlos, Bekannten gegenüber die guten Eigenschaften seiner Kinder zu rühmen, ebenso wie deren Schwächen aufzudecken.

Man suche Kinder ohne Heftigkeit zu erziehen und nur in äußersten Notfällen strenge Strafen an ihnen zu vollziehen.

Einigermaßen gut geartete Kinder sind von Jugend auf durch vernünftige Vorstellungen und indem man an ihr Ehrgefühl appelliert, am besten zu erziehen.

Vor allen Dingen suche man den Kindern das lästige Schreien und Weinen bei jeder Gelegenheit abzugewöhnen.

Man gewöhne Knaben von Jugend auf, höflich gegen Mädchen zu sein.[228]

Quelle:
Kallmann, Emma: Der gute Ton. Berlin 1926, S. 226-229.
Lizenz:
Kategorien: