VI.

[Von 1838 bis 1847]

[200] J. 1838.

Nachdem ich im Monat Mai in dem acht Stunden Weges von Erlau entlegenen Markte meiner Diözese Pásztó, wo aus mehreren benachbarten Pfarreien die hinbeschiedenen Gemeinden sich einfanden, die hl. Firmung erteilt hatte, brach ich im Monat Juni über Wien nach Karlsbad auf, traf gegen Ende des Monats daselbst ein und bin dort über vier Wochen in der Trinkkur verblieben. Schon zu Anfang dieses Jahres schrieb ich dem Major Grafen von Gorcey, daß ich das für die k.k. Offiziere geschenkte Kurhaus noch ersprießlicher zu machen gesonnen sei, auf das erste noch ein zweites Stockwerk aufsetzen zu lassen, weshalb er mir ungesäumt die nötigen Bauüberschläge und Kostenausweise übersenden möge. Dies geschah, und bei meiner Ankunft fand ich den Bau schon der Vollendung nahegebracht und die früher hergerichteten Quartiere alle mit milit. Kurgästen besetzt, so daß ich meine rechte Freude daran hatte. Die Quartiere wurden auch durch die unermüdliche Sorgfalt des Majors Gorcey aus allseitigen Spenden gehörig und recht artig möbliert. Bei günstiger Witterung und in angenehmer Umgebung war die Trinkkur dort von erwünschter Wirkung für mich und die ersten Tage im Monat August vollbrachte ich die Reise über Budweis, Linz und Salzburg nach Hofgastein, um dort zur Badekur die gewöhnlichen einundzwanzig Tage zu verwenden. Nach diesen fuhr ich über die Radstätter Tauern abermals in das Drautal hinab, durch welches ich über Lienz, Bruneck und Brixen – wo ich bei meinem alten Freunde, dem Fürstbischof Galura zu Mittag speiste, nach Bozen kam. Von dort lenkte ich nach dem schönen Tal von Meran ein, welches zu sehen ich schon lange das Verlangen hatte, und fand das Städtchen und dessen Umgebung wahrhaft einladend, in besserer Jahreszeit, wie es jetzt häufig geschieht, einige Wochen daselbst zuzubringen. Von der Nachtstation Latsch führte mich der Weg über Trafoi das neuntausend Fuß hohe Stilfser Joch aufwärts nach Bormio[200] im Walliserland. Staunenerregend ist diese höchste Kunststraße in Europa allerdings; aber daß sie auf der Tiroler Seite fehlerhaft angelegt sei, ist gewiß. Die endlosen von Holz gebauten Galerien, die ich alle zu Fuß durchwanderte, würden eine Bedeckung von vielen tausend Joch Waldungen erfordern, die nicht nötig wären, wenn die Straße auf der entgegengesetzten Seite, wo keine Lavinen rollen, hinab bis zur Franzenshöhe angelegt worden wäre. Vor Santa Maria, auf der Grenzscheide zwischen Tirol und der Lombardei, passierten wir mehrere von Laubwerk zu Ehren des Kaisers errichtete Triumphbögen, der erst vier Tage vor mir zur Krönung nach Mailand diesen Weg gefahren war. Eben als die Sonne unterging, enthüllte sich die gegenüberliegende Ortlerspitze in einer unbeschreiblichen Glorie vor mir; sie war seither stets in Nebel gehüllt, und der Postillion, der jetzt meine Freude bemerkte, rief, ich könnte von Glück sagen, denn nur selten lasse er sich in solcher Reinheit sehen. Zwei englische Damen, die ich zur Mittagszeit in Trafoi gesprochen hatte, fuhren in einem offenen Reisewagen, jede ein Buch, wahrscheinlich eine Reisebeschreibung, in der Hand, mir seither nach, kehrten aber eine halbe Stunde vor Santa Maria, ohne dies herrliche Schauspiel gesehen zu haben, wieder zurück, um in Trafoi zu übernachten. Von Bormio, in deren Nähe ein häufig besuchtes Bad ist, brachte ich durch die Valtellina zwei Tage bis nach Como zu. – Unter Weges zogen besonders die Anpflanzungen der schönsten Maulbeerbäume meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich stieg auch vor einer Fabrik, wo die Ankäufe der Seiden-Cocons im Großen gemacht und diese durch Anwendung einer Dampfmaschine in hundertzwanzig Kesseln durch drei Stockwerke hinauf abgespult werden. Ich ließ mich von allem, Arbeit und Ertrag, genau unterrichten, da ich gleich nach meiner Übersetzung von Venedig nach Erlau Maulbeerbäume pflanzen und durch einige Soldaten des dort in Garnison liegenden italienischen, größtenteils aus Lombarden bestehenden Regiments meinen Obergärtner nebst einigen anderen Individuen in der Seidenmanipulation unterrichten ließ, nicht sowohl durch diese meine Einkünfte zu vermehren, als vielmehr die Kandidaten der Präparandie für Dorfschullehrer jährlich zur Zeit der Kultur praktisch unterrichten zu lassen, damit sie in der Folge im Stande seien, selbe unter dem Volk womöglich weiter zu verbreiten.

Staunenerregend sind die in der Gegend von Chiavenna und weiterhin durch Felsen gehauene Galerien, mit welchen, wie gesagt, jene an den drei nach Frankreich führenden Hauptstraßen weder an Menge noch Ausdehnung den Vergleich aushalten.

In Varenna, eine Post vor Lecco, riet mir ein Reisender, mich mit einem Schiffchen nach der eine halbe Stunde entfernten Villa Sommariva übersetzen zu lassen, denn von Como herüber, im Fall ich sie zu sehen wünschte, müßte ich eine Seefahrt von wenigstens[201] fünf Stunden machen. Ich folgte seinem Rat und sah dort nebst andern Kunstschätzen den Einzug Alexanders des G. in Babylon an den vier Wänden eines Saales in Marmor ausgeführt, von welchem mir Thorvaldsen selber das Modell in Rom gezeigt hatte; gewiß das schönste Werk en basrelief, das er verfertigte. Von Varenna, wo ich zurückgekehrt zu Mittag speiste, kam ich über Lecco erst um zehn Uhr nachts in Como an. – Alle Welt bedauerte mich, daß ich nicht ein paar Tage früher gekommen war, um die herrlichen Feste, besonders die Illumination am See und auf den Höhen, die sich wieder in diesem spiegelten, [welche] dem nach Mailand reisenden Kaiser zu Ehren gegeben wurden, sehen zu können; aber ich kam nicht nach Como, um Festen beizuwohnen, sondern mich dort durch einige Tage im Anblick der schönen Natur zu vergnügen und bei meinen wieder heftiger werdenden Gesichtsschmerzen vielmehr zurückgezogener zu leben. Sowohl der Vizekönig als auch der Minister Graf v. Kolowrat, jener schriftlich und dieser mündlich in Wien, hatten mich wiederholt aufgefordert, als Ritter der Eisernen Krone 1-ster Klasse dem Krönungsfest in Mailand beizuwohnen, da man gerne aus allen Teilen der Monarchie dort vereinte Gäste sehen möchte. Es war auch daselbst bereits ein entsprechendes Quartier für mich bestellt. Kaum hatte ich dem Vizekönig meine Ankunft in Como zu wissen getan und mich wegen meines Nichterscheinens bei dem Feste entschuldigt, so ließ er mir durch seinen Kabinettsdirektor Hofrat von Grimm schreiben, daß ich incognito kommen möge, wenn ich nicht öffentlich erscheinen wollte. Aber wie konnte ich das? Wie war ein incognito von meiner Seite möglich? Es wäre mir nichts anderes übrig ge blieben, als ungesäumt bei den allerhöchsten Herrschaften, Ministern, geistlichen und weltlichen Autoritäten der Reihe nach Aufwartungen und Visiten zu machen, was ich aber vermeiden wollte. Ich schickte also meinen Geistlichen, den Zeremoniär, statt mir nach Mailand, damit er sich alle die Herrlichkeiten besehen könne, blieb fünf volle Tage in Como, fuhr mit meinem gemieteten Schiffchen in völliger Hingebung an seine reizenden Umgebungen auf dem See die Kreuz und die Quer herum, besah die merkwürdigsten Villa's – die Villa Pliniana wiederholt – in Gesellschaft zweier dortigen Professoren, von welchen Odescalchi geschätzte historische Werke herausgab, und besuchte auch das alte Schloß Baradello, das auf einer bedeutenden Höhe liegt, von welcher ich den Monte Rosa, bekanntlich den schönsten Berg nach dem Montblanc, in der Beleuchtung der Abendsonne, wo er ganz vorzüglich seinem Namen entsprach, mit ihnen zu bewundern die Gelegenheit hatte. – Durch das wunderschöne Tal von Varese fuhr ich nach Laveno am Lago Maggiore, und da ich bei meiner betrübten nächtlichen Abfahrt von Arona (s. S. 38) in dortiger Jugendzeit die bewunderte, mit[202] dem Postament hundertzwölf Fuß aufragende kolossale Statue des hl. Karl Borromäus nicht besehen konnte, so ließ ich mich durch ein paar kräftige Schiffer bis in die Nähe des Städtchens hinabführen, erstieg die Höhe, auf welcher sie steht, und fand die Stelle nicht günstig, die man ihr angewiesen hatte, denn gleich außer Arona erhebt sich vom Ufer ein steiler Felsen, von welcher sie viel erhabener zu schauen gewesen wäre. Von Baveno, wo ich übernachtete, führte mich der Weg über Domodóssola auf der herrlichen, von Napoleon erbauten Kunststraße bis zu dem Markte Simplon hinauf, wo es gut gewesen wäre, rücksichtlich des Einkehrens der Einladung der Posthalterin zu folgen, denn kaum begannen wir bei einfallender Dämmerung jenseits abwärts zu fahren, so flog uns ein furchtbares Donnergewitter entgegen, das uns zwei Stunden lang unter unaufhörlichem Blitzen, Krachen und Rauschen des Regens bis zu einem einsam gelegenen Gasthof auf halbem Wege nach Brig hinab begleitete. In der stockfinsteren Nacht habe ich oben das Hospiz bei einem leuchtenden Blitzstrahl nur auf einen Augenblick ersehen können.

Bei schönster Witterung setzte ich über Brig, Sitten (Sion) und Martigny durch das Walliser Land meine Weiterreise bis St. Maurice fort, in deren Nähe eine aus der alten Römerzeit sich erhaltene Bogenbrücke und der sonderbare Wasserfall, Pisse Vache genannt, die Aufmerksamkeit der Reisenden auf sich zieht. –

Größtenteils auf der piemontesichen Seite fuhren wir den bläulichen, wunderschönen See immer im Auge der vielbetonten Stadt Genf entgegen, wo wir gegen fünf Uhr abends anlangten. Die Lage der Stadt ist ausnehmend schön, aber sie selber hatte ich mir imposanter vorgestellt. Meiner Gewohnheit nach ließ ich mich durch einen Lohnbedienten sogleich herumführen dahin dorthin, wo es ihm beliebte. Wir kamen einem kleinen Haine nahe, wo er sagte: »Hier ist J.J. Rousseaus Büste zu sehen.« Ich warf erschrocken ein paar Blicke nach seinem geisterhaften Gesichte hinauf und ging von heimlichem Schauder ergriffen weiter. Möge er als eines der größten Genies des 18., sogenannten philosophischen Jahrhunderts gerühmt werden, ich werde nichts dagegen einwenden; aber er, der in seinem »Emile« ein umfangreiches Werk über die Erziehungskunde schrieb und dann sein eigenes Kind dem Findelhause zur Erziehung übergab, er, der durch seine infamen Bekenntnisse seine größte Wohltäterin Madame Warens der öffentlichen Schande preisgab, er, der ihre Zofe, ein gutes, unschuldiges Mädchen, des Diebstahls beschuldigte, den er selber beging, und der in teuflischer Verstocktheit sehen konnte, wie sie mit Schmach überhäuft aus dem Hause gejagt wurde, ohne daß er seine Lüge widerrufen hätte – ist gewiß ein verabscheuungswürdiger Mensch, möge er auch noch so schöne Werke geschrieben haben. All der Zauber, der aus seiner »Nouvelle Héloise« strömt,[203] wird solche Schandtaten nie verhüllen. Man hat freilich dies alles als Folge seiner finstern Hypochondrie und seines Paradoxa liebenden Geistes ausgegeben und selbst die Lügen als ersonnen angeben wollen; aber es ist gegen die menschliche Natur, daß sich jemand solcher Laster anklagen sollte, die sein Andenken noch bei der spätesten Nachwelt brandmarken werden. – Mögen die Anhänger Calvins sich dessen rühmen, daß sie die Standbilder der größten Wohltäter der Menschheit, eines Franz von Sales, eines Karl Borromäus, eines Vinzenz von Paula und anderer von ihren Fußgestellen gestoßen und dafür jenes des J.J. Rousseau erhöht haben, ich werde sie um diesen Ruhm nicht beneiden!

Mit dem Professor Dr. Peschiers fuhr ich nach Saxonnex, um von dort den Montblanc zu sehen, aber er war leider in Nebel gehüllt. Prof. Peschiers ist der Redakteur eines homöopathischen Journals. Nachdem ich in Ermangelung von Postanstalten für meinen Reisewagen bis Schaffhausen einen Mietkutscher gedungen hatte, so fuhr ich mit dem Dampfschiff nach Lausanne hinüber. Den folgenden Tag führte mich der Weg im größten Regen, der unausgesetzt drei Tage lang anhielt, nach Freiburg. Auf der Überfahrt nach Lausanne lernte ich den Leibarzt des Herzogs von Schwerin, Dr. Hennemann, und seine treffliche Gattin kennen, in deren Gesellschaft ich nun die im Münster von Freiburg befindliche große Orgel hören wollte, aber der Organist war nirgends zu finden. Abends besuchte ich den allverehrten Herrn Bischof Jenny; hätte auch die Erziehungsanstalt im Jesuitenkollegium gerne gesehen, aber der Regen goß sich in Strömen herab, und so fuhr ich morgens über die merkwürdige Drahthängebrücke nach Bern, trennte mich dort von Dr. Hennemann und seiner Gattin voll Dankbarkeit für ihr mir bewiesenes Wohlwollen und übernachtete in Entlebuch, von wo ich dann zeitlich in Luzern ankam. Den schönen Vierwaldstätter See konnte ich dort leider nur teilweise sehen, da ich mich über die gedeckte Brücke mit dem Regenschirm in der Hand hinaus an seine Ufer begab und dort, was weiter hinab sich geschichtlich begeben haben soll, in buntem Gewirr vor meines Geistes Augen vorüberflog. – Nachmittag besah ich das in der Höhlung einer steilrechten Felswand errichtete Monument der bei der Verteidigung der Tuilerien 1792 gefallenen Schweizer. Ein trauernder, nach dem von Thorvaldsen gegebenen Modell schön gearbeiteter Löwe ist der Gegenstand desselben, das Modell befindet sich in der nahen Wohnung des Wächters, eines langgestreckten, komischen Alten, der mir viel Spaß machte, denn er selber, einer von den wenigen dem dortigen Blutbad mit Mühe entkommenen Garden, besitzt noch das rote Gardistenkleid, das er da mals trug. Er eilte nach seiner Kammer, zog es an und schritt dann wohl eine halbe Stunde lang[204] vor mir im Soldatenschritte auf und ab, indem er mit vielen Gestikulationen von jenen Schreckensszenen erzählte. –

Morgens vor der Abreise besah ich auch noch Pfyffers Modell der Schweiz, und fuhr dann bei endlich aufgeheitertem Himmel froh nach Zürich fort. Der freundliche See, an dem die Stadt liegt, war mir von der Jugend her, als ich Klopstocks schöne »Ode an den Zürcher See« las, in wertem Andenken. Der Gasthof, in dem ich wohnte, lag hart am Ufer desselben und bot von einer über dem First des Daches errichteten Altane eine herrliche Aussicht auf ihn hin. Mit innigem Vergnügen besuchte ich Geßners Denkmal und reiste zeitlich frühe dem Rheinfall und Schaffhausen entgegen. Ehe ich die Stadt erreichte, stieg ich dem Rheinfall gerade gegenüber von meinem Wagen ab, eilte durch dichtes Gebüsch bis zu dem Flußbett hinunter, in welchem er sich über siebzig Fuß hohe Felsmauern herabstürzt, und sah lange betrachtend nach ihm hin. Das Großartige wie einst findet man an ihm nicht mehr und findet den Grund in dem Verschwinden von der Flut losgewühlter Felsmassen, die früher aus ihm emporragten. So dünkte es auch mich, er sehe einer großen Wehre vor einer Mühle ähnlich. Ich habe ihn im 10-ten Gesang meines »Rudolph von Habsburg« poetisch beschrieben und glaube, daß der Tod des nach ihm sich sehnenden unglücklichen Hartmann dem Ganzen die besondere Pointe gibt. In Schaffhausen wollte ich Herrn Friedrich Hurter, dem Verfasser der Geschichte Papst Innozenz III., gewiß des gediegensten Werkes seiner Art, besuchen, fand ihn aber nicht zu Hause, denn er war in Mailand bei der Krönung anwesend. In Schaffhausen nahm ich also Abschied von der sonst so lieben Schweiz!

Durch das schöne Höllental kam ich nach Freiburg im ehemaligen Breisgau. Nachdem ich den herrlichen Dom, der allein unter den deutschen oder gotischen Münstern von innen und von außen vollendet, aber leider innen links am Chor durch ein paar neuere Marmorsäulen entstellt ist, besehen hatte, machte ich noch auf einer Anhöhe über der Stadt, wo sich nach allen Seiten die herrlichste Aussicht darbot, einen angenehmen Spaziergang und brachte abends ein paar Stunden bei dem Erzbischof Demeter zu, der mich aber mit der trostlosen Nachricht überraschte, daß die Gattin des Baron Cotta erst kürzlich auf seinem Gute in Dotternhausen gestorben sei. Ich war einige Augenblicke vor Schreck und Herzleid außer mir, denn diese treffliche Gattin, Mutter und in jeder Hinsicht ausgezeichnete Frau ist mir sehr teuer geworden, und ich dachte mit Angst an den Augenblick, wo ich mit ihm nächstens in Stuttgart zusammentreffen würde – nach einem solchen Verluste!

Als ich den folgenden Tag zu Mittag, wo sich eben alles zur Table d'hôte niedersetzte, Kehl erreichte, raunte mir der Postmeister[205] und Gastwirt die Frage in das Ohr, ob ich nicht den Münster drüben in Straßburg sehen wolle? Ich sagte, daß mein Paß nur auf Deutschland und Italien laute, er aber war bereit, mich mit seiner eigenen wohlbekannten Gelegenheit hinüberführen zu lassen, und nach dritthalb Stunden wär' ich wieder zurück, um meinen Weg von Kehl weiter fortsetzen zu können. Wer hat nicht von dem berühmten Münster von Straßburg gelesen und wer, der ihn sah, hat ihn nicht als eines der größten Meisterstücke der mittelalterlichen Baukunst bewundert? Mich hat sein Äußeres mehr in Erstaunen gesetzt als sein Inneres, wo der Hochaltar in neuem Stile erbaut den ganzen Zauber der Architektur zerstört. Noch besah ich das Monument des Marschalls von Sachsen in der Thomaskirche, fuhr durch die Hauptplätze und Straßen der Stadt, und sah bei der Rückfahrt an der Douanenlinie vor der Brücke von Kehl mit Grausen, wie die französischen Douanenbeamten die Reisenden zu behandeln pflegen; ein vom Wagen herabgerissener Koffer lag offen im Kot und Kleider nebst andern Effekten um ihn herum zerstreut – die Eigner jammernd und jene ergrimmt noch mals alles durchstöbernd; dieser Anblick vergällte mir die ganze Hinüberfahrt.

In Rastatt, wo ich übernachtete, drängten sich in der Erinnerung so manche Ereignisse aus der französischen Kriegs- und Kongreßzeit an mich heran. Da eben der Tag des Herrn einfiel, so wohnte ich dem Gottesdienste in der hübschen katholischen Kirche in Karlsruhe bei, speiste zu Mittag in Pforzheim und kam abends spät glücklich in Stuttgart an. Am andern Morgen suchte ich meinen Freund Baron von Cotta auf. Als er weinend an meiner Brust lag und schluchzte wie ein Kind, ach da ahnte ich es tief, welch ein Verlust der seine war! Solche zerstörte Verhältnisse lassen sich anderswo nicht wieder anknüpfen. Es sind seitdem beinahe zehn Jahre verflossen; er hat sich nicht wieder verehelicht und lebt ganz dem Wohl seiner sieben Kinder als ein unermüdet tätiger und liebender Vater! –

Ohne beträchtlicher Unterbrechung setzte ich meine Weiterreise von Stuttgart über München, Salzburg nach Wien fort und kam gegen Ende Oktober daheim in Erlau wieder an.


J. 1839.

Am 2-ten Juni wurde der Landtag in Preßburg eröffnet; ich wohnte demselben einige Wochen bei und fuhr dann gegen Ende des Monats nach Karlsbad, wo ich vom 2-ten Juli angefangen bis 29-sten die Trinkkur brauchte. Während dieser Zeit geschah es, daß mich Seine kön. Hoheit, Friedrich Wilhelm, Kronprinz von Preußen, nach Marienbad, wo er sich ebenfalls wegen der Trinkkur schon seit einigen Wochen aufhielt, freundlich zu sich einladen ließ. Als ich kam, wurde mir die allerhuldvollste[206] Aufnahme; durch zwei Stunden, die er in der großen Allee auf und ab wandelnd zubrachte, kam ich nicht von seiner Seite; auch vor Tische sollte ich eine Stunde früher kommen, damit wir, wie er sagte, recht nach Herzenslust zusammen schwätzen könnten. Das geschah dann auch während und nach dem Mittagessen und wo mir auch die herrliche Frau, die Prinzessin Wilhelmine von Preußen, Tochter des Großherzogs von Weimar, sehr viele Freundlichkeit erwies. Ich kehrte abends vergnügt nach Karlsbad wieder zurück. – In der Freude meines Herzens ließ ich gleich den folgenden Tag ein Exemplar meiner bei Cotta erschienenen Sämtliche Werke, Tunisias, Rudolph v. Habsburg und Perlen der hl. Vorzeit von dem Buchhändler holen und sandte sie dem Kronprinzen mit einem Danksagungsschreiben für die gütige Aufnahme zu. Aber am selben Tage kam er selber ganz unvermutet von Marienbad nach Karlsbad herüber, um da seine Schwester, (wo ich nicht irre), die Kronprinzessin von Holland, in der Durchreise zu begrüßen.

Bald darauf erhielt ich einen Brief von ihm, den ich als ein Muster von Güte und herzlichem Wohlwollen in den rückwärtigen Beilagen anführen will. – Schon in Marienbad sprach er über den Ausbau des Kölner Doms sehr viel mit mir, nachdem ich mich über den Plan, den ich hinsichtlich dessen in Köln selber vernahm, mit Enthusiasmus geäußert hatte. Das große Werk ward seitdem herrlich begonnen!

Noch muß ich einer ehrenvollen Überraschung erwähnen, die mir zwei Tage nach meiner Ankunft, nämlich am 4-ten Juli, geworden ist. Ein paar ansehnliche Kurgäste kamen Nachmittag zu mir und luden mich ein, mit ihnen gegen den Posthof einen kleinen Spaziergang zu machen, da sie mir unter Weges etwas Neues zeigen wollten. Wir lenkten an der sogenannten Neuen Wiese links auf dem Wege, der nach Hammer führt, ein und kamen bis zu dem Bräuhause, wo ein vorspringender Fels die zwei letzten Gebäude verhüllt. Dort gewahrte ich eine große Schar Herrn und Damen und Männer und Frauen der Bürgerklasse Karlsbads alle in festlichen Kleidern vor dem Militärkurhause, welches ich demselben gewidmet hatte. Als ich dort anlangte, ertönte Instrumentalmusik, unter deren Begleitung ein Festlied von dem vortrefflichen lyrischen Dichter Philipp Körber, k.k. Hauptmann, gedichtet und von dem anwesenden bekannten Compositeur Baron von Lannoy in Musik gesetzt, gesungen wurde; in den Refrain stimmte jedes Mal die ganze Menge ein, da an sie das gedruckte Lied verteilt und mir von dem Militärkommandanten Grafen von Gorcey und dem Bürgermeister der Stadt[207] Karlsbad, Lenhardt, ein Prachtexemplar überreicht wurde. Die Danksagungsrede, die Major Gorcey darauf im Namen aller seiner in den Reihen der k.k. Armee befindlichen Kameraden hielt, war herzergreifend, gerührt weinten fast alle Anwesenden – ich vor allen. Nun trat der Stadtdechant und Pfarrer mit seinen zwei assistierenden Kaplänen im Kirchenornate heran und nahm unter den üblichen Zeremonien die Weihe des Hauses vor. In Begleitung mehrerer der anwesenden in- und ausländischen Herrn und Damen nahm ich dann das ganze Haus und dessen durch Major von Gorcey trefflich besorgte Einrichtung in Augenschein und kehrte von dieser unvermuteten Szene tief erschüttert schweigend heim. Nach vollendeter Trinkkur begab ich mich wieder nach Preßburg zum Landtage zurück und wohnte ihm bis zum Schlusse desselben am 13-ten Mai des folgenden Jahres bei.


In diesem Jahr begann ich auch ein Werk, welches in hiesiger Gegend sehr hoch gestellt wird, und welches sich in der Folge der Zeit immer wichtiger und vorteilhafter für selbe herausstellen dürfte, nämlich die Herstellung einer Seitenstraße, welche auf der kürzesten Linie über Erlau die oberen Komitate, besonders das Gömörer und Neograder mit dem hiesigen bis an die Theiß und von dort bis nach Debrezin verbinden solle. – Früher gelangte man auf einem über Berg und Täler beinahe drei Stunden dauernden beschwerlichen Waldweg nach dem Markte Apátfalva und von dort über Szilvás, Dédes und Bánhorváth hinaus auf die nach Miskolcz führende Putnok-er Hauptstraße, in welche beinahe von den oberhalb liegenden Bergstädten angefangen sehr viele Seitentäler mit zahlreichen Städten, Dörfern und Fabriken bald durch größere, bald durch kleinere Verbindungswege einmünden. Ich zweifelte gar nicht, daß durch das nördlich hinter Erlau liegende Szarvaskö-er (Sarwaschkö = Hirschsteiner) Tal, wo über dem Dörfchen gleichen Namens die Ruinen einer vormals merkwürdigen alten Ritterburg von einer steilen Felsenhöhe aufragen, diese kürzere Straßenlinie erzielt werden könnte; aber die Erforschung dieser Strecke war nicht ohne Gefahr, denn bald oberhalb des Dörfchens verengt sich das ohnehin enge Tal zu einer unbefahrbaren Bergschlucht, wo die links und rechts aufgetürmten Felsenwände dem vorbeirauschenden Waldbach keinen andern Raum gönnen als den, der durch ihre beiderseitigen Füße eingezwängt ist. Nicht einmal ein Fußsteig war dort zu ersehen, und man mußte rückwärts durch Umwege den beschwerlichen Schloßberg ersteigen, um dann durch die höher liegende Waldung weiterkommen zu können. Ich setzte mich mit dem Pfarrer von Apátfalva auf einen mit vier tüchtigen Pferden bespannten Leiterwagen und fuhr von oben gegen Erlau in dem Rinnsal des Waldbaches herab, bis wir endlich unterhalb des Schlosses, wo er am engsten ist, in die Verlegenheit kamen, fast nicht weiter vor noch rückwärts gelangen zu können, denn dicht besät mit großen Felsentrümmern, wo bald die eine, bald die andere Seite des Wagens mit beiden Rädern in der Luft schwebte, war das Umwerfen jeden Augenblick zu befürchten und am Ende keine andere Aussicht des Weiterkommens denkbar, als sich von einem Felsenblock auf den[208] andern fortzuschwingen, und wo es nicht weiter ginge, durch das kalte Wasser im Spätherbst lange fortzuwaten, bis endlich ein niedrigeres Ufer das Heraussteigen möglich machen würde, und den Wagen dann durch die Bauern gegen guten Lohn stückweise nach dem Lande schaffen zu lassen.

Diese Strecke war es vorzüglich, die den ganzen Straßenbau den Hierländischen, die nie von einer solchen Arbeit, wie ich sie vorhatte, etwas gesehen oder gehört haben, beinahe für unmöglich – ja als eine abenteuerliche Unternehmung erscheinen ließ. Doch mein Plan war gefaßt und, Schwierigkeiten zu überwinden, ein nur desto größerer Antrieb für mich! Ich ließ demnach durch einige Arbeiter, die mit dem Sprengen der Felsen durch Schießpulver umzugehen wußten, an dem rechten Ufer des Baches, auf welchem das Dorf Szarvaskö liegt, die Felswand von oben herab absprengen, um die gehörige Breite für ein Wagengeleise zu erhalten; wo sie aber zu weit vorsprang, von den abgelösten vielen und großen Trümmern vom Bach herauf feste Mauerwände in erforderlicher Böschung, aufführen. Daß diese beschwerliche Arbeit nur langsam von Statten ging, ist leicht zu erachten.

Da aber in dem beinahe sechs Stunden langen Tale mehrere bedeutende ebene Strecken sich vorfinden, so forderte ich die betreffenden zwei Komitate, Borsod und Heves, dringend auf, die in ihrem Bezirke liegenden Strecken zum allgemeinen Besten durch Handarbeit und Fuhrwerk der unterstehenden Bewohner herstellen zu lassen, was dann auch durch Beschluß der General-Kongregationen nach und nach zur Ausführung kam; nur dort, wo an den Bergseiten Felsen abzusprengen waren, mußten meine in diesem Fach geübten Arbeiter auf meine Kosten wieder das ihrige leisten, und so wurde diese wichtige Unternehmung im J. 1843 glücklich vollendet. Deshalb wurde auf Betrieb des den Straßenbau leitenden Borsoder Oberstuhlrichters an der oben beschriebenen Stelle, wo das Absprengen der steilen Felswand den ganzen Straßenbau entschied, in diese eine rote Marmortafel eingelassen, welche die Inschrift enthält:

Mig e köszirt áll, dicsöittetni fog nagy neved Patriarka-Egri Érsek Pyrker János László ezen ut létrehozásáért 1846.

So lange diese Felsen dauern, wird dein Namen verherrlicht sein Patriarch Erzbischof Joh. Ladislaus Pyrker für die Erbauung dieser Straße – 1846.

Seitdem kommen aus den oberen Gegenden jährlich viele hundert Wägen hier durch, welche entweder als Transito-Fuhren oder des Fruchthandels wegen der Stadt Erlau eine neue Erwerbsquelle zum Besten geben.


J. 1840.

Nach geendigtem Landtage zu Hause angelangt, fand ich einen von Herrn Wache, 1-sten Kammerdiener der Kaiserin-Mutter, an mich gerichteten Brief, worin er mir schrieb, daß mit Genehmigung der Kaiserin-Mutter zum Besten des Instituts der Barmherzigen Schwestern in Wien ein von den vorzüglichsten Schriftstellern Österreichs bereichertes und schön ausgestattetes Album, wozu man auch von mir einen Beitrag wünsche, herausgegeben werden solle. Beinahe seit zwanzig Jahren, als meine »Tunisias«, »Rudolph von Habsburg« und »Perlen der hl. Vorzeit« erschienen waren, widerstand ich allen derlei Aufforderungen entschlossen, nichts weiter zum Druck zu befördern; so war mir[209] denn auch diese unerfreuend im höchsten Grade. Über drei Wochen lag der Brief im Kouvert auf meinem Tische, und ich blickte öfters mit Bangigkeit nach demselben hin. Eines Morgens im Juni, wo ich in meinem Hausgärtchen auf und ab ging, fiel es mir ein, daß der verehrte Pfarrer Hauber, Herausgeber mehrerer Erbauungsschriften in München, mich schon vor einigen Jahren zu einem ähnlichen Zwecke um ein paar Legenden der Heiligen angegangen habe; da dachte ich mir, nun so will ich denn solche für jenes Album liefern; erinnerte mich schnell, daß der hl. Martin, der seinen Mantel mit dem Armen teilt, der hl. Papst Gregor der Gr., der Pilger und Arme bei sich bewirtet, die hl. Elisabeth, Landgräfin von Thüringen, welche die Kranken pflegt, und die hl. Katharina von Siena, die so gerne den verschämten Armen hilft, sich vorzüglich zu solchen oben berührten Legenden eignen würden. Ehe ich in mein Zimmer zurückging, war die erste dort im Gärtchen auf das Blatt geworfen; die andern drei folgten ihr in ein paar Tagen nach, und ich war herzlich froh, die Last von meinem Herzen abgeschüttelt, dem Ansinnen entsprochen und das Manuskript mit den vier Legenden zur Einrückung in das besagte Album nach Wien abgeschickt zu haben. Indessen war dies die Veranlassung, daß ich mich nach einigen Legendenbüchern umsah, deren über dreihundert durchlas und fand, daß sich etwa nur siebzig an der Zahl mit poetischem Anstrich in metrischer Form behandeln ließen, was aber gerade der Zahl der Sonn- und Festtage des ganzen Jahres entsprechen würde. Aufgeregt, wie ich nun einmal durch jene Arbeit war, geschah es denn auch, daß ich auf einem kleinen Ausflug in das Tornaer Komitat (dort die berühmte Aggteleker-Höhle, die zwar ob ihrer weiten Räume und breiten Wölbungen sehr merkwürdig ist, aber im Ganzen von der Adelsberger Höhle in Krain weit übertroffen wird, zu sehen und auch die schöne Prämonstratenserabtei von Jászó zu besuchen), auf der Hin- und Herreise nach meiner Gewohnheit im Wagen sitzend ein Dutzend derselben niederschrieb. Heimgekehrt, suchte ich in der großen Lyzeums-Bibliothek die historischen Notizen aus den dort befindlichen Quellen zu allen den Legenden auf, die ich zu bearbeiten beschlossen hatte, und die hernach denen im Druck erschienenen Legenden als Anmerkungen angereiht wurden. Die Zeit meiner Badereise war herangekommen. Sowohl auf der Strecke bis Wien, von dort bis Hofgastein und während meines dreiwöchentlichen Aufenthaltes daselbst, dann wieder auf der Rückreise bis Wien war ich fortwährend mit der Niederschreibung der Legenden beschäftigt, so daß ich, was mir selber oft als unbegreiflich erscheint, gerade bei der Einfahrt in die Linien Wiens unter hervorbrechenden Tränen an den letzten Zeilen des Epilogs schrieb, der das siebzigste Stück jener metrischen Kompositionen ausmacht. Noch in meinem Quartier in der Stadt[210] konnte ich mich von der tiefen Aufregung, die mir der Gedanke, diese Arbeit vollbracht zu haben, verursachte, lange nicht losmachen. Die große Anstrengung hatte meinen Nervenzustand, folglich auch meine Gesichtsschmerzen erhöht, und so kam es denn auch, daß meine körperlichen Kräfte für eine geraume Zeit gesunken blieben. Und dennoch beschäftigte mich im folgenden Winter, während welchem ich in den Abendstunden mich beinahe täglich in einem geschlossenen Gange zu ergehen pflegte, der Gedanke, daß ich wohl bisher von den »Perlen der hl. Vorzeit« an dem Urstamm des Christentums gelagert mein Saitenspiel habe ertönen lassen, daß ich in den Legenden die herrlichen Früchte des Christentums besungen, aber aus der heiligen Zeit selber, in welcher ihr göttlicher Stifter und seine ersten Jünger auf Erden wandelten, noch nichts aufzuweisen habe; die Bilder aus dem Leben Jesu und aus jenem seiner Apostel schienen mir einen passenden Stoff zu derlei – zwar sehr schwierigen, denn wie leicht ist es bei ihrer einfachen göttlichen Erhabenheit zu viel oder zu wenig zu sagen – Schöpfungen zu bieten. Die Hl. Schrift als die reinste Quelle an der Hand dauerte es dann auch nicht lange, so waren sie in jenen einsamen Abendstunden zu Stande gekommen. Auf sorgfältigeres Polieren und Verbessern verwendete ich jetzt noch keine Zeit, da ich sie nur für vorläufige Entwürfe ansah, mit welchen ich auch bei besserer Muße und Lust hoffte Genüge leisten zu können.


J. 1841.

In diesem Jahre hatte ich den 12-ten Februar als den Geburtstag meines sel. Kaisers und huldvollsten Herrn Franz I. zu dem Momente gewählt, wo ich ihm, der so ausnehmend wohlwollend für mich dachte und handelte, ein öffentliches Denkmal der Dankbarkeit errichten konnte. Ich besaß nämlich in der Stadt Wien, Renngasse Nr. 153, eigentümlich ein sehr hübsches, vier Stockwerke hohes Zinshaus, welches ich in günstigen, vorzüglich noch aus meiner Venezianer Lebensepoche herrührenden Umständen erworben hatte und welches über einmalhunderttausend Gulden C.M. wert ist, da der jährliche Zinsertrag über sechstausend Gulden betrug. Mit diesem Hause machte ich am besagten Tage urkundlich eine Stiftung für erwachsene Blinde zum Andenken an S.M. Kaiser Franz I. von Joh. Ladislaus Pyrker 1841. (Erst später, da ich anfangs dagegen war, wurde mein Name beigefügt). Diese Worte sind auf der Frontseite des Hauses mit vergoldeten Buchstaben zu lesen. Das Institut, welchem das Haus durch diese Schenkung zufiel, steht unter dem Protektorate des Erzherzogs Franz Karl, der auch die Urkunde darüber ausfertigte. (Die Urkunde lautet vom 10. Sept. 1841.) Für unvorgesehene Zufälle hatte ich mir einstweilen von dem jährlichen Zinsertrag 3000 F.C.M. in zwei Raten zu Georgi und Michaeli[211] zahlbar bis zu meinem Tode vorbehalten; seitdem aber schon tausend Gulden davon abgeschrieben fest entschlossen, auch den noch übrigen Rest nach und nach dem Institute zu erlassen. –

Nachdem die Ärzte eine wiederholte Trinkkur in Karlsbad für nötig erachteten, so begab ich mich auf die Reise und verweilte vom 2-ten Juli bis Ende des Monats daselbst. Herr Heinrich Laube war eine neue, interessante Bekanntschaft für mich; er fragte mich, ob ich nicht etwas Neues im lit. Fach bereit hätte? Ich sprach von den »Bildern aus dem Leben Jesu und der Apostel« als von dem Neuesten und gab ihm auf sein Verlangen das Manuskript zur Durchsicht mit, denn ich hatte es daheim eingepackt, um daran, wenn Zeit und Muße es erlaubten, so man ches verbessern zu können. Nach ein paar Tagen kam er mit dem Leipziger Buchhändler B.G. Teubner zu mir, der mich darum zu bestürmen nicht nachließ, bis ich es ihm vorzüglich aus Rücksicht für Herrn Laube, eben als sie beide abreisten, zusagte, obschon ein anderer Buchhändler aus Leipzig, Baumgärtner, der von dem dort anwesenden Herrn von Deinhardstein Kenntnis davon erhielt, mich wiederholt schriftlich darum angegangen hatte.

Da sowohl die Illustrationen, welche der Kunstbuchdrucker Blasius Höfel in Wien in siebenzig Vignetten und vielen Randverzierungen für meine »Legenden« als auch die vierundzwanzig Stahlstiche, die B.G. Teubner für die »Bilder aus dem Leben Jesu und der Apostel« bereitete, den Rest dieses Jahres und die Zeit des nächsten Frühlings erschöpften, so kamen beide Werke erst im folgenden Jahre im Druck heraus. B.G. Teubner, der besonders wegen seiner Stahlstiche auf großen Geldgewinn rechnete, ihn aber nicht fand, da sie als beschleunigte Fabriksarbeit nicht vollendet genug erschienen, und der Preis eines Exemplars viel zu hoch angesetzt war, so hat er in neuester Zeit diesen auf die Hälfte herabgesetzt und das Werk als neue, verbesserte Ausgabe angekündigt, obgleich der Text eine gleich anfangs von mir bezeichnete Stelle ausgenommen unverändert derselbe geblieben ist. Doch wird eben eine wirklich verbesserte, neue Auflage desselben unter dem veränderten Titel: »Bilder aus dem hl. Neuen Bunde« (im Gegensatz zu den Perlen des hl. Alten Bundes) vereint mit den »Legenden« in einem Bande veranstaltet und in Bälde ausgegeben. (Dies am 12. Dez. [18]46).

Von Karlsbad kam ich anfangs August im Markte Hofgastein an, um dort als Nachkur die stärkenden Bäder zu gebrauchen. Ich hatte dort schon die früheren Jahre her das unglückliche Schicksal der verarmten oder durch Altersschwäche zur Arbeit unfähig gewordenen Bürger, die ihren Mitbürgern zur Last zu bestimmten Zeiten aus einem Hause in das andere wandern und während der Verpflegungsperiode oft scheele Gesichter genug sehen müssen, mit tiefem Mitleiden bemerkt; daher erkaufte ich ein[212] dem Pfarrhofe gegenüberliegendes zwei Stockwerke hohes Haus, welches einst ohne Zweifel ein reicher Gewerksherr im Segen seines Grubenbaues erbaut oder besessen hatte, und schenkte es der Marktgemeinde als ein Armenhaus für solche mittellose, unbehilfliche Bürger. Die Vorsteher der Marktgemeinde ließen aus dem Armenfonde, zu welchem ich ebenfalls den nötigen Beitrag in Barem geliefert hatte, das Haus von innen und außen frisch übertünchen und an der vorderen Wand einen passenden Denkstein setzen, der Jahr und Tag der Schenkung verkündet. – Gegen Ende September traf ich wieder zu Hause ein.


J. 1842.

Im Monat November v.J. stellte sich bei mir ein heftiges Herzklopfen ein, so daß es mich besonders zur Nachtzeit durch das laute Pochen in Besorgnis setzte; ich entschloß mich daher zu Ende Dezember nach Pesth zu fahren, um mich dort mit dem berühmten Dr. Stahly darüber zu besprechen. Er riet mir, die Reise bis nach Wien fortzusetzen, wo Dr. Skoda, Primararzt im Universalspital, in Behandlung derlei Übel Geschick und große Erfahrung habe. Die bis dahin milde Witterung schlug am Neujahrstage plötzlich in die heftigste Kälte um, und wohl möglich, daß ich während der drei Tage, die ich auf der Reise von Pesth nach Wien zubrachte, mir durch Erkältung die folgende schwere Krankheit zugezogen habe, denn nach einigen Tagen verfiel ich in ein heftiges katarrh-gichtisches Nervenfieber; ich mußte mich zu Bette legen, das ich beinahe drei Monate lang nicht mehr verlassen konnte. In der Weiche des Bauches wurden bald Blutegel gesetzt, eine Entzündung, die im Anzuge war, zu verhüten, und bald darauf lag ich zehn Tage und Nächte hindurch gelähmt am ganzen Körper, so daß ich kein Glied, ja nicht einen Finger bewegen konnte, in dem erhobenen Leintuch von einer Seite auf die andere gewendet und selbst die Nahrung wie ein unbehilfliches Kind von fremder Hand erhalten mußte. Allein, obschon die erste schlimmste Periode gegen drei Wochen lang dauerte, so blieb mein Geist dabei stets heiter; ich konnte Besuche empfangen und mich stundenlang mit den Anwesenden unterhalten. Besonders muß ich hier dankbar erwähnen, daß mich Erzherzog Johann während meiner Krankheit neunmal besuchte und öfters lange Zeit vor meinem Bette sitzen blieb, daß der Kaiser und die Kaiserin-Mutter sich täglich durch ihre Leiblakaien nach meinem Befinden erkundigen ließen, und meine beiden vieljährigen Freunde, Freiherr v. Kübeck, jetzt allverehrter Hofkammerpräsident, und Weihbischof Buchmayr, jetzt Bischof von St. Pölten, jener sehr oft und dieser abends täglich, durch interessante, höchst wichtige Gespräche zu erheitern suchten. Die herzlichste Teilnahme wurde mir überdies allgemein bezeugt.[213] Ich war zu einem Skelette abgemagert und noch nach drei Monaten kaum im Stande, auch nur einige Schritte ohne der Unterstützung zweier Personen durch das Zimmer zu machen. Im Monat Mai kehrten die Kräfte allmählich wieder; ich fuhr mit dem Dampfschiff nach Pesth und von dort zu Lande nach Erlau, wo ich nur sechs Wochen lang blieb und mich dann wieder nach Karlsbad begab. Die Trinkkur wirkte diesmal so wohltätig daselbst, daß ich schon nach vierzehn Tagen selbst die Bergpartie der Spaziergänger mitmachen konnte. Sehr werte neue Bekanntschaften machte ich heuer dort an Exz. Geheimrat von Schelling und an dem K. Fr. Freiherrn v. Strombeck, Appellationspräsidenten von Wolfenbüttel, der durch seine vortreffliche Übersetzung des Tacitus und andrer römischen Klassiker wie auch durch viele andere im Druck erschienene Werke allgemein bekannt ist, und in seiner Beschreibung einer Reise durch Holland mehrere Jahre vorher, ehe wir uns trafen, meiner ehrenvoll erwähnt hatte. Noch zwei der folgenden Jahre bin ich mit ihm in Karlsbad zusammengekommen und außerdem in eifrigem Briefwechsel gestanden. Herrn v. Schelling und seine vortreffliche Gattin traf ich seitdem jedes Jahr daselbst.

Da ich zu dem am 4-ten September in Salzburg abzuhaltenden Mozart-Feste eingeladen war, so fuhr ich gegen Ende August über Eger, Regensburg und München dahin. In Regensburg befriedigte mich das vielfach besuchte Walhalla gar nicht; schon der Name Walhalla für einen im korinthischen Stil erbauten griechischen Tempel schien mir höchst unglücklich gewählt; die umlaufenden äußeren Säulen verjüngen sich zu sehr, und der untere Bau, die sich gegen die Donau hinab senkende schwerfällige Treppe, vereitelt jeden Genuß, den man noch an dem Tempel oben haben könnte. Es gäbe nichts gerateneres, als diese Treppe abzutragen und die massiven Steinblöcke zu einem besseren Bauwerk zu verwenden. – Umso mehr gefiel mir die in der Stadt befindliche Fürst Taxis'sche Gruft und die von dem in Förderung der Kunstwerke unermüdlichen König Ludwig im Urstil wieder hergestellte schöne Kathedralkirche. –

Als ich mich der Stadt München näherte, dachte ich bei mir, man würde bei dem Mozart-Feste in Salzburg ohne Zweifel eine große Anzahl von den herrlichsten und beliebtesten Tonstücken produzieren, vielleicht aber keine Volkshymne zu singen haben, an welchen auch das große Publikum in den Gassen so gerne Teil nimmt. Ein patriotisches sollte es sein, da von der Apotheose eines österreichischen, und zwar des größten Tondichters die Rede sein würde. Ich besann mich nicht lange und schrieb im Wagen die Volkshymne »Österreich« nieder, übertrug es abends im Gasthof zum Bayerischen Hof genannt auf ein reines Blatt Papier und sandte es an den Prälaten des Benediktinerstiftes St. Peter[214] in Salzburg, bei dem ich auf meinen Reisen nach Gastein jedesmal einzukehren pflege. Als ich am zweiten Tage darauf daselbst ankam, so trug mir der bekannte Compositeur von Neukomm, der ebenfalls ein Salzburger eigens von Paris dahin reiste, um dem Ehrenfeste seines Landsmannes beizuwohnen, die Volkshymne schon gedruckt und mit einer Melodie versehen entgegen.

Am 4-ten September, der auf einen Sonntag fiel, begann das Mozart-Fest mit einem in der Domkirche abgehaltenen Hochamt, bei welchem seine herrliche Messe in C durch die ausgezeichnetsten Künstler und Künstlerinnen, die von allen Seiten herbeikamen, ausgeführt ward. Darauf folgte die Enthüllung des Denkmals auf dem Mozartplatz mit einer Feierlichkeit, die in ihrer Art wirklich großartig genannt werden konnte. Der König und die Königin von Bayern mit dem Prinzen Luitpold und zwei Prinzessinnen-Töchtern und der von Wien anwesenden Kaiserin-Mutter waren von Berchtesgaden zu dem Feste hereingekommen, und ich hatte die Ehre, in ihrer Gesellschaft aus den Fenstern des Kreisamtsgebäudes der Enthüllungsfeier zuzusehen. Abends war das große Konzert in einem Saale der Residenz, wo bloß mozartische Tonstücke zur Aufführung kamen, und nach diesem die Beleuchtung des Denkmals mit bengalischem Feuer, bei welcher meine Volkshymne von wenigstens dreihundert Stimmen unter der Begleitung von Blasinstrumenten zweier Regimentsbanden, denn auch das in Innsbruck garnisonierende schickte die seinen herbei, abgesungen ward. Dies wurde vor dem mit Festons geschmückten Hause, in welchem Mozart geboren ward, und zuletzt in dem großen Hofraum des Stiftes St. Peter, wo ich und auch Neukomm wohnten, jubelnd wiederholt.

Der folgende Tag gewann ein besonderes Interesse durch die Abhaltung des Trauergottesdienstes für den großen Künstler, bei welchem sein berühmtes Requiem, das Höchste aller musikalischen Kompositionen, in einer Vollendung zu hören war, wie es nicht bald wieder der Fall sein wird; auf dies haben sich alle Tonkünstler und Musikfreunde vor allem gefreut. Abends war wieder im selben Saale ein mozartisches Konzert und am dritten und letzten Tage eine sehr geschmackvolle Abendunterhaltung in dem herrlichen Park des Kard. Erzbischofs Fürsten von Schwarzenberg in Aigen, wozu alle Tonkünstler und Honoratioren, Fremde und Einheimische, wie auch die beiden vorhergehenden Tage zur Mittagstafel geladen wurden. Unter den Tonkünstlern muß ich besonders des Herzog Oldenburgischen Hof-Kapellmeisters [215] Pott erwähnen, der den ersten Anstoß zur Errichtung des Mozart-Denkmals gegeben hatte. Nur tat es mir im Herzen wehe, daß bei diesem Nationalfeste die Stadt Wien, die er durch seine unsterblichen Werke am meisten verherrlichte und wo er lebte und starb, in der Schar der Tonkünstler fast gar nicht representiert war. Nachdem von nahen und fernen Landen, von Musikvereinen abgeordnete Künstler aus München, Prag, Preßburg, Fünfkirchen, Mainz, Paris und Oldenburg und andre aus freier Wahl von allen Seiten herbeieilten, ist bloß das musikliebende Wien mit seinem Musikkonservatorium und andern Musikanstalten daheim geblieben. Auch Franz Liszt und Thalberg haben sich nicht gedrungen gefühlt, ihrem großen österreichischen Landsmann durch tätige Mitwirkung diese Ehre zu erweisen. Ausgezeichnete Sänger und Sängerinnen von Wien waren mit Anweisung der Reisegelder eigens von dem Salzburger Musikverein berufen.

In Gastein angekommen, unterschrieb ich am 10-ten September das Dokument, durch welches ich der Stadt Erlau mein eigentümliches, von der neuen Kathedralkirche nur durch eine Straße getrenntes und mit namhaften Kosten erbautes geräumiges Haus schenkte, damit es für immerwährende Zeiten zu Quartieren für die Offiziere des hier garnisonierenden k.k. Inf.-Regiments verwendet bleibe, und erlegte auch nebstdem ein Kapital von fünftausend Gulden, von dessen Zinsen die sich von Zeit zu Zeit ergebenden nötigen Reparaturen bestritten werden sollten, wodurch den Renten der Stadt, aus welchen die Offiziersquartiere bestritten werden müssen, eine bedeutende jährliche Ersparung zu Guten kömmt. Darum ließ die Stadtgemeinde bei denen zu meiner Heimkunft angestellten Festlichkeiten mein auf ihre Kösten durch den ausgezeichneten Pesther Maler Barabás verfertigtes Portrait in Lebensgröße in dem großen Saale des Rathauses aufstellen.

Man wird sich wundern, daß ich, Hilfe zu spenden, meistens Häuser dazu wählte und verschenkte; allein ich hatte die Überzeugung, daß damit am besten geholfen und größere Sicherheit erzielt wird, als mit Geldbeträgen, deren Besitz schwankend und öfteren Veränderungen unterworfen ist.

Mit tiefgreifenden Empfindungen verließ ich diesmal mein stilles Gasteiner Alpental, da ich einem wichtigen Momente meines Lebens entgegenging. Am 18-ten Oktober des Jahres 1792 trat ich als Mitglied des Stiftes Lilienfeld in den Cisterzienserorden ein und sollte dort freundlich geladen das fünfzigjährige Jubiläum meines Eintrittes feiern. Anfangs Oktober begab ich mich nach Wien, um dort die nötigen Vorbereitungen zu dieser Feierlichkeit zu treffen. Vor allem anderen ließ ich einen silber- und goldgestickten Kirchenornat von allen nötigen Pontifikalkleidungen, der dritthalbtausend Gulden C.M. kostete, für jenen Tag und als[216] Eigentum für das Stift Lilienfeld und dessen Abten verfertigen und sandte ihn ein paar Tage vorher dorthin ab. Der Abt des Stiftes, Ambros, hatte alle Prälaten der Ordensstifte Niederösterreichs, die außer ihm elf an der Zahl waren, als jenen von Klosterneuburg und Herzogenburg, reg. Chorherren, Benediktiner von Melk, Göttweig, Altenburg, Seitenstätten und zu den Schotten in Wien, Cisterzienser zu Hl. Kreuz, Wiener Neustadt und Zwettl und Prämonstratenser von Geras zu dem Feste geladen. Nur jener von Klosterneuburg konnte Krankheits halber nicht kommen, für welchen aber der Cisterzienserabt von Zirc in Ungarn einstand und so die runde Zahl der zwölfe erfüllte. Nebst dem kamen noch mein vieljähriger Freund Anton Buchmayr, k.k. Hofrat, Weihbischof von Wien, jetzt Bischof von St. Pölten, zwei Domherrn von Erlau als Deputierte vom Domkapitel abgesandt, mehrere Domherrn von St. Pölten und zahlreicher Klerus von allen Graden. Erzherzog Johann hatte mir schriftlich verheißen, dabei zu erscheinen. Geheimrat Franz Holbein, Direktor des k.k. Burgtheaters, den ich im J. 1792 als Chorsängerknaben im Stifte vorfand, also gewiß mein ältester Bekannter daselbst, die Herrn Castelli, der ein Haus in Lilienfeld besitzt, und F.K. Weidmann, der die Feierlichkeit für öffentliche Blätter beschrieb, waren auch schon gegenwärtig, so daß ich alle obigen, den Erzherzog ausgenommen, schon im Stifte vorfand, als ich am 17-ten abends daselbst anlangte.

Der Herr Prälat hatte mir einen glänzenden Empfang bereitet, ein schönes von Stuwer in Wien verfertigtes Feuerwerk wurde abends bei der schönsten Witterung abgebrannt; eine Festkantate, die Herr Castelli dichtete und einer Komposition von Andreas Romberg anpassen ließ, wurde von trefflichen Musikern, worunter auch einige Geistliche des Stiftes waren, abgesungen, und das Stift sowohl als auch der vor ihm liegende Teich mit den im Tal herumliegenden Häusern glänzend beleuchtet, wobei das laute Jubeln des Gebirgsvolkes bis spät in die Nacht fortdauerte. Der Erzherzog, der aus der Steiermark kommend in Türnitz übernachtete, kam gegen neun Uhr vormittags, der zum Gottesdienst bestimmten Stunde, an und rief mir von weitem entgegen, er habe sein Wort gehalten! Bald darauf setzte sich der Zug nach der Kirche in Bewegung, und ich zog an seiner Seite mit dem ganzen Klerus vor mir durch unzähliges Volk in selbe ein. Vor dem Hochamte hielt Herr Prälat Ambros eine ausgezeichnet schöne, auch im Druck erschienene Predigt, und während desselben, wo alle die infulierten Äbte assistierten, ergriff besonders das Graduale alle Herzen, wozu Herr Neukomm noch in Salzburg einen Text in Form eines deutschen Gebetes von mir[217] verlangte, es in Musik setzte und jetzt vierstimmig ohne aller Musikbegleitung unter seiner Direktion, denn auch er reiste mir nach, absingen ließ. Ehe ich tags zuvor das Stift erreichte, schrieb ich auch das kurze, aus dem Herzen gedrungene Gedicht: »Lilienfeld« nieder, wozu er auch eine Arie komponierte, die während der glänzenden Mittagstafel unter Musikbegleitung abgesungen wurde. Der Erzherzog reiste nach derselben wieder auf seine Besitzung in der Steiermark zurück. Wie ergriffen ich bei diesem ganzen Feste war – was ich da alles empfand, besonders, als bei dem Zug in die Kirche eine alte Bürgersfrau von Türnitz ausrief: »Ja, er ist's, unser Pfarrer Ladislaus!«, vermag ich nicht zu schildern.


J. 1843.

Da für den 14-ten Mai dieses Jahres die Eröffnung des Landtages bestimmt war, so fuhr ich zu demselben nach Preßburg ab, um dort wieder ein Jahr und noch darüber in einer Sphäre zu leben, die meinem ganzen Wesen nicht zusagte. Die königlichen Propositionen erregten anfangs allgemeinen Beifall, und dennoch ergaben sich davon nach der Art, wie die Angelegenheiten des Landes seither vor beiden Tafeln verhandelt zu werden pflegten, nur wenige ersprießliche Resultate.

Bei meiner zunehmenden Kränklichkeit drangen die Ärzte abermals auf den Gebrauch der Karlsbader Quelle, und ich reiste demnach gegen Ende Juli dahin ab.

Diesmal schlug ich einen andern Weg nach Karlsbad, nämlich den durch preuß. Schlesien ein, um die Hauptstadt Breslau und das Land um selbe herum kennenzulernen und einige Abwechslung in meiner Reiseroute nach jenem Kurort zu bringen. Ich fuhr auf der Eisenbahn bis Olmütz und von dort über Troppau, Neisse, wo ich übernachtete und viel über die Bedrückungen der kath. Kirche in Schlesien hörte, gegen Breslau weiter.

Eine Post früher, in Ohlau, lenkte ich rechts nach dem Schlosse Hünern ein, wohin mich Graf Hoverden-Plenken mit seiner Familie ein Jahr vorher in Karlsbad eingeladen hatte. Ich brachte bei dieser liebenswürdigen Familie zwei Tage zu und hatte Gelegenheit, auch in ökonomischer Hinsicht manches Vorzügliche zu sehen, so z.B. Schafe von der feinsten Wolle, wie sie mir nur selten vorgekommen waren. Der Graf gab mir, dem Gaste, freundlich Geleit bis Breslau, wo ich den Fürstbischof, den Domherrn Ritter und die Kathedralkirche, die aber nichts Ausgezeichnetes aufweist, besuchte. Dann verfügte ich mich zu Dr. Wendt, Professor an der dortigen Universität, bei dem ich[218] morgens angesagt war, und der mir in Karlsbad Hoffnung gab, mir nach längerer Besprechung ein Mittel gegen meinen Gesichtsschmerz anraten zu können. Er empfing mich mit vielen Orden angetan sehr zeremoniös; das Mittel aber, das er mir anriet (ut aliquid dixisse videatur), erregte bei den geschicktesten Ärzten, mit denen ich davon sprach, nur ein sarkastisches Lächeln. – Die Weiterreise ging über Schweidnitz, Trautenau im Riesengebirge, dessen höchste Spitze die Schneekoppe ich mit Vergnügen sah, die aber mit den wahrhaften Riesenhäuptern von Salzburg und Tirol verglichen einen sehr bescheidenen Rang einnimmt, endlich über Altbunzlau nach Prag und Karlsbad ungehindert weiter fort.

Dieses Jahr hatte ich daselbst das Vergnügen, mit dem Präs. Baron von Strombeck und Geh. Rat von Schelling längere Zeit hindurch Umgang zu pflegen. Auch lud mich Fürst Metternich zu sich nach Königswarth ein, wo ich den Herzog von Holstein-Augustenburg mit der Herzogin und zwei Prinzessinnen-Töchtern fand – eine sehr liebe, freundliche Herrschaft, insbesondere die Herzogin, von der ich in der Folge ein paar Zuschriften erhielt. Am 2-ten September brach ich von Karlsbad über Eger, Würzburg und Heilbronn nach Stuttgart auf, da Baron von Cotta eben im Begriffe war, meine unter dem Titel: »Sämtliche Werke« bekannten epischen Dichtungen in einer Taschenausgabe im Schillerformat herauszugeben. In Würzburg besuchte ich meinen verehrten Freund Dompropst Dr. Benkert, früher Herausgeber des »Kirchenkorrespondenten«, bei Heilbronn das Schloß Weiler, wo die älteste Tochter des Baron v. Cotta, die ich zuletzt im J. 1837 in Frankfurt am Main mit ihrer sel. Mutter gesehen habe, und die jetzt an den Besitzer des Schlosses Baron von Weiler verheiratet war, und von dort nach Heilbronn fahrend, in Weinsberg den liebenswürdigen Dichter, Dr. Justinus Kerner. Die Freude, die der liebe, muntere Greis über meinen Besuch äußerte, rührte mich innig und wir haben auch seitdem recht herzliche Briefe gewechselt. In Stuttgart brachte ich bei Herrn Baron v. Cotta wie immer ein paar vergnügte Tage zu – so wie auch bei seinem Vetter, Baron König und seiner Familie, im Schloß Mauren bei Böblingen und fuhr dann umso eiliger nach Preßburg zurück, da mir der Primas schrieb, es würde gegen Ende September die Religionsangelegenheit wegen der gemischten Ehen zur Beratung kommen, und mich deswegen bat, meine Zurückkunft zu beschleunigen.

Es wurde durch die öffentlichen Blätter in ganz Europa bekannt genug, welchen Gang die Landtagsverhandlungen bei der[219] nun einmal bestehenden Verfassung in Ungarn in Preßburg genommen hatten. Die wankende Basis der altehrwürdigen Konstitution, an der seither mehr und mehr gerüttelt ward, entzog der Regierung bei beständigem – vielleicht notwendig gewordenem – Nachgeben die meisten Stützen, die ihr früher zu Gebote standen, sich in einem festen Standpunkte zu behaupten. Durch das schwankende Vorgehen von ihrer Seite gewannen die feindlichen Elemente immer mehr Stärke und Rührigkeit, so daß die vielbesprochene Freiheit in die loseste Ungebundenheit ausgeartet ist. Der unproportioniert zahlreiche niedere Adel bildet da schon, wie einst in dem unglücklichen Polen, eine Anomalie gegen alle andern Länderverfassungen Europas. Dieser wächst schon mit der Idee des Bevorzugten auf und hat nach der Komitatsverfassung alle administrative Macht im Lande an sich gerissen. Eigendünkel, Stolz und eine abstoßende Burschikosität bei oberflächlicher, meistens aus den öffentlichen Blättern anderer konstitutioneller Länder durch falsche Auffassung geschöpfter Bildung, breite Indifferenz in religiöser Hinsicht, entschiedener Haß gegen alles, was deutsch ist – daher auch keine Hinneigung zur Regierung, trotz der oftbelobten Tapferkeit der Nation keine Lust zu dem eisern auf Ordnung haltenden Militärstand, sondern am Ende bei allem eine nur immer wachsende Gier, bei den Versammlungen der Komitate und der Landtage recht viel und recht derb Aufgetragenes zu sprechen – je mehr des letzteren, desto größer der Beifallssturm – allüberall nur Reden, aber keine Tat ..., dies ist das Bild, das z.Z. Ungarn darbietet. Besonders hat sich aber bei der Oberen Tafel eine Anzahl größtenteils junger Magnaten (nahe an die 30), lauter Grafen und Freiherrn, zusammengetan, um eine sogenannte Oppositionspartei gegen die konservative zu bilden. Es grenzt an das Unglaubliche, mit welchem rohen Übermut sie sich jedesmal in die frechsten Anklagen gegen die Regierung ergießen und besonders erpicht sind, die kath. Geistlichkeit, ob gleich es unter ihnen nur vier oder fünf Protestanten gibt, vor allen aber die anwesenden, in der Versammlung den ersten Rang einnehmenden Bischöfe zu verunglimpfen. Da nützt denn auch die gründlichste Widerlegung nichts; wenn sich der erste ausgeredet hat, so fängt der zweite, zehnte, fünfundzwanzigste usw. an, das, was er öfters von fremder Hand aufgesetzt und zu Hause in verschiedenen Variationen einstudiert hat, mit immer steigender Insolenz vorzubringen. Vergeblich hat öfters der Csanáder Bischof Jos. Lonovics, unstreitig das eminenteste Talent und der beste Redner unter den Magnaten und den Ständen aller seitheriger Landtage, in genauster Auffassung und Widerlegung aller ihrer Irrtümer, Ungebühr- und Ungesetzlichkeiten, bald[220] durch die Geißel der Satyre, bald durch geschichtliche Axiomen sich mit sonnenklarer Wahrheit hervorgetan, es half alles nichts; wie der erste Mißton begann, so hat der letzte ausgeklungen, und je verletzender desto brüllender tönte das »Éljen!« (Vivat) der auf den Galerien zu maßloser Frechheit gestimmten Juraten (der [der] Rechtspflege beflissener Kandidaten) darein.

Bei solcher Lage der Sache kam denn der Artikel über die gemischten Ehen, der schon bei dem vorigen Landtage zu einem Gravamen (Beschwerde der Nation) gestempelt worden ist, gegen Ende September zur Beratung vor. Schon vier Tage dauerten die Debatten mit unermüdlicher Erbitterung der Oppositionsherrlein fort, als unter diesen Graf Kasimir Eszterházy in einer langen Rede in Hinsicht der die gemischten Ehen betreffenden kirchlichen Anordnung unter anderem sagte: Es sei Friede gewesen, bis der Erzbischof von Köln als ein zweiter Herostrat, seinen Namen zu verewigen, diese Brandfackel unter die verschiedenen Konfessionsverwandten geworfen habe, und dessen Beispiel dann auch einige von uns Bischöfen von Ungarn als gleichgesinnte Herostraten gefolgt sind. Ich kann es nicht aussprechen, wie tief mich diese Äußerung eines seinsollenden Katholiken über jenen ehrwürdigen Greis, den die göttliche Fürsehung auserwählt hatte, die im josephinischen Geiste verkommenen Glieder der Kirche, Laien und Priester, aus dem unheilvollen Schlummer der schmählichsten Indifferenz aufzurütteln, der mit unerschütterlichem Sinne die Drohungen und Verfolgungen einer unberechtigten Machtgewalt nicht achtend und sich seines hohen Berufes bewußt für das große Anliegen der Kirche mit heiterem Mute zum Opfer hingab, der aber auch dadurch zum Segen ward für die gegenwärtigen und alle künftigen Zeiten, den endlich von allen politischen Umtrieben, deren man ihn gerne verdächtig gemacht hätte, sein eigner König durch offene Handschrift vor aller Welt als schuldlos erklärt hatte – ihn, den Gegenstand der Verehrung für alle wahren Katholiken – nein, ich kann es nicht aussprechen, wie mich diese Äußerung des besagten Redners verletzte und empörte. Selben Tag konnte ich ihn nicht zur Rede stellen, da schon zu viele vor mir das Wort verlangt hatten; doch den folgenden (am 29-sten September), obschon auch da einer der letzten, erhob ich mich in großer Bewegung, welche schon das lange Zuwarten noch mehr gesteigert hatte, und sprach jene berüchtigte Rede, welche in den Tagesblättern der 53-sten Reichstagssitzung mit vielen anderen zu lesen ist.

Die Rede, welche sie veranlaßte, kömmt in jener der 52-sten Reichstagssitzung vor, und ist ein Muster von mutwilligen Ungezogenheiten. Als ich meinen Vortrag geendet hatte, da herrschte[221] eine tiefe Stille durch den ganzen Saal der Magnaten; aus den Augen manches alten Beisitzers glänzten mir Tränen des Dankes entgegen, und selbst die sonst immer lärmfrohe Jugend wagte es nicht, den rührenden Beifall, der mir von allen Seiten zugerufen wurde, durch ihr gewöhnliches, bei mißfälligen Reden anhaltendes Gezisch oder höhnendes Gemurmel zu unterbrechen. Meine heutige hatte wenigstens die gute Folge, daß während des ganzen noch dauernden Landtags keine solche Verunglimpfungen mehr, wie jene war, bei der Oberen Tafel gehört wurden.

Als ich im folgenden Monat über Tyrnau zu dem Pfarrer von Rudnó (früher Arzt), von dem es hieß, er würde mich von meinem Tic Doul[ouroux] heilen können, war es wahrhaft ergreifend für mich, daß in allen Stationen, wo zur Umspannung Pferde für mich bestellt werden mußten, die Pfarrer und Kapläne aus allen umliegenden Ortschaften sich in corpore versammelten, um mir meinen Wagen umringend, zu danken, daß ich die Rechte der kath. Kirche so trostreich für sie alle verteidigt hatte. Ich dankte dem Herrn mit heißen Tränen, der mir die Gnade verlieh, meine Pflicht dadurch erfüllen zu können!

In diesem Jahr bekam ich Lenau's »Albigenser« zu lesen, ein Werk, das meinen tiefsten Abscheu erregte. Ich äußerte mich in einem Briefe darüber.


J. 1844.

Um vor meiner Badereise zu Hause Umschau zu halten und mehrere Geschäfte persönlich abtun zu können, reiste ich am 1-sten Juli mit dem Dampfschiffe von Preßburg bis Pesth und den folgenden Tag bis Gyöngyös, das noch fünf Stunden Weges von Erlau entfernt liegt. Dort speiste ich am 3-ten noch zu Mittage und fuhr dann um drei Uhr heimwärts. Es war der schönste, heiterste Tag vor uns. Wir waren noch nicht volle zwei Stunden gefahren, als mich der schrecklichste Augenblick meines Lebens ereilte, in welchem mich nur die Huld des Allerbarmers rettete! Der helle Tag wandelte sich plötzlich in finstere Nacht um; der Kutscher, der seine vier Pferde vom Sattel aus trieb, sah zurück und rief mir zu: »Herr, es kömmt der jüngste Tag hinter uns daher!« – Ein Orkan, der sich wahrscheinlich in den Schluchten des zur linken Hand liegenden Mátra-Gebirges gebildet hatte, brach in Sturmesflug mit Blitz, Donner und Hagel auf uns herab, und wir waren gezwungen, in einer schlechten, nahe an der Straße liegenden Schenke Schutz zu suchen. Der Kutscher wollte in eine lange Wagen-Schoppe, die den Bauern auch zum Stalle dient, schnell einfahren, das halbe Tor war aber bereits von dem Winde zugeschlagen. Mein Kammerdiener, dem der Sturm den Hut vom[222] Haupte riß, sprang diesem ein paar Schritte nach, und diese etwa drei Sekunden lange Verzögerung war eigentlich meine Rettung; denn als er das Tor öffnete und wir hineinfahren sollten, warf der Orkan das ganze Gebäude mit Dach und Mauer in einen Schutthaufen zusammen und begrub dort vier Pferde mit dem Fuhrmann, der erst kurz vor unserer Ankunft dort einkehrte und, wie ich später hörte, erst nach drei Stunden ausgegraben werden konnte, so waren die Dachbalken und Sparren mit dem Mauerschutt durcheinander geworfen. Bei dem Zusammenstürzen des Gebäudes erschraken die Pferde, die mich führten, und warfen meinen Wagen um. Das Sattelpferd kam bei der schnellen Wendung zu meinem Glücke unter den Kasten des Wagens zu liegen, die andern tobten, und wären sie durch jenes Roß nicht aufgehalten gewesen und nur ein paar Schritte weiter gesprungen, so war ich vielleicht an allen Gliedern zerbrochen des Todes, denn meine beiden Füße lagen außerhalb der Wagentüre, der auf die linke Seite stürzte, im Kot, und mein Begleiter, der Geistliche, wand sich unter mir hinaus, den Kasten des Wagens zu halten, damit er von dem unterhalb liegenden Rosse nicht weiter stürze, die Diener aber mit dem Kutscher hatten Mühe, die andern von dem Durchgehen zurückzuhalten. Nach etwa zehn Minuten zog man mich endlich auch heraus, und ich fuhr in einem kleinen Wägele bis zur nächsten Station, wo meine Pferde bereit standen, und von dort in einer geborgten Kalesche nach Hause, denn der Kammerdiener langte mit meinem zerbrochenen Reisewagen erst nach Mitternacht an. Allenthalben in den Ortschaften, durch welche ich fuhr, sah ich abgedeckte Häuser, entwurzelte Bäume und Schrecken und Angst auf allen Gesichtern und hörte lautes Klagen und Jammern, denn das Furchtbare dieses wütenden Orkans könnten keine Worte schildern! Im Erlauer Weingebirge wurden einige Menschen in den dortigen Preßhäusern, in welche sie sich vor ihrem Einsturz flüchteten, erschlagen, und mein großer Volksgarten bot ein schreckliches Schauspiel der Verwüstung dar, denn hundert- und mehrjährige Linden und Eschenbäume in den Alleen lagen entweder mitten entzwei gebrochen oder entwurzelt übereinander, so daß lange Zeit dazu erfordert ward, ihn wieder zugänglich zu machen. Viele Meilen entlang zog sich die Verheerung fort.

Anfangs August begab ich mich nach Karlsbad und kehrte erst Ende September nach Preßburg zum Landtag zurück, wo ich bis zu Ende desselben am 12-ten November verblieb und dann nach Hause reiste. Allein nur wenige Wochen dauerte wieder mein Aufenthalt daselbst, denn während der acht Tage, die ich in der Rückreise in Wien verweilte, drangen sehr viele wohlwollende Freunde in mich, ich möchte doch, da alle bisher gegen meinen Gesichtsschmerz angewendeten Mittel fruchtlos blieben, mich jenem durch den animalischen Magnetismus unterwerfen, welches[223] der rühmlichst bekannte Dr. Ennemoser bei der die gleichen Schmerzen leidenden Gräfin F(icquelmont) angewendet und sie seit einem Jahre davon befreit hatte. Ich wollte mich durch ihre eigene Aussage davon überzeugen und fand dasjenige bestätigt, was ich darüber gehört hatte. Seit so vielen Jahren von diesem furchtbaren Übel gequält, war ich jeden Augenblick bereit, dem Hoffnungsstrahl, der mir die Möglichkeit, davon befreit zu werden, in die Aussicht stellte, zu folgen und beschloß, die Reise nach Wien sogleich im nächsten Monat Dezember zu unternehmen und dort den Winter hindurch in der ärztlichen Behandlung des Dr. Ennemoser zu verbleiben. – Ohnehin war es mir lieb, in Hinsicht meines neueren lit. Werkes »Legenden der Heiligen für alle Sonn- und Festtage des Jahres« mit Illustrationen von dem Kunstbuchdrucker Blasius Höfel in Wien herausgegeben, dessen Ertrag ich gleich anfangs dem dortigen Institute der Barmherzigen Schwestern gewidmet hatte, nun da es in diesem Jahre in einer verbesserten Auflage herauskam und auf dem Titelblatte für ihr Eigentum erklärt ward, durch Abfindung mit dem Verleger und Einverständnis mit dem geistlichen Direktor jenes Institutes die nötigen Vorkehrungen zu treffen und den neuen Verlag einzuleiten.

Im Spätherbst dieses Jahres, als ich von meiner Badereise nach Preßburg zurückkam, fand ich endlich die in Felsö-Jattó, einem zehn Stunden Weges von dort entlegenen Gute des Grafen K. Eszterházy, über dem Grabe meines innig geliebten Vaters auf meine Kösten erbaute geräumige Totenkapelle denn auch zu einer jährlich darin abzuhaltenden Totenfeier bestimmt durch einen geschickten Architekten in schönem Baustile vollendet. Mein alter, dreiundachtzigjähriger Vater fuhr im J. 1813 mit meiner Mutter dorthin, um meine jüngste Schwester, deren Gatte Wirtschaftsbeamter des Grafen war, mit ihren zahlreichen Kindern zu besuchen. Sie verweilten etwas länger, als es anfangs bestimmt war, bei ihnen und wurden gezwungen, wegen der schnell eingetretenen stürmischen Winterszeit diesen dort zuzubringen. Mein Vater schien rüstig genug, auch das hundertste Lebensjahr erreichen zu können, aber eine in der Schlacht von Kunersdorf bei Erstürmung der Kuhschanze am linken Schienbein erhaltene Blessure macht ihm das Gehen in der letzteren Lebensperiode immer schwerer, so daß er das linke Bein auf ein paar Stühle vor sich hingestreckt ganze Tage lang saß und sich nur mit Lektüre beschäftigte. Daß dies schon früher seine Lust war, davon zeugt auch, daß er nach vollendetem siebenjährigen Kriege Geßners Schriften und Gellerts Schwedische Gräfin, in welchem ich als Kind häufig las, mit heimbrachte. Das Offenhalten jener Blessure schien zur Erhaltung seines Lebens dienlich zu sein, denn als sie nun von selber zuheilte, so stellte sich die Wassersucht ein, und er vollendete nach vierzehn Tagen sein uns so teures Leben.[224] Meine Schwester solches nicht ahnend schrieb mir später als sie sollte, und so geschah es, daß er, als ich ihren Brief erhielt, schon begraben war; dennoch machte ich mich sogleich auf den Weg, um noch womöglich zur rechten Zeit einzutreffen; als ich eben in Wien ankam, setzte sich um die Mitte Februar eben der Eisfloß in Bewegung, und es war weder dort noch bei Preßburg eine Möglichkeit, über die Donau hinüberzukommen, und ich mußte unverrichteter Sache heimkehren. Ohne der mannigfaltigen Hindernisse, die von außen her den Bau jener Kapelle bisher verzögerten, mehr zu gedenken, war ich nun von Herzen froh, sie vollendet zu haben, traf alle Anstalten zu ihrer Einweihung und hinterlegte bei dem Graner Metropolitankapitel die Urkunde, durch welche die Abhaltung eines darin jährlich abzuhaltenden Gottesdienstes bestimmt wurde. Mit ruhigerem Herzen reiste ich dann, als am 12-ten November der Landtag sein Ende erreicht hatte, heim. –


J. 1845.

Von dem neuen Jahre bis zum 15-ten Mai stand ich also in der Behandlung des Dr. Ennemoser, der mich durch Anwendung des animalischen Magnetismus von dem Tic doul[oureux] befreien sollte. Ich muß ihm zum Lobe nachsagen, daß er weit entfernt von aller Charlatanerie ohnehin ein Mann von den ausgebreitetsten Kenntnissen, wie es seine Schriften beweisen, sich alle Mühe gab, mir zu helfen, aber leider ohne Erfolg, und er riet mir dann selber, heuer abermals die Karlsbader Trinkkur zu gebrauchen; ich brach also gegen Ende Juli dorthin auf. Schon hatte ich beschlossen, anfangs September wieder nach Hause zu fahren, als mir etwa zehn Tage vorher ein ganz eigener Unfall begegnete. Von einem Ausgang um die Mittagsstunde nach Hause gekehrt, saß ich die beiden Arme an einen runden, scharfkantigen Tisch lehnend und las in den vor mir liegenden Zeitungen. Plötzlich zuckte es ein paar Mal in dem unteren Teil meines linken Arms; die Hand, kälter als Eis anzufühlen, sank starr und tot hinab, so daß ich keinen Finger bewegen konnte. Ich dachte, ein Schlagfluß hätte sie gelähmt, und rief nach meinem Diener, mir sogleich den Arzt zu holen. Er kam und befahl, geriebenen Meerrettich auf den ganzen Arm aufzulegen. Doch bald darauf trat mein sehr verehrter Freund Graf Kleist, kön. preußischer Hofjägermeister, mit seiner liebenswürdigen Gattin bei mir ein, und als diese hörte, was geschah, da lief sie eilig fort, brachte Lavendelgeist und Eau de Cologne und rieb mir fast eine Stunde lang, während er meinen Arm unterstützte, den Puls, die obere und untere Seite der Hand und besonders die Finger in einem fort – denn es sei bei einem solchen Zufall, der einst auch ihr begegnete, nichts besser, als die menschliche Wärme anzuwenden. Wirklich wurde die Hand, die früher weiß wie eine Leiche war, nach und nach etwas gerötet, und nachdem[225] auch der Arzt einige Abende hindurch dabei Einreibungen anwendete, so konnte ich am dritten Tage wieder die Finger etwas bewegen. Da ich aber noch nach acht Tagen eine große Schwäche in diesem Arm fühlte, so war mein Entschluß schnell gefaßt und ausgeführt, nach Gastein zu eilen und die dortigen Bäder zu gebrauchen, deren stärkende Wirkung ich schon so oft erprobt hatte. Am 7-ten September traf ich dort ein und durch achtzehn Tage jedesmal nur eine Viertelstunde badend und den Lederschlauch, durch welchen die Mineralquelle einfließt, auf den Arm richtend fühlte ich diesen nicht nur wieder in den normalmäßigen Zustand versetzt, sondern mich überhaupt so lebenskräftig hergestellt, daß ich im Rückweg überall, wo die Straße über steile Bergstrecken führt, und deren gibt es zwischen Lofer und Reichenhall und zwischen Enns und Strengberg genug, aus dem Wagen stieg und sie zu Fuß munter zurücklegte. Doch meine Heimkunft erfolgte nicht so schnell als ich hoffte. Man lache über das Folgende nicht. Ein Schiffbrüchiger greift der Rettung bedacht nach einem Brettchen, und ein Leidender wie ich hascht auch nach dem unwahrscheinlichsten, gemeinsten Mittel, wenn es ihm die so lang ersehnte Heilung verheißt. In der Durchreise hörte ich in Wels auf der Post, daß vor einiger Zeit ein dort in Garnison liegender Kavallerieoffizier in dem vier Stunden vor Innsbruck in Tirol entfernten Markte Matrei durch einen sogenannten Bauerndoktor von dem Gesichtsschmerz gänzlich hergestellt worden sei. Die gute Postmeisterin beschwor mich bei allem, was heilig ist, diesen sich ergebenden Heilungsweg ja nicht zu verschmähen. Zufälligerweise befand sich eben, als ich nach einigen Tagen in Hofgastein ankam, oben im Wildbade der Küster von Matrei in der Kur. Ich zitierte ihn alsobald zu mir herab und erfuhr von ihm, daß jener Bauer, eigentlich tirolischer wohlhabender Landmann, früher bloß Veterinärarzt, sich die neuesten medizinischen Schriften und Journale halte und durch langjährige Praxis eingeübt so glückliche Kuren, und zwar unentgeltlich, vollbringe, daß sein Haus von nahen und entfernten Hilfsbedürftigen fort und fort besucht werde. Auch habe sogar der Protomedikus von Innsbruck ihn bei der schweren Krankheit seiner Tochter zur Beratung gezogen. Dies alles für den Wink eines guten Genius ansehend – es ist kein Wunder, wenn hoffnungslos Leidende zuweilen abergläubisch werden – entschloß ich mich, wenn auch nur auf einen einzigen Tag nach Innsbruck und von dort nach Matrei zu fahren. Da ich bisher nur den oberen Teil vom Pinzgau gesehen hatte, so nahm ich meinen Weg über Mittersill und den Paß Thurn nach St. Johann, übernachtete in Innsbruck und erreichte Matrei um die Mittagsstunde. Der Arzt, mit Namen Zwölfer, wurde auf die Pfarrei, wo ich abstieg, geholt, ein bescheidenes altes Männchen und als Arzt nach dem einstimmigen Zeugnis aller wohlerfahren. Er hielt mein Übel[226] rheumatischen Ursprungs, erklärte sich gegen alle gewaltsam wirkende Mittel und schrieb mir dann ein paar Rezepte, die auch die geschicktesten Ärzte für kunstgerecht und passend erklärten, die aber wie alle derlei Mittel ohne Erfolg blieben.

Nach Salzburg zurückgekommen bekam ich wieder so heftige Anfälle, daß ich nach München eilte, den Dr. Ennemoser zu sprechen; er vertröstete mich auf den Monat Dezember, wo er abermals nach Wien kommen und mich, wie er es sicher hoffe, in kurzer Zeit von meinem Übel befreien werde. Auf der Eisenbahn war ich nach dieser ärztlichen Besprechung in dritthalb Stunden abends in Augsburg angekommen und da ich dort Herrn Baron v. Cotta nicht fand, weil er meinen aus Hofgastein geschriebenen Brief zu rechter Zeit nicht erhalten hatte, so fuhr ich morgens weiter und kam den folgenden Tag schon zeitlich in Stuttgart an, denn der Geh. Rat Philipp Freiherr von Wessenberg, einst verdienstvoller Diplomat, der zugleich mit mir in dem Post- und Gasthause in Ulm übernachtete hatte die Gefälligkeit, mir von allen Stationen voreilend die Postpferde zu bestellen. Nur zwei Tage gedachte ich in Stuttgart zu verweilen; es kam aber noch der dritte hinzu, auf den ich gleich am ersten von dem König und der Königin zur Mittagstafel freundlich eingeladen worden war. Die übrige Zeit widmete ich ausschließend dem Baron Cotta und seiner Familie und revidierte nebenher die Korrekturbögen der zweiten Auflage meiner »Lieder der Sehnsucht nach den Alpen«, welche er eben veranstaltete, so wie er auch die zweite Auflage der Taschenausgabe meiner »Sämtlichen Werke« in drei Teilen, von welchen die erste vom J. 1843 so schnell vergriffen war, zu Ende dieses Jahres in das Licht treten ließ.

Die schon früher in verschiedenen Zeitschriften gefundenen »Lieder der Sehnsucht nach den Alpen« hat ein Freund von mir gesammelt und auf die Herausgabe derselben gedrungen. Da aber der Verleger nach dem schnellen Absatz der ersten Auflage den Wunsch äußerte, zu einer zweiten schreiten zu können, so war es meinem Bestreben gelungen, zu den ersteren zwanzig Alpenliedern noch fünfzehn reihen zu können, deren nun fünfunddreißig an der Zahl waren. Diese Alpenlieder können allerdings dazu dienen, so manche lebendige Anschauung der Gebirgswelt in meinen früheren epischen Dichtungen erklären zu können.


J. 1846.

Vom halben Dezember v.J. angefangen bis zum 15-ten Mai des heurigen, also volle fünf Monate lang, stand ich wiederholt unter der Behandlung des Dr. Ennemoser mit dem animalischen Magnetismus und hoffte diesmal nach seiner in München gemachten Äußerung auf günstigere Resultate, als die früheren[227] waren; auch er sprach öfters in zuversichtlichem Tone von dem baldigen Gelingen seiner Bemühungen; als aber nach einigen Wochen sich gar keine Besserung zeigte, so bemerkte ich mit heimlichem Kummer, daß er nebst jener Behandlung zu andern Mitteln griff, die sich alle als ungenügend zeigten. Zuerst machte er ein paar Wochen lang scharfe Einreibungen mit Nikotingeist; dann ließ er durch vierzehn Tage an jedem derselben frühe und abends eine Viertelstunde lang Eis auf die leidende Wange legen, was sich vielmehr als schädlich erwies, da sich dort auf lange Zeit eine geschwulstartige Verhärtung festsetzte. Endlich trat er mit einer Maschine auf, die mir als ein sicheres Mittel in kurzer Zeit helfen sollte, und diese war die elektro-magnetische Rotationsmaschine. Der eine Pol wurde mit einem Kupferblättchen auf den Nervenknochen hinter dem linken Ohr appliziert, und mit dem andern fuhr er jedesmal eine Viertelstunde lang an der Wange umher und erregte mir bei meinem ohnehin durch langjähriges Leiden auf höchste gestimmten nervösen Zustande fast unerträgliche Schmerzen – und diese erduldete ich standhaft volle fünf Wochen lang noch und leider auch dies alles ohne irgendeinem günstigen Erfolg! Ich bemerkte nach und nach eine stille Niedergeschlagenheit in des Doktors Mienen und fand ihn am Ende so betrübt und verlegen, daß ich fast Mitleiden mit ihm hatte und ihn mit der nun einmal erwiesenen Unmöglichkeit einer Hilfe zu trösten suchte. Er verlor dadurch, daß er mir trotz aller seiner Bemühungen nicht zu helfen vermochte, vor mir nichts an seinem Werte, und ich bin ihm für diese dankbar verblieben.

Ehe ich die auch von ihm angeratene Reise nach Karlsbad antrat, wollte ich daheim einige Wochen von Ende Mai bis halbem Juni zubringen und fuhr, ohne etwas Arges zu vermuten, nach Hause. Allein es hatte sich schon in Wien im Monat April ein bedenkliches Husten bei mir eingestellt, gegen welches sowohl Dr. Ennemoser als auch mein gewöhnlicher Arzt daselbst erfolglose Arzneien angewendet hatten. Indessen schien es daheim nach einiger Zeit mit mir besser werden zu wollen, und ich erteilte am Pfingstmontag (1-sten Juni) über tausend dreihundert Personen in meiner Kathedralkirche vor der großen Hitze geschützt die hl. Firmung. Nachdem ich schon seit lange her keine öffentlichen Funktionen verrichtet hatte, denn sehr oft waren die Anfälle vom Tic Doul[oureux] mir ein Hindernis im Sprechen so, daß ich nur halbverständliche Worte durch die Zähne mit Gewalt hervorstoßen mußte, und auch an Speisen, in dem ich meistens nur breiartige Mehlspeisen und diese mit Mühe hinabschlucken konnte, so war die am Pfingstfeste gelungene Firmung mir ein freudiger Antrieb, noch ein Weiteres zu versuchen. Ich sagte daher für den 19-ten und 20-sten Juli abermals eine in Miskolcz, dem Hauptorte des zur Erzdiözese gehörigen Borsoder Komitates, vorzunehmende Firmung an und[228] reiste Tags zuvor mit dem nötigen geistlichen Gefolge dahin ab. Groß war der Jubel daselbst, und meine Ankunft mit einem hier zu Lande üblichen Empfang gefeiert. Bei der damals herrschenden großen Hitze firmte ich am Sonn- und Montage dort von den Einheimischen und da von den umliegenden Pfarreien über dreitausend hereinbeschiedene große und kleine Pfarrkinder außer der Pfarrkirche im Schatten derselben und hatte die Absicht, meine Firmungsreise noch etwas weiter bis in das dritte zur Diözese gehörige Szabolcser Komitat fortzusetzen, weshalb ich wegen einiger Vorbereitungen nach Hause fuhr. Allein nach einigen Tagen wurde mein katarrhalischer Zustand trotz aller angewendeten ärztlichen Hilfe besonders durch einen jener heftigen Brustkrämpfe, die mich dann später in Karlsbad dem Tode nahe brachten, so bedenklich, daß ich nichts angelegentlicheres kannte, als der Glühhitze und des Staubes nicht achtend sogleich nach Wien und auf der Eisenbahn nach Prag zu eilen, um zu Ende des Monats nach Karlsbad zu gelangen. Noch hatte ich dort angekommen meine bestellte Wohnung nicht betreten, so eilte ich schon zu dem Schloßbrunn, dessen in dieser Hinsicht gerühmte Quelle mir meine ganz verschleimte Brust erleichtern sollte. Aber nicht lange durfte ich mich ihrer bedienen, denn schon am vierten Tage erklärten meine beiden Ärzte, die zu ihrer Sicherheit, wie sie sagten, jedesmal vereint zu mir kamen, es sei bei mir ein katarrhalisches Fieber vorhanden, bei welchem der Gebrauch der Karlsbader Quelle eher schädlich als nützlich sein würde. Und so konnte ich für dies Jahr von der dortigen Trinkkur keinen Gebrauch machen, da ich eigentlich auf das Krankenlager gefesselt wurde. Bald folgten Arzneien auf Arzneien; die Atemholung wurde immer beklemmter, das Husten tönte furchtbar durch das ganze Haus, so daß eine russische Fürstin, die im unteren Stockwerk wohnte, einst nach Mitternacht heraufkam, meinen Domestiken darüber voll Angst zu befragen, und die Brustkrämpfe stellten sich besonders in den ohnehin schlaflosen Nächten immer häufiger ein. Am 14-ten August um zwei Uhr nach Mitternacht machte mich ein solcher, so schwach ich war, aus dem Bette springen und nach Hilfe rufen. Mein Arzt, Dr. Hochberger, der in Karlsbad als der erste genannt wird und mir nahe wohnte, kam, hieß anfangs zerriebenen Meerrettich auf die Brust legen und den dadurch verursachten Zug durch Senf-Äther verstärken und blieb dann bis sechs Uhr frühe vor meinem Bette sitzen. Vergeblich bat ich ihn wiederholt, er möchte sich heim zur Ruhe begeben; er verharrte in derselben Stellung und wendete seine Augen nicht mehr von mir ab. Dies fiel mir auf, und als er gegen Mittag mit dem zweiten Arzte, Dr. Preiß, zu mir kam, so forderte ich ihn auf, mir frank und frei die Wahrheit zu sagen, ob Gefahr des Todes vorhanden sei; denn obschon mein Testament bereits im Erlauer Kapitulararchiv hinterlegt sei,[229] so wünschte ich doch, für jenen Fall hier einige schriftliche Dispositionen zu treffen. Er erwiderte mit fester Stimme, wenn sich der Anfall von heute Nacht wiederholte, so sei allerdings eine Lungenlähmung zu fürchten. Darauf ersuchte ich sie beide, sie sollten bei mir die Sektion nicht unterlassen, damit ich, was ich am meisten fürchte, nicht etwa scheintot begraben werde. Sie versprachen es, als sie gingen. Nachmittag ließ ich ein Brett quer über mein Bette legen und schrieb mit vieler Mühe obschon kurz, dem dortigen vortrefflichen Pfarrer und Dechant Seifert, ich wolle nicht etwa heimgeführt, sondern im Karlsbader Friedhof an der Mauer begraben werden, wo bloß ein einfacher Denkstein mit der Inschrift: »Ossa Joannis Ladislai Pyrker Patr. Archi Eppi Agriensis Nati 2. Nov. 1772, mort. 18– requiescat in pace, Amen!«, die Stelle meines Grabes bezeichne. Ich fügte noch einige kirchliche Dispositionen hinzu, versiegelte den Brief und trug meinen Leuten auf, selben gleich nach meinem Ableben an ihn zu bestellen. Dann wurde ich mit allen hl. Sterbesakramenten versehen. Obschon ganz dem Willen der göttlichen Vorsehung ergeben, wäre mir doch der Tod bei solchen Leiden erwünscht gewesen! Sonderbar genug, daß während diesen meine Gesichtsschmerzen fast ganz aufhörten, und erst auf der Heimreise nach und nach wiederkehrten; aber auch jetzt, wo ich dieses schreibe, mich, dem Himmel sei Dank, nicht mehr plagen. Die auf meine Brust aufgelegten Zugpflaster und die fortgesetzten Einreibungen mit der Brechweinstein-Salbe verscheuchten durch brennenden Schmerz noch viele Nächte hindurch allen Schlaf von meinen Augen, so daß ich ohnehin zu einem Skelett abgemagert völlig entkräftet ward.

In Karlsbad zweifelte niemand mehr an meinem Tode, besonders nachdem eines Morgens meine beiden Ärzte mehrere der dort in der Kur oder mit Kranken anwesende, als Geheimer Medizinalrat Dr. Wagner und Dr. Beer aus Berlin, Dr. Behr aus Bernburg, Dr. Fischer aus Rußland, Dr. Jeitteles aus Brünn etc., zusammen acht, vielleicht auch sich wegen einer verlautbarten Beschuldigung vor ihnen zu rechtfertigen, zu dem bestimmten Konsilium geladen hatten, und einer von jenen nach der Uhr sehend vor vielen dort vor meiner Wohnung auf- und abwandelnden Kurgästen sagte: »Nun ist es sieben auf der Uhr, gehen wir lieber jetzt gleich hinauf, denn um acht Uhr kann er tot sein.« Wohl mag auch dies die Veranlassung gewesen sein, daß jemand die voreilige Nachricht von meinem als bereits erfolgten Tode in die Augsb(urger) Allg. Zeitung hat einrücken lassen. Wie die Schmerzen in- und außen an der Brust nur etwas weniges nachließen, so konnte man mich nicht mehr im Bette erhalten, und ich saß oder lag halb hingestreckt den ganzen Tag über auf dem Kanapee, und obschon die Ärzte mich durchaus am Sprechen hindern wollten, so sah ich es doch gerne, wenn mich meine Bekannten, die ich nun[230] schon längere Zeit hindurch nicht sehen konnte, besuchten. Ich mußte schweigen, und sie sprachen. Sehr viele liebevolle Teilnahme bewiesen mir Graf und Gräfin Kleist, Geheimrat Schelling und seine Gattin und Graf und Gräfin Hacke von Freienwalde bei Frankfurt an der Oder mit ihren beiden Fräulein Töchterchen, die mich gar so gerne durch muntere Gespräche zu erheitern suchten – ja, ich kann wohl sagen, daß die ganze Bevölkerung der Stadt Karlsbad mir die unzweideutigsten Beweise ihrer Anhänglichkeit gegeben hab. Höchst angenehm überraschte mich dort der liebenswürdige Prinz Erzherzog Stephan durch einen Besuch, und auch mein Hausdomherr und Kanzleidirektor (Canonicus a latere), Alexander Lévay, der in einer Kommission wegen der Theiß-Regulierung von Erlau abwesend bei der ersten Nachricht, die er von meinem gefahrdrohenden Zustand erhielt, sich gleich nachts auf die Reise begab und Eilwägen, Dampfschiffahrt und Eisenbahn benützend den vierten Tag, nachdem ich den schlimmsten Augenblick überstanden hatte, bei mir eingetroffen ist. Auch kam Wilhelm Meinhold, Verfasser der »Bernsteinhexe«, einer der vorzüglichsten deutschen Novellen, evang. Pfarrer zu Rehwinkel in Pommern, in der Kur anwesend einige Mal zu mir zum Besuche. In viel früherer Zeit, als ich nämlich noch Patriarch von Venedig war, habe ich schon einige die deutsche Poesie betreffende Zuschriften nebst einem Bändchen seiner trefflichen lyrischen Gedichte von ihm erhalten. In jenen Augenblicken, wo ich erst kürzlich dem Tode nahe war, bedauerte ich es innig, diese meine Selbstbiographie nicht zu Ende gebracht zu haben – denn sie war erst bis zur Hälfte meiner Venediger Amtstätigkeit gediehen; nicht aus Eitelkeit, daß der Welt dadurch vielleicht etwas Bedeutendes vorenthalten blieb, sondern deswegen, weil ich so manches Unstatthafte, was etwa nach meinem Tode über mich verbreitet werden könnte, vorhinein berichtigen wollte; dies wirkte so heftig auf mich, daß ich, schwach und entkräftet (aber schon von dem Krankenbette aufgestanden) wie ich war, jeden Augenblick, den ich benützen konnte, mit größtem Eifer daran weiterschrieb. Meinen Ärtzen durfte ich freilich nichts davon sagen. Diese waren höchst betroffen, als ich ihnen erklärte, daß ich ehestens nach Gastein aufbrechen wolle, von dessen mir bekannter stärkender Quelle ich allein bei einer solchen Entkräftung gegen mein völliges Verkommen Hilfe zu finden hoffen dürfe; auch würde ich bei der großen, teils noch immer andauernden Schlaflosigkeit draußen in freier Luft im Wagen sitzend gewiß schlafen können. Sie forderten alle meine Bekannten auf, mich von dem gefaßten Entschluß abzubringen, aber vergeblich! Dr. Hochberger führte mich denn zwei Tage hintereinander bei heißem Sonnenschein in seinem Wagen auf eine halbe Stunde in die freie Luft, die ich schon über drei Wochen entbehrt hatte und an die ich[231] mich wieder gewöhnen sollte, hinaus und haftete ohne Unterlaß die ängstlichen Blicke auf mich, einen Unfall von ihrer Einwirkung fürchtend; aber wir kamen unbehindert wieder nach Hause, und so brach ich dann am 1-sten September morgens sechs Uhr, nachdem zwei Träger mich in einem Armsessel sitzenden über die Treppe herabgetragen und wie ein schwaches Kind in meinen Reisewagen gesetzt hatten. Mit Tränen in den Augen und tiefer Rührung im Herzen schämte ich fast vor der Menge, welche die Straße erfüllt und meinen Wagen umringt hatte, über meine Hilflosigkeit und warf meinen Freunden dankbare Blicke zum Abschied zu. Was ich vorausgesagt hatte, traf ein; noch hatten wir die erste Poststation Buchau nicht erreicht, so schlief ich ein und erwachte erst gegen Mittag bei der vierten Station Horosedl, wo ich mit erhöhter Lust einiges von der frugalen Mahlzeit genoß. Sechs Tage dauerte die peinliche Reise über Prag, Budweis, Linz und Salzburg nach Gastein, denn es war keine Kleinigkeit, mit einem so abgezehrten Körper fort und fort im Wagen gerüttelt zu werden. Als ich am vierten Tage nachmittag vor dem Posthause in Linz stillhielt, so trat der Postmeister mit der Augs(burger) Allg. Zeitung in der Hand an meinen Wagen und sagte mir, es stehe in der eben angekommenen letzten Nummer derselben mein in Karlsbad am 26-sten August erfolgter Tod umständlich angezeigt, welche unrichtige Angabe aber im nächsten Blatte widerlegt am folgenden Tage in Salzburg zu lesen war. Ich bat ihn, er möge meinem vieljährigen werten Freunde, dem Präsidenten der oberennsischen Regierung daselbst, Freiherrn von Skrbensky, der zu meiner Zeit Gubernialrat in Venedig war, melden, daß ich obgleich in einem noch immer unerfreulichen Zustande lebend durch Linz gereist sei. So schickte mir später aus Paris Mrs. Sarah Austin, die Gattin eines vormaligen englischen Prokurators auf Malta, mit welchen beiden ich wiederholt in Karlsbad zusammentraf – und die nicht nur als Schriftstellerin durch die Übersetzung der bändereichen Geschichte der Päpste und der Reformation von Ranke sich Ruhm erwarb, sondern auch durch sonstig ausgezeichnete Geistes- und Herzenseigenschaften allgemeine Liebe und Hochachtung verdient, das Blatt aus der englischen Zeitschrift Athenaeum, in welchem mein Nekrolog mit beliebiger Würdigung meines Lebens und lit. Werke enthalten ist. Die Bekanntschaft dieser herrlichen Frau und ihres Gatten gemacht zu haben, zähle ich unter die angenehmsten Ereignisse meines Lebens.

Abends in Hofgastein angekommen sah ich die dortigen Bürger vor Freude weinend meinen Wagen umstehen, da sie bei der ersten Nachricht von meinem erfolgten Tode gleich für den folgenden Tag ein feierliches Requiem für mich angeordnet hatten. Auch dort wurde ich noch aus dem Wagen gehoben und über die[232] Treppe in die für mich bestimmten Zimmer des Gasthofes getragen. Als man darauf eine Dienstmagd des Hauses befragte, warum sie so heftig weinte, so sagte sie, weil sie bemerkte, daß ich vor Schwäche kaum meine Kleider tragen könne. Sie hatte mich in vorigen Jahren in einem besseren Zustande gesehen.

Die Bäder gebrauchte ich abermals durch achtzehn Tage auf dieselbe Art wie das letztverflossene Jahr und am sechsten Tage war ich bereits im Stand, vor dem Hause durch den freundlichen Besitzer desselben unterstützt im warmen Sonnenschein einigemal auf und ab zu gehen. Obschon bereits spät in der Jahreszeit war die Witterung dennoch günstig, und ich mit der Wirkung der Bäder, so weit es nach den vorwaltenden Umständen sein konnte, zufrieden. Auch dort erlebte ich neue Beweise von treuer Anhänglichkeit. Nicht nur mein Domherr Lévay kam von Wien aus abermals zu mir nach Gastein, um sich von meinem Gesundheitszustande persönlich zu überzeugen, sondern auch von Venedig über den Radstädter Tauern herüber der Gubernialsekretär Angeli, der zugleich Sekretär der Wohltätigkeitskommission (Pubblica Beneficenza) war, und mir als Präsidenten derselben ein treuer Anwalt der Armen die ausgezeichnetesten Dienste leistete. Überdies war er mir mit einer ganz eigenen Zuneigung ergeben. Fortwährend erhielt er mich über die seitherigen Folgen der damals getroffenen günstigen Anordnungen in der Evidenz und sprach auch zuweilen meine Verwendung für die Armensache in Wien kräftig an, wenn etwas für selbe zu erwirken war. Er, ein reise-scheuer Venezianer, hat mich auch bei Gelegenheit der Einweihung meiner neuen Kathedrale in Erlau besucht und nun kam er in rastloser Eilwagenfahrt, mich in dem von Riesengebirgen umstarrten Tal von Hofgastein wenn auch nur auf einen Tag wiederzusehen; denn er sagte: »Abbiam molto pianto la Sua morte!« Da er erst am Vorabende meiner Abreise, am 25-sten September, bei mir anlangte, so nahm ich ihn bis Salzburg in meinem Wagen mit, von wo er dann auf dem Eilwagen wieder nach Venedig zurückkehrte. Meinem Domherrn riet ich aber, die Gelegenheit zu einer kleinen Exkursion nach München und Regensburg, von wo die Fahrt nach Wien mit dem Dampfschiff so leicht ist, zu benutzen, um die Freude, so viele Kunstgegenstände gesehen zu haben, mit nach Hause nehmen zu können.

Ich aber traf über Wien und Pesth am 15-ten Oktober in Erlau ein. Meine Brust war noch immer beklemmt, der Atem kurz, und eine allgemeine Schwäche vorherrschend. Doch immer schlimmer wurde mein Zustand, bis gegen die Mitte des Monat November die Ärzte ihrer drei im Rate vereint durch acht Tage jeden Morgen, als ich noch im Bette lag, an der Brust umher klopften, mit dem Gehörrohr auskultierten und ihr Urteil endlich dahin aussprachen, daß der untere Teil des rechten Lungenflügels nicht frei, d.h. durch[233] ein Ödem behaftet sei. Das befürchteten zwar auch die Karlsbader Ärzte, und nun wurden seitdem bis heute die selben Arzneimittel wie dort angewendet.

Stets näher rückte der Tag (der 8-te Dezember), an welchem ich mein fünfzigjähriges Priesterjubiläum, Sekundiz genannt, begehen sollte, da ich am selben 8-ten Dezember des J. 1796 im Stifte Lilienfeld, dessen Mitglied ich war, meine erste Messe oder Primiz gehalten hatte. Noch am 5-ten zweifelte ich sehr daran, daß ich wegen meines Übelbefindens im Stande sein würde, in dieser langen Funktion gehörig zu bestehen. Doch ich raffte meine ganze noch übrige Kraft zusammen, und durch die Gnade Gottes ist mir das, was ich so sehnlich wünschte, gelungen. Beinahe drei volle Stunden mit der inmitten derselben gehaltenen Predigt dauerte die seltene Funktion, bei welcher mir vier Diözesanbischöfe des Landes nebst den Vorstehern des Kuratklerus der Erlauer Diözese assistierten. Man hat in öffentlichen Blättern davon und von den übrigen Feierlichkeiten berichtet. Nicht der Pomp, nicht die begrüßenden Anreden, die Toaste und Illuminationen, die bei solcher Gelegenheit an der Tagesordnung sind, haben mir Freude gemacht, sondern vor allem der Anblick des zahllosen Volkes, das in meiner majestätischen Kathedralkirche in ergreifender Andacht versammelt war, dann die Gegenwart der vier Diözesanbischöfe, des von Stuhlweißenburg, Großwardein, Kaschau und Rosenau, von welchen die ersten drei von der Erlauer Diözese ausgegangen sind, und zweier abgesandten Mitglieder des lieben Stiftes Lilienfeld, dem auch ich durch achtundzwanzig Jahre angehört hatte. Der dortige Prälat, mein zweiter Nachfolger, war durch Unwohlsein gehindert, selber zu kommen, so wie auch noch zwei andere Diözesanbischöfe, der von Csanád und Szathmár, beide gewesene Erlauer Domherrn, wegen der grundlosen, in dieser Jahreszeit unfahrbaren Wege nicht erschienen sind, aber durch herzliche Zuschriften ihre Teilnahme bezeugten.

Noch muß ich hinzusetzen, daß mein Domkapitel auf diese Feierlichkeit eine schöne Denkmünze von Gold, Silber und Bronze in Wien prägen und bei Gelegenheit des Festes verteilen ließ mit der beiderseitigen Inschrift: Joanni Ladislao Pyrker, Patr. Archi-Eppo Agriensi, Sacerdotii Jubilaeum VIII. Decembris 1846 celebranti Metrop. Capit. Agriense.

So habe ich auch diesen Tag aus der Huld Gottes erlebt und gefeiert und will damit diese meine Selbstbiographie – dem endlichen Ziele vielleicht nahe – beschließen!

J.L. Pyrker, Erlau den 27. Dez. [18]46.


J. 1847.

Ich glaubte mit Ende Dezember vorigen Jahres meine Selbstbiographie beschließen zu können; allein es stellten sich wieder[234] einige Ereignisse ein, die den letztgenannten notwendig anzureihen kommen. In Folge meiner in Karlsbad überstandenen schweren Krankheit habe ich mich zwar in Hofgastein, wo ich nach einer sechstägigen Reise am 7-ten September ankam und durch 18 Tage täglich nur eine Viertelstunde lang badend mich zum Erstaunen aller auch wieder schnell erholt; denn bei meiner Ankunft abermals wie ein Kind vom Wagen gehoben und über die Treppen nach dem oberen Stockwerk getragen, ging ich schon am fünften Tage mit meinem Hausherrn Arm in Arm in der sonnigen Straße des Marktes einigemal auf und ab spazieren. – Auf der Reise dahin, als ich in Linz vor dem Posthause die Pferde wechseln ließ, kam der Postmeister mit der A(ugsburger) Allg. Zeitung in der Hand an den Wagen heran und sagte, eben das heutige, zuletzt angekommene Blatt derselben spreche von meinem in Karlsbad am 26-sten August erfolgten Tode in den bestimmtesten Ausdrücken. – Ich las den Artikel und bat ihn lächelnd, er möchte sogleich dem Landes-Chef, dem Präsidenten Baron Skrbensky, der als Gubernialrat in Venedig durch einige Jahre im freundlichen Verkehr mit mir stand, den Ungrund jener voreiligen Nachricht zu wissen tun. – Auch war ich tief gerührt, als bei meiner Ankunft in Hofgastein die Bürger meinen Wagen weinend umringten und mir nun getröstet erzählten, daß sie gleich nach der erhaltenen Nachricht von meinem Tode in der Pfarrkirche ein feierliches Requiem für mich abhalten ließen. Kein Wunder demnach, daß ein englischer Geistlicher, S.F. Montgomery M.A., in der Zeitschrift Athenaeum einen Nekrolog von mir niederlegte, der ziemlich lang und in wohlwollenden Ausdrücken gehalten war. Er entschuldigte sich später darüber durch einen sehr verbindlichen Brief an mich auf eine launige, doch artige Weise.

Aber leider gingen die guten Wirkungen der Gasteiner Bäder durch die Schuld meines Domestiken, der den Schlüssel zu meiner Zimmertür, während ich bei dem Nachtessen saß, verlegt hatte und mich, bis er ihn fand, in der feuchten Zugluft des Ganges stehen ließ, wieder verloren. Schon im Rückwege fühlte ich mich immer minder wohl und obschon ich zu Hause angekommen meine Sekundiz oder 50jährige Priester-Jubiläums-Feier am 8-ten Dezember mit Anstrengung zwar, aber glücklich begangen hatte, so fiel ich mit demselben Krampfhusten behaftet bis gegen Ende Jänner d.J. in einen solchen Zustand, daß ich von den Ärzten aufgegeben am 30-sten abermals mit den hl. Sterbesakramenten versehen wurde. Von dort an kam ich dann auch volle vier Monate[235] nicht über die Schwelle meines Zimmers bei fortwährendem Husten einer unbeschreiblichen Entkräftung verfallen. Da ich anfangs Februar diese zum Teil dem Gebrauch der vielen narkotischen Arzneimitteln zuschrieb, so entsagte ich dieser und allen übrigen ganz und verschrieb mir selber den täglichen Genuß der sogenannten sauern oder gestockten Milch, auf daß sie die Wirkung jener neutralisierte, und wirklich hat sie auf die Funktionen meines Unterleibes eine wohltätige Wirkung bewiesen.

Doch auch im gegenwärtigen Jahre haben sich die Gasteiner Bäder für mich wieder ersprießlich gezeigt, obschon ich den größten Teil des Monat Juli bis halben August dort zubrachte, wo ohnehin die Enthüllung des Monumentes, das ich dem verewigten Kaiser Franz I. setzen ließ, erfolgen sollte und den 15-ten desselben wirklich erfolgte. In der Beilage der A(ugsburger) Allg. Zeitung vom 22. Aug. Nr. 234 ist sowohl das Monument und die Veranlassung der Errichtung desselben als auch die Enthüllungsfeier beschrieben und dort nachzulesen. Möge sie auch diesen Zeilen beigefügt sein.[236]

Quelle:
Pyrker, Johann Ladislaus: Mein Leben 1772–1847. Wien 1966 (Fontes Rerum Austriacarum, Abteilung I: Scriptores, Band 10)., S. 200-237.
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